Mali im Überblick
Es ist eines der ärmsten Länder der Erde und zu allem Unglück gerät es auch noch zunehmend ins Visier der Entführungskommandos von Al Qaida au Maghreb islamique. Das Bedrohungsszenario trifft den Tourismussektor ins Mark. Bis in die jüngste Vergangenheit war er eine zuverlässige, wenn auch bescheidene Stütze der schwachen malischen Wirtschaft. Käme der Tourismus ganz zum Erliegen, wären die Folgen für Mali schmerzhaft. Wie sich die Sicherheitslage vor Ort entwickelt, beobachtet das Auswärtige Amt und berichtet darüber auf seinen Seiten.
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Für Besucher Malis, seien es Einzelreisende oder die Kleingruppen einer Handvoll deutscher Reiseveranstalter, haben Touren durch das große Land am Nigerbogen unbedingt einen Expeditionscharakter, denn mit der touristischen Infrastruktur steht es nicht zum Besten. Die Fähigkeit zu improvisieren ist gefragt und die Bereitschaft, für ein paar Tage oder Wochen auf Komfort zu verzichten. Wer diese Voraussetzungen mitbringt, kann sich auf spannende Begegnungen mit nomadisierenden oder sesshaften, ihre Traditionen lebende Völker freuen, wird grandiose Sahel- und Wüstenlandschaften zu Gesicht bekommen und die geheimnisumwitterten historischen Städte an den Ufern des Niger, Malis von Legenden umrankter Lebensader.
Reisewarnung: Auch 2018 hat das Auswärtige Amt eine Teilreisewarnung für Mali ausgesprochen. Große Landesteile stehen nicht unter der Kontrolle malischer Sicherheitskräfte. Vielerorts kommt es zu militärischen Kampfhandlungen. Terroristische Gruppierungen sind aktiv. Das Risiko, Opfer von Entführungen oder anderen Gewaltverbrechen zu werden, ist daher groß.
Die Metropole Bamako, wo die großen Flieger aus Europa landen, wuchert unaufhaltsam von den Ufern des Niger bis weit ins Hinterland. Dem einst krokodilreichen Fluss verdankt die Stadt ihren Namen, der „Krokodilteich“ bedeutet in Bamanakan, der lingua franca des Landes. Es wird hektisch und aufwändig gebaut, pompöse Geschäftshäuser und teure Villen im Grünen, ein neues Regierungsviertel, das mit libyschen Geldern entstand, eine dritte Nigerbrücke, finanziert von der VR China. Ansonsten aber wirkt die Millionenstadt in weiten Teilen kleinstädtisch, gar dörflich. Bis an das Zentrum heran reichen die Schlaglochpisten und einfachen Lehmbauten. Ein Journalist will mitten in der Stadt an einer Straßenkreuzung einen Heumarkt für Ziegenbesitzer ausgemacht haben und auf jedem freien Fleckchen stößt man auf die Stände der Straßenhändler, notdürftig mit einer Plane gegen die Sonne geschützt. Wildes Verkehrsgewusel mischt sich mit buntem, chaotischem Marktgetümmel, das sich mit seinem Angebot an Tomaten und Schmuck, Fischen, Stoffballen und Hühnern bis vor Malis Parlament ausbreitet. Noch haben viele Häuser im Kolonialstil den Bauboom im Zentrum überlebt. Sie erinnern an die Zeit der französischen Kolonialherrschaft. Mehr über die Geschichte des Landes, über Kunst und Kultur des Vielvölkerstaats erfährt man im Nationalmuseum, wo es archäologische Funde, umfangreiche Sammlungen und Ausstellungen zu besichtigen gibt. Besucher, die auf eigene Faust unterwegs sind, sollten in Bamako einen zuverlässigen Führer nebst Geländefahrzeug anheuern und den voraussichtlichen Ablauf der Tour einschl. eventueller Alternativen besprechen sowie sich um Adressen, Telefonnummern, Papiere, Karten, techn. Ausrüstung etc. kümmern.
Königreiche und Karawanen am Niger
Aus einer Zusammenfassung verschiedener Völkerschaften entstand Ende des 3. Jahrhunderts zwischen den Flüssen Senegal und Niger das Königreich Gana (nicht identisch mit dem heutigen Ghana), das wie das später dominierende Mali-Reich durch den transsaharischen Handel mit Salz, Gold, Kauri-Muscheln, Elfenbein, Sklaven etc. wohlhabend wurde. Seine Destabilisierung durch das Vordringen des Islam im 11. Jahrhundert förderte den Aufstieg des Königreichs Mali zur Vormacht in Westafrika. Gana wurde endgültig besiegt und eingegliedert, seine wirtschaftlichen Ressourcen übernommen. Malis Blüte reichte bis ins 15. Jahrhundert, als das aufstrebende Songhay-Reich das scheinbar unbesiegbare, glanzvolle malische Reich auf einen Kleinstaat reduzierte und sein eigenes Herrschaftsgebiet bis zum Atlantik ausdehnte. Eine militärische Expedition des marokkanischen Sultans machte 1591 dem ein Ende, ohne dass es freilich dem fernen Potentaten gelang, eine wirkungsvolle Besatzungsmacht zu installieren. Auf dem Territorium des heutigen Mali entstanden in der Folge kleine, schwache Herrschaften – die Zeit der großen Reiche war vorbei.
Kolonialzeit und Gegenwart
Nach den Regeln des europäischen Imperialismus zählte Westafrika zur französischen Interessensphäre. 1883 nahm Frankreich Bamako ein, die heutige Hauptstadt, 1890 Ségou und 1894 Timbuktu. Im Jahr darauf wird Mali als Kolonie „Soudan Français“ Teil von Französisch-Westafrika und erhält 1946 den Status eines Überseeterritoriums. 1960, nach einem föderativen Intermezzo mit dem Senegal, wird die Republik Mali gegründet, die seit 1962 unter Präsident Modibo Keita eine sozialistische Orientierung vertritt. Dagegen putschen 1968 junge Offiziere und errichten ein autoritäres Regime, das 1991 nach einem weiteren Militärputsch entmachtet wird. Entgegen allen Befürchtungen leiten die neuen Machthaber eine Phase der Demokratisierung ein.
Erstes Ziel jenseits der Stadtgrenzen von Bamako könnte Ségou sein. Eine gute Teerstraße (etwa 240 km) führt vorbei an Hirse- und Baumwollfeldern und Lehmbaudörfern der Bambara in die frühere Residenzstadt der Könige dieser großen Volksgruppe. Die Franzosen übernahmen im 19. Jahrhundert die Macht vor Ort und hinterließen einige sehenswerte Kolonialbauten im sog. neu-sudanesischen Stil. Der lebhafte Handelsplatz mit seinen Töpfereien, Teppichwebereien und Stofffärbereien bewahrt in seinen älteren Stadtteilen noch viele im traditionellen Stil errichtete sudanesische Kastenhäuser, einstöckige, rechteckige, aus rötlichem Flusslehm erbaute Gebäude mit Flachdach. Ségou liegt am Niger, der unser ständiger Begleiter sein wird. Im kleinen Hafen warten Pinassen auf Fahrgäste. Die für Westafrikas Flusslandschaften so charakteristischen Holzboote können manchmal durchaus komfortabel sein. Sie verfügen dann über bequeme Sitze, eine gute Küche und ganz ordentliche Toiletten. Während der Geländewagen sich über Pisten weiter quält, gehen wir an Bord und lassen uns in zwei Tagen auf erholsame Weise den Niger hinab rund 140 km nach Ke-Macina bringen. Von Langeweile keine Spur! Reisfelder und Mango-Pflanzungen ziehen vorüber und unzählige kleine Dörfer mit schönen Lehmmoscheen. Wir sichten Fischreiher und Seeadler, Kormorane, Eisvögel, bunte Webervögel und Schwarzmilane. In Flussnähe siedeln die Bella, eine noch heute diskriminierte, frühere Sklavenkaste der Tuareg, die sich auf den Holzhandel spezialisiert hat und ihre Holzschätze am Ufer zum Abtransport aufstapelt. Dann geraten riesige Rinderherden ins Blickfeld, der ganze Reichtum des Volks der Fulbe, das seine Tiere auf den abgeernteten Reisanbauflächen und im saftigen Grün der Uferzone grasen lässt. „Meister des Flusses“ nennt man die Angehörigen des Bozo-Volks. Sie haben sich dem Fischfang verschrieben. Man begegnet ihren schmalen Einbäumen, den Pirogen, in großer Zahl auf dem Niger.
Markt vor der Moschee von Djenné
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In Ke-Macina erwartet uns der Geländewagen. Nach 110 km auf sandiger Piste nähern wir uns einem der Höhepunkte unserer Reise, der überwältigenden Lehmbaustadt Djenné. Der auf einer Sandbank liegende und von Flussarmen des Nigernebenflusses Bani umströmte Ort existiert seit 250 v. Chr. und ist demnach eine der ältesten Siedlungen im Sub-Sahara-Afrika. Djenné entwickelte sich schon in früher Zeit zu einem wichtigen Handelsplatz, erlebte einen Höhepunkt als Verbindungsglied im trans-saharischen Goldhandel, um im 15. und 16. Jahrhundert zu einem der Zentren für die Verkündigung des Islam aufzusteigen. Aus der Mitte des 17. Jahrhunderts ist uns ein Bericht des Abderrahman Es-Sadi aus dem malischen Timbuktu erhalten, der in seiner „Geschichte des Sudan“ festhielt: „Djenné ist groß, blühend, prosperierend; die Stadt ist reich, vom Himmel begünstigt und gesegnet, von der Gnade Gottes bedacht...ein großer Markt der muslimischen Welt, wo die Salzhändler, die aus den Minen von Taghaza (800 km nördlich von Timbuktu) kommen, jenen begegnen, die das Gold von Bitou bringen...“ Djenné liegt inmitten des Niger-Binnendeltas, einer gigantischen saisonalen Überschwemmungszone, die sich zunächst am Zusammenfluss von Bani und Niger nahe der Stadt Mopti bildet und sich dann immer weiter ausbreitet, um am Ende der Regenzeit zu einem 40.000 km² großen, lang gestrecktem See anzuwachsen. Um die jährliche Überflutung zu überstehen, mussten alle Siedlungen auf kleinen Hügeln oder hohen Sandbänken errichtet werden.
Djenné und die archäologischen Stätten seiner vier Vorgängersiedlungen aus vorislamischer Zeit (Djenné-Djeno, Hambarkétolo, Tonomba, Kaniana) bilden zusammen ein Ensemble von großer historischer, religiöser und architektonischer Bedeutung, das 1988 durch Aufnahme in die UNESCO-Welterbeliste gewürdigt wurde. Die Überreste der vorislamischen Siedlungen und zahllose Funde gewähren Einblicke in die frühe Wohnkultur und die Entwicklung von Produktion und Handwerk. Schon damals war Lehm in Form getrockneter Ziegel und als Verputz die Grundlage für den Häuserbau. Dass dieses Material und die dazugehörigen Techniken bis in die Neuzeit Verwendung finden, zeigt das Stadtbild von Djenné mit annähernd 1.800 Gebäuden in Lehmbauweise. Es sind in der Regel zweistöckige, streng komponierte Wohnbauten mit Fassaden, die von Wandpfeilern gestützt werden, welche die vertikale Gliederung unterstreichen. Fensterläden sind häufig farbig gestaltet und die massiven Holztüren tragen kunstvoll bearbeitete Metallbeschläge.
Die Überlieferung erzählt von König Konboro, der 1280 zum Islam übertrat, seinen Palast niederreißen und an gleicher Stelle eine prächtige Moschee errichten ließ. 1820 etwa brach der Bau ein. Aus seinen Trümmern entstand 1906/07 die berühmte Große Moschee im traditionellen Stil sudanischer Lehmziegelarchitektur. Sie gilt als das größte Lehmbauwerk der Welt. 2 – 3.000 Gläubige finden in den Gebetssälen, in den Säulengängen und im großen Innenhof Platz. Im Schatten des mächtigen Sakralbaus mit seinen auffallenden drei Minaretttürmen über der Hauptfassade spielen sich jeden Montag Marktszenen ab, wie sie „afrikanischer“ nicht sein könnten. Man schwitzt und feilscht, schreit und lacht, schleppt Nachschub herbei, füllt Körbe und Beutel, hält inne und hört für ein paar Takte dem Kora-Spieler zu, der auf seiner Stegharfe zupft, guckt beim Schneider und seiner Singer-Nähmaschine vorbei, um ermattet in einer Garküche zu pausieren. Dann geht es weiter. Man braucht schließlich noch einen Sack Getreide, Holzkohle und getrocknete Fische aus dem Niger und ein paar fruchtige Tamarinden.
Moschee in Timbuktu
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Rund 150 Pistenkilometer sind es zum nächsten Ziel, Mopti, einem quirligen Handelszentrum, wo viel Fisch und Reis umgeschlagen wird. Es ist d i e Hafenstadt Malis. Grazile Einbäume, die Pirogen, und von Dieseln angetriebene robuste Pinassen (sie haben saharische Salzplatten aus Timbuktu herbeigeschafft) liegen zu Dutzenden Seite an Seite im Hafen. Es wird geladen und gelöscht und mit viel Tamtam die Rückfahrt angetreten. Bunt und laut geht es zu am Hafen und auf den Märkten, wo sich Händler, Fischer, Bauern, Handwerker, Hausfrauen zum Palavern und Feilschen treffen und Massen von Waren den Besitzer wechseln. Wenn sich die Aufgeregtheiten des Tages legen, in den frühen Abendstunden, sollten Besucher die Gelegenheit zu einem Bummel durch die Gassen der Altstadt nutzen und die herrliche Große Moschee im Abendlicht bewundern.
Timbuktu, unser nächstes Reiseziel, möchte am liebsten noch heute als „la Mystérieuse“ gelten, so wie vor Jahrhunderten, als die Stadt das Tor zur Sahara war und sich zu einem glanzvollen Handelszentrum entwickelte, als sie eine Epoche kultureller Blüte erlebte und die berühmte islamische Universität beherbergte. Leo Africanus, ein arabischer Geograph und Reisender aus dem andalusischen Granada, notierte 1526: „In Timbuktu gibt es zahlreiche Richter, Ärzte und Geistliche, die alle vom König (des Songhay-Reiches) gute Gehälter empfangen. Er erweist den Gelehrten große Achtung. Es besteht eine große Nachfrage nach Büchern und Manuskripten, die von den Barbaren importiert werden. Man verdient mehr am Buchhandel als an irgendeinem anderen Geschäftszweig.“ Von dem Ruhm und Glanz jener Zeit, als Timbuktu Umschlagplatz für Sklaven war und fast täglich mit Gold, Elfenbein, Salz, Gewürzen und Stoffen beladene Kamelkarawanen eintrafen, ist nicht viel geblieben. 1950 war die Einwohnerzahl auf 5.000 gesunken, die Stadt machte den Eindruck einer unaufhaltsam verfallenden Wüstensiedlung. Dem „Mythos Timbuktu“ nachspürende Besucher waren zumeist bitter enttäuscht. Dass die UNESCO 1988 drei Moscheen, einige Friedhöfe und Mausoleen als Weltkulturerbe klassifizierte, war ein Glücksfall für die Stadt und riss sie aus ihrer Lethargie. Für die Strecke von Mopti nach Timbuktu bieten sich die kleinen Propellerflugzeuge von Mali Air Express an, die in siebzig Minuten vor Ort sind. Wollte man auf dem Niger reisen, wäre man zwei Nächte und drei Tage unterwegs. Bleiben wir bei unserem Allrad. Er wird für die rund 380 km durch die Savanne nur 6 – 8 Stunden brauchen auf passabler Straße, sofern das Wetter mitspielt. Fast schon am Ende der Tour ist der Niger in Höhe von Korioumé auf einer Fähre zu überqueren und dann sind es nur noch etwa 10 km bis Timbuktu.
Wer schon einmal im südmarokkanischen Zagora war, wird sich an das verblichene Blechschild erinnern, das den Karawanen den Weg wies: „52 Tage bis Timbuktu“. Doch von Zagora ziehen schon lange keine Karawanen mehr durch die Sahara nach Timbuktu, aber noch immer sind Salzkarawanen unterwegs. Mit mindestens zwanzig bis höchstens dreihundert voll beladenen Dromedaren ziehen sie die rund 700 km von Taoudenni mit seinen reichen Salzlagerstätten nach Timbuktu und wieder zurück. Ein Kräfte zehrender Rundtrip, der in 36 – 40 Tagen bewältigt wird. Das Salz wird auf Pinassen verladen, nach Mopti verschifft und dort nach Viehsalz (ca. 75 %) und Speisesalz (ca. 25 %) getrennt und in viele Länder Westafrikas weiterverkauft.
Die drei zum Welterbe zählenden Moscheen, die Mausoleen und Friedhöfe erinnern an das goldene Zeitalter der Wüstenmetropole, an seine viele Jahrhunderte währende intellektuelle und spirituelle Bedeutung. 1325 ließ Sultan Kankan Moussa nach einem Besuch Mekkas die Djinger-ber-Moschee errichten, deren zentrales Minarett das Stadtbild beherrscht. Drei Innenhöfe bieten Gläubigen viel Raum. In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts restaurierte und erweiterte der Kadi von Timbuktu den Komplex. Auch die zweite bedeutende Moschee, die Sankoré, wurde von dem tüchtigen Kadi Al Aqib instand gesetzt und auch die dritte Moschee, die Sidi Yahia, die um 1400 erbaut worden war, rettete der Kadi vor dem Verfall. Der Bewahrer der Moscheen – er starb 1583 – erhielt ein prächtiges Grab, das neben vielen anderen Teil des Welterbes ist. Einen Besuch lohnt das „Maison Barth“, ein restauriertes Gebäude, in dem der Afrikaforscher Heinrich Barth von September 1853 bis April 1854 lebte und arbeitete. Auch das Haus des französischen Forschers René Caillié, der als zweiter Europäer 1828 Timbuktu erreichte, kann besichtigt werden.
Als im Sommer 2012 die Djihadistenmiliz Ansar ad-Din in Timbuktu ihr Terrorregime errichtete und zerstörte, was nach ihrer Meinung allein „Götzendiensten“ nutzte (u. a. die zum Welterbe zählenden Mausoleen), sah man auch die berühmten 300.000 Handschriften in großer Gefahr. Die Manuskripte aus öffentlichen und privaten Bibliotheken wurden zunächst auf Anraten eines Bibliotheksleiters in verschiedenen Privathäusern versteckt. Wochen später begann ein Krimi der besonderen Art: Blechkisten in großer Zahl wurden beschafft, um das Handschriften-Erbe nach und nach aus der Gefahrenzone in die Hauptstadt Bamako zu schmuggeln. Und das war schwierig genug, mussten doch Straßensperren passiert, Gebühren und Schweigegelder gezahlt werden. Auf diese Weise konnten an die 95 % des einzigartigen literarischen Schatzes gerettet werden. Die deutsche Botschaft in Bamako und die niederländische Prinz-Claus-Stiftung waren dabei behilflich. In Bamako wird jetzt mit Hochdruck daran gearbeitet, die naturkundlichen, literarischen, religiösen, ökonomischen und historischen auf Papier oder auf Pergament geschriebene Texte aus dem 12. bis 20. Jahrhundert zu untersuchen, sie zu katalogisieren, zu restaurieren und zu digitalisieren. Unterstützt wird die Aktion von Experten der Universität Hamburg und finanziert von der Gerda-Henkel-Stiftung. Später sollen die Handschriften wieder in Timbuktu aufbewahrt werden.
Maskentänzer der Dogon, geschmückt mit Kauri-Muscheln
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Die Zeit drängt und die Straßen werden nicht besser. Kurzentschlossen wird der Geländewagen nach Mopti zurückgeschickt und wir nehmen die kleine Maschine nach Gao. In fünfzig Minuten bringt sie uns in den unsicheren Nordosten und von dort zurück nach Mopti, wo wir den Allrad zu einem letzten Abstecher ins Land der Dogon besteigen werden. Gao auf dem linken Ufer des Niger zählt heute vielleicht 90.000 Einwohner. Reste vergangenen Glanzes, als die Stadt zwischen der Wüste und den Savannen des Südens den Transsahara-Handel kontrollierte und als Residenz der Herrscher des Songhay-Reiches Berühmtheit erlangte, kann man noch heute bestaunen. Allen voran das Grabmal des Königs Askia Mohammed I. Zu dem 2004 in die Liste des Weltkulturerbes aufgenommenen Komplex zählen neben dem pyramidenförmigen Grabmal zwei Moscheen, ein Friedhof und der offene Versammlungsplatz der Gläubigen. Die Anlage ist ein herausragendes Beispiel für die monumentale Lehmbauarchitektur der westafrikanischen Sahelzone mit marokkanischen Einsprengseln. In unmittelbarer Nähe der Anlage sind noch zahlreiche traditionelle Lehmbauten mit Flachdächern und Innenhöfen erhalten.
Das einer Stufenpyramide ähnelnde Grabmal wurde 1495 aus Lehmziegeln errichtet und mit Lehm verputzt. Die für seine Stabilität unerlässlichen Holzstangen ragen aus seinen Wänden heraus und ermöglichen es den Arbeitern, wie auf einer Treppe nach oben steigend, die Fassaden neu zu verputzen. Auf der Ostseite windet sich eine Außentreppe bis in 17 m Höhe auf die oberste Plattform. Mit Lehm bedeckte Holzbalken bilden das Dach der Moschee für bis zu 1.400 Männer. Es wird getragen von 69 stabilen, quadratischen Säulen aus Lehmziegeln. Auf der gegenüberliegenden Seite des Grabmals liegt die kleinere Moschee für 200 Frauen.
Junge Tuareg in Timbuktu
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Zurück in Mopti geht es zunächst noch auf guter Straße, später dann über Stock und Stein, mit dem Geländewagen in das Siedlungsgebiet der Dogon an der „Falaise de Bandiagara“ (seit 1989 auf der Welterbeliste). Hier tut sich eine völlig andere Welt auf, denn bestimmt im übrigen Mali der Islam das Alltagsleben, so überwiegt bei den Dogon der Glaube an die Beseeltheit der Natur und der Naturkräfte und wie in vielen anderen indigenen Kulturen Afrikas spielt auch der Ahnenkult und der Einfluss weiser Seher eine große Rolle. Dort, wo sie siedeln, bietet sich ein atemberaubendes Landschaftsbild: Ein Steilabfall an einer Plateaukante, der sich über 150 km durch das Land zieht, stürzt bis zu 250 m senkrecht in die Tiefe. Davor dehnt sich die Seno-Gondo-Ebene. Im unteren Bereich des teilweise überhängenden Sandsteinkliffs und an seinem Fuß haben die Dogon zwischen riesigen Felsbrocken kunstvoll Kornspeicher mit spitzen Strohdächern und ihre gemauerten Wohngebäude errichtet. Selbst auf dem Plateau gibt es kleine Dörfer und immer häufiger wird auch in der vorgelagerten Ebene gesiedelt. An schwer zugänglichen Partien der höhlenreichen Steilwand haben sie ihre Toten beigesetzt und die Öffnungen der Höhlen vermauert.
Wann und warum das Volk sein ursprüngliches Siedlungsgebiet im Nordwesten des heutigen Burkina Faso verließ, ist nicht abschließend geklärt. Es kann der zunehmende Bevölkerungsdruck gewesen sein oder die drohende gewaltsame Islamisierung, die sie vermutlich in mehreren Wellen im 13. und 14. Jahrhundert hierher ausweichen ließen. Sie stießen auf das Volk der Tellem, das die Falaise bewohnte, übernahmen deren Einrichtungen und manche Rituale, legten kunstvolle Bewässerungsfelder auf Felsterrassen an, statteten jedes Dorf mit einem „Togonah“, einer Versammlungsstätte, aus, die ein auf Pfeilern ruhendes, meterdickes Stroh- oder Reisigdach gegen Sonne und Regen schützte. Sie pflegten hingebungsvoll ihre Maskentänze, zu denen sie groteske, teils riesige Masken entwarfen, waren für ihre Schnitzarbeiten bekannt, schufen rituelle Gefäße und fertigten Skulpturen, die sie ihren Ahnen widmeten und auf Altäre stellten. Und noch heute sind viele ihrer Fertigkeiten und Gebräuche lebendig. Das Dogonland ist ein ideales Trekkinggelände für Geübte, allerdings nur in der Obhut eines lokalen Führers, der die Sprache beherrscht und sich mit der komplexen Kultur der Einheimischen auskennt und auch weiß, wann und wo Märkte abgehalten und Dorffeste gefeiert werden.
Lehmbauten in einem Dorf
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Lehmarchitektur
Da in den Weiten der Sahelzone Baustoffe wie Holz und Natursteine weitgehend fehlen, wurde (und wird teilweise noch) das Gros der Wohnhäuser, der Speicher und selbst der Sakralbauten aus sonnengetrockneten oder nur leicht gebrannten Lehmziegeln errichtet. Zentrum der Architektur mit Lehm ist das Gebiet des Niger-Binnendeltas zwischen Ségou und Timbuktu. Den Baustoff Lehm liefern die Ufer des Niger und Palmen die wenigen Holzstämme, die zur Stabilisierung notwendig sind.
Lehmwohnhäuser in dieser vom Islam geprägten Welt betonen die Intimität. Kein ungehöriger Blick dringt von außen in die Innenhöfe ein oder vermag das abendliche Familienleben auf der Dachterrasse zu stören. Steile Treppen verbinden die zumeist zwei Stockwerke und lehmverkleidete Stützpfeiler verleihen der Fassade eine betont vertikale Gliederung. Die nach oben abgerundeten Pfeiler überragen wie Zinnen das Terrassendach und sind oft mit aufgeschnittenen Straußeneiern oder Keramikgefäßen geschmückt. Straußeneier gelten als Symbole der Reinheit und der Fruchtbarkeit. Die großen Moscheen von Djenné und Mopti, aber selbst kleine Dorfmoscheen tragen einen oder mehrere mächtige Minaretttürme, die sich nach oben konisch verjüngen und als auffälliges Merkmal, einem überdimensionalen Kaktus ähnelnd, Querbalken seitlich aus dem Lehmwerk herausragen lassen. Dieses eigenartige Konstruktionselement benutzt dünne Stämme der Palmyra-Palme, um dem Gebäude mit den Bewehrungsstäben Stabilität zu verleihen und zugleich als „Rissbremse“ zu wirken. Außerdem dienen die aus der Fassade ragenden Balkenenden den Arbeitern als Trittstufen, wenn sie am Ende der Regenzeit das Gebäude neu mit Lehm verputzen.
Legendär ist die hohe Isolierungsfähigkeit des lehmigen Baumaterials. Es vermag mittels Absorption der mittäglichen Hitze für erträgliche Temperaturen in den Räumen zu sorgen und umgekehrt in kühlen Nächten dank der Wärmekapazität des Lehms ein angenehmes Raumklima zu halten. Um die Innentemperaturen wirkungsvoll regulieren zu können, darf die Fassade allerdings nicht zu viele Öffnungen aufweisen.
Lehm wird unterschiedlich verarbeitet. Er kann gestampft oder geschüttet und als handgeformte zylindrische oder in Formen gegossene rechteckige Ziegel an der Sonne getrocknet werden. Schließlich gibt er auch, entsprechend mit Wasser versetzt, einen hervorragenden Putz ab.
Die für den Nigerraum so typischen einfach-geometrischen Lehmbaukörper bedürfen einer permanenten Pflege, denn der Lehm ist ein vergänglicher Baustoff. Alte Lehmbauwerke könnte man daher als „Generationenkunstwerke“ ansehen, deren plastisches Aussehen und weiche Konturen auf jahrzehntelange sorgfältige Bearbeitung ihrer Oberflächen zurückzuführen ist. Man sieht ihnen förmlich an, dass sie mit der Hand „modelliert“ wurden.
Eckart Fiene
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