Wuppertal
von der Heydt-Museum
Zeiten und Räume. Klassiker der Sammlung zurzeit
Gustave Courbet Felsenkuste be Eretat um 1869 Leinwand, 93 x 114 cm Von der Heydt-Museum Wuppertal
Das erste Kapitel der Sammlung, das wir aufschlagen, befasst sich mit Flandern und den Niederlanden im 16./17. Jahrhundert sowie Deutschland: 19. Jahrhundert. Doch bevor wir uns damit beschäftigen, durchschreiten wir das Treppenhaus. Hier finden sich zwei monumentale skulpturale Arbeiten, die nicht unterschiedlicher sein können: Zum einen steht hier Wilhelm Lehmbrucks Steinguss einer Stehenden mit geneigtem Kopf. Sie hat die Kleidung über die Hüften abgestreift und zeigt ihre vollen Rundungen. Tony Cragg hingegen präsentiert ein Landschaftsprofil, so hat man den Eindruck, wenn man vor der zerklüfteten rötlich-metallic lackierten Skulptur steht. „Versus“ nannte Cragg seine Arbeit, eine Bronze mit einem gewaltigen Gewicht von 650 kg, wie man einem Eintrag bei Wikipedia entnehmen kann. Interessant ist, dass man beide Skulpturen nicht im Raum mit den Skulpturen findet, sondern gleichsam als Prolog der Ausstellung.
Arnold Böcklin, Flora, die Blumen weckend, 1876 Tempera auf Holz, 78 x 53 cm Von der Heydt-Museum Wuppertal
Nachfolgend tauchen wir dann in die Landschaftsansichten und Stillleben ein, die aus Flandern, den Niederlanden und Deutschland stammen. Wir stehen unter anderem vor einer italienischen Flusslandschaft, die von Jakob Philipp Hackert gemalt wurde. Ein Hirte wacht über eine kleine Herde, die im Tal weidet. Über die Flussbrücke ist ein Mann mit seinem bepackten Muli unterwegs. Auf einer Anhöhe erhebt sich eine Stadt. Vor dem Stadttor hält sich ein Mann auf, der augenscheinlich mit einem Esel Waren in die Stadt liefern möchte. Ideallandschaft oder Wirklichkeit? – das fragt sich der Betrachter.
Floris Gerritsz van Schooten schuf ein üppiges Frühstücksstillleben. Zwei angeschnittene Käselaibe warten darauf. als Brotbelag verzehrt zu werden. Ein Korb mit Äpfeln steht auf dem gedeckten Tisch. Dort liegt auch ein Zweig mit Stachelbeeren. In einer Schale aus Porzellan steht die Butter bereit. Ebenso üppig wie dieses Stillleben ist auch das von Frans Snyders mit dem Titel „Stillleben mit Wildschweinkopf“. Wildbret liegt vor uns, darunter ein kapitaler Fasan. Eher in den Hintergrund gerückt ist der Wildschweinkopf. Artischocken und Spargel in Bündeln gehören auch zum kommenden Festmahl. Das gleiche gilt für Pflaumen und Weintrauben.
Alberto Giacometti, Femme de Venise, 1956 Bronze, 110 x 13,5 x 31 cm Von der Heydt-Museum Wuppertal © VG Bild-Kunst, Bonn 2024
Eine niederländische Stadtansicht verdanken wir hingegen Aelbert Cuyp, der uns Amersfoort im 17. Jahrhundert präsentiert. Gut zu erkennen ist die geschlossene Stadtmauer mit ihren verschiedenen Wehrtürmen. Vor diesen stehen einige Windmühlen. In der Stadt selbst erhebt sich der Belfried und dahinter die Hauptkirche des Ortes. Diese Ansicht haben auch zwei Hirten im Blick, die mit einer kleinen Schafherde vor der Stadt auf einer Anhöhe Rast gemacht haben. Einen Namen unter den niederländischen Landschaftsmalern hat gewiss Jacob van Ruisdael, dessen Waldlandschaft aus dem 17. Jh. aktuell ausgestellt ist. Dicht und dunkel ist der mächtige Wald. Im Schatten des dichten Laubes erkennt man einen Jägersmann mit seinem Jagdhund. Sind sie auf Wildschweinjagd unterwegs?
Sehr beeindruckend ist die Felslandschaft von Etretat, die Gustave Courbet für die Nachwelt auf Leinwand gebannt hat. Schroff fallen die Felsen ins Meer ab. Der Küstensaum ist menschenleer. Kein Fischer ist beim Flicken der Netze zu sehen. Nur ein Boot wurde auf Land gezogen und wartet darauf erneut bemannt in See zu stechen. Schließlich sei noch auf eine Ansicht vom Ammersee hingewiesen, die von Wilhelm von Kobell stammt.
Alexej von Jawlensky, Mädchen mit Pfingstrosen, 1909 Öl auf Pappe auf Sperrholz, 101 x 75 cm Kunst- und Museumsverein im Von der Heydt-Museum Wuppertal
Mit Paris/Berlin Anfang des 20. Jahrhunderts reisen wir nachfolgend durch die Kunstwelt. Welch ein Zeitsprung von den niederländischen Landschaften und Stillleben zu den Arbeiten von Beckmann und Picasso! Beide arbeiteten in Paris, begegneten sich jedoch dort nicht. 19 Jahre war Pablo Picasso alt, als er den bis heute unbekannt gebliebenen, Pfeife rauchenden Mann mit Pelerine malte und sich dabei so gar nicht an die akademischen Gepflogenheiten hielt. Man meint, man sehe eine Milieustudie und erkennt die Nähe zu Toulouse-Lautrec, aber auch zu Munch. Fein ist der Farbauftrag, der auf Details verzichtet. Es kommt dem jungen Picasso auf den Ausdruck und die Stimmung an. So ist er ganz bei den Auffassungen der Impressionisten. Von Max Beckmann sind gleich zwei Selbstbildnisse zu sehen, zum einen als Clown als Teil des Beckmannschen Weltentheaters und zudem als Sanitäter an der Front während des Ersten Weltkriegs. Verzweifelt blickt der Maler drein, der infolge der Kriegserfahrungen psychisch schwer gezeichnet war und nachfolgend versuchte im Alltag wieder Fuß zu fassen, so wie auch andere aus seiner Generation. Beckmann nimmt uns auch auf eine Zugfahrt durch Nordfrankreich mit, entstanden im Amsterdamer Exil 1938. Gestisch-expressiv erscheint die Komposition, dabei wirklich das Fahren im Zug und die vorbeiziehende Landschaft auf die Leinwand bringend. Das Thema Weltentheater findet sich bei Beckmann außerdem in „Großes Varieté mit Zauberer und Tänzerin“. Picasso ist in der Ausstellung obendrein mit kubistischen Arbeiten vertreten, so mit „Harlekinfamilie“ und „Liegender Frauenakt mit Katze“. In beiden verschränken sich Blickwinkel, Aufsichten und Ansichten, wird ein allseitiger Blick festgehalten.
Carl Grossberg, Der gelbe Kessel, 1933 Öl auf Leinwand auf Holz, 90 x 70 cm Von der Heydt-Museum Wuppertal
Fernand Léger, der vor allem durch seine eigenen „Maschinenwelten“ bekannt wurde, zeigt uns das Gemälde „Drei Musikanten“ – alle drei eher an Glieder- oder Anziehpuppen erinnernd – sowie „Zwei Frauen mit Stillleben“. Dabei sieht man defragmentierte menschliche Körper, die teilweise an Maschinenteile erinnern.
Gehen wir um ein Jahrhundert zurück, bleiben aber bei der „Achse Paris-Berlin“, so ist es die Schule von Barbizon und der Impressionismus, der die Kunstwelt des 19. Jahrhunderts maßgeblich bestimmte. Keine Frage, es ist auch die Zeit von Claude Monet, der mit „Blick auf das Meer“, ein sehr beeindruckendes Seestück schuf. Der Küstensaum in Rot und Gelb getaucht trifft auf die Meereswogen in unterschiedlichen Blaunuancen. Fast bildfüllend sind die Küste und das Meer. Der Himmel in Rosa und Hellblau ist nur ein schmales marginales Band am oberen Bildrand. Ein weiterer bekannter Name der französischen Kunstszene jener Tage ist Edgar Degas, der sich inhaltlich mit den Tänzerinnen in der Oper befasste, so auch in der Arbeit „Tänzerinnen im Probensaal“. Dunkelrot ausgeschlagen ist der Raum. Die Tänzerinnen sind in bläulich-grünlicher Ballettkleidung zu sehen. Während einige erschöpft auf einem Sofa Platz genommen haben, sind andere dabei sich zu dehnen oder auf der Spitze zu tanzen.
Otto Dix, An die Schönheit, 1922 Leinwand 139,5 x 120,5 cm Von der Heydt-Museum Wuppertal © VG Bild-Kunst, Bonn 2024
Ungewöhnlich ist Paul Cézannes „Liegender weibliche Akt“. Zum einen sieht man eine unbekleidete Frau auf einer blauen Liege. Rechts von ihr ist ein geraffter Vorhang zu sehen. In der linken Bildhälfte sieht man eine Decke, auf der Obst liegt. Allerdings ist dies in einer besonderen Art der Aufsicht gemalt, sodass man den Eindruck hat, das Obst befinde sich auf einer vertikal schwebenden Tischdecke. Von Cézanne stammt zudem „Die Eremitage von Pontoise“. Lichtes Grün ist im Vordergrund zu sehen. Die Häuser schmiegen sich an einen Hang bzw. klettern am Hang empor und stapeln sich übereinander. Einige haben blaue Bedachungen und grau-weiße sowie gelb getünchte Fassaden. Zu den führenden französischen Impressionisten gehörte auch Camille Pissarro, der mit Gespür für das Licht des Südens den „Herbstmorgen, Eragny“ mit feinen Farbtupfern einfing. Lichtes Grün trifft dabei auf gelblich verfärbtes Laub. Betreffs der Lichtregie kann Ähnliches von Paul Signac gesagt werden, der für die Nachwelt eine Szene am Quai de la Tournelle mit Blick auf Notre Dame festgehalten hat. Am Quai stapeln sich die Warenballen. Sind sie ausgeladen worden oder warten sie darauf von Lastenträgern in den bereitstehenden Kahn verladen zu werden? Auch einen Ruderer machen wir nahe des Kais aus. Hinzuweisen ist zudem auf kleinformatige Gemälde von Auguste Renoir. „Bäume“ erscheint wie eine Gouache mit verwischtem Grün, dabei durchaus an den Stil von Turner anknüpfend. Zu sehen ist zudem „Stillleben mit Früchten“, die so realistisch aussehen, dass man in sie gleich hinein beißen möchte.
Ferdinand Hodler, Der Holzfäller, 1908/1910 Leinwand 132 x 101 cm Von der Heydt-Museum Wuppertal
Im Kapitel „München/Deutschland, 19. Jh.“ finden sich zahlreiche Werke des aus Elberfeld stammenden Hans von Marées, einer der sogenannten Deutschrömer neben Böcklin und Feuerbach, dessen Porträt der Nanna wir zu Gesicht bekommen. Von Marées verdanken wir das Historiengemälde der ersten Freiheitskriege, entstanden um 1862. Nachfolgend wird das Thema „Schweiz/Norwegen/Deutschland, Ende des 19. Jh. Anfang des 20. Jh.“ behandelt. Hervorzuheben sind dabei Arbeiten von Ferdinand Hodler, die durchaus symbolistisch aufgeladen sind, auch die ausgestellte Ansicht des Thunersees mit der lilafarbenen Stockhornkette. Auch Edvard Munch begegnen wir, allerdings nicht dem „Schrei“, sondern einem deprimiert dreinschauenden Mädchen mit rotem Hut. Betrachtet man das Mädchen, so meint man, sie würde im nächsten Moment in Tränen ausbrechen.
Wassily Kandinsky, Ettaler Mandl, 1909 Öl auf Pappe, 53 x 66 cm Leihgabe aus Privatbesitz
Auch die klassische Moderne ist in Wuppertal mit erstklassigen Arbeiten vertreten, darunter auch Franz Marcs „Blauschwarzer Fuchs“ und von Jawlenskys „Mädchen mit Pfingstrose“. Lyonel Feininger mit seinen prismatischen Bildstrukturen finden wir bei unserem Rundgang auch, zum einen in der Ansicht der Marktkirche in Halle und zum anderen in dem Gemälde „Yacht-Rennen“. Aus der Berliner Zeit des Brücke-Künstlers Ernst Ludwig Kirchner stammen „Frauen auf der Straße“, Kokotten, die auf dem Potsdamer Platz auf „Verehrer“ warteten und die zu Hauptakteuren Kirchners wurden, hat er sie doch mehrfach porträtiert.
Zu den Themenblöcken, die die Sammlung strukturieren, gehören im Übrigen „München/ Deutschland 1908-14“, „Dresden/Berlin Deutschland 1905-14“, „Weimar, Köln und Düsseldorf 1920er und 1930er Jahre“ sowie „Skulptur – eine Auswahl“. Das bedeutet, dass man sowohl mit dem deutschen Expressionismus aber auch mit der Neuen Sachlichkeit u. a. Christian Schad konfrontiert wird. Zum Abschluss steht man dann in einem von Licht durchfluteten Saal mit Skulpturen, ob nun die organischen von Hans Arp und Karl Hartung. Wir stehen vor dem „Schreitenden“, einem Torso von Auguste Rodin oder eine Tierkleinplastik von Ewald Mataré und bewundern die riesige Gottesanbeterin, auf Beute lauernd, die Germaine Richier zu verdanken ist. Die Präsentation ist opulent und zeigt zahlreiche Blickfänger, um nicht von Ikonen der Kunstgeschichte zu sprechen. Angesichts der Fülle der Arbeiten empfiehlt sich unbedingt ein weiterer Besuch. Da die Ausstellungsdauer wohl bis zum 125. Geburtstag des Museums im Jahr 2027 zu sehen sein wird, gibt es dazu reichlich Gelegenheit.
Ernst Ludwig Kirchner, Frauen auf der Straße, 1914 Öl auf Leinwand, 126 x 90 cm Von der Heydt-Museum Wuppertal
Übrigens: Die Objektschilder der Kunstwerke verfügen über eine sogenannte „Provenienzkette“ und die „Provenienzampel“. Die „Provenienzkette“ zeigt chronologisch, welchen Weg das Kunstwerk vor Eintritt in die Museumssammlung gegangen ist und wer die Besitzenden waren. Angesichts der dringenden Debatte über Raubkunst und Rückübertragung an die rechtmäßigen Besitzer bzw. deren Erben, erscheint dies als ein sehr lobenswerter Schritt, um Transparenz über die gezeigten Werke und deren Herkunft herzustellen.
© text ferdinand dupuis-panther
Oskar Kokoschka, Selbstbildnis, 1917 Leinwand, 99 x 83,5 cm (Rahmen) Von der Heydt-Museum Wuppertal © VG Bild-Kunst, Bonn 2024
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Vorschau
Maurice de Vlaminck - Rebell der Moderne 16. Februar – 18. Mai 2025
Maurice de Vlaminck (1876–1958) ist einer der bedeutendsten französischen Maler der Moderne und war Mitglied der Gruppe der so genannten „Fauves“ („Wilden“), die sich 1905 um Henri Matisse und André Derain zusammenschloss. Das Von der Heydt-Museum realisiert gemeinsam mit dem Museum Barberini in Potsdam die erste postume Retrospektive des Künstlers in Deutschland und rückt damit eine zentrale Figur der französischen Kunst des 20. Jahrhunderts wieder ins Licht der Öffentlichkeit. Anhand von mehr als 50 ausgewählten Gemälden vermittelt die Ausstellung „Maurice de Vlaminck. Rebell der Moderne“ einen gültigen Überblick über sein gesamtes malerisches Œuvre: von seinen ersten, zu Beginn des 20. Jahrhunderts ausgeführten Kompositionen über seine berühmten fauvistischen Gemälde, die von Cézanne und Picasso inspirierten Experimente mit dem Kubismus bis hin zu seinen letzten Landschaftsbildern, in denen er eine höchst individuelle Spielart des Spätimpressionismus entwickelte. Vlaminck kam 1876 in Paris als Sohn eines Musikerehepaares zur Welt. Sein Vater stammte aus Flandern. Ersten Malunterricht erhielt Vlaminck von 1888 bis 1891, eine akademische Ausbildung absolvierte er jedoch nicht. Er betätigte sich als berufsmäßiger Radrennfahrer und Mechaniker, absolvierte einen Militärdienst und wurde 1896 Musiker. Im Jahr 1900 lernte Vlaminck den Maler André Derain kennen – eine sagenumwobene Begegnung, die Vlaminck wieder zur Malerei führte. In Chatou teilte er sich mit Derain ein Atelier und malte vornehmlich Landschaften entlang der Seine, die er mit dem Fahrrad erkundete. Als sich 1905 im Salon d’Automne eine Künstlergruppe um Henri Matisse formierte, die die zeitgenössische Kritik als Fauves („Wilde“) bezeichnete, war auch Vlaminck dabei. Mit der farbintensiven Malerei der Fauves entwickelte sich eine ausdrucksstarke Malerei, die formale Parallelen zum deutschen Expressionismus aufweist. Wie kein anderes Mitglied der Gruppe identifizierte Vlaminck sich mit dem Attribut der Wildheit und propagierte früh das Image eines modernen Künstlerrebellen, der den Regeln der akademischen Malerei resolut den Rücken kehrte. Eine zentrale Inspirationsquelle war das Œuvre Vincent van Goghs. Schnell avancierte Vlaminck zu einem führenden Vertreter der französischen Avantgarde und wurde auch in Deutschland als ein Wegbereiter der Moderne gefeiert.
Info
https://von-der-heydt-museum.de
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