Text und Fotos: Elke Sturmhoebel
In diesen sakral anmutenden Gemäuern wurden nie fromme Lieder gesungen oder Messen gelesen. Unter dem Kreuzgewölbe wälzten sich vielmehr Tiere im Stroh, haben Rinder gefressen, gesoffen und wiedergekäut. Diese „Kuhkapellen“, die noch bis vor dreißig Jahren den Rheinhessen als Stallgebäude dienten, haben jetzt eine Metamorphose erfahren. Nicht Wasser, sondern Wein wird inzwischen getrunken. Winzerstuben und Gutsschenken, Restaurants und Gourmettempel haben Einzug gehalten und zelebrieren den göttlichen Tropfen. Auch Straußwirtschaften, wo der neue Wein aus der Taufe gehoben wird, wurden dort einquartiert.
So mancher ungläubige Thomas ist in Kuhkapellen und anderen Weinprobierstuben bereits missioniert und in die rheinhessische Bacchus-Gemeinde aufgenommen worden. Die Kuhställe sind zu Kultstätten geworden. Wenn in Rheinhessen also von Öchsle die Rede ist, spricht man von dem Reifegrad der Trauben und nicht mehr von den Ochsen, die einst in den Kuhkapellen gestanden haben mögen.
Rheinhessen, die Region links des Rheins zwischen Bingen, Mainz und Worms, ist das größte Weinanbaugebiet in Deutschland. Weine mit den Etiketten „lieblich“ und „edelsüß“ bilden den größten Teil des produzierten Rebensaftes. Allein 600.000 Hektoliter Liebfrauenmilch fließen pro Jahr ins vornehmlich angelsächsische Ausland. Nicht minder erfolgreich ist der Oppenheimer Krötenbrunnen, der für wenig Geld im Supermarkt steht.
Nierstein: die größte Weinbaugemeinde in Rheinhessen
Dennoch versucht die Region Rheinhessen vom Image des billigen Massenweins loszukommen. Die Losung „Manchmal ist weniger einfach mehr“, die 1992 an die Winzer herangetragen wurde, trägt Früchte. Auf den Markt kommt inzwischen unter anderem eine limitierte Menge von handgelesenen, trockenen Selectionsweinen. Verkostet werden weiße Sorten, die höchsten Qualitätskriterien unterliegen.
Kreuzgewölbe fürs liebe Vieh
Zu Beginn des 19. Jahrhunderts spielte der Wein in Rheinhessen nur eine Nebenrolle. Um Hungersnöten Herr zu werden, wurde die Viehhaltung gefördert sowie der Anbau von Rüben, Kartoffeln und Klee für die Stallfütterung. Erst die Eisenbahnanbindung brachte neue Märkte und somit Wohlstand in die Dörfer. Die Landwirte rissen die alten Holzschuppen ab und errichteten stattdessen - als Indiz eines neuen bürgerlich-bäuerlichen Besitzerstolzes - prächtige Kuhställe mit Kreuzgewölben. Solch eine Stallung mit weißgekalkten Bögen oder kunstvoll angeordneten Deckenziegeln, Sandsteinsäulen und Kapitellen war kaum billiger als das Wohnhaus.
Der Maurermeister Franz Ostermayer aus dem pfälzischen Eisenberg war der Erfinder der Kuhkapellen. Die säkularisierten Klöster, deren Refektorien als Ställe zweckentfremdet wurden, haben ihn inspiriert. Als die Großherzogliche Provinzialregierung in Mainz feststellte, dass diese aufwändige Bauweise zudem die Brandgefahr minderte, forderte sie die ansässigen Maurermeister auf, zur Fortbildung bei Ostermayer in die Lehre zu gehen.
Gute Stimmung in einer Kuhkapelle in Siefersheim
Mehr als zweihundert Kreuzgewölbe entstanden zwischen 1830 und 1870 - fast ausschließlich in den Grenzen Rheinhessens. Danach wurden die preußischen Kappendecken modern; sie sicherten die Stabilität mit Baustahl. Als in den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts die Milchwirtschaft vollends aufgegeben und auf Weinbau umgesattelt wurde, gerieten die Luxusstallungen in Vergessenheit und fristeten ein Dasein als Abstellkammern.
Das Juwel im Kuhstall
Wenn man mit wachen Augen durch die Gegend fährt, sieht man auf den Höfen der Weingüter halbmondförmige Fenster: untrügliche Zeichen einer Kuhkapelle. Die 1999 gegründete Interessengemeinschaft „Rheinhessische Weingewölbe“ reist über die Dörfer und versucht, das Landvolk für eine Sanierung zu begeistern. „Oft wissen die Leute gar nicht, was für ein Juwel sie besitzen“, vermutet Christine Moebus, federführend in dem Verein und selbst stolze Besitzerin einer Kuhkapelle. „So ein altes Geraffel“, sagen viele Rheinhessen hingegen und lassen ihr Gerümpel drin. Nur zögerlich wird die Restaurierung der Gewölbe in Angriff genommen, werden Deckenziegel freigelegt, Säulen gewaschen, Wände getüncht, Böden gefliest. Rund 45 Kreuzgewölbe sind bisher aufgeputzt worden, Zuschüsse dafür gibt es nicht. Doch Kleinvieh macht auch Mist.
„Schlimm sah es darin aus“, sagt Peter Warbinek, der seine hauseigene Kuhkapelle in Siefersheim schon vor Jahren ausgemistet hat. Es dauere lange, bis die Hinterlassenschaften der Rindviecher endgültig beseitigt seien. Gerade hätte er wieder Chemie benutzt, um den Ausblühungen den Garaus zu machen. Sein Weingewölbe hat nur insofern etwas mit Wein zu tun, als dass Flaschenetiketten darin ausgestellt werden.
Peter Warbinek (Foto) ist Werbegraphiker und Illustrator. Normalerweise sind seine Werke in den Regalen und Kühltruhen der Supermärkte zu sehen. Den „Schaustall“ benutzt er jetzt als Galerie für seine Originalgraphiken, Weinetiketten und Packungsillustrationen. Auch das Logo für die „Rheinhessischen Weingewölbe“ entwarf er.
An werbewirksamen Merkmalen hat es in dieser Region bisher gefehlt. Rheinhessen ist Nutzland und weitaus bescheidener als der Rheingau gegenüber mit seinen Burgen und der Loreley. Nichts Spektakuläres steckt zwischen den Weingärten, Streuobstwiesen und Feldern, wenngleich die Bodenständigkeit auch ihre Schönheit hat. Die Trulli, die heimwehkranke Gastarbeiter aus Apulien einst in den Weinbergen rund um Flonheim hinterließen und sich auf Plakaten der Rheinhessen-Werbung ganz gut machen, erweisen sich beim näheren Hinsehen als ein wenig kümmerlich. Es gibt ohnehin nur noch drei dieser kegelförmigen Häuschen, die ausschauen wie weiße Zipfelmützen.
Ein Markenzeichen für Rheinhessen
Das Beinhaus in Oppenheim ist da schon besser. Im Souterrain der Michaelskapelle, an der Nordseite der gotischen St. Katharinenkirche, sind Schädel und Knochen sorgfältig gestapelt. Solch ein Beinhaus in Deutschland hat Seltenheitswert, im 19. Jahrhundert wurden fast alle geräumt. Aber als Werbeträger für eine Ferienregion wirkt es vielleicht etwas morbide. Die Kuhkapellen, in denen lustvoll gegessen und getrunken - und zuweilen gesündigt - wird, machen da schon mehr her.
Winzerin Christine Moebus findet das auch. „Die Weingewölbe sind ein einzigartiges und unverwechselbares Markenzeichen für Rheinhessen“. In ihrer Vielfalt gäbe es sie nur hier, betont sie. Auf einer Harley-Davidson düst sie über die Hügel ihrer Heimat, um für den Ausbau der Kuhkapellen zu werben. Es gibt genug Ideen, was man damit machen könnte.
Solch ein prächtiger Stall bildet zum Beispiel einen schönen Rahmen für Feste, Weinproben und Konzerte. Hin und wieder finden dort Veranstaltungen statt, bei denen zu einem opulenten Büffet gefiedelt, geflötet, Harfe oder Gitarre gezupft wird. Kerzen flackern dann auf dem Altar der Tafelfreuden. Andächtiges Schweigen erfüllt den Raum, wenn die Musik erklingt, die Flaschen entkorkt und sich der Geist des Weines entfaltet. Ein abendliches Mahl unter dem Kreuzgewölbe der Kuhkapelle ist ein wahrlich himmlisches Ereignis. Es wird dem Wein gehuldigt, das zarte Steak gelobt, Koch und Kellermeister gepriesen.
Im Weinberg oberhalb des Rheins
Auskünfte:
Rheinhessen-Information
Wilhelm-Leuschner-Str. 44
55218 Ingelheim
Telefon
06132/4417-0
www.rheinhessen-info.de.
Dort gibt es ein Unterkunftsverzeichnis und auch die Broschüre „Rheinhessische Weingewölbe“ mit
44 Adressen.
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