Benedikt und die dicken Schinken

Genüsse für Geist und Magen in Umbrien

Text und Fotos: Ulrich Traub

Was hätte der italienische Nationalheilige Franziskus wohl dazu gesagt? Kirchen, die an Schmuck und Größe alle Dimensionen sprengen, sollen ihn verherrlichen. Ein Heiliger, der sich in die Natur zurückzog und in Armut lebte, im Fokus eher weniger religiös gestimmter Event-Touristen – das will nicht recht zusammenpassen. Stille Einkehr? In der umbrischen Stadt Assisi schwer möglich.

Italien - Umbrien - Montefalco - Blumengeschmückte Gasse mit typischen Natursteinhäusern im Weinort Montefalco

Blumengeschmückte Gasse mit typischen Natursteinhäusern im Weinort Montefalco

Die Mitte Italiens ist voll von Heiligen und kunsthistorisch bedeutenden religiösen Orten. Deshalb schnell weiter zu einer weniger bekannten Franziskus-Stätte. Auch in Montefalco kann man sich in einen Freskenzyklus vertiefen, der vom Leben des Heiligen berichtet. In der ehemaligen Kirche San Francesco schmückt eine zwölfteilige, farbmächtige Bilderfolge, die Benozzo Gozzoli Mitte des 15. Jahrhunderts gemalt hat, die Apsis. Anders als vor Giottos Franziskus-Zyklus in Assisi, hat man in Montefalco die nötige Ruhe, um den anschaulichen Erzählungen des Künstlers zu folgen und spürt noch etwas von der Anziehungskraft, die der Heilige ausgeübt haben muss. Szenen aus der Franziskus-Legende sind in den Kirchen und Kapellen dieser Gegend keine Seltenheit.

Der Ort Montefalco, zwischen Assisi und Spoleto gelegen, ist aber nicht nur für Kunstfreunde eine Reise wert. Ein berühmter Roter, der Sagrantino, lockt die Weinnasen und macht dem toskanischen Brunello Konkurrenz. Der feine Tropfen besticht mit ausgeprägtem Beeren-Aroma. Verköstigt wird er in den Trattorien der Altstadt rund um die Piazza mit dem Rathaus aus dem 13. Jahrhundert. Hier lässt man sich Spezialitäten wie Gnocchi mit Sagrantino oder einen Pecorino, der nach der Reife noch zwei Monate in Rotweinfässern lagert, schmecken. Der Weinbau in dieser Region hat seine Wurzeln in vorrömischer Zeit und geht auf die Etrusker zurück.

Italien - Umbrien - Leckeres aus der Umgebung: Spezialitätengeschäft in Norcia

Leckeres aus der Umgebung: Spezialitätengeschäft in Norcia

An Delikatessen ist Umbrien mindestens so reich wie an Kunstschätzen. Regionale Produkte genießen große Wertschätzung und gutes Essen ist eine Selbstverständlichkeit. Bei der Nennung des Städtchens Norcia läuft dem Italiener das Wasser im Mund zusammen. Der Ort zu Füßen der Monti Sibellini gilt als Inbegriff schmackhafter, luftgetrockneter Fleisch- und Wurstwaren. Geschäfte, in denen sie verkauft werden, heißen im ganzen Land ‚Norcineria’. In den Straßen des alten Ortes hinter den sieben Stadttoren zieren dicke Schinken und unzählige Salamis die Fassaden der Metzgereien und baumeln dutzendweise – etwa nach Fenchel oder Walnüssen duftend - von den Decken der Ladenlokale.

Italien - Umbrien - In der Heimat Benedikts: In Norcia steht ein Standbild des Heiligen auf der Piazza vor der Kirche, die über seinem Geburtshaus errichtet worden ist

In der Heimat Benedikts: In Norcia steht ein Standbild des Heiligen auf der Piazza vor der Kirche, die über seinem Geburtshaus errichtet worden ist

Benediktinermönche waren es, die hier – anders als später Franziskus, der vom Betteln lebte - ein landwirtschaftliches Zentrum schufen – und sie werden sicherlich besonders motiviert gewesen sein. Ordensgründer Benedikt hatte schließlich im Jahr 480 in Norcia das Licht der Welt erblickt. Über seinem Geburtshaus erhebt sich die Kirche San Benedetto, die sich zur Piazza öffnet, auf der sie mit Dom, Rathaus und der Festung um die Wette strahlt. In vielen Gotteshäusern um Norcia entdeckt man ein ungewöhnliches Freskenmotiv: Schweine. Das Ora-et-Labo-ra, die Ordensregel, der Benediktiner, scheint hier die Künstler auf besondere Weise beschäftigt zu haben.

Die Spur der Heiligen durch den Südosten Umbriens führt weiter ins nahe Cascia, wo die Heilige Rita verehrt wird. Ihr zu Ehren wurde 1947 ein monumentales Gotteshaus am höchsten Punkt des sich hügelan erstreckenden Ortes eingeweiht, das Ritas Leichnam birgt. Das Innere der Kirche überrascht mit seiner kitschig-bombastischen Gestaltung. Im Nachbarort Roccaporena und der Umgebung kann man das Geburtshaus der Heiligen und weitere Rita-Stätten besuchen.

Auch Heiligen-Kult macht hungrig. In Cascia verheißen Nudel- und Gemüsegerichte, die mit Safran, einer regionalen Spezialität, verfeinert werden, Sättigung. Die Fahrt zum Oberzentrum dieser Gegend, Spoleto, führt durch das Valnerina-Tal, in dessen ausgedehnten Wäldern sich das schwarze Gold versteckt, die Trüffeln. Im kleinen Ort San Antonio di Narco ist das berühmte Unternehmen Urbani Tartufi beheimatet und bietet Trüffelpasten oder Trüffelkonfekt zum Verkauf an: Spezialitäten, die Delikatessengeschäften von Paris bis Tokio zur Ehre gereichen.

Italien - Umbrien - Begehbares Bühnenbild: Zum Dom von Spoleto schreitet man über eine Freitreppe hinab

Begehbares Bühnenbild: Zum Dom von Spoleto schreitet man über eine Freitreppe hinab

Gute Kondition muss mitbringen, wer Spoleto erkunden möchte. Es geht mächtig bergauf, bis man zur Festung und dem das Tal überspannenden Aquädukt, zum Theater aus römischer Zeit und zum Dom. Seiner von einer offenen Renaissance-Loggia geschmückten Fassade nähert man sich über eine Freitreppe hinabschreitend: ein begehbares Bühnenbild aus dem 15. Jahrhundert. Spoleto war einst eine der mächtigsten Städte Mittelitaliens. Sehen kann man es bis heute.

Italien - Umbrien - Treffpunkt: Barocker Wandbrunnen an der Piazza del Mercato in der Oberstadt von Spoleto

Treffpunkt: Barocker Wandbrunnen an der Piazza del Mercato in der Oberstadt von Spoleto

Jede Region hat in Italien ihre eigene Nudel. Spoleto ist die Heimat der Stringozzi. Diese Teigwaren, die nur aus Mehl und Wasser bestehen, schmecken gut mit Gänsesoße oder wildem Spargel. Auch der Farro di Spoleto, eine antike Dinkelart, ist eine beliebte Spezialität – etwa als Suppe oder Risotto. Wer durch die Gassen auf- und absteigt und die Karten der Trattorien studiert, wird stets auf Gerichte und Zutaten aus der Region stoßen: etwa besondere Hülsenfrüchte wie die Augenbohnen vom Lago di Trasimeno, die erst vor wenigen Jahren rekultiviert worden sind oder Flusskrebse aus dem Flüsschen Clitunno. Aber in Bezug auf berühmte Heilige ist hier Schmalhans Küchenmeister.

Italien - Umbrien - Pilger- und Touristenmagnet: die Oberkirche San Francesco in Assisi

Pilger- und Touristenmagnet: die Oberkirche San Francesco in Assisi

Wer in dieser Hinsicht noch Bedarf hat, sollte Assisi eine zweite Chance geben. Denn die Stadt ist auch die Heimat der heiligen Klara, Santa Chiara, einer Gefolgsfrau Franziskus’ und Gründerin des Klarissenordens. Die ihr gewidmete Grabeskirche ist nicht die einzige Sehenswürdigkeit, die mit den Franziskus-Stät- ten konkurriert. Schon Goethe hatte San Francesco verschmäht und stattdessen den Minerva-Tempel, umgeben von mittelalterlichen Palazzi, bestaunt. Überrascht wird man feststellen, dass gleich hinter dem römischen Portikus die barocke Pracht einer Kirche wartet. Die Schäden des Erdbebens von 1997 sind in Assisi übrigens weitgehend behoben.

Italien - Umbrien - Ausflug ins Mittelalter: Piazza in Bevagna mit Gebäuden aus der Romanik

Ausflug ins Mittelalter: Piazza in Bevagna mit Gebäuden aus der Romanik

Was der Geheimrat vom Essen und Trinken in Umbrien hielt, ist nicht überliefert. Heute empfiehlt es sich, in der Umgebung auf Entdeckungsreise zu gehen. Hinter Stadtmauern versteckte Kleinode wie Bevagna, dessen Piazza mit Kirchen und Rathaus mehr als nur ein Hingucker ist, oder Spello mit seiner steil ansteigenden Altstadt locken nicht nur mit authentischem Kleinstadtleben in Mittelalter-Kulissen ohne Touristenmassen. Auch der Freund typischer Speisen, der mehr erwartet als Öl und Wein aus der Region, wird hier in so mancher stillen Gasse unerwartet auf ein Ristorante stoßen, das mit regionaler Küche zu einer Entdeckungsreise einlädt.

Italien - Umbrien - Relikte aus römischer Zeit in Spello

Relikte aus römischer Zeit in Spello

Es ist wohl nicht nur der Aufbauarbeit der Benediktiner zu verdanken, dass das Genießerherz in dieser Ecke Umbriens höher schlägt. Kein Wunder, dass in der Nähe auch das viel zitierte Todi liegt: die Stadt, dessen Einwohner sie in Umfragen schon häufiger zum lebenswertesten Ort weltweit wählten.

 

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