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Baltic Skate Explorer

Auf Inlinern durch die baltischen Metropolen und estnische Weiten

Text und Fotos: Robert B. Fishman

„Black Ice“, schwarzes Eis, durchzieht das sanft gewellte Hügelland im einsamen Süden Estlands. Schmale, glattgeteerte Landstraßen schlängeln sich bergauf und bergab durch scheinbar endlose Wälder. Hinter jeder dritten oder vierten Kuppe schmiegt sich ein schwarzgrüner See in eines der vielen Täler. „Das war der anspruchsvollste Teil unserer Strecke“, wird Tourleiter Helge am Abend die Mühen der zehn deutschen Inlineskater bilanzieren, die einen Nachmittag lang auf Rollen die Umgebung des Wintersportstädtchens Otepää erkundet haben. Mit 3500 Einwohnern zählt das weit in die Landschaft gestreute Nest zu den größeren Städten Estlands.

Estland - Inlineskater auf einer Landstraße

Inlineskater auf einer Landstraße

Die steilen, langen Abfahrten machen den Skatern zu schaffen. Manche hängen sich bergab lieber bei einem der mitreisenden Fahrradfahrer an. „56 Stundenkilometer, mein bisheriger Rekord“, verkündet Peter* nach einer langen Schussfahrt mit einem Blick auf den digitalen Tachometer an seinem blau-weiß glänzenden Schuh. Die beiden Störche, die von ihrem Nest hoch über der Straße auf die bunte Gruppe deutscher Inlineskater blicken, scheint das nicht zu interessieren. Während sie die milde Nachmittagssonne genießen, quälen sich die Rollschuhfreaks den nächsten Hügel hinauf. Die Abfahrt endet an einem Badesee: Sandstrand, eine große Liegewiese und warmes, weiches Wasser. Helge holt für alle Eis.

Estland - Badesee bei Otepää

Badesee bei Otepää

Vor zwei Tagen war die Baltic-Skate-Explorer-Tour des kleinen norddeutschen Reiseveranstalters KeyMove in der estnischen Hauptstadt Tallinn gestartet. Nach einer kurzen Einweisung führte Tourleiter Helge seine rollenden Gäste über die fast drei Kilometer lange, glatte  Strandpromenade auf olympischen Spuren ins Seebad Pirita. Hinter dem weiten Sandstrand breitet sich jenseits der glitzernden Ostseebucht die Skyline von Tallinn aus: Neue, gläserne Hochhäuser umrahmen die Silhouette der mittelalterlichen Altstadt mit ihren Türmen und Türmchen.

Estland - Blick über den Strand  auf die Skyline von Tallinn

Blick über den Strand auf die Skyline von Tallinn

Von den sowjetischen Olympiastätten in Pirita bröckelt der Beton. 1980 kämpften hier die Segler um Medaillen. Die Tour geht - über angenehm neu geteerte Wege - durch Plattenbauvororte aus Sowjetzeiten zurück in die von der UNESCO zum Weltkulturerbe erhobene Altstadt. Tapfer kämpfen sich die Skater dort – oft mit den Händen an den Häuserwänden - über holprige Gehwege und katzenkopfgroße Pflastersteine durch den Feierabendverkehr.

Estland - Tallinn - mittelalterliches Rathaus in der Abenddämmerung

Mittelalterliches Rathaus in Tallinn in der Abenddämmerung

Auf dem Markt in Valga, der kleinen, zwischen Estland und Lettland geteilten Grenzstadt, verkaufen alte Leute die Früchte ihrer Gärten direkt aus dem Autokofferraum. Nur ein blaues Schild mit der Aufschrift „Latvija“ im europäischen Sternenkreis lässt die Reisenden wissen, dass sie sich nun in Lettland befinden. Gut 100 Bus-Kilometer sind es noch in die Hauptstadt Riga, wo die Stadtführerin wartet. In perfektem Deutsch erzählt sie vom Bremer Bischof Albert, der die Stadt gründete, um den Balten das Christentum beizubringen. Mit ihm begann die Herrschaft deutscher Rittergutsbesitzer über die Bauernvölker in Livland, Kurland und den anderen baltischen Provinzen. Viele deutsche Inschriften an spätmittelalterlichen Fassaden erinnern an die deutsche Herrschaft.

Lettland - Riga - Schwarzhäupterhaus am Domplatz, links der Dom St. Petri

Schwarzhäupterhaus am Rathausplatz, links die St. Petri Kirche im lettischen Riga

Mitten in der makellos restaurierten Altstadt zeigt sie alte Klosterhöfe, die pastellgelben ehemaligen Kasernen der Schweden und den mächtigen Dom aus deutscher Zeit, zu dessen Füssen die Daugava fast kilometerbreit zur Ostsee fließt. Von See her weht ein kühler, leicht salziger Wind über die vierspurige Drahtseilbrücke. Die Skater machen sich über den abgetrennten Fuß- und Radweg auf den Weg ans südliche Flussufer ins Seebad Jurmala.

Lettland - Inlineskater in Riga  auf der Vansu Tits (Brücke) über die Daugava

Inlineskater in Riga auf der Vansu Tits (Brücke) über die Daugava

Über bröckelige und holprige Vorstadtgassen geht es, vorbei an grauen, sowjetischen Industrieruinen und Datschen, der Ostsee entgegen. Nach einigen anstrengenden Kilometern beginnt der glatt geteerte Radweg. Gleichmäßig zischen die Plastikräder im Waldschatten über den Asphalt nach Jurmala. Dort flanieren Scharen von russischen Sommerfrischlern zwischen den meist nagelneuen oder frisch renovierten Restaurants, Cafés und Andenkenläden.  Der feine Sandstrand jenseits der Dünen reicht bis zum Horizont. Kitesurfer rasen an ihren bunten Drachen hängend über die weißen Schaumkronen der aufgewühlten blaugrauen See.

Lettland - am Strand von Jurmala

Am Strand von Jurmala

In der Hauptstadt lockt der große Stadtpark zu einer Abendtour. Nach der Einkehr am Schaschlikstand, wo man sich das rohe Gemüse und die armlangen Fleischspieße an der Theke holt, sausen die Skater strahlend wie glückliche Kinder über die frisch geteerten Wege des Parks. Michael, der schnellste Skater der Gruppe, kann gar nicht genug bekommen vom Black Ice, den glatten Wegen durch den Park. Er fährt noch eine Ehrenrunde, während sich die anderen auf den Heimweg zum Hotel machen.

Lettland - Skates

 

Infos:
KeyMove Travel GmbH
Fischers Privatweg 3
24558 Henstedt-Ulzburg
Tel. 04193-7529108
www.keymove.net

 

Website des Autors: https://ecomedia.info

 

Reisemagazin schwarzaufweiss

 

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