Recklinghausen
Kunsthalle
75 Jahre Kunsthalle Recklinghausen. Die Anfänge: Radical Innovations
bis 6. April 2025
Archivmaterial Kunsthalle Recklinghausen 1950-1959 Lara_Mülle
Archivmaterial Mensch und Form Oskar Schlemmer 1952
Die aktuelle Ausstellung nimmt Bezug auf die Anfänge der Kunsthalle, ohne jedoch eine detailgetreue Umsetzung vorzunehmen. Eher wird aktuell der Zeitgeist eingefangen, auch durch die Fokussierung auf die Abstraktion in der Malerei. Aufgrund der Instrumentalisierung der Kunst im III. Reich wie auch in der Sowjetunion unter Stalin verweigerten sich viele Künstler dem Figurativen. Dieses wurde oftmals instrumentalisiert und propagandistisch missbraucht. Das Formal-Abstrakte hingegen verwehrte sich der Vereinnahmung.
Otto Herbert Hajek Räumlich 25, 1957, Kunsthalle Recklinghausen
Dank von QR-Codes kann sich der Besucher in die Vergangenheit und in vergangene Kunstschauen versetzen lassen. Archivbilder zeigen jeweils Installationen aus Ausstellungen wie „Arbeit, Freizeit, Muße, 1953“, „Weihnachten in der Kunst, 1954“, „Das Bild des Menschen, 1955“ und „Schönheit aus der Hand, Schönheit durch die Maschine, 1958“. Teile des historischen Ausstellungsbaus finden sich auch aktuell auf den drei Etagen der Kunsthalle, seien es die vertikalen Lamellen als Projektionsfläche, seien es die drei riesigen, gekippt aufgestellten Schalenstühle, sei es die Sockeleinheit mit vertikal wie auch horizontal gesetzten Sockeln oder aber die „Stores“ als Raumteiler. Nicht nur dank der genannten Codes kann man das nachvollziehen, sondern auch auf den Fotodokumenten, die man in der 2.Etage auf einer „Archivwand“ findet.
Heinrich Siepmann Lichte Felder, 1954, Kunsthalle Recklinghausen
Die aktuelle, sehr sehenswerte Schau in teilweise mausgrau ausgeschlagenen Räumen bezieht sich aber auch auf die Geschichte der Ruhrfestspiele und den Kunstpreis »junger westen«, den ältesten Kunstpreis in Deutschland nach 1945. Dieser wird seitdem wiederkehrend, neben einem wechselnden Programm in der Kunsthalle gezeigt. White Cube hat aktuell in der Kunsthalle ausgedient – und das lässt die Kunstwerke ganz besonders hervortreten. Zudem sind die Arbeiten luftig gehängt, lassen das Auge also auf den einzelnen Kunstwerken ruhen, wird man nicht durch eine St.-Petersburger-Hängung visuell überfordert.
Ernst Hemanns ohne Titel/Relief 1951 Kunsthalle Recklinghausen
Vorgestellt werden Arbeiten von:
Sandra Blow, Hal Busse, Lynne Chadwick, Emil Cimiotti, Jeanne Coppel, Gustav Deppe, Natalia Dumitresco, Claire Falkenstein, Thomas Grochowiak, Hella Guth, Otto Herbert Hajek, Ernst Hermanns, Frieda Hunziker, Emil Kiess, Sigrid Kopfermann, Jaap Mooy, Alicia Penalba, Marie Raymonds, Marie-Louise von Rogister, Emil Schumacher, Heinrich Siepmann, Hans Uhlmann und Hans Werdehausen.
Thomas Grochowiak Technischer Bezirk II, Rot 1951 Kunsthalle Recklinghausen
Insbesondere die gezeigten Künstlerinnen – man findet sie in der ersten Etage des Hochbunkers – sind heute weitgehend Unbekannte, sieht man mal von Insidern der Kunstszene Westfalens ab. Es ist besonders hervorzuheben, dass man dem weiblichen Blick in der aktuellen Präsentation einen besonderen Platz einräumt.
Emil Kiess Cavtat 1956 Kunsthalle Recklinghausen
Gleich beim Betreten des Grundgeschosses stehen wir vor einer filigranen, turmähnlichen Arbeit von Otto Herbert Hajek, die während der Präsentation des Kunstpreises junger westen im Jahr 1957 ausgestellt war. Steht man vor dem Gebilde, mag man an eine zerstörte Gebäudehülle ebenso denken wie an eine unterirdische Formation in einer Karstformation. Hans Werdehausen zeigte seine geometrisierte Arbeit „Tag und Nacht“ in der Schau „Deutsche Kunst nach 1946“ und nun aktuell. Dargestellt ist eine abstrakte Landschaft nebst Mond und Sonne. Dabei fällt der Blick auf schraffierte Flächen, die man als vom Licht durchstrahlt interpretieren kann. Wer den Titel „Erinnerung an Chartres“ – ein Werk von Emil Kiess – liest, der wird gewiss an die Rosette der dortigen Kathedrale denken müssen. Durch diese dringt das Licht ins Kircheninneren, brechen sich dort die Farben. Zu sehen sind bei Kiess Lichtflecken in Rot, Blau, Weiß und Grau, wohl eine abstrakte Adaptation der gotischen Rosette und deren Lichtbrechungen.
Thomas Grochowiak Technischer Bezirk I, Blau 1951 Kunsthalle Recklinghausen
Emil Cimiotti ist ein weiterer Künstler, der im Rahmen des Kunstpreises junger westen in Recklinghausen vorgestellt wurde. Von ihm ist eine plastische Arbeit – sie gleicht einem unförmigen Schlackeklumpen und trägt den Titel „Chronos“ – und ein Gemälde zu sehen, Titel „Skamander“. Und was sieht man? Vielleicht konnte man von einem schwarz-weißen Wolkenhimmel sprechen, müsste man eine Bildbeschreibung kurz und knapp in Worte fassen. Unser Blick fällt nachfolgend auf abstrakte Arbeiten von Heinrich Siepmann, durchaus an abstrakte Architekturstrukturen erinnernd. Schließlich sei zum Abschluss des ersten Ausstellungseindrucks auf Emil Schumacher verwiesen, der in Hagen in einem eigenen Museum ausführlich präsentiert wird. Im Besitz der Kunsthalle Recklinghausen befindet sich „Stadtgefüge“. Sieht man da verschobene Häuserblöcke und eine Dachlandschaft? Man könnte es durchaus annehmen.
Hal Busse Bild 58/59 1958/9 Kunstsammlung WestLotto Münster
Wie gesagt, die folgende Etage ist gänzlich dem weiblichen Blick der Abstraktion gewidmet. Hier findet man unter anderem Informel-Gestisches von Jeanne Coppel, darunter eine Paris Ansicht. Zu sehen ist zudem Hal Busse (eigentlich Hannelore Bendixen-Busse, geb. Busse) mit zwei Arbeiten, darunter einem Nagelrelief in Gelb/Blau und Rot aus dem Jahr 1958. Diese hat ihren Platz innerhalb einer Dreierreihe gekippter Schalenstühle, von denen einer Projektionsfläche für das Kunstwerk ist. Eine weitere Arbeit in Rotnuancen erscheint wie überlappende Rosenblätter auf Leinwand gebannt. Durch starke schwarze Linien wird das Gemälde „Groß und Klein“ von Sigrid Kopfermann strukturiert. Farbflecken machen den Bildinhalt zudem aus. Und alles das ist jenseits von Drippings eines Jackson Pollock gestaltet worden. Dennoch strahlt die Arbeit eine starke Dynamik aus. Kleinformatiges von Heinrich Siepmann findet sich obendrein im Mittelgeschoss, präsentiert in einer dreiteiligen, aufgestelzten Vitrine.
Hal Busse o.T. Nagelrelief gel/blau/rot 1956 courtesy Beck & Eggeling International fine art und Volker Diehl Berlin
Und unter dem Dach des ehemaligen Hochbunkers finden sich Schwarz-Weiß-Aufnahmen, die einstige Ausstellungen dokumentieren. Zudem wird ein Sockel-Ensemble für die Präsentation der skulpturalen Arbeiten von Alicia Panelba genutzt, die durchaus vegetabile Formen in Bronze gegossen hat, aber vor allem eher Abstraktes wie „Enface Apocalyptique“, einst zu sehen auf der Show Réalités Nouvelles Nouvelles Réalités“ von 1958. Insoweit ist die aktuelle Werkschau mit historischem Bezug durchaus eine, die wie in den 1950er Jahren den internationalen Kontext der Nachkriegskunst im Blick hat.
Sigrid Kopfermann Groß und Klein 1958 Stiftung Kopfermann-Fuhrmann
Und noch eine Ergänzung muss an dieser Stelle angefügt werden. Der Verweis auf die Dominanz des Abstrakten in der Nachkriegskunst ist zwar zutreffend, aber es gab auch Künstler wie Lynn Chadwick und Joop Mooy, die der Nachwelt Figuratives hinterlassen haben, so Chadwick mit „Beast III“. Erstmals zu sehen war diese Arbeit in Recklinghausen 1955. Seither ist sie im Besitz der Kunsthalle im ehemaligen Hochbunker.
Hans Uhlmann Stahlplastik/Metallplastik 1951 Kunsthalle Recklinghausen
Fazit: Detaillierte Einblicke in die Kunst- und Ausstellungsgeschichte mit einem sehr abwechslungsreichen Ausstellungsparcours, auch dank der sehr gelungenen Architektur der Schau.
K.R.H. Sonderborg Pequod 1953 Kunsthalle Recklinghausen
© Fotos und Text ferdinand dupuis-panther Die Rechte an den Kunstwerken liegen bei den Künstlern und deren Rechtenachfolgern
Info
Archiv-Links (Auswahl)
Archivmaterial Arbeit Freizeit Muse 1953
https://kunsthalle-recklinghausen.de/ausstellungen-1/archiv-1/radical-innovations-ausstellunsdisplays-der-1950er-jahre-an-der-kunsthalle-recklinghausen/eg-cimiotti
https://kunsthalle-recklinghausen.de/ausstellungen-1/archiv-1/radical-innovations-ausstellunsdisplays-der-1950er-jahre-an-der-kunsthalle-recklinghausen/eg-grochowiak
https://kunsthalle-recklinghausen.de/ausstellungen-1/archiv-1/radical-innovations-ausstellunsdisplays-der-1950er-jahre-an-der-kunsthalle-recklinghausen/2og-penalba