Wolfsburg
Kunstmuseum
Re-Inventing Piet. Mondrian und die Folgen bis 16. Juli 2023
im Wilhelm Hack Museum Ludwigshafen
9. September 2023 bis 21. Januar 2024
Ndidi Emefiele, Splash, 2017, Acryl, bedrucktes Papier, CD, Textilapplikationen auf Leinwand, 150 × 210 cm, Valeria and Gregorio Napoleone Collection, London, New York, Mailand, © Ndidi Emefiele, Foto: Rosenfeld Gallery, London
Anhand von rund 120 Kunstwerken und Objekten gibt die Ausstellung einen Einblick in die facettenreiche Auseinandersetzung mit dem Hauptwerk Mondrians. Der Künstler selbst bezeichnete seinen richtungsweisenden Malstil in seinen kunsttheoretischen Schriften als "Neue Gestaltung" oder "Neoplastizismus". Eine Auswahl von Werken Piet Mondrians aus der Zeit von 1913–1936 ist in einem zentralen Rundbau zu sehen. Von hier aus lassen sich Verbindungslinien zu den zahlreichen Variationen seiner Arbeiten ziehen. „Mondrian in New York“, „Neokonkretismus“, „Mondrians Pariser Atelier“, „Mondrians Raumgestaltungen“ und „De Stijl. Designer und Architekt“ sind nur einige der Kapitel, die die Ausstellung aufblättert. Sie ist im Übrigen eine Kooperation zwischen dem Kunstmuseum Wolfsburg und dem Wilhelm-Hack-Museum in Ludwigshafen.
Yves Saint Laurent, Mondrian Cocktail Dress, 1966, Wolle, ca. 96 × 82 cm, Kunstmuseum Den Haag, © Yves Saint Laurent, Foto: Kunstmuseum Den Haag
Im Gegensatz zu den Retrospektiven in Düsseldorf und Basel in 2022 geht es in der Schau nicht um die künstlerische Entwicklung Piet Mondrians hin zur Abstraktion und zur Reduktion auf Primärfarben, sondern um den Einfluss des Mitglieds der Vereinigung De Stijl auf Zeitgenossen und die Nachwelt. Anliegen des niederländischen Künstlers war es Kunst und Leben zu vereinen. So schienen Adaptationen, Aneignungen, Persiflagen – man denke an den dornigen katholischen Mondrian in der Ausstellung -, Variationen und Auseinandersetzungen. Dabei mag man heftig debattieren, ob Yves Saint Laurents Cocktailkleider mit schwarzen Linien und Farbfeldern Aneignung oder doch genuine Schöpfungen sind. Jedenfalls hat sich der französische Modeschöpfer seine Entwürfe urheberrechtlich schützen lassen. Doch sind sie nicht einfach nur ein Plagiat und eine billige Kopie der Farbfelder Mondrians? Da ist eine Arbeit wie „Drum und Bass“ schon etwas differenzierter und elaborierter, wenn auch mit den Grundfarben Mondrians gearbeitet wird. Doch die plastische Arbeit hat Eigenständiges, gleicht einem schwarzen Regalelement, wie es in den 1970 Jahren gängig war. Auf zwei Ablagen sehen wir gestapelte gelbfarbene Teller und ein rotes Kästlein. Nur fragt sich der Betrachter, welche Elemente für Drum und welche für Bass stehen.
Yves Saint Laurent, Mondrian Cocktail Dress, 1966, Wolle, ca. 96 × 82 cm, Kunstmuseum Den Haag, © Yves Saint Laurent, Foto: Kunstmuseum Den Haag
Und was ist eigentlich mit den Alltagsobjekten, die Wolfsburger und Wolfsburgerinnen dem Museum für die Zeit der Ausstellung geliehen haben? Da entdeckt man auf einer Glasschale, auf Tassen und Tellern, Textilien, Tragetaschen, einer Puppe, Geschenkpapier, auf dem Katalog des Bauhauses und auf dem City Golf Mondriansche Farbspiele. Ob Mondrian das mit seinem Ansinnen von der Verquickung von Kunst und Leben in Verbindung gebracht hätte?
Im Kern der überaus sehenswerten Schau finden sich Hauptwerke Mondrians, darunter ist auch eines namens „Tableau No 4“, das den Übergang zwischen Gegenständlichkeit und Ungegenständlichkeit zeigt. Beim Betrachten der in Sandfarben gehaltenen Arbeit, mag man an eine Architektursilhouette einer Stadt denken oder an eine Hafenansicht mit zahlreichen Seglern. Das mag der Betrachter für sich entscheiden. Die Strenge der schwarzen Linien und der Felder, die nicht nur das Quadrat beinhalten, sondern auch Rechtecke unterschiedlicher Breite und Länge, fehlt diesem Werk. Man könnte es mit den Arbeiten Kandinskys vergleichen, als dieser sich von den Murnauer Ansichten langsam löste und sie in den Formen nach und nach reduzierte, sodass das Figürliche gänzlich verschwand.
Inventing PietLygia Clark, Arquitetura Fantastica, aus der Serie Bichos, 1963, Aluminium, 50 ×200 × 300 cm (variabel), Ludwig Forum Aachen, Leihgabe der Peter und IreneLudwig Stiftung, © “The World of Lygia Clark” Cultural Association, Foto: LudwigForum Aachen / Mareike Tocha
Corrado Bonomi lehnt sich in seiner Arbeit noch sehr nahe an Mondrian an, setzt ein weißes Quadrat zentral, dabei allerdings die Gesamtfläche namens „Regalo impossibile III“ auf die Spitze stellend. Man betrachte übrigens die schwarze Schleife oben rechts, Hinweis darauf, dass es sich – man bedenke den Werktitel – um ein Geschenk (span. Regalo) handelt, allerdings um ein „unmögliches Geschenk“. Jacob Lena Knebl gestaltete „Piet1“, die Fotografie vom Body Painting einer übergewichtigen Person. In Blau getaucht ist eine Schulter; Brust und Bauch sind teilweise Rot abgesetzt; über den Oberschenkeln entdecken wir gelbe Streifen. Ansonsten dominieren Weiß und die schwarzen Konturen. War eine solche Adaptation im Sinne Mondrians?
Imi Knoebel Peter, (c) VG Bild-Kunst Bonn 2023
foto fdp2023
Und da sind ja dann auch Yves Saint Laurents Cocktailkleider, ärmellos im Grundton Weiß mit mittiger schwarzer Linie und hier und da Farbflächen, die wie bei Mondrians Arbeiten sparsam gesetzt wurden. Hier mal eine rote Schulter, da mal ein gelbes Feld links. Nun ja, originell scheinen die Entwürfe nicht, zumal ja auch Mary Quant Kleider mit geometrischen Strukturen konzipierte, wenn auch nicht in Hommage an Mondrian. Übrigens, zu sehen ist auch ein Großfoto in Schwarz-Weiß, aufgenommen im ehemaligen Gemeentemuseum Den Haag. Neben Mondrians Werken posieren drei Mitarbeiterinnen des Museums in Laurent-Cocktailkleidern.
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Remy Jungerman, Guardian Havana, 2009, Baumwolle, Kokosnuss, Regale, Fotoabzüge, Flaschen, Gin Gläser, Holz, 250 × 500 × 30 cm, Courtesy der Künstler und Galerie Ron Mandos, Amsterdam, © Remy Jungerman, Foto: Galerie Ron Mandos, Amsterdam / Aatjan Renders
Persiflage oder Kunst mit Ernsthaftigkeit – das ist die Frage bei Sebastian Winkler, der uns gleichsam einen „Setzkasten“ mit vertikal angeordneten, farbigen Garnrollen präsentiert. So schafft er auch Farbfelder, aber wohl eher im Nachgang von Mondrian und Poliakoff, oder? Jeweils sechs Reihen von Garnrollen sehen wir, ohne dass dabei eine Beschränkung auf Primärfarben zu konstatieren ist. Sandfarben trifft auf Rot, Grau und Gelb, changierende Blautöne auf Weiß, Von der Mondrianischen Gliederungsstrenge weicht Fritz Glarner mit „Relational Painting Tondo No 49“ ab. Zunächst schwört der Künstler nicht aufs Eckige, sondern das Runde als Form. Zudem erscheinen die Farbfelder aus irregulär gefalteten farbigen Papierstreifen zu bestehen, so der Eindruck. Doch es ist eine Arbeit in Öl. Eher an einen Wohnungsgrundriss erinnert hingegen Robert Motherwells ausgestelltes Werk namens „The Sentinel“. Ja, auch hier finden sich marginal gesetzte Farbquadrate, aber farblich nicht an Mondrians Weiß, Rot, Blau, Geld anknüpfend, sondern in Giftiggrün gehalten.
Yves Saint Laurent, Mondrian Cocktail Dress, 1966, Wolle, ca. 96 × 82 cm, Kunstmuseum Den Haag, © Yves Saint Laurent, Foto: Kunstmuseum Den Haag
„Neokonkretismus“ ist ein Begriff der aus einer gleichnamigen brasilianischen Kunstbewegung stammt und dabei die Neuentdeckung konkreter Kunst meint. Dieses Thema streift die aktuelle Ausstellung auch und zeigt in diesem Kontext unter anderem die plastische Arbeit „Arquitectura Fantastica“ von Lygia Clark. Aus Aluminiumblechen wurden gefalzte Dreiecke geschaffen, die „aufgeklappt“ wurden. Wir entdecken beim Rundgang auch eine Sitzbank für eine Art Wartehäuschen oder Praxiswartezone, bestehend aus einem schwarzen Rahmen und farbigen Sitz- und Trennflächen. Władysław Strzemiński ist eine „Räumliche Komposition 2“ zu verdanken. Der Künstler ist auch bekannt für seine neoplastischen Raumideen. Auch Mondrian widmete sich der Raumgestaltung. Man denke dabei an den Farbentwurf für den Salon der Mäzenatin und Dresdner Kunstsammlerin Ida Bienert. Gezeigt werden insgesamt vier Entwürfe für das Farbkonzept des Salons.
Ein Architekturmodell, Ideengeber van Doesburg und van Eesteren, zeigt man dem Besucher der Schau ebenso. Es handelt sich um einen Bau mit „verspringenden“ und vorspringenden Kuben, grauen Dachgartenflächen und einem weißen Balkon sowie roten und gelben Fassadenflächen. In einer Rekonstruktion und als Modell kann man sich einen Eindruck von Mondrians Pariser Atelier verschaffen.
Sylvie Fleury, Mondrian Boots, 1992, 60 Stiefel, je 24 × 24,5 × 3–8 cm, Installationsmaße variable, Sammlung FER Collection, © Sylvie Fleury,
Foto: Annika Kemter
Ironie, Sarkasmus, Humor – und das ist Kunst? Ja, auch das bietet die Ausstellung mit „Fathers of Avant-Garde“. Grzegorz Sztwiertnia verdanken wir die audio-visuelle Installation. Im Kern ist diese ein Kinderbett, weiß gestrichen und mit Mondrianschen Farbfeldern „dekoriert“ sowie zwei blauen Kissen ausgestattet. Zugleich ist es aber auch eine Hörstation. Bei dieser scheint ein Vater mit seinem Baby zu reden, mal mit Tilalilalola, mal mit Lolalola und Lullalola sowie insgesamt in „Babysprache“ und auch an einer Stelle alphabetisierend.
Wie Aneignung funktioniert zeigt uns ein Werk, das Arbeiten auf 12 Pixel reduziert, sowohl solche von Kirchner und Duchamp als auch von Mondrian und Monet. Was von den Originalen bleibt sind rechteckige Farbflächen, wie wir sie auch in Taeuber-Arps „Composition verticale horizontale“ (1915–1916^) finden. Tom Sachs arbeitete für seine Komposition mit Gelb und Blau mit Klebestreifen, wie dies Mondrian auch ab und an tat. Zugleich erarbeitete Sachs aber auch eine gleichsam dreidimensionale Struktur mit dem benutzten Material.
Rietveld -Stuhl, Wilhelm-Hack-Museum, VG BIldKUnst Bonn 2023
Kritisch und sarkastisch betrachtet Lois Weinberger Mondrian, schuf ein Dornenviereck als „Antwort“ auf die Abstraktionen des niederländischen Künstler. „Quadrat aus Dornzweigen“ entstand in den 1990er Jahren. Mit Augenzwinkern muss man Daniel Spoerris „Mondrians Aprilscherz“ betrachten. Ganz im Stil von Spoerris Eat-Art wurde ein Tablett mit leerem Teller und Besteck, einer Tasse gefüllt mit Kaffee und einem Spielstein mit Fisch (?) als Wandgemälde umfunktioniert. Aus groben, stark gemaserten Holzbrettern sowie zwei Farbfeldern in Rot und Grün schuf Mark Brusse seine Hommage an Mondrian, die nur in Wolfsburg und nicht in Ludwigshafen zu sehen ist.
Was Schlagschatten allerdings mit Mondrian gemein haben, bleibt rätselhaft. Dennoch zeigt man Germaine Kruips Installation bestehend aus einem angestrahlten weißen „Mobile“ in der Machart von Calder nebst Schattenwürfen auf der weißen Wand. Übrigens, in Wolfsburg ist dieser Arbeit ein eigener Raum gewidmet! Zu sehen sein wird diese Arbeit allerdings auch im Wilhelm-Hack-Museum.
Germaine Kruip Schlagschatten, 2008, Panoptes Collection
Sehr interessant ist der Teil der Ausstellung, die in Überblendungen Dias von Architekturen mit Mondrian-Bezug zeigt, so Case Study House von C. Und R. Eames, „Construction“ von Barbara Hepworth, die U-Bahn-Station am Duisburger König-Heinrich-Platz, ein Hausboot an der Bilderdijkgracht in Amsterdam, um nur einige Beispiele aufzuführen.
In Wolfsburg findet man in einem Rundbau die konstruktivistischen Kernwerke von Mondrian, darunter Komposition mit Rot, Gelb, Blau und Weiß, Rot, Blau. Vielleicht ist dies ja als eine Abrundung des Besuchs bestens geeignet! Oder aber man beginnt seinen Rundgang von dort aus.
Piet Mondrian Compositie metr rood geel en blauw,1927 Kroeller-Mueller-Museum,
Als Hardcover ist eine mit 300 Abbildungen versehene umfangreiche Publikation im Verlag der Buchhandlung Walther und Franz König (Köln) erschienen. Zu finden sind in dem Begleitband zur Ausstellung Texte von Friedrich von Borries, Nancy J. Troy, Wolfgang Ulrich und Marek Wieczorek. Der Preis für die Publikation beträgt 39 Euro.
© ferdinand dupuis-panther (fdp)
Mathieru Mercier Drum and Bass, Wilhelm Hack-Museum
© VG Bild-Kunst, Bonn 2023 foto fdp2023
Künstler*innen der Ausstellung
Bas Jan Ader, Yaacov Agam, Claudia Angelmaier, Iván Argote, Amber Ambrose Aurèle, John Baldessari, Michael Barnaart van Bergen, Georg Baselitz, Max Bill, Anna & Bernhard Blume, John Bodin, Corrado Bonomi, KP Brehmer, Mark Brusse, Hal Busse, Philippe Calia, Miguel-Ángel Cárdenas, Lygia Clark, Corneille, Theo van Doesburg, César Domela, Jacob van Domselaer, Lajos d'Ebneth, Cornelis van Eesteren, Tim Eitel, Ndidi Emefiele, Ernest T., Erró, Cornelis van Eesteren, Ian Hamilton Finlay, Sylvie Fleury, Simon Freund, Ryan Gander, General Idea, Isa Genzken, Torben Giehler, Fritz Glarner, Melissa Gordon, Torben Giehler, Jean Gorin, Camille Graeser, Joachim Grommek, Dieter Hacker, Ian Hamilton Finlay, Mary Heilmann, Gregor Hildebrandt, Alfred Hrdlicka, Vilmos Huszár, Remy Jungerman, Barbara Kasten, Hiroshi Kawano, Tadashi Kawamata, Hiroshi Kawano, Anselm Kiefer, Martin Kippenberger, Jakob Lena Knebl, Imi Knoebel, Krijn de Koning, Joseph Kosuth, Lee Krasner, Germaine Kruip, Louise Lawler, Bart van der Leck, Saul Leiter, Sherrie Levine, Erik van Lieshout, Cristina Lucas, Mathieu Mercier, Piet Mondrian, Jonathan Monk, Thomas Moor, François Morellet, Sarah Morris, Marlow Moss, Robert Motherwell, Simon Mullan, Hélio Oiticica, Dennis Oppenheim, Eduardo Paolozzi, Claudio Parmiggiani, A. R. Penck, Gerrit Rietveld, Peter Rozemeijer, Tom Sachs, Yves Saint Laurent, Jörg Sasse, Kurt Schwitters, Bongchull Shin, Kathryn Sowinski, Daniel Spoerri, Magnus von Stetten, Władysław Strzemiński, Grzegorz Sztwiertnia, Sophie Taeuber-Arp, Gerold Tagwerker, Timm Ulrichs, Bolesław Utkin, Lois Weinberger, Ben Willikens, Sebastian Winkler, Piet Zwart.
Ausstellungsbesucherin vor Rietveld-Tisch und -Stuhl
foto fdp2023
Informationen
https://www.kunstmuseum.de