"In meiner Heimat ist es gar schön"

Im Weserbergland: auf den Spuren des Dichters Wilhelm Raabe

Text und Fotos: Kerstin Wolters

Deutschland Weserbergland Porzellanrabe

Immer den weißen Raben nach. Die kleinen Vögel, die seine Freunde aufs Trottoir schabloniert haben, laden zum Stadtspaziergang ein. Die Spur führt direkt zu ihm nach Hause. Von außen wirkt das Gebäude, in dem der deutsche Dichter und Erzähler am 8. September 1831 das Licht der Welt erblickte, nicht eben einladend. Doch wer hinter den Mauern mit dem dunklen Sandsteinplattenbehang musealen Muff erwartet, wird eines Besseren belehrt. Zwischen historischen Fotos und frühen Werkausgaben, autobiographischen Notizen und visuellen Inszenierungen wird der berühmte Sohn der Stadt lebendig. Und nicht nur dort im Raabe-Haus. Sondern auch in der Raabe-Straße, am Raabe-Brunnen oder am Raabe-Denkmal – auf „Raabisches“ stößt man auf Schritt und Tritt.

„Eschershausen soll als Raabe-Stadt touristisch wahrgenommen werden“, wünscht sich der Bürgermeister der Samtgemeinde. Es geht ihm darum, das kulturelle Erbe zu bewahren und die regionale Identität zu stärken. „Jeder zweite Eschershausener sollte etwas über Wilhelm Raabe sagen können“, formuliert der Raabe-Bewunderer als ehrgeiziges, wenn auch nicht ganz ernst gemeintes Ziel. Jüngstes Projekt ist der Raabe-Wanderweg, der sich wie ein roter Faden durch die Jugendheimat des Dichters zieht. Wie Perlen an dieser Schnur aufgereiht liegen die „raabischen“ Orte am Wegesrand. Eschershausen, Stadtoldendorf, Klostergut Amelungsborn, Bevern, Holzminden, Corvey, Höxter, Boffzen und Fürstenberg heißen die Stationen im Land zwischen Weser, Solling und Ith.

Deutschland Weserbergland Weser

Stilles Land ...

Oft als Heimatdichter, bequemer Humorist oder spießiger Idylliker verkannt, wird Wilhelm Raabe heute in einem Atemzug mit Theodor Storm und Theodor Fontane genannt. „Die Chronik der Sperlingsgasse“, „Der Hungerpastor“ und „Stopfkuchen“ sind wohl die bekanntesten Werke des „poetischen Realisten“. Nur fürs erste war ihm Ruhm schon zu Lebzeiten vergönnt.

Deutschland Weserbergland Flussufer

... ist Raabe-Land

Raabes Werk ist keine leichte Kost. Sein eigenwilliger Stil, die langatmige Art zu erzählen, waren schon damals der Volkstümlichkeit und Verbreitung seiner Schriften alles andere als zuträglich. Raabe wusste das – und hat sich trotzdem nicht verbiegen lassen. In vielen seiner rund siebzig Romane, Erzählungen und Novellen richtete er seinen kritischen – fast visionären – Blick auf die Probleme seiner Zeit: die fortschreitende Industrialisierung, den beginnenden Massentourismus und die zunehmende Umweltverschmutzung. Menschen am Rande ihrer Existenz waren Raabe dabei immer näher als der gemeine Spießbürger. Arme, Alte und Schwache durften bei ihm Heldinnen und Helden sein.

„Mit erklecklichem Behagen“

Deutschland Weserbergland Raabe Denkmal in Eschershausen

Am Geburtshaus beginnt die Wanderung durchs Raabe-Land (Foto: das Raabe-Denkmal in Eschershausen). „Es ist eine schöne Gegend, in der man schon mit erklecklichem Behagen geboren worden sein kann“, schrieb Raabe über die landschaftliche Bühne seiner Erzählungen und Romane. Und tatsächlich: Der Wanderweg führt aus dem Ort heraus in die Feldmark hinein und schlängelt sich dann durch den romantischen Buchenwald den Ith hinauf. Der 439 Meter hohe Klippenzug ist auch bei Kletterern sehr beliebt, die Wilhelm-Raabe-Klippe sommers umgurtet von holländischen Seilschaften.

Vom Wilhelm-Raabe-Turm auf dem Großen Sohl reicht die Sicht bei gutem Wetter über das Weser- und Leinebergland bis hinüber zum Harzer Brocken. Der Raabe-Weg führt direkt daran vorbei, hinab zur Ruine der Homburg und schließlich nach Stadtoldendorf. „In meiner Heime ist es gar schön. Da sind die Berge und die Wiesen so grün, da schaut die alte Burg, sie heißen sie die Homburg, herab auf das Städtel“, lässt Raabe das Mädchen Anneke Mey in der Novelle „Der Junker von Denow“ verkünden. Auch in seiner letzten, unvollendeten Erzählung „Altershausen" spiegeln sich persönliche Erinnerungen an die in diesem Städtchen verbrachten Jugendjahre wider. Auf der „Sonnenseite“, so der Autor, habe das Stadtoldendorfer Haus, in dem die Familie Raabe bis zum frühen Tod des Vaters von 1842 bis 1845 wohnte, gestanden.

Deutschland Weserbergland Speicherhaus in Holzminden

Das Speicherhaus in Holzminden

Ein kleiner Abstecher führt zum Klostergut Amelungsborn, Schauplatz von Raabes nach der Hochebene benannten Romans „Das Odfeld“, der 1888 erschien. Das 1135 gegründete Zisterzienserkloster ist eine Stätte der Ruhe. Zwischen den Pflastersteinen des Busparkplatzes wächst Gras und im mittelalterlichen Klostergarten blühen die Rosen völlig unbeachtet vor sich hin. Wie an den 14 anderen Stationen des Raabe-Wanderweges auch vermittelt hier eine Tafel mit ortsbezogenem Zitat aus des Dichters Werk den „Genius loci“.

„Widerborstigkeit und Schnoddrigkeit“

Im Hooptal führt der Weg durch eine kaum berührte Märchenwelt der Farne, Moose und Flechten. Auf dem weichen Waldboden, fern der Straße, macht das Wandern richtig Spaß. Die Sonnenstrahlen bahnen sich einen Weg durch das dichte Blätterdach der Buchen, brechen sich im munter plätschernden Bach und bringen das grüne Meer aus Chlorophyll zum Leuchten.

Deutschland Weserbergland Blick vom Fürstenberger Schloss

Vom Fürstenberger Schloss: Blick auf die Weserlandschaft

Bald hinter Bevern und seinem Weserrenaissance-Schloss wird der Raabe-Wanderweg zum Weserradweg, dem beliebtesten Radfernweg Deutschlands. Die Weser, „Schicksalslinie der konfessionellen Trennung“ wie Raabe den Strom in seiner Erzählung „Höxter und Corvey“ nannte, begleitet Fußgänger und Radfahrer bis zum Ende des Raabe-Wanderweges.

Deutschland Weserbergland Raabe-Brunnen

Zunächst aber gelangt man nach Holzminden, wo der Fluss seit alters her die Grenze des Braunschweigischen zu Westfalen bildet. Mit einer Erinnerungstafel am Raabe-Haus im Goldenen Winkel weist die Kleinstadt auf ihren berühmten Bewohner hin, der hier von 1832 bis 1842 seine ersten Lebensjahre verbrachte. Den Raabe-Brunnen (Foto) schmückt die Figur des Klaus Eckenbrecher aus dem historischen Roman „Der Heilige Born“.

Bald hinter Lüchtringen grüßen rechter Hand die Türme der ab 822 errichteten Kirche des Benediktinerklosters Corvey und die des gleichnamigen Schlosses. Es geht geradewegs auf Höxter zu, dessen Silhouette wiederum von den Türmen der 1075 erbauten St. Kilianikirche bestimmt wird. Die Tafel an der Weserbrücke zitiert aus Raabes Erzählung „Höxter und Corvey“ zu Zeiten, als der Weserübergang an dieser Stelle noch durch einen Fährmann bewerkstelligt wurde.

„Boffzen, Boffzen, Boffzen – wie schön der Name auf die Härtigkeit, Widerborstigkeit und Schnoddrigkeit und Hinterhaltigkeit Eures Tappe-Leiste’schen Charakters passt“, schrieb Wilhelm Raabe am 20. Dezember 1867 seiner Schwägerin Mathilde Tappe, geb. Leiste, und ihrem Mann Luis, Pfarrer in Boffzen – was das Ehepaar wohl kaum wörtlich genommen haben wird. Im Garten des Boffzener Pfarrhauses, an dem der Wanderweg direkt vorbeiführt, hat Wilhelm Raabe an einigen seiner Werke gearbeitet. Die Porzellanmanufaktur im Fürstenberger Schloss, ein Ausflugsziel mit Werksverkauf, Café, Museum und mehr als 70.000 Besuchern im Jahr, ist die letzte Station des Raabe-Wanderweges. Nach dem Ende der Wanderung kann die Lektüre beginnen.

 

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