Zwischen Eisbergen und Schlittenhunden

Mit dem Expeditionsschiff entlang der Westküste Grönlands

Text und Fotos: Uwe Lexow

„Wo wollen Sie hin?“ fragt die Dame am Check-In und macht ein Gesicht, als ob wir ein One-Way-Ticket zum Mond auf den Tresen gelegt hätten. „Kangerlussuaq? Nie gehört. Wo soll das liegen?“ Aber nachdem der Computer die Destination SFJ akzeptiert hat, steht unserer Abreise über Kopenhagen nach Grönland nichts mehr im Wege. Mit einem Expeditionsschiff wollen wir die Küste entlang bis zur Disko-Bucht und nach Ilulissat.

Grönland Eisberg

Es ist taghell, als wir gegen 21 Uhr auf dem Flughafen von Kangerlussuak landen. Es ist Mitte Juli, die Mitternachtssonne scheint und taucht das 320-Seelen-Örtchen in ein goldenes Licht. Fast neunzig Prozent aller Grönlandbesucher kommen hier an. Kangerlussuaq, sechzig Kilometer nördlich des Polarkreises gelegen, ist das Drehkreuz für innergrönländische Flüge. Der Name Kangerlussuak bedeutet „Langer Fjord“. Ein Bus bringt uns zum Hafen. Erst ist die Strasse asphaltiert, dann wird sie zur Schotterpiste. Das Thermometer zeigt sechs Grad, immerhin ist es trocken.

Ein Städtchen aus Lego-Häusern

Grönland lego Häuser

Erbaut wie eine Lego-Siedlung

Unser Expeditionsschiff, die MS Brand Polaris, liegt draußen in der Bucht. Passagiere und Gepäck müssen mit Spezialschlauchbooten, sogenannten Zodiacs, an Bord gebracht werden. Zwei Stunden später sind alle Passagiere an Bord und auf die zweckmäßig eingerichteten Kabinen verteilt. Die Kleiderordnung ist zwanglos. Die Brand Polaris ist kein Luxus-Kreuzfahrtschiff, Abendgarderobe wird nicht erwartet. Dafür haben die Passagiere 24 Stunden am Tag die Möglichkeit, mit auf der Brücke zu stehen.

Grönland Sisimiut Zentrum

Das Zentrum von Sisimiut

Die MS Brand Polaris nimmt Kurs auf Sisimiut, Grönlands zweitgrößte Stadt, die wir am nächsten Mittag erreichen. Der Sisimiut-Distrik hat eine Ausdehnung von 14.000 qkm. Nur 5.200 Menschen leben hier, davon 5.000 in der 1756 unter dem Namen „Holsteinborg“ gegründeten Distrikt-Hauptstadt. Was die Größenvorstellung von „Städten“ angeht, werden wir umdenken müssen. Immerhin: Sisimiut verfügt über ein Krankenhaus, alle Schulen, einen Fußballplatz, einen Skilift sowie einen lokalen Rundfunk- und Fernsehsender mit eigenem Aufnahmestudio. Die Einwohner leben hauptsächlich vom Fischfang und der Fischverarbeitung, insbesondere werden Shrimps gefangen und industriell verarbeitet, aber auch Heilbutt und Lachs.

Der Nebel lichtet sich, und die Sonne kommt durch, die das Städtchen von der Wasserseite her recht hübsch erscheinen lässt. Auf einem Hügel stehen ein paar bunte Wohnblocks, die aussehen wie Lego-Häuschen, wobei man fairer Weise sagen muss, dass diese Lego-Blocks von weitem wesentlich fröhlicher aussehen als vergleichbare Wohnsiedlungen bei uns in Mitteleuropa. Wir gehen vorbei an der ältesten Werft Grönlands zunächst in die Stadt zu den historischen Speicherhäusern und zur blauen Berthel-Kirche aus dem Jahr 1775. Sie ist die älteste Holzkirche Grönlands. Das Tor aus Walkiefern ist etwas für Fotografen, ähnlich wie der gesamte unter Denkmalschutz stehende kleine alte Stadtkern, sofern man die Bauwerksansammlung so nennen will.

Nördlich des Hunde-Äquators

Mindestens genauso interessant wie die Bauwerke: die Schlittenhunde, die hier überall das Stadtbild prägen. Schlittenhunde sind in Grönland ein Kapitel für sich: Rund 30.000 leben hier. Sie sehen nicht nur aus wie Wölfe, sie stammen direkt von ihm ab.

Grönland Schlittenhundebabies

Jeder fängt mal klein an

Nur nördlich des Polarkreises, dem „Hunde-Äquator“, dürfen sie gehalten werden, und nach unseren Maßstäben fristen sie ein trauriges Dasein, denn die Grönländer haben eine sehr unsentimentale Art, mit den Hunden umzugehen. Im Sommer sind die Hunde überall angeleint. Dann bekommen sie, da sie nur wenig Bewegung haben, meist nur ein- bis zweimal pro Woche zu fressen, und müssen während der Wintermonate hart für ihr Futter arbeiten. Die Lebenserwartung der Schlittenhunde ist begrenzt: Meist werden sie nicht älter als 10 Jahre. Überall in der Stadt sitzen die Hunde angeleint auf den Hügeln, und beobachten, was an einem sonst langweilen Sommertag so passiert. Kaum, dass einer der Hunde zu heulen anfängt, beginnt die ganze Meute zu jaulen. Das Geheul dringt durch die ganze Stadt, ja selbst außerhalb des Ortskerns auf den umliegenden Hügeln macht ein unglaubliches Gejaule die Runde.

Grönland Haus

Er darf nur gucken - nicht fressen

Die Sonne hat den Nebel vertrieben, als wir weiter durch die Stadt gehen. Vor der Kulisse der Lego-Häuser befindet sich ein Farbtupfer, der von einem weißen Zaun umgeben ist. Beim Näherkommen wird uns klar, dass es sich hier um den Friedhof handelt, auf dessen Gräbern ein Meer von Plastikblumen „wächst“. Klar, diese Dauerdekoration hält wenigstens. Das, was man zu grönländischen Friedhöfen wissen muss, klingt zunächst etwas makaber: Im Herbst gehen die Bestatter in die Altenheime und erkundigen sich, wer denn wohl den Winter überlebt. Für die, die es wohl nicht schaffen, werden vorsorglich schon Gräber ausgehoben – ansonsten müsste man die Gräber im Winter bei Temperaturen bis minus 35 Grad in den hart gefrorenen Boden sprengen.

Robben auf dem Speisezettel

Wir kommen zum nächsten „Farbtupfer“, dem Fischmarkt. Neben Lachs und Saibling wird auch fast schwarz aussehendes Robbenfleisch verkauft. Uns tun natürlich die possierlichen Robben leid, aber sie gehören auf Grönland nun einmal zum festen Bestandteil des Speisezettels, da hilft auch jede Sentimentalität nichts. Wir empfinden die Temperaturen als angenehm, - für die Grönländer müssen sie fast tropisch sein: Beinahe zwanzig Grad zeigt das Thermometer am Supermarkt. Die Luft ist trocken, die dicken Jacken brauchen wir heute eigentlich nicht. Kein Wunder, dass Sisimiut Waschtag hat. Überall hängt Wäsche zum Trocknen auf der Leine, das satte Grün der Wiesen wird von den weißen Wollgrasköpfchen unterbrochen, überall liegen Schlittenhunde faul in der Sonne oder lecken sich bei dem Geruch von Haifisch, der an Holzgestellen trocknet und vor sich hin stinkt, genüsslich die Schnauze.

Grönland Trockengestell

Auf Holzgestellen wird das Haifischfleisch getrocknet

Eisberge! Durch unser Bullauge kann man Eisberge sehen! Es ist 6 Uhr früh, und wir sind putzmunter. Tatsächlich: Eisberge, - zum Greifen nahe. Also unter die Dusche, die Kamera gezückt und raus an Deck. Die Luft ist klar, und es ist frisch an Deck. Das Thermometer zeigt fünf Grad. Wir sind in der Bucht von Qeqertarsuaq im Süden der Disko-Insel. Die MS Brand Polaris wirft rasselnd den Anker, der Himmel ist wolkenverhangen, aber was für eine Stimmung!

Grönland Eisberge

Ein erster Kontakt mit den Eisbergen

Nach dem Frühstück geht es mit den Zodiacs an Land. Es ist eine „trockene Landung“, d.h. die Schlauchboote können an einem Landungssteg festmachen, so dass wir uns beim Aussteigen keine nassen Füße holen. Durch einen Torbogen aus Finnwalkieferknochen führt uns ein schmaler Pfad in den 1773 gegründeten Ort. Der Ort heißt genauso wie die Insel, auf der wir uns befinden: Disko, in der Sprache der Inuit: „Qeqertarsuaq“, das bedeutet „Große Insel“. 1.100 Einwohner leben hier rund 500 Kilometer nördlich des Polarkreises; bis in die 50-ziger Jahre war das Städtchen Walfängerzentrum und die Hauptstadt Nordgrönlands. Basaltgestein beherrscht das Landschaftsbild.

Die Sonne kommt durch, und sofort ist das Örtchen „charming“: Bunte Holzhäuschen – teilweise mehr als 200 Jahre alt - eingebettet zwischen tausend Meter hohen Tafelbergen, ein kleiner Hafen, ein kleiner Friedhof mit bunten Plastikblumen und auf der anderen Seite das Meer mit den Eisbergen, die hier in der Bucht auf Grund gelaufen sind: So stellt man sich Grönland vor – Qeqertarsuaq vereint das alles

 

Reisemagazin schwarzaufweiss

 

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