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Weil am Rhein
Vitra Campus
Vitra Schaudepot

Colour Rush! Eine Installation von Sabine Marcelis
bis 05.05.2024

Die Sammlung des Vitra Design Museums zählt zu den wichtigsten Beständen des Möbeldesigns weltweit. Sie umfasst insgesamt rund 7000 Möbel, über 1000 Leuchten, zahlreiche Archive sowie Nachlässe von Designern wie Charles & Ray Eames, Verner Panton und Alexander Girard. Obschon das Hauptgebäude des Vitra Design Museums von Frank Gehry 1989 ursprünglich als Sammlungsbau konzipiert war, präsentiert das Museum darin heute große Wechselausstellungen. Der Sammlungsbestand ist hingegen im Schaudepot zu sehen. Dieses Schaudepot widmet sich bis Mai 2024 ganz dem Thema Farbe. Dafür hat die niederländische Designerin Sabine Marcelis das Schaudepot mit einer ebenso einfachen wie beeindruckenden Geste umgestaltet: Sie hat die rund 400 gezeigten Sammlungsobjekte nach Farbe arrangiert. Dies ermöglicht einen völlig neuen Blick auf die Sammlung und faszinierende Querverweise über Epochen und Stile hinweg. Ergänzt wird die Präsentation um historische und zeitgenössische Objekte und Dokumente aus dem Archiv des Museums, die die Bedeutung von Farben im Design zusätzlich veranschaulichen.

ausstellungsansicht

Ausstellungsansicht

Farben haben Bedeutung, sind Signale wie Rot für Liebe und Grün für Hoffnung. Auch im modernen Design der Sitzmöbel ist Farbe von Bedeutung. Da findet sich in einem hellen, zarten Lila ein Sofa, 1988 geschaffen von Flavio Forbicini und Fabrizio Ballardini. Die Sitzfläche läuft seitlich in eine Wellenform aus und die Rücklehne weist einen distinkten Knick auf. Organisch anschmiegsam verheißt wohl die Form. Eher streng und auch blockhaft hingegen entwarf Ron Arad seinen Bad Tempered Chair, den es nicht allein in glänzendem purem Stahlblech gibt, sondern auch in einer Farbgebung in dunklem Burgunderrot bzw. dunklem Mauve. In gleichem Farbton ist auch der sogenannte Spulenhocker gehalten, den Thomas Heatherwick entworfen hat. Ob man auf dem wohl bequem sitzt? Vom De-Stijl-Designer Gerrit Rietveld – ihm ist auch die Architektur des gleichnamigen Hauses in Utrecht und der legendäre Zig-Zag-Stuhl (1932) zu verdanken – stammt ein in dunklem Lilablau gehaltener Sessel, der eine massige Konstruktion aufweist. Und auch hier stellt sich die Frage nach der Bequemlichkeit des Sitzmöbels. Zudem stellt sich die Frage, inwieweit ein solch massiges Möbel einen Raum dominiert.

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Ron Arad Bad Tempered Chair

Rot wird mit Liebe, Erotik und Sinnlichkeit in Bezug gesetzt. Das lippenförmige rote Sofa – angelehnt an eine Arbeit von Salvador Dalí – ist der Inbegriff für die Symbolik von Rot. Das Sofa erscheint wie das Element eines voyeuristischen Interieurs, insbesondere dann, wenn man weiß, das Mae West für das Lippensofa „Modell“ stand. Die Designergruppe Studio65 sorgte mit ihrem Design namens Bocca in den 1970er Jahren für Furore. In Rot hat auch Verner Panton seinen Panton-Chair gehalten. Wie die vom gleichen Designer stammende Spiegelleuchte passte er in die Welt von Pop-Art, Drugs, Sex and Rock’n Roll.

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Sabine Marcelis Boa Pouf

Sabine Marcelis, die die Idee zu der Ausstellungspräsentation hatte, ist mit zwei ihrer Entwürfe im Schaudepot präsent. Zum einen ist das Candy Cube – wer da an kubische Bonbons denken muss, liegt gewiss nicht falsch – und Boa Pouf. Bei letzterem ringförmigem Sitzmöbelentwurf denkt man an einen Donut. Gewöhnungsbedürftig ist das zarte Rosa, in das das Möbel getaucht ist.

Einen himmelblauen „Schaukelstuhl“ namens Tip Ton (Edward Barber & Jay Osgerby, 2011) zeigt man neben einer IKEA-Einkaufstasche in einem Tintenblau. Doch Barbers und Osgerbys Entwurf gibt es auch im Vitra-Shop in Gelb, hellem Grau, lichtem Grün. Vorteil des Möbels: der Stuhl ist platzsparend stapelbar! Und sehen wir da nicht auch einen Stahlrohrstuhl mit blauer Sitzfläche und Rückenlehne? Mart Stam und Anton Lorenz entwarfen dieses oftmals als „Bauhausmöbel“ bezeichnete Sitzmöbel. Ja gewiss, der Bauhausmeister Marcel Breuer entwarf eine Reihe von Stahlrohrstühlen, aber eben nicht nur der. In einer Art.

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Henry Massonnet Tam Tam

Kobaltblau ist Pantons s-förmig geschwungener Sessel von 1970 gehalten, der gut vom Konzept und der Form her zum Living Tower passt! Als hätten Charles und Ray Eames den Barcelona-Sessel umgeformt und in lichtes Blau getaucht, so erscheint das ausgestellte Sofa 3473 aus den frühen 1960er Jahren. Der blaue Curved Chair von Job Smeets ist wirklich kurvig gehalten, sodass der Name überaus passend gewählt wurde.

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Ch. u. R. Eames DAX, Plastic Armchair; G.T. Rietveld Zig-Zag-Stuhl u. P. Jouin Solid C2

Kein sattes Sonnenblumengelb wie in den Gemälden van Goghs entdecken wir in der Sektion der Ausstellung, die sich mit der Farbe Gelb auseinandersetzt, sondern eher helles, ausgewaschenes Gelb. Gelb aus Ockerpigment findet man schon in prähistorischer Höhlenmalerei, aber auch in einer Arbeit von Olafur Eliasson, der in der Londoner Tate Modern Gallery sein Projekt „Weather Project“ realisierte und dank eines künstlichen Nebels und Hunderter von gelb leuchtenden Lampen ein riesige Sonneninstallation schuf. Gelb ist auch der schon oben erwähnte Zig-Zag-Stuhl Rietvelds. Daneben sehen wir DAX, einen Stuhl von Charles und Ray Eames. Sie schufen ein Sitzmöbel, das sich an den menschlichen Körper schmiegte, so der Eindruck. Solid C2 von Patrick Jouin ist hingegen ein Stuhl, der so ausschaut, als wäre ein blattloses Dickicht die Designvorlage gewesen. Man könnte aber auch an ein Gewirr aus Gurtbändern denken, aus denen der Stuhl konstruiert wurde.

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Marc Newson Orgone Lounge

Orange, so kann man es dem Beiheft zur Präsentation entnehmen, ist die Farbe der Spiritualität. Im Buddhismus gilt dieser Farbton als die heiligste aller Farben. Man denke bei Orange auch an die Kleidung buddhistischer Mönche, die ihre Textilien einst mit Safran und Kurkuma färbten. Ins Auge springt der orangefarbene Living Tower von Verner Panton. Dabei muss hinzugefügt werden, dass sich diese Wohnlandschaft auch in anderen Farben finden lässt, so im Neuen Museum Nürnberg. Von Panton stammt auch der runde kompakte Hocker no 23600, der gleichfalls im Schaudepot zu sehen ist. Marc Newsons Orgone Lounge ist auch in Orange gehalten. Wie ein gebogener Flugkörper erscheint die Liegefläche. Übrigens auch der Designer Luigi Colani wählte für seinen Colani und seinen Zocker die Farbe Orange. Schließlich sei auch auf den in Orange getauchten Schleifensessel von Pierre Paulin hingewiesen. Doch Orange ist nicht der einzige Farbton, in dem dieser Sessel zu haben ist. Tintenblau, Graublau und Gelb sind weitere Farbnuancen, in denen das Möbel produziert wird.

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M. Thonet Nr. 14, Consumersessel, J. Hoffmann Nr. 670, Sitzmnaschine, V. Panton Panton Chair (Experiment) u. M. Breuer B3, Wassily

Braun drückt das Erdverbundene aus, ist der Ton von Holz, Leder und Rohrgeflecht. Einst war auch dunkles Schildpatt im Europa des 15. Jahrhunderts sehr populär. Nachahmungen des Schildpatts aus Kunststoff sind seit 1856 bekannt. Diese Nachahmungen finden sich in der Brillenherstellung ebenso wie bei Möbelverzierungen. In der aktuellen Ausstellung sind in Brauntönungen Michael Thonets Nr. 14, Consumersessel aus der Mitte des 19. Jahrhunderts ebenso zu sehen wie Josef Hoffmanns Sitzmaschine und Marcel Breuers B3, Wassily, ein breiter, ausladender Stahlrohrstuhl mit braunem Bezug für Sitzfläche und Lehne.

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Konstantin Grcic Chair_One

Möbel in Weiß sind aktuell auch zu sehen, ob nun ein Sessel von Rietveld oder Gianni Pareschis Fiocco. Joe Colombo entwarf den Elda Chair mit einer wulstigen breiten Rückenlehne. Irgendwie hat man beim Anblick dieses Möbels den Eindruck eines modernen Ohrensessels, oder? In der Sektion Weiß entdecken wir erneut ein Werk von Luigi Colani, einen Sessel von 1967. Auch Konstantin Grcic ist mit seinem Chair_One an dieser Stelle des Ausstellungsrundgangs zu bestaunen.

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Amadou Fatoumata Ba Pouf Tressé

Und was ist mit den Farben Grün und Schwarz? Selbstverständlich gibt es auch dazu Beispiele wie die Sitzschalen für Plastic Side Chair von Eames/Eames oder einen aus alten Autoreifen skulptierten Hocker von Amadou Fatoumata Ba aus Dakar.

© ferdinand dupuis-panther, text und fotos

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Studio65 Bocca


Weitere Ausstellungen Vitra Design Museum Gallery

Garden Futures: Designing with Nature 25.03.2023 – 03.10.2023

Zu sehen ist eine Ausstellung des Vitra Design Museums, der Wüstenrot Stiftung und des Nieuwe Instituut. Gärten sind Spiegel von Identitäten, Träumen und Visionen; sie haben tiefe kulturelle Wurzeln. Seit einigen Jahren sind Gärten in aller Munde – nicht nur als romantisches Idyll, sondern als Experimentierfelder für soziale Gerechtigkeit, Klimawandel, Biodiversität, also für eine nachhaltige Zukunft. Gärten sind zu Orten der Avantgarde geworden. Mit »Garden Futures« präsentiert das Vitra Design Museum erstmals eine große Ausstellung zur Geschichte und Zukunft des modernen Gartens. Die Ausstellung wird von dem italienischen Designduo Formafantasma gestaltet. Welche Ideen und Vorstellungen haben unser heutiges Gartenideal geprägt? Welchen Beitrag leisten Gärten zu einer nachhaltigeren Zukunft, die für alle lebenswert ist? Diese Fragen untersucht die Ausstellung anhand von vielfältigen Beispielen aus Design, Alltagskultur und Landschaftsarchitektur – vom Liegestuhl bis zur vertikalen Stadtfarm, von zeitgenössischen Community-Gärten über begrünte Gebäude bis hin zu Gärten von GestalterInnen und KünstlerInnen wie Roberto Burle Marx, Mien Ruys oder Derek Jarman.

Hot Cities: Lessons from Arab Architecture 29.04.2023 – 05.11.2023

Der Klimawandel wird zunehmend spürbar und die Erderwärmung stellt die Städte der (bisher) gemäßigten Klimazonen vor große Herausforderungen. Die Ausstellung »Hot Cities« richtet den Blick auf die Metropolen der arabischsprachigen Welt: Wie gehen diese Städte und ihre BewohnerInnen mit dem extremen Klima der Region um? Was können wir von dortigen Lösungen in Architektur und Städtebau lernen, um unsere Umwelt klimaresistenter zu machen? »Hot Cities« zeigt, wie die Verbindung vernakulärer Traditionen mit modernen Technologien Lösungen für drängende Probleme der Zukunft bieten kann. Die Ausstellung präsentiert Fallstudien urbaner Bauprojekte, die Antworten auf viele Fragen geben, die der Klimawandel jetzt aufwirft.

Informationen
https://www.design-museum.de

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