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Münster
LWL Museum für Kunst und Kultur

Sommer der Gefühle bis 3.9.2023

Die Ausstellung "Sommer der Moderne" zeigt Kunstwerke von Künstler:innen aus dem späten 19. und frühen 20. Jahrhundert aus dem Museumsbestand. Der Sommer wird zum Beispiel mit dem Künstler Bernhard Pankok in den Landschaften Westfalens erlebbar. Auch in Peter August Böckstiegels expressionistischen Arbeiten in leuchtenden Farben findet sich immer wieder der Bezug zur westfälischen Heimat. Das Fernweh lockt in die weiten und sehnsuchtsvollen Landschaften Eugen Brachts oder ins Paris der Jahrhundertwende mit Ida Gerhardi. Melchior Lechters strahlende Kulissen des Jugendstils nehmen Besucher:innen mit auf eine Reise, und Josef Albers abstrakte Gemälde spielen mit Ideen von Moderne, die weit über den Sommer hinausgehen.

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Eugen Bracht, Mondnacht in der Wüste, 1909, LWL-Museum für Kunst und Kultur. Foto: LWL/Hanna Neander

Nein, es geht nicht um Sonnenauf- und untergänge, um das Licht des Südens, um Bootspartien auf der Seine oder um sommerliche Wannsee-Blicke – man denke an Arbeiten von Max Liebermann ! -, sondern darum in sechs Räumen des Hauses sechs künstlerische Positionen vorzustellen und dabei auf die eigene Sammlung zurückzugreifen. Zugleich ist diese Ausstellung auch als Statement zu verstehen, welchen Stellenwert das hiesige Museum hat und welche Bedeutung den Künstlern aus Westfalen zukommt. Aus dem Bestand des Hauses werden 130 Werke ausgestellt. Dabei konzertiert sich Ausstellung auf Eugen Bracht, Melchior Lechter, Ida Gerhardi, Peter August Böckstiegel, Bernhard Pankok und schließlich auf Josef Albers und dessen Verneigung vor dem Quadrat sowie Farbexperimenten.

Der White Cube hat für die Präsentation ausgedient. Während Bracht in einem schwarz ausgeschlagenen Raum präsentiert wird, werden uns Lechters Werke auf einem brombeer- bis mauvefarbenen Hintergrund gezeigt, ist Grau die Farbe für die intensiven „Farbfelder“ von Albers. Besonderen Mut zur Farbe beweisen die Ausstellungsmacher bei der Wahl von Apfelsinenorange für die Werke von Böckstiegel und dessen expressionistischem Farbschlag.

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Eugen Bracht, Das Gestade der Vergessenheit, 1911, LWL-Museum für Kunst und Kultur. Foto: LWL/Hanna Neander


Nicht jeder der ausgestellten Künstler ist ein Begriff, so auch nicht unbedingt der naturalistisch malende Eugen Bracht, von dem bereits kurz nach Eröffnung des damals Provincialmuseum genannten Hauses eine Arbeit durch Schenkung nach Münster kam: „Mondnacht in der Wüste“ ist seither Teil des umfänglichen Bestandes. Ja, Eugen Bracht hatte einen Sinn für Westfalen und war durchaus auch ein Dokumentar der industriellen Entwicklung, wie man an zwei Gemälden der Heinrichshütte in Hattingen sehen kann. Heute ist der Ort ein Zeugnis der Industriekultur, da der Betrieb seit Jahrzehnten ruht. Kohle und Stahl haben ausgedient, High Tech ist auch im Ruhrgebiet gefragt. Heute kaum vorstellbar, im Angesicht rauchender Schlote zu leben, zugleich unter einem geschwärzten Himmel. Doch auch weißer Dampf, der aus dem Hüttenwerk entwich, ist Teil des Brachtschen Werkes. Nach 1912 entstand ein Jahr später eine weitere Darstellung des genannten Hüttenwerks.

Bracht hat aber auch einen provencialischen Frühling gemalt mit blühenden Obstbäumen und himmelblauem Himmel. 1913 kam diese Arbeit durch Schenkung ins Münsteraner Museum. Eine idealisierte Landschaft steht in den verschiedenen Variationen von „Das Gestade der Vergessenheit“ im Mittelpunkt, ob in der ausgestellten Radierung oder im gezeigten Ölgemälde. Ein wenig erinnert die Landschaft an norwegische Bergwelten mit schieren Felsklippen, deren Höhen ins rötliche Sonnenlicht getaucht sind. Die gezeigte Fassung des Ölgemäldes ist im Übrigen die sechste Arbeit zu diesem Thema, entstanden nach dem Tod der Gattin von Eugen Bracht. Wer übrigens genau hinschaut, der wird im Ölgemälde am Strand liegende Totenköpfe entdecken. Ein „symbolistischer“ Fingerzeig? Im übrigen sieht man nicht nur die Bergwelt, sondern auch auf das Meer, das wenige Schaumkronen zeigt und sehr ruhig daliegt. Auch eine Jagdszene ist in einem der Brachtschen Gemälde zu sehen. Durch den Schilfgürtel eines Gewässer pirscht ein Jäger mit seinem Setter. Sie sind auf Entenjagd aus, wie man dem Bildtitel entnehmen kann.

 

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Melchior Lechter, Nächtliches Volksfest am Gardasee, 1910, LWL-Museum für Kunst und Kultur, Foto: LWL/Hannah Neander


Das Prinzip Mitmachen ist in der Ausstellung großgeschrieben. Zum einen wurde öffentlich dazu aufgerufen, fotografische Sommerimpressionen einzusenden, die auch zu sehen sind, zum anderen aber wird der Besucher aufgefordert, auf einer DIN A5-Karte zeichnerisch Klischees über Deutschland zu erfassen, in Analogie zu den Klischees zu Brachts Zeiten und den damals durchaus angesagten Orientreisen.

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Melchior Lechter, Blumengarten im Frühling am Monte Baldo, 1910, LWL-Museum für Kunst und Kultur. Foto: LWL/Hanna Neander

 


Mehr als 1000 Arbeiten besitzt das Museum von Melchior Lechter, der aus Münster stammt und testamentarisch festgelegt hatte, dass seine Werke in Münster bleiben sollten und seine Urne im Museum beizusetzen ist. Letzterer Wille wurde nicht erfüllt. Lechter, der als Glasmaler ausgebildet wurde, hat die umfängliche Glasarbeit „Lumen de Lumine“ geschaffen, die man nicht im Lechter-Raum, sondern im Übergang zwischen Sonderausstellungs- und Dauerausstellungsbereich zeigt. Mit Sinn für eine gewisse dezent angedeutete Erotik schuf der Künstler seine Frauenstudie, bei der die Dargestellte über ihre entblößte Schulter schaut. Darüber hinaus erblicken die Besucher das Gemälde „Felshang“. Drei „Felsnasen“ bzw. „Felskamine“ sind bei diesem Werk ins zartrötliche Licht getaucht. Am Fuße der Berge sind noch Schneefelder sichtbar. Ein sehr schmales, vertikales Bildformat verwendete Lechter für seinen „Bachsturz“. Dabei wird der Blick des Betrachters gleichsam in die Tiefe gezogen, hat man den Eindruck man stehe vor einem gurgelnden Bachlauf.

 

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Melchior Lechter, Blumengarten im Frühling am Monte Baldo, 1910, LWL-Museum für Kunst und Kultur. Foto: LWL/Hanna Neander


Als Meister des Jugendstils erweist sich Lechter unter anderem bei seiner Darstellung einer Frau am Flügel: „Rosen-Wunder-Hymne“ (1901). Es hat den Eindruck, als schwebe die auf einem Podest platzierte Pianistin in einem Farbmeer. Im „Stillleben Muschel und Bronzestatuette von hinten“ findet sich eine feine Lichtregie mit Spiegelungen auf Schulterpartie, Gesäß und Waden. Von Lechter stammt auch die Darstellung des Lyra spielenden Orpheus, eingepasst in einen mächtigen Rahmen mit Rankenwerk. Angelehnt an gotische Malerei und Architektur schuf der Künstler Sakrales, unter anderem „Mysterium Christ“, aber auch Buddha-Darstellungen in goldenem, neogotisch orientiertem Schnitzwerk gefasst.#

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Bernhard Pankok, Blumenstück, 1930, LWL Museum für Kunst und Kultur, Foto: LWL/ Hannah Neander


Feuerrot ausgeschlagen ist der Raum mit den Werken von Bernhard Pankok, darunter auch das Selbstbildnis mit nacktem Oberkörper und hinter dem Kopf verschränkten Armen. Überdies entdecken wir auch die Innenansicht des Doms zu Münster wie auch einige Entwürfe für Bühnenkostüme. Auf einer Ausstellungsinsel sind derartige Bühnenausstattungen zu sehen. Pankok malte nicht nur sich selbst, auch in einem schwarzen Pullover, sondern auch seine Tochter Erika. Zudem begegnen wir dem „Herr in der Laube“. Lesend sitzt der Lehrer Alois Hülsmann – das ist der Porträtierte – in einer Laube mit Geißblattranken. Für die Besucher gibt es an dieser Stelle die Möglichkeit für Selfies, wie man einer entsprechenden „Aktivitätskarte“ entnehmen kann.

 

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Bernhard Pankok, Selbstbildnis im schwarzen Pullover, 1898, LWLMuseum für Kunst und Kultur. Foto: LWL/Hanna Neander


Einzige Künstlerin unter den Künstlern ist Ida Gerhardi. Das spiegelt auch die gesellschaftliche Wirklichkeit im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert wieder. Frauen waren auf den Kunstakademien nicht zugelassen und mussten Privatstunden in entsprechend orientierten Institutionen nehmen. Gerhardi besuchte Kurse an der Damenakademie des Münchner Künstlerinnenvereins und später an der Académie Colarossi in Paris. Kommerziell waren ihre Gemälde und Zeichnungen kein Erfolg. Das galt besonders für ihre Impressionen vom Pariser Nachtleben.

 

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Ida Gerhardi, Tanzbild V, 1904, LWLMuseum für Kunst und Kultur.
Foto: LWL/Hanna Neander

 

Kleinformatig ist das „Tanzbild V“ mit einem Paar, inmitten der Drehung eingefangen. Die distinguierten Damen und Herren im Umkreis nehmen keine Notiz von diesem Tanzpaar. Sie wollen eher von ihresgleichen gesehen werden, so muss man vermuten. Es war vor allem die gutbürgerliche Gesellschaft, die Gerhardi in Porträts für die Nachwelt festhielt, so auch Frau Emilie Turck im Garten und die „Chanteuse“, eine Institution in den Salons und Cafés von Paris. Mit zusammengefaltetem Sonnenschirm und in bodenlangem Kleid sitzt Emilie Turck auf einer steinernen Gartenbank. Sie weiß sich dabei zu inszenieren, oder?

 

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Ida Gerhardi, Chanteuse (Madame de Riau), 1903, LWL-Museum für Kunst und Kultur. Foto: LWL/Hanna Neander


Die Welt des westfälischen Expressionismus ist die Welt des aus Arrode bei Werther stammenden Peter August Böckstiegel, dessen Arbeiten während des sog. III. Reichs als entartet angesehen wurden. Eine Arbeit, die einen säenden Bauern zeigt, ist verschollen und nur noch als Fotografie vorhanden. 96 Arbeiten Böckstiegels sind im Besitz des Museums. Ein weiteres Konvolut kann man im monografischen Peter August Böckstiegel-Museum in Arrode sehen. Mut zu Farbe, zu einem leuchtenden Orange, bewiesen die Gestalter der sehr sehenswerten Schau, für die Präsentation der farbintensiven und teilweise sehr expressiv ausgeführten Arbeiten des Künstlers, der Zeit seines Lebens mit dem ländlichen Leben verbunden war. Seine Eltern waren einfache Bauern in Arrode, vielfach von Böckstiegel porträtiert, nicht nur bei der Ernte mit gebeugtem Rücken über der Ackerkrume.

 

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Peter August Böckstiegel, Bildnis des Malers Conrad Felixmüller, 1914, LWLMuseum für Kunst und Kultur. Foto: LWL/Hanna Neander


Wie die Maler der Brücke waren gefühlte Farben Teil des Opus von Böckstiegel, so bei „Kirschbäume im Winter“. Blutrot und Blau schimmern die Stämme der Bäume. Schnee ist gefallen und bedeckt den Boden. In „Mutterbild“ porträtierte er seine alte Mutter, das Gesicht vom Leben gezeichnet; der leicht geöffnete Mund zeigt Zahnlücken; ein feuerrotes Tuch umgibt Kopf und Schultern. Vor einer Schale mit Kartoffeln sitzt der Bauer Thorlümke. Ein struppiger Bart ziert das verhärmte Gesicht des Landmanns, der sich am kargen Mahl labt. Weitere Porträts von Bauern, so „Bauer aus Bückeburg“, zeigt man aktuell ebenso. Auch den eigenen Schwager hat Böckstiegel gemalt: Conrad Felixmüller, breitbeinig dasitzend, rauchend.

 

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Peter August Böckstiegel, Eltern auf dem Roggenfeld, 1922, LWLMuseum für Kunst und Kultur. Foto: LWL/Hanna Neander


Ein Kontrapunkt bildet zu all der figürlichen und teilweise naturalistisch geprägten Malerei das Farb- und Formexperiment von Josef Albers als Abschluss der Ausstellung. Ja, es sind die bekannten Werke von Albers rund um das Quadrat, häufig aus dem Bildzentrum verschoben, mal in Grau und von gelben Rändern umgeben, aber auch in anderen Farbsetzungen. Diese unterschiedlichen Farbsetzungen ergeben dann einen Tiefenblick oder aber man denkt, die Quadrate springen gleichsam dem Betrachter entgegen.

 

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Josef Albers, Homage to the Square: Selected, 1959, LWL-Museum für Kunst und Kultur. Foto: LWL/Hanna Neander. © VG Bild-Kunst, Bonn, 2023


Übrigens, wer mehr über den beeindruckenden Bestand des Hauses erfahren möchte, der kann im Museumshop den Bestandskatalog "Moderne", ISBN 978-3-7319-1271-2 käuflich erwerben. Für die Ausstellungsbesucher steht im Übrigen ein Begleitheft zur Verfügung, in dem die Biografien der Künstler skizziert und wenige Werke detailliert vorgestellt werden.

 

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Bernhard Pankok, Landschaft mit gelben Blumen, 1899, LWL-Museum für Kunst und Kultur, Foto: LWL/Hannah Neander

Fazit: Dem Museum kann man nur dazu beglückwünschen, aus dem eigenen Bestand zu schöpfen und auf Leihgaben zu verzichten. Es deutet sich in der aktuellen Ausstellung an, dass der Bestand viele Möglichkeiten der unterschiedlichen thematischen Präsentation bietet. Herbstbilder, Winterbilder, Jahreszeiten, die Faszination Gebirge – all das tut sich als mögliches Thema auf, oder?

© ferdinand dupuis-panther Mai 2023

Information
LWLMuaeum für Kunst und Kultur
https://www.lwl.org/LWL/Kultur/museumkunstkultur

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