Zu Besuch in Saint John (New Brunswick)

Backsteinfassaden, Pink Buses und …

Text und Fotos: Ferdinand Dupuis-Panther

Längst ist in Saint John wie in anderen alten Hafenstädten das emsige Treiben der Handelsschiffe durch das Anlanden riesiger Kreuzfahrtschiffe ersetzt worden. Rosa Doppelstockbusse warten am Terminal der riesigen Pötte auf diejenigen, die eine Stadttour gebucht haben. Der über Jahrhunderte florierende Schiffsbau ist seit Jahren völlig zum Erliegen gekommen. Einige Hafenbecken wurden mit feinstem Strandsand zugeschüttet. Nun ist hier bei sommerlichen Temperaturen Beachvolleyball angesagt. An alte Zeiten erinnern die zahlreichen Leuchtfeuer an der Hafenmole von Saint John. Auch die backsteinernen Fassaden der ehemaligen Speicher und Kontore existieren noch.

Kanada - Saint John - Ein imposantes Kreuzfahrtschiff macht Station in Saint John

Ein imposantes Kreuzfahrtschiff macht Station in Saint John

Die Gegend um Saint John wurde am Johannistag 1604 von Samuel de Champlain entdeckt – daher leitet sich auch der Name der Stadt her. Wie Phoenix aus der Asche erhob sich die Stadt an der Mündung des Saint John River nach dem verheerenden Stadtbrand von 1877 und zeigt seither ein überwiegend aus tiefroten Klinkern gewobenes Stadtgewand.

Kanada - Saint John - Roter Backstein prägt das Antlitz der Stadtarchitektur

Roter Backstein prägt das Antlitz der Stadtarchitektur

Geschichtsträchtiges Saint John

An die Zeiten, als Saint John – angelegt auf einem Schachbrettgrundriss mit King Street als Hauptachse - eine blühende Schiffsbauindustrie hatte und ein Drittel aller britischen Schiffe am Saint John River getauft wurden, erinnert heute nur noch eine Informationstafel am Hafen. Unweit der Backsteinkulisse von sieben miteinander verbundenen ehemaligen Speichern am Market Square (1), wo sich abends ungezählte Gäste in den Restaurants und Bars einfinden, stößt man auf einen Gedenkstein, der die Landung von 2000 Loyalisten in Erinnerung ruft. Sie betraten im Mai 1783 kanadischen Boden und siedelten in und um Saint John. Den ersten Getreuen der britischen Krone folgten weitere Schiffe mit Loyalisten an Bord. Neben den Loyalisten ist die Geschichte der Stadt und der Provinz New Brunswick auch mit den französischsprachigen Akadiern verknüpft. Der Bildhauer Albert Deveau hat drei von ihnen in Holz verewigt, die allerdings nur in der kanadischen Geschichte von Bedeutung sind. Darunter ist auch Charles de Saint-Etienne de La Tour, der Gouverneur von Akadien, der im 17. Jahrhundert das Fort La Tour (Saint John) als wichtigen Handelsposten erbauen ließ. Dass aber auch irische Einwanderer in Stadt kamen, erfuhr ich von dem aus Saint John stammenden ehemaligen Lehrer und Stadtführer Don Smith, der mich bei meinem Besuch begleitete. 1846 kamen im Verlauf der irischen Hungersnot zwischen 20 000 und 25 000 Iren nach Saint John, wie Don anfügte.

Kanada - Saint John - Auf dem Market Square: Figuren der Stadtgeschichte: Sieur Charles de Menou d'Aulnay, Françoise Marie Jacquelin, Charles de Saint-Etienne de La Tour

Auf dem Market Square: Figuren der Stadtgeschichte: Sieur Charles de Menou d'Aulnay, Françoise Marie Jacquelin, Charles de Saint-Etienne de La Tour

Inmitten der umgebenden mehrgeschossigen Häuser schaut der Barbour's General Store ein wenig verloren aus. Der Gemischtwarenladen steht an der Stelle, wo die Gebrüder Barbour im späten 19. Jahrhundert ihr Großhandelsgeschäft mit Fisch, Eiern, Geflügel, Tee und anderen Lebensmittel eröffnet hatten. Wer heute den Laden betritt, glaubt sich in jene Zeit zurückversetzt. Lose bunte Bonbons und Drops in Gläsern finden sich hier ebenso wie Gewürze und Tees. Neben dem Store haben sich einige Menschen versammelt, nicht aus Fleisch und Blut, sondern aus Holz geschnitzt. John Hooper hat die wartenden Zeitgenossen ebenso geschaffen wie den Uhrenturm mit sitzenden Figuren am Market Square.

Kanada - Saint John - Ein typischer Krämerladen aus dem 19. Jh.: Barbour's General Store – heute findet man hier auch die örtliche Touristikinformation

Ein typischer Krämerladen aus dem 19. Jh.: Barbour's General Store – heute findet man hier auch die örtliche Touristikinformation

Ein Juwel der städtischen Denkmalpflege ist Center Beam Place (2), im Besitz einer der einflussreichsten Industriellenfamilien des Landes, der Irving-Familie. Hinter der zartroten Backsteinfassade des Gebäudeblocks haben allerdings moderne Betriebe ihren Platz wie das von einem deutschen Einwandererpaar betriebene Opera Bistro, Birks Jewelers und die Handworks Gallery. Nicht weit von hier entfernt, stoßen wir in der King Street auf Spuren der sogenannten Loyalisten.

Klassizistische Formensprache in Prince William Street

Kanada - Saint John - Götterbote Hermes schmückt das alte Postamt in Prince William Street

Götterbote Hermes schmückt das alte Postamt in Prince William Street

Ehe wir jedoch der King Street weiter folgen, machen wir noch einen Abstecher in die Prince William Street (3): Gleich zwei Bankgebäude, Bank of Nova Scotia und Bank of New Brunswick, und das Old Post Office sind nicht aus Backstein erbaut worden, sondern aus hellem Sandstein und Granit, was sie von der übrigen Stadtarchitektur deutlich abhebt. Ganz im Stil des Klassizismus, sprich der Anlehnung an die klassische Antike, gestalteten die Architekten ihre Bauwerke mit Säulen, korinthischen Kapitellen und Schmuckfiguren wie einem geflügelten Hermes. Ebenfalls durch den Bauschmuck fällt Chubb's Corner auf. Ohne den Steinmetz James McAvity hätte das Gebäude niemals für Furore gesorgt. Er gestaltete die sogenannten Wasserspeicher oberhalb des dritten Geschosses. Was wir heute sehen, sind die Konterfeis des Bürgermeisters und der Stadträte des Jahres 1878. Jedes Mal, wenn diese Herren aus dem Fenster des gegenüber befindlichen Rathauses (City Hall) schauten, wurden sie, sehr zu ihrem Verdruss, mit ihren Porträts konfrontiert.

Kanada - Saint John - Chubb's Corner in der Price William Street

Chubb's Corner in der Price William Street

Don weist während unseres Rundgangs auf Hauswandmarkierungen mit weißen Kreuzen hin. Nach dem großen Brand wurden derartige Markierungen an den Stellen des Gebäudes angebracht, wohin sich Menschen im Falle eines Brandes flüchten sollten. So konnte die Feuerwehr dann gezielt ihre Leitern zur Rettung der Eingeschlossenen anlegen und die Evakuierung vornehmen. Heute aber ist dies nur noch eine Fußnote der Stadtgeschichte.

Gaumenhappen beim Bummel durch Saint John

Für den kleinen und großen Hunger finden sich in der Prince William Street und Umgebung zahlreiche Cafés und Restaurants wie das Magnolia Café, in dem man nicht nur Lobster Poutine mit Briekäse zum Lunch serviert. Mexikanische Küche, ob Ranchero Wings, Chicken Flautas, Veggie Quesadillas oder Ranch House Burger, hingegen, kann man im Mexicali Rosa's bestellen. Wie wäre es denn mit Britts Pub + Eatery in Princess Street? Appetit auf Lachs und Chirozo mit Linguine oder doch lieber Hähnchen-Cordon-Bleu mit Spargel und Stampfkartoffeln? Wer nach einem Musik-Pub sucht, der wird in der Prince Williams Street gleichfalls fündig werden: Callahan's Pub bietet nicht nur Live Music, sondern auch eine typische Pub-Atmosphäre zum Abhängen. Sehnsucht nach Irland? Na, dann nichts wie zu O'Leary's, einem in Saint John sehr sehr angesagten irischen Pub, in dem man Bier der regionalen Moosehead Brewery ausschenkt. Wie es sich für einen Pub gehört, treten hier regelmäßig Live-Bands auf. Also mal vormerken für einen Abend in Saint John!

Weiter unterwegs in Uptown Saint John

Kanada - Saint John - Seaman's Mission Building (1908) – einst der „Hafen“ für Seeleute, die nach Saint John kamen

Seaman's Mission Building (1908) – einst der „Hafen“ für Seeleute, die nach Saint John kamen

An die Blütezeit von Saint John als Handelshafen erinnert die Seemannsmission, die 1897 gegründet wurde und seit 1908 nun in der Prince William Street residiert. Am Ende der Prince William Street stößt man auf eine ganz eigentümliche Straßenbeleuchtung: Three Sisters Lamp. Ursprünglich diente diese Laterne den Schiffsführern als Landmarke für die Hafenpassage.

Kanada - Saint John - The Three Sisters Lamp, seit 1848 eine „Landmarke“ am Ende der Prince William Street

The Three Sisters Lamp, seit 1848 eine „Landmarke“ am Ende der Prince William Street

Sehenswert sind die zahlreichen mit Stülpschalungen versehenen, aber auch in Klinker ausgeführten Einzel- und Doppelhäuser in der Germain Street (4). Zumeist entstanden diese Häuser mit einem sehr schmalen Vorgarten nach dem großen Stadtbrand und Germain Street galt hinfort als eine sehr gute Wohnadresse. Dass man in dieser Straße gleichsam über eine Kirchenglocke stolpert, erklärt sich ebenfalls aus der Historie der Stadt. Die Kirche des heiligen Davids wurde nicht vom großen Brand ausgenommen. Daran erinnert die Glocke vor dem Kirchenneubau des späten 19. Jahrhunderts.

Kanada - Saint John - Diese Glocke ist das Überbleibsel der ersten Kirche des hl. Davids

Diese Glocke ist das Überbleibsel der ersten Kirche des hl. Davids

Zwischen Hummer-Antipasto und Richterroben

Und was bietet Saint John sonst noch? Zunächst wäre da die alte Markthalle an der Market Street (5): Gouda mit Kreuzkümmel und andere Käsesorten, Obst und Gemüse jeder Art sowie als „Spezialitäten der Region“ Ahorncreme, eingelegte junge Farntriebe, Hummer-Antipasto und Lappentang-Flocken kann man hier kaufen. Auch einige lokale Künstler wie die Aquarellmalerin Linda Cooke sind in der Markthalle bei ihrer Arbeit anzutreffen.

Kanada - Saint John - Blick in die historische Markthalle von St. John

Blick in die historische Markthalle von St. John

Eine kleine grüne Oase ist King's Square (6), einer von vier Plätzen der ursprünglichen Stadtanlage. Mitten auf dem von großen Bäumen bestandenen Platz befindet sich ein Musikpavillon. An der Südseite des Platzes steht das Imperial Theatre, das seit 1913 bespielt wird und dessen Inneres an die opulenten Theaterbauten Europas jener Zeit erinnert. Schräg gegenüber vom Theater befindet sich die ehemalige Wache der Freiwilligen Feuerwehr: Es ist ein schlichter neoklassizistischer Bau, in dem einst die Feuerspritzen untergebracht waren. Nebenan befindet sich das öffentlich zugängliche Old County Courthouse. Dieses älteste Gerichtsgebäude in New Brunswick besitzt eine freistehende Wendeltreppe über drei Geschosse. Ehe diese Treppe allerdings abgenommen wurde, so sagt die Überlieferung, habe man 49 Häftlinge aus dem nahen Gefängnis herbeigeschafft, die sich auf die Treppe stellen mussten. Da diese die Belastung aushielt, wurde auch das Honorar des federführenden Architekten John Cunningham ausbezahlt. Gegenüber des Gerichtsgebäudes stoßen wir auf den nunmehr aufgelassenen Friedhof der Loyalisten, die sich dereinst für König und Vaterland und gegen die Vereinigten Staaten von Amerika entschieden hatten.

Kanada - Saint John - Das Imperial Theatre, einer der am besten restaurierten historischen Theaterbauten Kanadas

Das Imperial Theatre, einer der am besten restaurierten historischen Theaterbauten Kanadas

Wer noch ein wenig Zeit hat und ein Faible für Stadtarchitektur mitbringt, der sollte abschließend durch Leinster, Pitt und Wentworth Street schlendern. Hier gibt es wie auch anderswo in Saint John reizvolle Architektur zu entdecken, so wie die weithin sichtbaren Sakralbauten von Trinity Church und der Kathedrale der Unbefleckten Empfängnis.

 

Reisemagazin schwarzaufweiss

 

Reiseveranstalter Kanada bei schwarzaufweiss

 

Kurzportrait Kanada

Zehn Millionen Quadratkilometer, die vom Polarmeer bis zu subtropisch wirkenden Sykomorenwäldern reichen; mehr als 30 Nationalparks, von denen allein der Woods Buffalo National Park in Alberta größer ist als die Schweiz: Kanada ist seit jeher der Inbegriff von Wildnis und endloser Weite.

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Hummer, Lachs und Lappentang. Nicht nur für kanadische Gaumen eine Delikatesse

In den Gewässern vor der Küste der Provinz New Brunswick findet man sie: die riesigen im Meer verankerten Tanks mit Zuchtlachsen, die Hummerfischer, die ihre Fangkörbe ausbringen und kontrollieren, ob der ausgelegte Köder Hummer in die Falle gelockt hat, und die mit Lappentang und anderen Algen übersäten Felsenküste der Insel Grand Manan.

Hummer, Lachs und Lappentang in Kanada

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Mit dem Zug durch das zweitgrößte Land der Erde

Charlotte ist glücklich. Sie und ihr Mann Brian stammen aus Florida. Vor 14 Stunden haben sie mit 300 weiteren Passagieren in Toronto das Flaggschiff der kanadischen Bahngesellschaft VIA Rail, den Canadian, bestiegen, um auf rund 4.600 Kilometern das zweitgrößte Land der Welt (nach Russland) zu durchfahren. Einmal von Ost nach West durch fünf Provinzen. Von Toronto am Ontario See, dem kleinsten der fünf Großen Seen, nach Vancouver am Pazifik.

Kanada per Zug

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Pedalbetriebene Zeitreise. Montréal mit dem Rad entdecken

Bruno Lajeunesse hängt an dieser Stadt. Und er zeigt seinen Mitfahrern während der dreistündigen Radtour durch Montréal, warum seine Heimatstadt für ihn der schönste Platz der Welt ist. Bei der ungemein kurzweiligen Tour durch die kanadische Millionenmetropole präsentiert er nicht nur die markantesten Bauwerke, sondern zeigt sein ganz persönliches Montréal, führt zu den Stätten seiner Jugend, zu Plätzen abseits der Touristenpfade. Die Tour de Montréal ist eine pedalbetriebene Zeitreise durch die Geschichte und eine Hommage an die Olympiastadt von 1976 zugleich. Eine Tour, die neben bekannten Sehenswürdigkeiten auch das andere, das weniger touristische Leben der zweitgrößten französischsprachigen Stadt der Welt umfasst.

Montreal mit Rad

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