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Hannover
Historisches Museum


Premierenfieber bis 31.10.2023

In den 1950er Jahren entwickelte sich Hannover zur Kino-Metropole und zur Stadt der Uraufführungen. Über ein Jahrzehnt spielte Niedersachsen in der Nachkriegszeit eine herausragende Rolle für den deutschen Film: Bis 1960 entstanden bedeutende und zahlreiche Nachkriegsfilme in Filmstudios in Göttingen und Bendestorf (Nordheide). Viele dieser Produktionen wurden in der Landeshauptstadt uraufgeführt. Die Kino-Begeisterung der Hannoveraner*innen veranlasste auch Produktionsfirmen anderer Bundesländer ihre Filme erstmals hier zu zeigen.

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Nein, heute ist der Glanz von Hannover schon ein wenig verblasst, geht es um Kinopremieren. Auch der Standort Niedersachsen ist bezüglich Filmproduktionen nicht mehr in aller Munde. Das war einst ganz anders. „Die Sünderin“ mit Hildegard Knef, „Drillinge an Bord“ mit Heinz Erhardt oder „Die Buddenbrooks“ wurden in Niedersachsen gedreht. Ausschnitte aus diesen Filmen zeigt man in der Ausstellung.

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Wege im Zwielicht Produktion: Junge Film-Union, Regie: Gustav Fröhlich, Uraufführung 09.04.1948 Der Film beginnt als Trümmerfilm und endet als Heimatfilm. Die Innenaufnahmen wurden im Kloster Wienhausen bei Celle gedreht. © Filminstitut Hannover

Die aktuelle Ausstellung bindet das Thema Kinokultur in einen sozio-kulturellen Kontext ein. Dazu gehören Themeninseln zur Mode und zur Mobilität, aber auch zur Wohnkultur der 1950er Jahre. Und am Ende steht symbolisch eines der ersten Fernsehgeräte. Mit dem Aufkommen des Fernsehens war auch der Niedergang des Kinos verbunden. Kinopaläste mit mehr als 1000 Sitzplätzen ließen sich nicht mehr füllen. Und heute haben Streamingdienste dem Kino den Rang abgelaufen. Insofern hat die Ausstellung auch etwas von Nostalgie, nicht nur weil der Besucher Schauspielern wie Hansjörg Felmy, Heinz Erhardt, Marika Rökk, Dieter Borsche oder Ruth Leuwerick und Hans Albers begegnet, die heute Teil deutscher Filmgeschichte sind. Auch die Filmausschnitte, die zu sehen sind, vor allem die Heimatfilme, sind Nostalgie pur und zugleich auch Hinweis darauf, wie in den Nachkriegsjahren die Aufarbeitung der Zeit des III. Reichs verdrängt wurde. Stattdessen zeigte man Filme über die heile Welt.

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Der Tag vor der Hochzeit Produktion: Filmaufbau GmbH Göttingen, Regie: Rolf Thiele Uraufführung: 27. November 1952, Weltspiele In einer kleinen Universitätsstadt (gemeint ist Göttingen) schlagen die Wellen hoch: Mitten in den Hochzeitsvorbereitungen für seine einzige Tochter erhält der Bürgermeister die Nachricht, dass das Staatsoberhaupt seiner Stadt unerwartet auf der Durchreise einen kurzen Besuch abstatten will. Seine Absicht, die Hochzeit in letzter Stunde zu verschieben, wird von der listigen Braut durchkreuzt. © Filminstitut Hannover

Bereits vor dem Betreten der Ausstellungsräume stoßen wir auf blockhafte, würfelförmige Vitrinen, in denen wir unter anderem einen Bauchladen für Zigaretten der Marke LUX, einen Kartenautomaten und Filmkameras aus vergangenen Tagen sehen. Auf einem Stadtplan und in einer Legende entdecken wir die 52 Kinos, die einst die Hannoversche Kinolandschaft ausmachten. Dazu gehörten AKI Aktualitäten Kino, Adler Lichtspiele, Filmpalast Schwarzer Bär, Gloria-Palast, Schloss-Lichtspiele, Rex am Steintor und Walhalla-Lichtspiele, um nur einige namentlich aufzuführen. Und auch frühe Filmplakate, von Plakatmalern entworfen und nicht etwa von Fotografen designed, sehen wir, darunter „Liebe 47“ mit Hilde Krahl und Karl John in den Hauptrollen. Übrigens, dieser Film wurde in Göttingen 1949 produziert. Filmstadt Göttingen – wer denkt bei Göttingen an einen solchen Kontext? Wolfgang Borchert war mit dem Drama „Draußen vor der Tür“ der Ideengeber für die Geschichte dieses Films. Im Mittelpunkt steht ein deutscher Kriegsheimkehrer, der Probleme bei der Integration ins Nachkriegsdeutschland hat. Zu sehen sind Standbilder aus dem Film und Werbeprospekte des damaligen Verleihs. Ebenfalls in Göttingen entstand „Nachtwache“, prämiert als bester deutscher Film 1949.

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Ein Herz voll Musik (BD 087939)Filmwerbung zur Welt-Uraufführung im Kino Weltspiele des Musikfilms „Ein Herz voll Musik“ mit Vico Torriani, Foto von Wilhelm Hauschild, 02.09.1955

„Wiege im Zwielicht“ gehört auch zur Gruppe der Nachkriegsfilme. Drehort für den Film war der Bahnhofsbunker Hannover. Ob es den heute noch gibt? Im Hauptbahnhof Hannover weist allerdings nichts auf diesen Drehort hin. Thema des Films sind die Entwurzelten und Suchenden in Zeiten, in denen das Alte nachwirkte und das Neue, eine neue Vision, eine neue Moral sich noch nicht herausgebildet hatte.

Neben Göttingen war auch Bendestorf in der Lüneburger Heide Dreh- und Produktionsort nach 1945, so auch für „Menschen in Gottes Hand“. Innenaufnahmen für diesen Streifen fanden im Tanzsaal der ortsansässigen Gaststätte „Zum Schlangenbaum“ statt. Unter anderem spielte im Film – ein gemaltes Filmplakat ist ausgestellt – Paul Dahlke mit.

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Heinz Erhardt (BD 071428) Komiker Heinz Erhardt hinter der Bar beim Telefonieren im "Haus der tausend Schnäpse", der Bar im GOP (Georgspalast), Foto von Wilhelm Hauschild, 29.10.1969

Um einen Eindruck vom Alltag in den 1950er Jahren zu bekommen, hat man eine Ausstellungsinsel inszeniert, die dem Thema Wohnen gewidmet ist. Zu sehen ist unter anderem ein Küchenschrank mit Kunststoff beschichteten, glänzenden Schiebetüren. War das eine Aufforderung an die Hausfrau zum regelmäßigen Putzen? Der Blick in die Küche wird mithilfe eines Einweckglases, der Dose „Backwunder“, der Küchenwaage „Tacosa“ und des Küchengeräts „Rührfix“ ergänzt. Wieso ein Einwecklas? Über die Hälfte der Deutschen besaß in den 1950er Jahren einen Garten. Dort wurden Obst und Gemüse geerntet und eingekocht, um es haltbar zu machen. Zu sehen sind aber auch der ausziehbare Esstisch mit Waschschüsseln und natürlich ein Kühlschrank, purer Luxus und keine Selbstverständlichkeit. Nur 11% der Haushalte besaßen einen Kühlschrank, der ganz oben auf der Wunschliste für einen guten Lebensstandard stand. Gleiches gilt außerdem für die ausgestellte Saftzentrifuge „Braun Multipress“. Eine Übersicht zeigt im Übrigen dem Besucher, in wie vielen Räumen Hannoveraner lebten. Vier Räume besaßen 1955 zum Beispiel fast 40% der Wohnungen, fünf weniger als 1939. Damals waren es 37,7% und 1955 21,0 % der Wohnungen.

Doch zurück zum Kinofilm: Erster Farbfilm der Filmaufbau Göttingen war „Königliche Hoheit“ nach Thomas Mann. Dieter Borsche und Ruth Leuwerick waren in den Hauptrollen zu sehen. Auch Manns „Die Buddenbrooks“ fand den Weg ins Kino. Hansjörg Felmy spielte eine der Hauptrollen. Ein entsprechender Ausschnitt wird in der Ausstellung gezeigt. Die Inszenierung erinnert im Duktus und der Spielart der Schauspieler eher an eine Bühnendarstellung als einen Film.

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Weltspiele (BD 085077) Filmwerbung des Kinos "Weltspiele" für den Spielfilm "Haie und Kleine Fische" mit Sabine Bethmann und Mady Rahl. Foto von Wilhelm Hauschild, 09.1957

Die Geschichte und die Architektur der Filmpaläste Hannovers werden überdies ausführlich in Fotodokumentationen behandelt. 1922 wurden die Palast-Lichtspiele in der Bahnhofstraße eröffnet und nach der Zerstörung während des Weltkrieges in den späten 1940er Jahren wieder aufgebaut und eröffnet. Mehr als 1000 Sitzplätze umfasste das Kino. Heute wäre das undenkbar. Und auch der UFA-Palast am Aegidientorplatz besaß mehr als 1000 Plätze. Kinos, dieser Größe, könnte man heute nicht mehr füllen. „Puschenkinos“ sind angesagt, größere Wohnzimmer mit wenigen Dutzend Sitzplätzen sind eher die Regel, vor allem auch bei sogenannten Programmkinos. Neben Aufnahmen dieser beiden Kinos kann man auch einen Blick auf die Weltspiele in der Georgstraße werfen. Charakteristisch ist die Lichtreklame des Kinos, die Emil Gildhorn mit der Kamera festgehalten hat. Einem Lichtdom glich einst das Theater am Aegi, betrachtet man die Fotos von Günther Fischer, insbesondere die Lichtarchitektur in der Deckenwölbung. Noch etwas war in den 1950er Jahren für Hannover kennzeichnend, der Bau des Niedersachsenstadions und des Constructa-Blocks. In Aquarellen wurden beide Neubaumaßnahmen von Hans Kreuzer dokumentiert. Diesen Künstler nannte man hinfort auch „Aufbaukreuzer“.

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Ausstellungsinsel: Mode in den 50er Jahren Foto (c) fdp2023

Ganz typisch erscheint „Film ohne Titel“ von 1947. Willy Fritsch, Hildegard Knef und Hans Söhnker spielten dabei mit. In einer idyllischen Heidelandschaft sucht ein Regisseur einen heiteren Filmstoff in so schweren Zeiten, so der Kern dieser Filmsatire. In ihr wird auch unterstrichen, dass man auf gar keinen Fall einen Anti-Nazi-Film realisieren wolle. Wer die deutsche Geschichte genau kennt, weiß von dem bitteren Beigeschmack, von der Weißwäscherei der Täter, von der Kontinuität in Justiz, Politik und Verwaltung. Doch der Film sollte heile Welt widerspiegeln. Freude, Friede, Eierkuchen – so das Motto! Allerdings „Die Sünderin“ sorgte für Empörung und Aufruhr. Skandal schrien die (Klein)bürger, die sich an einigen Szenen der Knef und an der Story über die Prostituierte Marina störten. Und auch das Ende des Liebesdramas zwischen Marina und ihrer großen Liebe Alexander traf nicht auf Zustimmung: Marina vergiftet ihren an einem Gehirntumor erkrankten Mann und nimmt sich dann selbst das Leben.

Auf weiteren Ausstellungsinseln kann der Besucher einen Blick auf die soziale Entwicklung in den 1950er Jahren werfen. Der eine oder andere schaffte sich die Radio-Phono-Truhe „Ballerina Konzert“ an. Schallplatten wie „Die Benny Goodman Story“ standen hoch im Kurs. Es war eine Musik, die Jahre zuvor als jüdisch-bolschewistisch und entartet bezeichnet wurde, bisweilen auch als „Negermusik“ abgetan wurde. Auch das Radio „Sultan 2320“ war ein Verkaufsschlager der späten 50er Jahre. Bis heute eine Ikone des Designs ist der sogenannte Schneewittchensarg von Braun, eigentliche Typenbezeichnung „Braun PKG 581“.

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Ausstellungsinsel Mobilität Foto (c) fdp2023

Und noch etwas wird beleuchtet und damit der Ausstellungstitel unterstrichen: Premierenfieber mit Hans Albers bei der Premiere von „Blaubart“ am9.1.1952 oder Marika Rökk bei der Premiere von „Die Csárdás-Fürstin. Alles wurde in Schwarzweiß für die Nachwelt dokumentiert. 1960 kam sogar Marlene Dietrich nach Hannover, und zwar ins Theater am Aegi. Menschenauflauf war bei Premieren immer garantiert. So war unter anderem bei der Premiere von „Liane, das Mädchen aus dem Urwald“ sogar Polizeischutz notwendig. Ausschnitte aus Premierenfilmen kann man sich im Rahmen des Besuchs auch anschauen, so „Primanerinnen“ und „Grün ist die Heide“. Heute scheinen diese Filme wie aus der Zeit gefallen zu sein.

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Grün ist die HeideProduktion: Berolina-Film, Regie: Hans DeppeUraufführung: 14. November 1951, Palast-Theater Die Außenaufnahmen für den Inbegriff des Heimatfilms entstanden in der Lüneburger Heide und in Bleckede bei Lüneburg. © Stadtarchiv Hannover

Die Entwicklung ging voran, das Wirtschaftswunder nahm seinen Lauf: Mobilität war gefragt. Um dieses Thema anschaulich zu verdeutlichen, hat man eine Insel mit Mopeds installiert, darunter auch das Moped „Vicky Super Luxus“ und das Moped „Rex“. 1960, so lesen wir auf einem Saaltext, fuhr bereits jeder Zehnte Hannoveraner einen PKW! Nierentisch und Armsessel mit synthetischem Bezug waren in, abgesehen vom Cocktailsessel und der „Eistütenlampe“. Und schließlich endet die Ausstellung mit einer neuen Kinokultur: dem Fernsehen.

© ferdinand dupuis-panther

Wenn nicht anders bei den Abb. angegeben: © Historisches Museum Hannover

Info
www.hannover-museum.de



 

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