REIHE UNTERWEGS

Korsika in einem Zug

Eine kulinarische Bahnreise über die „Insel der Schönheit“

Text: Dagmar Krappe
Fotos: Axel Baumann

Mit quietschenden Bremsen kommt das silberfarbene Cabrio auf dem Grünstreifen entlang der Nationalstraße 193 zum Stehen. „Kommt dort ein Zug?“, ruft der Festland-Franzose den Trainspottern zu, deren Zeigefinger nervös darauf warten, den Auslöser an der Kamera zu betätigen. „In drei Minuten“, antwortet einer der beiden ein wenig unwirsch, da er ausgerechnet jetzt vom Objekt der Begierde abgelenkt wird. Der Festland-Franzose greift zum Smartphone und positioniert sich ebenfalls am Rande der alten Bogenbrücke bei Venaco. Schon rast er heran, der „Trinighellu“, der die Hauptstadt Ajaccio im Westen Korsikas mit der Hafenstadt Bastia im Nordosten verbindet. „Das ist ja gar kein alter Zug“, murmelt der Festland-Franzose enttäuscht. Steigt kopfschüttelnd ins Auto und braust davon: „Die spinnen, die Deutschen.“ Obelix würde ihm Recht geben.

Korsika - Neuer Zug auf alter Brücke bei Venaco

Neuer Zug auf alter Brücke bei Venaco

„U Trinighellu, der Zitternde, ist längst Geschichte“, erklärt Mechaniker Antoine Vitali später im Ausbesserungswerk in Casamozza, 20 Kilometer südlich von Bastia: „Die zwölf neuen grauweißen Dieseltriebwagen mit roten Türen und getönten Panoramascheiben, die seit 2009 im Einsatz sind, sind wie ein TGV auf schmaler Spur, da zittert nichts mehr. Am Anfang gab es Probleme in engen Kurven, aber mittlerweile sind wir sehr zufrieden.“ Die korsische Eisenbahn stand schon mehrmals vor dem Aus. 1894 war das heutige Netz fertiggestellt. Bis zum Zweiten Weltkrieg tuckerte der Zug auch von Bastia nach Porto-Vecchio. Doch 1943 ging ein deutscher Bombenhagel auf die Schienen nieder, woraufhin die Strecke entlang der Ostküste aufgegeben wurde. Irgendwann waren Schienennetz und Rollmaterial komplettveraltet. Nur der starke Protest der Korsen konnte die Verantwortlichen in Paris dazu bewegen, den Zug im Département im Mittelmeer nicht einzustellen. Vor zehn Jahren begann man schließlich damit, kontinuierlich Gleise und Waggons zu erneuern.

Korsika - In der Brauerei Pietra wird Bier mit Kastanienmehlzusatz hergestellt

In der Brauerei Pietra wird Bier mit Kastanienmehlzusatz hergestellt

Von Bastia fährt die „Chemins de Fer de la Corse“ mehrmals am Tag knapp 160 Kilometer über Corte nach Ajaccio, Napoleon Bonapartes Geburtsort. Dafür benötigt die Bahn dreieinhalb Stunden. Hinter Bastia zuckelt sie zunächst am Meer entlang und durchs Industriegebiet, wo echtes korsisches Bier gebraut wird. „Die Idee kam unserem Chef, Dominique Sialelli, vor über 20 Jahren nach einem Konzertbesuch in Corte“, berichtet Stéphanie Muzy, Marketing Assistentin in der Brauerei Pietra (1). „Er wollte seinen Durst mit einem korsischen Bier löschen, aber es gab keines.“ Dominique Sialelli hängte seinen Manager-Job bei France Telecom in Paris an den Nagel, kehrte auf seine Heimatinsel zurück und wurde Bierbrauer in Furiani bei Bastia. Heute hat seine Fabrik 45 Mitarbeiter. Damit das Bier auch echt korsisch schmeckt, enthält es neben Wasser, Malz, Hopfen und Hefe auch Kastanienmehl oder Maquis. Ein Aroma, das aus Korsikas Macchia gewonnen wird, dem typisch dornigen Gebüsch aus verschiedenen wilden Sträuchern wie Heidekraut, Ginster, Rosmarin, Lavendel, Myrte, Farnen und Zistrosen. „Unsere verschiedenen untergärigen Biere gibt es auf der Insel in Restaurants und Supermärkten“, informiert Stéphanie: „Aber wir exportieren auch. Vornehmlich nach Amerika, Großbritannien, Italien und Japan. Dort sind sie in Spezialgeschäften erhältlich.“

Korsika - Zugausblick zwischen Corte und Vizzavona

Zugausblick zwischen Corte und Vizzavona

Ab Ponte Leccia schnurrt die Bahn mal neben der Nationalstraße 193, mal entlang steilerer Hänge. In Corte treffen sich der nord- und der südgehende Zug. Entsprechend voll ist der Bahnhof mit Wanderern und Rucksacktouristen. Viele von ihnen fahren bis zum höchsten Punkt in Vizzavona (2). Hier kreuzt der 170 Kilometer lange GR 20, der Grande Randonnée, Korsikas Königswanderweg, der viele Zweitausender streift. Nichts für Spaziergänger, sondern nur für Wanderprofis. Hinter Corte wird die Landschaft langsam steiler. Im Zug wird es schaukeliger, da er sich zwischen engen Felswänden hinaufarbeitet.

Korsika - Ponte du Vecchio bei Vivario

"Ponte du Vecchio" bei Vivario

Den spektakulärsten Ausblick ins Flusstal des Vecchio bietet die von Gustave Eiffel errichtete 94 Meter hohe „Ponte Vecchio“ kurz vor Vivario. Insgesamt ist das korsische Schienennetz 230 Kilometer lang. Umfasst 59 Brücken und Viadukte und 57 Tunnel. Der längste misst vier Kilometer und folgt hinter Vizzavona. Dort bezwingt die Bahn den gleichnamigen Pass in über 1.000 Metern Höhe.

Korsika - Corte- Jean Marie Chionga in seinem Feinkostladen

Jean Marie Chionga in seinem Feinkostladen

Die meisten Einheimischen, die in Corte zugestiegen sind, tragen schwere Einkaufstüten. Vielleicht haben sie Jean-Marie Chionga in der Rue Vieux Marché Nummer 9 (3) einen Besuch abgestattet. Unweit des „Place Paoli“, wo General Pascal Paoli ein Denkmal gesetzt wurde. Er regierte die Insel während ihrer kurzen Unabhängigkeit von 1755 bis 1769 und führte demokratische Rechte ein. Zwar ist Napoleon der bekannteste Korse, für die meisten Insulaner aber blieb Paoli der bedeutendere. „Ich führe das älteste Geschäft Europas“, erzählt Jean-Marie stolz während der 61-Jährige ein paar Gramm Brocciu (Ziegenmilchfrischkäse) für eine Kundin abwiegt. „Seit 1800 gibt es den Laden“. Eine Fundgrube für korsische Produkte. Die Regale sind vollgepfropft mit Wein, Likör, Bier, Olivenöl, Kastanienhonig, Marmeladen, Nougat. Von der Decke hängen Paprika, Knoblauch und Wurstwaren von halbwilden Schweinen wie Lonzu (geräuchertes Filet) Coppa (gepökelter Rollschinken), Figatellu (Leberwurst) und Prisuttu (Räucherschinken).

Korsika - Alain Ceccaldi in seiner Schlachterei in Pietralba

Alain Ceccaldi in seiner Schlachterei in Pietralba

Wurstwaren dieser Art produziert Alain Ceccaldi in seiner Charcuterie in Pietralba (4). Dorthin gelangt man zweimal am Tag mit dem neuen „Trinighellu“ auf einer weiteren Trasse der korsischen Bahn, die von Ponte Leccia über Ile Rousse bis Calvi in der Balagne führt. Hoch in den Bergen hält Alain 300 Hausschweine, die zum Fressen in den Wald laufen. Sich von Kastanien und Sträuchern der duftenden Macchia ernähren. Deshalb schmecke das Fleisch wesentlich würziger als beim normalen Hausschwein. Zirka zehn Tiere pro Woche schlachte er von November bis April, sagt Alain. Auch zum Räuchern seiner Produkte verwende er Kastanienbaumholz, was den würzigen Geschmack noch einmal intensiviere.

 

Olivenöl aus der BalagneKorsika - Olivenöl aus der Balagne

Weine und Olivenöle bezieht Jean-Marie Chionga für sein Geschäft in Corte aus der Balagne, dem Garten Korsikas, im Norden der Insel. Hier - zwischen den Küstenstädtchen Calvi und Ile Rousse - zuckelt noch ein alter blauweißer Triebwagen, die „Tramway de la Balagne“, direkt am Meer entlang, um Touristen zwischen den Stränden und Badeorten hin und her zu transportieren.

Korsika - Calvi - Zitadelle aus dem 15. Jahrhundert

Zitadelle aus dem 15. Jahrhundert in Calvi

Überragt wird Calvi mit seinem fünf Kilometer langen feinsandigen Strand von der genuesischen Zitadelle aus dem 15. Jahrhundert. Die Promenade ist mit Cafés und Restaurants gespickt. Im Hafenbecken dümpeln millionenschwere Luxusyachten. Das kurvenreiche Hinterland ist von Olivenbäumen und Weinreben geprägt. Zwölf Weinbauern gibt es im Raum Calvi. Versteckt im Vallée du Reginu liegt das Weingut „Domaine Maestracci“ (5). Camille-Anais Raoust führt es in fünfter Generation. Die 30-Jährige studierte Landwirtschaft und Marketing in Toulouse und Önologie in Montpellier. „Das Hauptgebäude ist eine ehemalige Ölmühle“, erzählt sie: „Aber längst ernten wir Oliven nur noch für den familiären Gebrauch.“ 1893 wurde das Weingut gegründet, das heute 30 Hektar umfasst, von deren Trauben Camille-Anais feinste Rot-, Rosé- und Weißweine komponiert.

Korsika - Weingut Domaine Maestracci

Auf dem Weingut Domaine Maestracci

Nach dem Zweiten Weltkrieg lag die Olivenölproduktion auf Korsika lange Zeit brach. Die Bäume wurden nicht mehr gepflegt. Am Ortseingang von Lunghignano (6) steht seit 1850 eine Ölmühle. Auch sie wurde viele Jahre nicht mehr bewirtschaftet. Erst seit 1995 ist sie wieder in Betrieb. Frédérique D’Oriano ist die Besitzerin: „Mein Vater stammt aus diesem kleinen Bergdorf. Er wanderte irgendwann aufs französische Festland aus, um besser bezahlte Arbeit zu finden. Ich wurde in der Nähe von Marseille geboren. Die Ferien habe ich aber fast jeden Sommer mit meinen Eltern in Lunghignano verbracht.“ Schon damals war Frédérique von der Mühle fasziniert. Schließlich kehrte sie mit ihrem Mann Nicolas, der in der Baubranche tätig ist, auf die Insel ihrer Vorfahren zurück und erwarb Anfang der 1990er Jahre die Mühle in Erbpacht.

Selbst besitzt Familie D’Oriano nur 20 Bäume. „Es gibt inzwischen wieder genügend Nachbarn, die mich mit den Früchten beliefern können“, so Frédérique. In ihrem Mühlenshop bietet sie von April bis Oktober neben diversen Speiseölen auch Seifen, Duschgel und andere Hautpflegeprodukte auf Olivenölbasis an. Selbstgemachte Marmeladen und Kekse gehören ebenfalls zur Produktpalette der Hobby-Köchin. Nur alle zwei Jahre tragen die knorrigen Bäume Früchte. Dann hat Esel Kixi seinen großen Auftritt, der ansonsten auf einer Wiese neben der Mühle auf Streicheleinheiten von Besuchern wartet. Zur Erntezeit trottet er einige Stunden am Tag im Kreis, damit sich die Mahlsteine in Bewegung setzen können, um die Oliven zu einem Brei zu zerreiben, aus dem Frédérique das „korsische Gold“ gewinnt.

Korsika - Frédérique D’Oriano mit Esel Kixi

Frédérique D’Oriano mit Esel Kixi

Punkt 20 Uhr trifft der letzte neue Zug aus Ponte Leccia mit Rucksacktouristen in Calvi ein. Bremsen quietschen. Lautes Stimmengewirr schallt über den Bahnsteig. Lokführer Pierre schaltet die Scheinwerfer aus. Und schon ist nur noch das sanfte Plätschern des Mittelmeeres zu hören

 

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