Erfahrungen mit dem sardischen Stolz

Eine Fahrrad-Tour durch Sardinien

Text und Fotos: Judith Weibrecht

Italien Sardinien Buxerró

„Ajó?“, grinst der durchtrainierte Mountainbikeguide. „Eja!“, rufen ihm die sardischen Jungs entgegen und werfen sich den Hang hinab durch die wilde Landschaft. Freimütig gebe ich zu: Ich fuhr mit angezogener Hinterradbremse etwas verzagt hinterher, und ging es steil bergauf, so benutzte ich den leichtesten Gang. Steil, das kann man auf Sardinien oft erleben! Ajó bedeutet übrigens los geht’s, und eja so etwas wie okay. Die Auswahl an Touren auf der zweitgrößten Mittelmeerinsel ist groß, und so ist für jeden etwas dabei: Mountainbiker, Rennradfahrer, Radwanderer. Alle werden hier glücklich auf diesem wundervollen Eiland, das zwar größer ist als Hessen, aber nur 1,5 Millionen Einwohner zählt - und 3 Millionen Schafe. Wem Sie wohl vom Rad aus öfter begegnen werden?

Vom Hotel Antas in Fluminimaggiore aus, das mitten in einem schattigen Wald liegt, geht es zunächst auf einer Asphaltstraße steil hinauf und einmal oben auf Forstwegen zwischen Korkeichen, Steineichen, Mastixsträuchern und blühenden Zistrosen abwärts. Vorbei an still gelegten Blei- und Zinkminen, die wir natürlich auch erkunden: Taschenlampen raus aus dem Rucksack und rein! Eine gewisse Nähe zu Indiana Jones ist nicht von der Hand zu weisen! Ganz unten angekommen leuchtet die Cala Domestica, eine herrliche sonnenbeschienene Bucht am Meer zwischen hoch aufragenden Felsen.

Italien Sardinien Holperstraße

Auf dem Weg zur Cala Domestica

Nach einem stärkenden Picknick unter einem Schatten spenden Zeltdach, einem Bad in den kühlenden Wellen und einigen Kraxeleien zu einem spanischen Wachturm mit grandioser Aussicht auf Strand und See, geht es weiter über ein Felsplateau nach Buggerró auf einen Kaffäää in der Dorfbar „F.lli Orrú“ (das ä am Ende des caffè bitte lang ziehen!). Im benachbarten Ristorante findet eine Hochzeit statt, und man plärrt sich bei Karaoke zu italienischen Schnulzen die Seele aus dem Leib. Wir flüchten, natürlich wieder über eine saftige Steigung, Richtung Portixeddu.

Italien Sardinien Blick auf Portixeddu

Unter uns der Strand von Portixeddu

Der atemberaubende Ausblick auf Portixeddu und seinen kilometerlangen Strand mit weit ausrollenden Wellen, umgeben von der schroffen Bergwelt, erinnert an die Kapregion oder an Australien. Lange sehen wir hinab, saugen das Panorama in uns ein, bevor wir die letzten Kilometer in rasanter Abfahrt auf Asphalt unter die Räder nehmen.

Das Dorf der Hundertjährigen

Um Orroli gibt es Touren für echte Radwanderer, die man auch mit Kindern durchführen könnte. Orroli selbst ist schon etwas Besonderes, denn mehr als 40 der nur 2.700 Einwohner sind über hundert Jahre alt! Die ältesten Leute Europas, wie sie meinen, sind stolz auf ihr Alter. Überhaupt ist der sardische Stolz sprichwörtlich und erfährt gerade eine Renaissance. Balestía nennt sich das auf Sardisch, das nun auch wieder gepflegt und in Schulen unterrichtet wird. Schließlich ist es die Sprache, die dem Lateinischen immer noch am nächsten kommt.

Italien Sardinien unterwegs

Die Stimmung ist gut

Die stolzen Alten sprechen selbstredend diese Sprache. Medizinisch wurden sie sogar von einer amerikanischen Universität untersucht. Einige lerne ich kennen und frage sie danach, schließlich trifft man sie überall im Ort an. 22 sei er, behauptet der 86-Jährige und lacht sich kaputt. Also. Was ist das Geheimnis? Nun ja – das gute Klima, der formidable Wein, Cannonau z.B., ein starker Roter, oder Vermentino, der trockene Weißwein, und das gesunde Essen und natürlich, dass sie immer nur untereinander geheiratet haben. Wie bitte? Na, sie haben eben die guten Gene immer weiter vererbt, die einen so alt werden lassen. Schließlich waren auch die ersten Nuragher, die sardischen Ureinwohner, hier in der Gegend.

Italien Sardinien Nuraghe

Im Innern einer prähistorischen Festung

43 Nurgahen, prähistorische Festungen, gibt es in der Region um Orroli und nach einem Pläuschchen mit Agostino vom 500 Jahre alten Anwesen „Omu Axiu“ mit Museum und Hotel brechen wir auf. Das Museum, ein sardischer Hof, wo auch unsere Räder über Nacht an Fahrradhaken aufgehängt wurden, zeigt das Leben früherer Zeiten und seine Traditionen: Einrichtungsgegenstände, Gerätschaften und in der Küche Gotteshaar! Das sind Nudelplatten mit filigranem Muster, sardisch Filindeu genannt. Wer isst schon Gotteshaar? Die Sarden! Und überhaupt diese Nudelgerichte hier: Pasta Gnocchetti, Malloredons. Den Radfahrer labt’s, und Agostino gibt übrigens Kochkurse! Nun wundert auch nicht mehr, dass das dünne sardische Brot carta da musica heißt (Notenblatt), oder?

Geheimnisvolle Türme

Auf der Tour um Orroli mit unserem Guide Marcello von Anfibia kommen wir zunächst über Feldwege, vorbei an Olivenbäumen, Schafen (!), Kühen und auch Hunden, die uns fleißig verbellen, zum einsam gelegenen Lago del Flumendosa. Einsam ist er wirklich, und das soll auch so bleiben. Keine Bauten sind neben dieser versteckten Herrlichkeit geplant. Die nächste Attraktion ist der Nuraghe arrubiu, ein Komplex mit fünf Türmen. Sein Name rührt von dem rötlichen Basaltstein her, aus dem er errichtet wurde. Dies ist der größte Nuraghe der ganzen Insel. 8000 gibt es davon auf Sardinien, jedoch sind nur vierzig vollständig ausgegraben.

Italien Sardinien Lago

Der Lago del Flumendosa mit Licht ...

Keramik wurde hier beim Nuraghe arrubiu gefunden, Steinarbeiten, aber keine Waffen, obwohl die einzigartigen vor über 3000 Jahren entstandenen Nuraghen doch der Theorie nach zur Verteidigung gebaut worden waren. Genaues weiß man nicht, vieles bleibt mysteriös und im Dunkeln und dies macht wohl bis heute deren Faszination aus.

Italien Sardinien Lago del Flumendosa

... und Schatten

Selbst die sardische Flagge, die von schwarzen Köpfen mit weißem Band geziert wird, ist mysteriösen Ursprungs. Über die Fahne wird im Moment auch heftig debattiert. Geheimnisvolles, magisches Sardinien! Indiana Jones?

Italien Sardinien Flagge

Die sardische Flagge

In Barumini wartet schon der nächste sagenumwobene Nuraghe auf uns: der Nuraghe Su Nuraxi, der ganze zehn Hektar Fläche inklusive eines Dorfs belegt.

Likör und Geisterdörfer

Szenenwechsel: Die Isola S. Antioco im Südwesten wirkt fast bäuerlich mit ihren Kartoffelfeldern, dem Weinanbau, den Eukalyptusbäumen. Die Opuntien blühen. Hasen rennen Haken schlagend durchs Gras, ein einsamer Signore fischt am Meer, die Angeln fest in den Sand gedrückt. Eine leichte Seebrise weht herüber. Vielleicht ist es aber auch der Mistral, der einen verrückt machen kann, jawohl Signora, aber er reinigt die Luft, und darum ist er gut! Nun, im Hotel fand ich sogar einen Fön namens Mistral. Er funktionierte selbstverständlich einwandfrei und machte seinem Namen alle Ehre.

Italien Sardinien Opuntien

Gelbe Pracht: blühende Opuntien

Dieses ruhige Inselchen ist wie geschaffen für Radwanderer und Ruhesuchende. Grün, braun und blau natürlich leuchtet alles in der Abendsonne. Und was für ein azzurro! Könnte man sich nicht einen Eimer Meerfarbe mitnehmen? Mehr davon, bitte! Also vielleicht zu den gigantischen Dünen von Piscinas an der Costa Verde? Oder auf die Halbinsel Sinis, die so flach ist, dass auch kleine Kinder hier radeln können. Rosarote Flamingos stelzen durch die Salzseen und für Feinschmecker unter den Radfahrern, auch die soll es ja geben: Quartieren Sie sich am besten gleich im Hotel La Baja ein! Der Deutsch sprechende Koch Adamo allerdings wird mit seiner sardischen Nouvelle Cuisine dafür sorgen, dass Sie gar nicht mehr aufs Rad mögen. Bottarga, die geräucherten Fischrogen, sollte man sowieso mindestens einmal probiert haben. Darauf den obligatorischen Mirto (Likör aus Myrtenbeeren). Salute!

Italien Sardinien Rio Piscinas

Beschaulich: der Rio Piscinas

Auf der Mountainbiketour um Iglesias mit seiner lebendigen Altstadt geht es zu wie im Western. „Ajó?!“. „Eja!“. Verlassene Silber-, Eisen und Bleiminen allüberall. Dazwischen Feldwege und viel zu entdecken: eine verlassene Bahnstation zum Transport der Mineralien, verblasste Inschriften, verlassene Geisterdörfer, eine Lore, das imposante Haus des ehemaligen Minenbesitzers hoch oben auf einem Hügel gelegen. So hatte er die Zwangsarbeiter immer gut im Blick. Trotz der erbarmungslos stechenden Sonne: Gänsehaut! Spätestens dann, als wir in ein tiefes Loch blicken: Piere Paolo, unser Tourenleiter von Etnostour, erklärt uns, dass darin Feuer geschürt wurde, um die Steine zu spalten. Dazu musste einer hinunterkrabbeln. Und manchmal kam er nicht mehr rechtzeitig heraus. Einige der Minen tragen denn auch Namen wie „Mine der Invaliden“ oder „Mine der Not“.

Kühe übernehmen den Weckdienst

Bei Laconi wachsen wilder Fenchel, wilde Artischocken, Eichen und bis zu 1000-jährige Olivenbäume neben den Feldwegen und ruhigen Landstraßen, auf denen ich mit Naomi von Skedaddle-Tours eine Ausfahrt unternehme. Am Kirchlein von S. Daniele erzählt sie mir von ihren Kindheitserinnerungen: Dass dort einmal pro Jahr Feuer gemacht wurde und zwar aus den Wurzeln des ältesten Baumes. Das tut man auch heute noch. Über dem Feuer werden Spanferkel gegrillt, die Kinder bekommen Torrone, der Wein fließt.

Italien Sardinien Essen

Sardische Gastlichkeit ...

Ländlich geht es hier zu, die Bauernhöfe sind weit versprengt. Einer davon, der Agriturismo Genna ´e Corte, wurde zur perfekten Herberge für Radfahrer umgebaut. Der Speisesaal befindet sich übrigens im ehemaligen Schweinestall, doch keine Sorge: Don Pepe und Cristina sind die perfekten Gastgeber! Unser Treffen z. B. endet in einer Conversazione bis Mitternacht. Doch auf die Kühe ist Verlass: Der Weckdienst um 7 Uhr funktioniert perfekt! Muh!

So vieles kann hier passieren, in dieser Kultur der Gastfreundschaft, des Essens und Trinkens, das gehört einfach dazu. Und ein caffè muss allemal drin sein, wenn man sich irgendwo trifft. Oder auch mehr. Es kann Ihnen auch passieren, dass der Hausherr des Hotels Nuscadore in Briori nach dem Mahl zu den Sofas bittet, um Ihnen dort aus einem interessanten Buch vorzulesen. Viele Kilometer habe ich an diesem Tag nicht mehr gemacht.

Italien Sardinien Landstraße

... und danach wieder unterwegs auf der Landstraße

Im Norden, in der Gallura, wo sich die verschiedensten Winde ein fröhliches Stelldichein geben, nicht nur der Mistral, liegt Tempio Pausania, die Hauptstadt des Granit, der grau, aber auch rosa schimmern kann. Sogar die Freiheitsstatue in New York sei aus hiesigem Granit gefertigt oder einige Wolkenkratzer in Tokio, beeilt man sich, mir zu erklären. Da ist er wieder, der sardische Stolz. Balestía! Klarster Himmel und Granitfelsen, duftende Pinienwälder und Oleanderbüsche, vom Wind gebeugte Eichen. Durch diese Kulisse biken wir in der rötlichen Abendstunde, blaue oder graue Berglinien in der Ferne, am Fuße des Limbara zur Quelle der 5 Fonti am Fundu di Monti (Fuße des Berges). Einheimische kommen hierher und füllen sich ganze Kanister des guten Wassers ab. Und die beiden Guides geben diesmal eine Extravorstellung am schräg abfallenden Hang, der eine besondere Schwierigkeit und Herausforderung darstellt. Ich beobachte das Spektakel lieber vom Jeep aus. Ajó? Eja!

 

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