Der Elefantengott von Rajasthan

Mit göttlicher Begleitung durch den Norden Indiens

Text: Elke Sturmhoebel
Fotos: Sturmhoebel & Dirk Renckhoff

Indien Rajasthan Schlangenbeschwörer

Kurzsichtigkeit macht offenbar auch vor Göttern nicht Halt. Wie sonst käme Shiva dazu, seinen Sohn Ganesha für den Liebhaber seiner Frau Parvati zu halten und ihm kurzerhand den Kopf abzuschlagen. Shiva musste seiner erzürnten Göttergattin nach dem dramatischen Vorfall versprechen, den Kopf ihres Lieblingssohnes mit dem Haupt des Lebewesens zu ersetzen, das ihm als erstes über den Weg laufen würde.

Indien Rajasthan ElefantenDer dickbäuchige Ganesha mit dem Elefantenkopf ist seither der Lieblingsgott der Hindus. Steht er doch in dem Ruf, wie ein Dickhäuter im Dschungel Hindernisse jeglicher Art aus dem Weg zu räumen. Bei größeren Vorhaben wird er daher angerufen, zum Beispiel bei Hochzeiten, Reisen, Geschäftsabschlüssen oder Prüfungen. Wer durch Nordindien reist, begegnet dem Elefantengott auf Schritt und Tritt. Er prangt als Aufkleber an Windschutzscheiben von Taxis und ziert als Glücksbringer das Armaturenbrett von Bussen. Er schmückt Eingänge und Hausschreine, Tempel und Paläste. Als kleine Bronzefigur kann man ihn in Souvenirläden kaufen.

Auf der Festung Amber (Foto rechts) führt der Weg durch das prächtige Ganesha-Tor zum inneren Palastbereich. Das aufwändig mit Mosaiken, Fresken, Skulpturen, Steingittern und einem Bild des Elefantengottes dekorierte Tor zählt zu den schönsten Palasteingängen Indiens überhaupt. Zum über fünfhundert Jahre alten Fort, das imposant und wehrhaft auf dem Gipfel einer Bergkette thront, gelangt man ganz leicht und standesgemäß auf dem Rücken eines geschmückten Elefanten. Durch das filigrane Gitterwerk der Fenster bietet sich ein phantastischer Blick auf die umliegende Felslandschaft und auf die Elefantenkarawane, die die Serpentinen hinauftrottet.

Die größten Silberkrüge der Welt

Sechs Jahrhunderte lang war Amber die Metropole des Rajputenreiches. Um 1730 wurde sie von Jaipur abgelöst. Die jetzige Hauptstadt Rajasthans, Haupthandelsplatz für Smaragde und Riesenklunker, präsentiert sich in rosarot. Auch der siebenstöckige Stadtpalast des Maharajas, der von Palastwächtern in weißen Anzügen, roten Turbanen und gezwirbelten Schnurrbärten beaufsichtigt wird, wurde aus rötlichem Sandstein und weißem Marmor gebaut.

Indien Rajasthan Ganeshator

Das prächtige Ganesha-Tor in Amber

Der größte Teil ist Museum. An den zwei riesigen Silberkrügen in der Halle der privaten Audienzen lässt sich der unermessliche Reichtum ablesen, über den die indischen Herrscher einst verfügten. Die 300 Kilo schweren Behälter, die größten silbernen Gefäße der Welt, wurden für den Maharaja Man Singh II. hergestellt, um Gangeswasser für die rituelle Reinigung mitnehmen zu können, als er nach England zur Krönung Edward VII. reiste.

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Der Palast der Winde in Jaipur

Indien Rajasthan SchlangeDer berühmte Palast der Winde wurde 1799 für die Frauen der Royal Family als Zeitvertreib errichtet. Sie sollten das Leben auf den Straßen ungesehen beobachten können. Dabei ist der „Hawa Mahal“ kein Palast, sondern nur rosarote Fassade, hinter der Treppen zu den fünf Stockwerken führen. Der Wind kann ungehindert durch die steinernen Fenstergitter schweifen. Die Haremsdamen hätten heutzutage viel zu gucken. Vor dem Palast spielt sich ein unglaublicher Verkehr ab. Schwer beladene Lastwagen konkurrieren mit alten Karren, die von hochmütig dreinschauenden Kamelen gezogen werden. Fahrradrikschas rollen neben knatternden Mopeds. Hinter tollkühnen Fahrern sitzen Frauen im Sari und Damensitz. Auf Hochglanz gewienerte bucklige Oldtimer der Marke Ambassador umkurven Zebukühe. Dass die Fahrzeuge, Menschen und Tiere sich nicht ineinander verknäueln, ist ein absolutes Rätsel.

Auf den Straßen Indiens gehorcht der Verkehr irgendwelchen geheimnisvollen Spielregeln. Vielleicht hält ja Ganesha schützend seinen Rüssel darüber. Oft sind die Straßen einspurig, und ausweichen muss derjenige mit den schlechteren Nerven. Die mit Fähnchen, Lametta und Götterfiguren verzierten Lastwagen fordern den Hintermann zum Hupen auf. „Horn please“ heißt es unübersehbar am Heck der Brummis. Die Fahrer sind lange unterwegs, oft übermüdet und dankbar, wenn sie hin und wieder mal aufgeschreckt werden.

Opium für die Schlacht

Indien Rajasthan Frau mit KrugDie über tausend Meter hohe Gebirgskette der Arawallis, die sich durch Rajasthan zieht und Marmor, Zinn und Edelsteine in sich birgt, geht im Westen in die Wüste Thar über. Der gebirgige Osten ist fruchtbar. Wenn der Monsun ab Mitte Juli genug Regen bringt, werden das ganze Jahr über Hirse und Senf angebaut, auch Schlafmohn für die Pharmaindustrie. Früher nahmen die Krieger der Rajputen Opium mit in die Schlacht, um ihre Wunden zu betäuben, heißt es. Mancherorts soll es noch Sitte sein, dass der Gastgeber seine Gäste mit einem Opiumgetränk aus der hohlen Hand begrüßt.

Rajasthan, das „Land der Könige“ im Nordwesten Indiens, beschert dem Tourismus ein traumhaft schönes Erbe. Im Gegensatz zu anderen Teilen Indiens wurden die märchenhaften Monumente der Vergangenheit bewahrt. Die trutzigen Festungen und Burgen symbolisieren den Stolz der Rajputen, die sich von den eindringenden muslimischen Mogul-Herrschern, die ab 1526 nach Nordindien kamen, nicht ohne weiteres unterwerfen ließen. Die prächtigen Paläste zeugen von dem aufwändigen Lebensstil der Maharajas in alten Zeiten.

Die Maharajas, die über keine Macht und Steuereinnahmen mehr verfügen, müssen sich nun anderen Dingen zuwenden. Wenige sind in die Politik gegangen, andere in die Hotellerie eingestiegen. Der Maharana von Udaipur, Arvind Singh Mewar - von seinen Landsleuten liebevoll „Shriji“ genannt - besitzt jede Menge Immobilien. Einen Teil seines großen Stadtpalastes wandelte er zur Luxusherberge um, ein anderer Teil ist Museum. Der weiße Palast auf der Insel im Pichola-See wurde vollständig zum Lake Palace Hotel umfunktioniert. Einst diente das Anwesen der Fürstenfamilie als luftigen Sommersitz.

Indien Rajasthan Palast am See

Prächtige Paläste, wohin man schaut

Das pralle indische Leben

Indien Rajasthan UdaipurDas 500.000 Einwohner zählende Udaipur schmiegt sich 600 Meter hoch an die Hänge der Arawalli-Berge. Mit den beiden Seen und den Hügeln ringsum, dem verspielten Stadtpalast mit seinen Erkern, Pavillons, Innenhöfen, Spiegelarbeiten und bunten Miniaturmalereien ist Udaipur voller Harmonie und Romantik. Auf dem Basar hingegen taucht man in das pralle indische Alltagsleben ein. Ein Straßenhändler hat eine transportable Teeküche aufgebaut. Ein Bauer mit einem Karren voller frisch geernteter Mangos wartet auf Kundschaft. Der Duft in Öl gebratener Samosas, würzige Teigtaschen, mischt sich mit den Dieselabgasen der Motorrikschas. Friseure, Schneider und Schuster gehen ihrem Handwerk nach. Da gibt es Läden, die Batikstoffe, Marionetten, Holzspielzeug und fertige Gebisse verkaufen. Eine Apotheke hat sich auf ayurvedische Medizin spezialisiert. An einem Brunnen stehen Leute Schlange.

Vor dem Jagdish-Tempel sitzt ein Wasserverkäufer. Der Weg zum hinduistischen Heiligtum(Foto oben rechts) führt über eine steile Treppe und macht durstig. Der üppig verzierte Tempel wurde 1651 dem Gott Vishnu geweiht. Doch der freundliche Elefantengott Ganesha, den man um eine gute Weiterreise bitten kann, wohnt auch darin.

 

Reisemagazin schwarzaufweiss

 

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