Text: Dagmar Krappe und Axel Baumann
Fotos:
Axel Baumann
In den Warner Bros. Studios in Leavesden nordwestlich von London werden Besucher zum Zauberer für einen Tag. Die Tour führt durch die Original-Kulissen der acht Harry-Potter-Filme. Jedes Jahr zur Weihnachtszeit rieselt unschmelzbarer Schnee auf Hogwarts.
Die Vorfreude ist groß. Die Spannung steigt. Bald ist Weihnachten in Hogwarts. Unzählige Augen sind auf das holzgeschnitzte Tor, hinter dem sich die „Große Halle“ verbirgt, gerichtet. Einige der jüngeren Besucher haben sich in schwarze Tarnumhänge gehüllt oder tragen Schaals mit den Wappen von Griffindor oder Hufflepuff. Bevor sich die Flügeltüren öffnen, stimmen Daniel Radcliffe, Emma Watson und Rupert Grint die wartenden Gäste von einer überdimensionalen Leinwand auf die Studiotour ein. Erzählen von zehn Jahren Filmproduktion, als sie als Kinder und Jugendliche in die Rollen von Harry Potter, Hermine Granger und Ron Weasley schlüpften. Vor 16 Jahren kam der erste von acht Filmen, „Harry Potter und der Stein der Weisen“, in die Kinos. Die meisten Innenaufnahmen entstanden in den Warner Bros. Studios in Leavesden bei Watford, 30 Kilometer vom Londoner Stadtzentrum entfernt. Früher gab es hier einen Flughafen nebst Flugzeug- und Triebwerkfabrik. Mitte der 1990er Jahre gründete man stattdessen auf dem Gelände die „Traumfabrik“. Auch Fassaden für Außendrehs wie die Winkelgasse, in der es Zauberstäbe und anderes magisches Zubehör zu kaufen gab, oder das schiefe Haus der Familie Weasley wurden hier errichtet. Nach Abschluss der Dreharbeiten blieben die Kulissen erhalten. Seitdem können Harry-Potter-Fans selbst erleben, wie es sich anfühlt, auf Gleis 9 ¾ auf den Hogwarts Express zu warten, durch den Ligusterweg zu schlendern, jener Straße, in der Harry seine Kindheit verbrachte, oder durch die schummrige, kopfsteingepflasterte Winkelgasse zu strolchen, die für Muggels, also Menschen, die nicht zaubern können, eigentlich gar nicht zugänglich ist.
Die "Große Halle" in Hogwarts weihnachtlich dekoriert
Die „Große Halle“ des Zauber-Internats Hogwarts ist wie jedes Jahr zu Weihnachten, wenn sich das Schuljahr zu Ende neigte, prächtig dekoriert. Tannenbäume und Kränze mit goldenen Kugeln und auf einem Besen reitenden Hexen schmücken den riesigen Saal. Jeder festlich gedeckte Tisch repräsentiert eines der vier Schul-Häuser, Gryffindor, Ravenclaw, Hufflepuff und Slytherin, in die der „sprechende Hut“ die „Zauberlehrlinge“ zu Beginn des ersten Schuljahrs einteilte. Auf den Tellern blinken Knallbonbons. Die Requisiteure haben nicht essbaren Truthahn, Schinken, Plumpudding und Butterbier aufgetischt. An der Stirnwand steht die Tafel der Lehrer, die sich als gesichtslose Puppen in Originalkostümen dahinter präsentieren. In den Kaminen tanzt ein behagliches Feuer – kreiert mittels raffinierter Beleuchtungseffekte.
Büro von Professor Dumbledore
„Ich war damals als Hufflepuff-Schüler Ernie Macmillan dabei. Die Rolle teilten sich zwei Jungs“, erzählt Studio-Guide Jamie Marks begeistert, während der inzwischen 30-Jährige mit einer Gruppe Muggels durchs „Museum“ zieht: zum Gemeinschaftsschlafraum im Gryffindor-Turm und in die Wohnküche der Weasleys, wo niemand abwaschen muss, da sich die Pfannen von selbst reinigen. Andächtig steht Professor Albus Dumbledore, der ehemalige Schulleiter, in seinem Büro. Es ist vollgestopft mit Teleskopen und Himmelskarten. „In den dicken Einbänden befinden sich keine hochgeistigen Erkenntnisse, sondern ausrangierte Telefonbücher“, sagt Jamie und schmunzelt. Weiter geht es zu Professor Snapes Zaubertrankküche und Hagrids Hütte. Schade, dass der Halbriese nicht noch einmal um die Ecke streift.
Professor Snapes Zaubertrankküche
„Bei der ersten und der letzten Szene der Potter-Filme stand ein scharlachroter Dampfzug, der Hogwarts Express, im Mittelpunkt“, erklärt Jamie: „Von Gleis 9 ¾ im Bahnhof King’s Cross in London fuhren die Zauberschüler jedes Jahr nach den Ferien zurück Richtung Hogwarts.“ Die Fahrten endeten in Hogsmeade. Ein fiktiver Name. Real ist es der Haltepunkt Goathland entlang der knapp 30 Kilometer langen Trasse der North Yorkshire Moors Railway in Nordengland. Um auf den ominösen Bahnsteig in London zu gelangen, mussten die Kinder mit einem Gepäckwagen durch eine gelbe Backsteinwand sausen. „Am Schluss des achten Films „Harry Potter und die Heiligtümer des Todes“ bringt Harry 19 Jahre nach seiner Zauberschulzeit seinen Sohn Albus Severus zum Gleis 9 ¾“, informiert Jamie.
Gepäckwagen am Bahnsteig 9 ¾
Seit 2015 gibt es Gleis und Bahnsteig auch in den Warner Bros. Studios. Produktions-Designer Stuart Craig ließ jeden Zentimeter von Bahnsteig 9 ¾ mit seinem Glasdach, der gelben Backsteinwand und dem Gepäckwagen, der halb in die Wand geschoben ist, nachbauen. Seitdem glänzt und dampft auch die über 80 Jahre alte Lokomotive No. 5972 „Olton Hall“ in einer der Hallen. Sie zog in verschiedenen Potter-Filmen den Hogwarts Express. Um von London nach Hogsmeade bzw. Goathland in Yorkshire zu gelangen, passierte er den Glennfinnan Viadukt in Schottland. Im Film ist geographisch alles möglich! Dank verschiedener Spezialeffekte dringt auch im Studio weißer Dampf aus dem Schornstein, und es tönt ein zaghaftes Pfeifen über den Bahnsteig.
Hogwarts Express mit der Lokomotive 5972
„Ursprünglich war die „Olton Hall“ grün“, berichtet Jamie: „Sie wurde in marone, also dunkel-rotbraun, umlackiert.“ Hinter der Lok kann man in den ebenfalls roten Film-Waggon klettern und sich in die tiefen Sitze fallen lassen. Herumliegende Jacken, Taschen und der Käfig für Schneeeule Hedwig lassen die Abteile so authentisch wirken, als würden Harry und seine Mitschüler gleich wieder einsteigen und während der Fahrt Unmengen skurriler Süßigkeiten wie Schokofrösche oder Schluckaufdrops verspeisen.
Das Abteil wirkt als würden die Zauberschüler gleich einsteigen
Die Lokomotive 5972 „Olton Hall“ erblickte 1937 für die einstige Great Western Railway bei Swindon Railway Works in Wiltshire das Licht der Schienenwelt. Sie gehört zur „4-6-0 Hall Class“. Die Nummern beziehen sich auf die Anordnung der Räder. Das bedeutet, die Lok verfügt über vier Vorder-, sechs Mittel-, aber keine Hinterräder. Von dieser Baureihe wurden 259 Einheiten produziert. Sie waren sowohl im Güter- als auch im Personenverkehr im Einsatz. 1964 sollte Lok 5972 verschrottet werden. Doch dazu kam es nicht. Ein privater Investor holte sie 20 Jahre später vom Abstellgleis und ließ sie restaurieren. Zunächst konnten Eisenbahnenthusiasten sie im Nationalen Eisenbahnmuseum in Shildon in der Grafschaft Durham bewundern. 1998 ging sie wieder auf die Schiene. Zum Star wurde sie als Zugmaschine für den Hogwarts Express.
Gleich nebenan beginnt der Bereich der Greenscreen-Kabinen, in denen man sich wahlweise auf einen fliegenden Besen oder in den hellblauen Ford Anglia der Familie Weasley setzen darf. Wer möchte kann gegen Bares einen Schnappschuss mit selbst gewähltem Hintergrund als Erinnerung mit nach Hause nehmen.
Modell von Hogwarts
Nach drei verzauberten Stunden durch die Filmkulissen stehen die Besucher endlich vor dem Internat Hogwarts selbst. Vor einem Modell im Maßstab 1:24. „Dieses Mini-Hogwarts sieht genauso aus wie im letzten Film“, informiert Model Supervisor José Granell. Als Inspiration dienten Schloss Almwick in der Grafschaft Northumberland und die Türme der Kathedrale von Durham. „Ein Team von über 85 Künstlern war monatelang beschäftigt, bis die Nachbildung für "Harry Potter und der Stein der Weisen" fertig war“, sagt José: „Sie hatte damals 40 Prozent der heutigen Größe. Danach wurde sie für die folgenden sieben Filme noch viele Male verändert und umgebaut. Mehrere hundert Fieberglaslämpchen bringen das Modell zum Leuchten. Es diente als Attrappe für Außenaufnahmen. Zum Beispiel wenn Harry mit dem Besen über Hogwarts flog, wurde diese Szene mit dem Modell gedreht.“ Zum Jahresende verwandelt sich das Zauber-Internat wieder in eine frostige Winterlandschaft mit unschmelzbarem Schnee. Vier Tage lang lassen Requisiteure eine Mischung aus Papier und grobkörnigem Salz über die alten Gemäuer rieseln. Ganz wie im Film!
So entstanden die Masken
Anreise
Von Deutschland fliegen unterschiedliche Fluglinien nach London, z.B. Lufthansa (www.lufthansa.com), British Airways (www.britishairways.com), Eurowings (www.eurowings.com), easyJet (www.easyjet.com), Flybe (www.flybe.com) oder Ryanair (www.ryanair.com).
Vom Londoner Bahnhof Euston fährt man mit dem Schnellzug bis Watford Junction (www.nationalrail.co.uk). Von dort verkehren alle 20 bis 30 Minuten Shuttle-Busse zur Warner Bros. Studio Tour.
Golden Bus Tours bietet verschiedene Pakete und einen Shuttledienst aus der Londoner Innenstadt zu den Warner Bros. Studios in Leavesden an. Mehr Informationen unter www.goldentours.com.
Informationen zur Warner Bros. Studio Tour:
Tickets sind ausschließlich im Voraus online erhältlich: www.wbstudiotour.co.uk/de/tickets
Drei bis fünf Stunden sollte man mindestens für einen Besuch einplanen.
Die weihnachtliche Zauberwelt erstrahlt jedes Jahr zwischen Mitte November und Ende Januar.
Die Reise wurde von Warner Bros. Studio Tour London unterstützt.
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