Nürnberg
Neues Museum
Double Up bis Septemberi 2023
Le Corbusier, Charlotte Perriand, André Wogenscky, Atelier Le Corbusier Type 1" aus Unité d´habitation in Marseille (1946-52) Foto: Neues Museum (Annette Kradisch)
Das Neue Museum und die Neue Sammlung zeigen bei der aktuellen Ausstellung nicht nur thematisch strukturierte Räume mit Design, sondern auch eingestreut Werke der Bildenden Kunst, so auch von Michel Majerus, der 2002 auf tragische Weise ums Leben kam und wie kein anderer europäischer Maler ein Gespür für Street-Art, für Comics und den Lifestyle von Rap und Hip-Hop hatte. All das floss in seine Malerei ein, die eben auch mit Tags verschiedener Couleur arbeitete. Aber nicht nur er ergänzt das Design mit Gemälden. Überrascht wird man sein, dass man auch Mona Hatoum in der Ausstellung findet, aber nicht mit ihren sonstigen Arbeiten, die den arabischen Kontext reflektieren, aus dem die Künstlerin stammt, sondern eine bitterböse Installation aus diversen Küchengeräten vom Sieb, über Sahnequirl und Teesieb, Flotte Lotte und Durchschlag. Alle diese Gegenstände sind von Strom durchflossen, der schließlich dazu dient, eine nackte Birne zum Leuchten zu bringen. Es scheint, als sei es eben nicht nur ein bisschen Haushalt, wie es in einem deutschen Schlager heißt, sondern ein gefährlicher Haushalt, der von Frauen geschultert wird.
Raum: Pop Foto: Neues Museum (Annette Kradisch)
Doch mal der Reihe nach: Zunächst einmal unternehmen wir eine Zeitreise in die 1960er Jahre als Pop-Art und Pop-Kultur den Zeitgeist bestimmten. Libertär ging es zu. Der Freiheitsdrang war groß, vor allem in den Ländern, in der der Muff von 1000 Jahren herrschte. Kunst widmete sich dem Banalen, man denke an Andy Warhol. Doch ihn bekommen wir nicht zu Gesicht, statt dessen aber Plakatarbeiten von Roy Lichtenstein wie „Crying Girl“ und eben Gemälde von Michel Majerus.
Pop im Design war anti-elitär, gab nichts auf den Kontext von Form und Funktion. Farbe kam ins Spiel, auch Feuerrot wie bei der Reiseschreibmaschine Valentine, an deren Entstehen auch Ettore Sottsass beteiligt war. Es gab Tischleuchten, die an stilisierte Pilze denken lassen und exotische Namen wie Ruspa und Telegono tragen, mal in Weiß und mal in Rot. Kugelform war auf alle Fälle in und einen beweglichen Schirm zum Umlenken des Lichtstrahl musste es obendrein geben. Unser Blick fällt beim Rundgang aber auch auf ein Gemälde von Michel Majerus betitelt „MoM Block Nr. 78“. Hingesprayte Worte wie „late“, „fresh“ und weitere „Tags“ zieren das Gemälde. Versteckte Botschaften? Nachrichten? Man muss jedenfalls an Street-Art denken, steht man vor dem obigen Werk.
Raum: Rot Oben: Soft Chair, Entwurf Susi und Ueli Berger, 1967 Unten: Steven Parrino, "OK-KO" (1990) Foto oben: Die Neue Sammlung The Design Museum (A. Laurenzo) · Foto unten: Neues Museum (Annette Kradisch)
Die Übergänge von Kunst und Design scheinen in den 1960er Jahren fließend gewesen sein, betrachtet man Nani Prinas Liegemöbel namens „Sculptur“. Organisch ist das Möbel gestaltet, wellig und schleifenförmig. Einem weiblichen liegenden Torso in Feuerrot gleicht Gaetano Pesces Sitzmöbel „Up5 Donna“ von 1969. Die riesige Kugel, die mit einer Schnur mit dem Sitzmöbel verbunden ist, dient wohl zur Ablage der Füße oder vielleicht auch als weiteres Sitzmöbel. Wuchtig und doch geschwungen und organisch kommt der aus Fiberglas geformte Schreibtisch „Boomerang“ daher, den Maurice Calka gestaltet hat. Die Aufsicht gleicht einem Boomerang, aber der Möbelkörper schaut eher wie ein zerflossener und dann erstarrter Brotteig aus. Heute käme ein solches Designobjekt wahrscheinlich aus einem 3D-Drucker. Und als Kunst im Büro präsentiert man im Neuen Museum Majerus’ Gemälde „degenerated“ von 2001. Inspiriert hatten Majerus zu dieser Arbeit Werbetafeln in LA, wo der luxemburgische Künstler zeitweilig lebte. Entstanden ist die Arbeit mittels eines Paint-Programms, das Momente der Verselbständigung in sich barg. So jedenfalls liest man es in einem Saaltext.
Nebenan stehen auf einer Ausstellungsinsel – viele Inszenierungen der Ausstellung greifen auf das farbig gestaltete „Insel-Konzept“ zurück - phallisch anmutende Bodenleuchten, Pillola genannt. Man könnte beim Anblick auch an glücksbringende Pillen denken, wie sie in „Mother’s Little Helper“ besungen werden. Übrigens findet man nicht nur rote, sondern auch graue und blaubeereisfarbene Farbkonzepte für einzelne Präsentationsinseln.
Raum: Rot Foto: Neues Museum (Annette Kradisch)
Eine Ikone des Pop-Designs ist der transparente Sessel „Blow“. Unter anderem hat Donato D’Urbino an diesem Design mitgewirkt, das 1966 das Licht der Welt erblickte. Wie ein Puzzle aus Sitzelementen, die man verschachtelt und platzsparend zusammenfügen konnte, mutet Robert Sebastian Mattas „Malitte“ an.
In einem deutschen Schlager, den die norwegische Sängerin Wencke Myhre 1971 trällerte, heißt es: „Er hat ein knallrotes Gummiboot“. Knallrot sind auch die Ausstellungsinseln und Designobjekte, die wir im nächsten Raum sehen. Was auf den ersten Blick monochrom rot erscheint, ist bei näherer Betrachtung von Dieter Villingers Gemälde doch nicht der Fall. Zudem finden sich Riffelungen der Leinwand-Oberfläche, sodass sich dadurch feine Changierungen in Rot ergeben. In Rot und mit deutlichen Gebrauchsspuren versehen ist die ausgestellte Kinderwippe von Günter Beltzig. Dorothee Maurer-Becker entwickelte zunächst einmal geometrische Elemente als Kinderspielzeug und entdeckte dann, dass sich diese auch für ein Aufbewahrungssystem namens „Uten-Silo II“ (1969) eignen. Statt Arbeitsflächen mit allerlei Behältern zu verstellen, kombinierte die Designerin unterschiedliche Behälterformen miteinander und platzierte sie auf einer Wandplatte inklusive Haken zum Aufhängen von Gegenständen.
Raum: Türme/Säulen Tony Cragg, "Elliptische Säule" (2001) Foto: Neues Museum (Annette Kradisch)
„Das bisschen Haushalt … sagt mein Mann“ ist die Zeile eines Schlagers von Johanna von Koczian aus dem Jahr 1977. Um Haushalt im weitesten Sinne geht es denn auch in einem speziellen Raum, in dem neben der oben beschriebenen Installation von Mona Hatoum auch die Bulthaupt-Küche System 20 zu finden ist. Ironisierend konzipierte die Gruppe Kunstflug ihren „Kaffeebaum“, der von einer bauchigen Kaffeekanne gekrönt wird. Scheinbar sich vor dem Funktionalen verneigend entwarf Stefan Wewerka den „Küchenbaum“, der in seinem Design gut zur Bulthaupt-Küche passt. Und auch die platzsparende Küche, die unter anderem auf Le Corbusier zurückgeht, zeigt man in Nürnberg, nur diese aus der Unité d’Habitation Marseille“ und nicht noch die Frankfurter Küche, auch eine Sternstunde des modernen Designs.
Raum: Türme / Säulen Foto: Neues Museum (Annette Kradisch)
Das Vertikale und die Säule als Gestaltungsform wird in der aktuellen Ausstellung auch behandelt. Dabei muss man Funktionales von reinen Kunstobjekten unterscheiden. Zu sehen sind Trixi und Robert Haussmanns Kommode „Säulenstumpf“ aus Metall, Acrylglas und Oliveneschefurnier. Deutlich auszumachen ist die Segmentierung der Säule Schublade für Schublade, die seitlich zu verschieben sind. Konstantin Grcic konzipierte einen knallroten Rollcontainer namens „360 Grad“ . Schlank und rank ist auch der Schokoladenautomat Kobold und in die Höhe ragt Nam June Paiks Objekt aus fünf bemalten Monitoren, „TV Candle“ genannt. Landmarken oder überdimensionierte Schachfiguren König und Dame schuf Julian Göthe. Doch die Titel der turmartigen Kunstobjekte lauten „Immer nur Lächeln“ und „Die nächste Begegnung wollen wir dem Zufall überlassen“. Die eigene Assoziation des Berichterstatters findet also keine Entsprechung in den Bezeichnungen der Werke!
Rita Pwerle, Ilyentye Awely (1999) Foto: Die Neue Sammlung The Design Museum (A. Laurenzo)
Mehr als dekorativ, sondern verborgene Narrative – das sind die Arbeiten von Mitgliedern der First Nations of Australia, umgangssprachlich Aborigines genannt. Die gezeigten Gemälde zeigen sowohl traditionelle Arbeiten mit Dot-Paintings, aber auch flächige Landschaftsanmutungen, bei denen man hier und da auch an die Vertreter der Informel denken kann. „Whispering Wind“ lautet die Überschrift für dieses Kapitel der Ausstellung. In diesem Teil wird – aus welchem Grund auch immer – auf eine Einführung in die Malerei der Ureinwohner des 5. Kontinents verzichtet, ob die Arbeiten nun von Turkey Tulson Tjupurrula oder von Emily Kame Kingwarreye stammen. Übrigens, ob man nun Bildtitel wie „My Country“ oder „Major the Bushranger“ (Churchill Cann) liest, erhellt den Kontext, in dem die Arbeiten entstanden sind nicht. In einen Dialog zu diesen Gemälden wurden die Keramiken von Lotte Reimers diagonal auf durchlaufendem Sockelband im Raum platziert. Wer sich einen Teil der Gemälde anschaut, die in Erdfarben getaucht sind, der wird in der Farbgebung der Keramiken gewisse Entsprechungen entdecken.
Sitzprobe ist möglich foto: ferdinand dupuis-panther
Ein Raum ist dem Stuhl in seinen unterschiedlichen Formen vorbehalten. Es sind Stühle, auf denen unbedingt Platz genommen werden soll. Zudem wird man in diesem Raum auch dazu animiert, einen eigenen Stuhlentwurf auf Zeichenzetteln zu hinterlassen. So werden die Besucher nicht nur Betrachter von Design, sondern auch Teil von Do it yourself!
„Alles im Lot“ ist ein weiteres Kapitel, das in Nürnberg aufgeschlagen wird. Dabei werden nicht nur Standuhren, sondern auch Personenwaagen gezeigt. Abschließend werfen wir einen Blick auf die ausgestellten Kriegsteppiche. Ja, Panzer, Helikopter und Raketen sind Motive, die in afghanischen Teppichen verknüpft wurden. Zeitdokument? Zeitgeist angesichts von Okkupation, von Taliban-Terror, Nato-Einsätzen und schließlich der erneuten Herrschaft der Taliban? Beim Anblick der Teppichmotive stockt dem einen oder anderen Besucher der Atem, auch angesichts des Krieges, der gerade in Europa tobt. War das beabsichtigt? Dazu müsste man die Ausstellungsgestalter befragen.
Raum: Kriegsteppiche Foto: Neues Museum (Annette Kradisch)
Text © ferdinand dupuis-panther
Info
https://www.nmn.de