Nauru im Überblick
Es liegt erst zwei Jahrhunderte und eineinhalb Jahrzehnte zurück, dass Nauru in das Fadenkreuz der Europäer geriet. Der Kapitän eines englischen Walfängers soll es gewesen sein, der die Insel entdeckte und wegen ihrer landschaftlichen Schönheit „Pleasant Island“ taufte. Doch was danach folgte, war eine Heimsuchung, die kein Ende nehmen sollte.
Nicht wegen der Walfänger, die sich hier verproviantierten, es waren die Abenteurer, die Emigranten dubioser Herkunft, die mit Alkohol und Feuerwaffen im Gepäck die Insel unsicher machten und mit ihrem Intrigenspiel die einheimischen Stämme aufeinander hetzten. Mit Alkohol im Blut und Gewehren im Anschlag verwüsteten die Stammeskrieger in einem 10jährigen Bürgerkrieg ihre Dörfer und reduzierten die Bevölkerung auf nur noch 900 Überlebende.
Photo: "Courtesy: U.S. Department of Energy's Atmospheric Radiation Measurement Program."
Das mörderische Treiben auf der Insel wurde abrupt beendet, als europäische Machtpolitik in Gestalt der Anglo-German Convention von 1886 ins Spiel kam. Sie legte die Interessensphären im westlichen Pazifik fest und schlug Nauru dem deutschen Einflussbereich zu. Kaiserliche Truppen besetzten die Insel 1888 und gliederten sie in das Protektorat der Marshall Inseln ein. Alkoholkonsum war ab sofort verboten, Waffen und Munition mussten abgeliefert werden. Für ein paar Jahre herrschte Ruhe, dann, es war im Jahr 1900, stellte sich heraus, dass man auf einem Schatz saß: Auf Phosphat – aber nicht irgendeinem, sondern Phosphatkalk mit einer Reinheit von 85 %. Keine andere Phosphatlagerstätte weltweit wies einen höheren Reinheitsgrad auf. Das gesamte Inselplateau bestand damals aus fossilen Vogelkotablagerungen, die durch die chemische Verbindung mit Meerwasser zu Phosphat mutiert waren. Damit beide Nationen, Deutsche wie Engländer, von dem wertvollen Düngergrundstoff profitieren konnten, gründeten sie gemeinsam 1905 die Pacific Phosphate Company. 1906 begann der Abbau, 1907 wurde das erste Schiff beladen.
Eine (fast) unglaubliche Geschichte
Die Deutschen sind schnell aus dem Geschäft verdrängt und 1914 gibt Berlin die Insel Nauru auf, australische Truppen rücken nach. Per Völkerbundmandat übernehmen England, Australien und Neuseeland die Macht, „with Australia responsible for the administration“. Nauru wird damit zu einer kostbaren Ressource des britischen Empire. Dass die alteingesessenen Nauruer Rechte an den Bodenschätzen ihrer Insel haben könnten, bleibt bis zur Unabhängigkeit (1968) unberücksichtigt. Es wird viel investiert in Maschinenparks, Verladebrücken, Bagger, Baracken für Arbeiter, selbst Krankenstationen. Die Gewinne sprudeln. Dafür sorgen die ins Land geholten Arbeiter von den Philippinen und aus Hongkong, von den Inseln Kiribatis und Tuvalus. Sie lenken die Bagger, bewegen die Hacken und Schaufeln.
Reste von Korallen
Photo: By d-online (Flickr) [CC-BY-SA-2.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0)], via Wikimedia Commons
Dann der Schock 1942: Japan greift an, besetzt Nauru und deportiert über 1.200 Einheimische als Zwangsarbeiter auf die heute zu Mikronesien gehörende Insel Chuuk. Nur etwas mehr als 700 von ihnen überleben das Martyrium und kehren nach dem Krieg zurück. Erneut übernimmt Australien die Verwaltung Naurus als UN-Treuhandgebiet. Derweil geht die Ausbeutung der Lagerstätten unvermindert weiter, bis auch die letzten Reste des ursprünglichen tropischen Regenwalds verschwunden sind und das Inselplateau sich zusehends in eine Mondlandschaft verwandelt.
Neu sind dagegen Unabhängigkeitsbestrebungen, die von der UNO mit Nachdruck unterstützt und auch gegen den heftigen Widerstand Australiens durchgesetzt werden. 1968 ist es so weit. Die souveräne Republik Nauru betritt die politische Bühne mit einem Paukenschlag. Sie übernimmt von den Briten die Gewinnungs- und Verladeeinrichtungen und lenkt von nun an die stattlichen Geldströme auf eigene Konten.
Es war die Ouvertüre zu den aberwitzigen Kapriolen und Eskapaden, die Naurus Gesellschaft in ein Tollhaus verwandeln sollten. Das Geld floss nun stetig und üppig, schließlich hatte so gut wie jede Familie Grund und Boden, für den die Phosphathaie gut zahlten. Und die Regierung legte noch einen drauf, übernahm alle Kosten für Sozialleistungen, niemand musste Steuern zahlen, Importe (besonders wichtig: Alkohol) waren zollfrei. Wer schwer erkrankte, wurde auf Staatskosten in Australien behandelt, wo in Melbourne eigens für die begleitenden Familienangehörigen ein Villenviertel gekauft wurde. Und daheim, auf der Insel, überließ ihnen der Staat für einen symbolischen Mietbetrag schmucke Häuser. Strom war kostenlos, zum Shoppen flog man nach Australien und wer eine Putzfrau brauchte, ließ sie sich vom Staat bezahlen.
Das Pro-Kopf-Einkommen zählte 1983 mit 18.750 US-Dollar zur Weltspitze, Mitte der neunziger Jahre waren es immer noch 23.000 Australische Dollar.
Warum also arbeiten?
Landwirtschaft und Fischerei blieben als erste auf der Strecke und danach alle anderen Wirtschaftszweige. Aber es war ja genug Geld im Umlauf, um alles zu importieren, was das Herz begehrte und dass die Zeiten so paradiesisch blieben, dafür sorgten die „Islanders“, die Gastarbeiter in den Phosphatminen.
Der auf infantile Weise – kaufen, konsumieren, wegwerfen – zelebrierte plötzliche Wohlstand zeigte nur zu bald seine Schattenseiten: Verfall der Sitten, kulturelle Entwurzelung, drei Viertel der Insulaner werden übergewichtig, Diabetes erreicht laut WHO die Weltspitze, Herzkrankheiten und Alkoholismus sind weit verbreitet.
Man ahnte es nicht nur, man wusste es ziemlich genau, dass die Phosphatschätze Ende der 90er Jahre erschöpft sein würden. So baute man vor, schuf den Staatsfonds „Nauru Phosphate Royalties Trust“, investierte in Auslandsimmobilien, Wertpapiere, Aktien und verspekulierte sich dabei mehr als ein Mal. Finanzhaie hefteten sich an die Fersen der mehr oder weniger ahnungslosen Insulaner, Gelder verschwanden, gigantische Fehlinvestitionen häuften sich. Die Insel trieb in eine astronomische Verschuldung (im Rechnungsjahr 2009/10 869 Mio. Dollar). Die Bank von Nauru ging Pleite und Hunderte Nauruer verloren ihr gesamtes Vermögen.
Aber es gab ja „Auswege“
Zum Beispiel Offshore Banking. Im Handumdrehen waren mehr als 400 nur als „Briefkastenfirmen“ existierende Banken registriert, ohne dass Nauru auch nur ansatzweise über Mechanismen zur Eindämmung illegaler Geldgeschäfte verfügte. Anlagebetrug und Geldwäsche waren mithin an der Tagesordnung. Russlands Zentralbank monierte, dass allein 1999 rund 80 Mrd. US-Dollar, darunter jede Menge russische Drogengelder, durch den Umweg über Nauru veredelt wurden. Nicht zuletzt auf Druck der Amerikaner kam es 2003 zu einer Regelung, die die Abschaffung des Offshore Banking einleitete.
Eine andere Möglichkeit an Geld zu kommen, war die Ausgabe von Pässen für 15.000 Dollar das Stück. Die Geschichte wurde ruchbar, als zwei al-Qaida nahestehende Figuren mit nauruischen Pässen erwischt wurden. Dann sprang erneut Australien bei, das ohnehin die Hauptlast der Finanzstützen zu tragen hat. „Pacific Solution“ hieß zynischerweise das Projekt, das in Nauru zwei Auffanglager für in Australien unerwünschte Flüchtlinge (überwiegend Afghanen) vorsah. Bis 2008 gab es die Lager und 30 Mio. australische Dollar flossen dafür in die leeren Kassen das Inselstaats.
2012 wurden die Lager auf Nauru reaktiviert, nachdem der Flüchtlingsstrom nach Australien stark angeschwollen war. Wieder füllten sich die Lager mit Bootsflüchtlingen aus Afghanistan, Syrien, Irak und anderen Ländern, denen eine unbestimmte Zukunft drohte. Es kam zu Unruhen und im Juli 2013 ließen gewalttätige Auseinandersetzungen die Camps in Flammen aufgehen und zerstörten ca. 80 % der Lagergebäude.
Im Sommer 2016 waren 442 Asylsuchende interniert. Auch 2018 existierte das Lager noch mit etwa 900 Insassen, darunter 120 Kindern: Bootsflüchtlinge aus Afghanistan, Irak und Sri Lanka, die in Australien Asylanträge stellen wollten, aber abgefangen und auf Nauru interniert wurden, z. T. schon seit Jahren. Ganz bewusst werden von den verantwortlichen australischen Behörden in den Lagern menschenunwürdige Zustände zugelassen, um Nachahmer von einer Bootsflucht nach Australien abzuschrecken.
Russland schließlich zeigte sich 2009 mit einem 50-Mio.-Dollar-Kredit erkenntlich für Naurus Bereitschaft, das abspenstige georgische Autonome Gebiet Abchasien diplomatisch anzuerkennen. Neben Nicaragua und Venezuela waren auch die beiden anderen südpazifischen Habenichtse Tuvalu und Vanuatu gegen eine ordentliche Belohnung mit von der Partie.
Eine Chance für den Tourismus?
1986 stellte eine unabhängige Untersuchungskommission die Verantwortung der ehemaligen Kolonialmächte für den beispiellosen ökologischen Raubbau auf Nauru fest. Wiedergutmachungsforderungen wurden zurückgewiesen, der Internationale Gerichtshof eingeschaltet. Nach langem Hin und Her kam es 1993 zu einer bilateralen Einigung zwischen Australien und Nauru, nach der sich Australien zu einer Einmalzahlung von 57 Mio. Australischen Dollar und jährlichen Zahlungen von 2,5 Mio. über einen Zeitraum von 20 Jahren verpflichtete, um die Umweltschäden zu beseitigen, sofern das überhaupt möglich ist.
Ohne Renaturierung keine akzeptablen Lebensbedingungen und keine Chancen, Touristen für die Insel zu interessieren. Darüber war man sich mal einig. Ausgangspunkt eines touristischen Neuanfangs hätte die Anibare Bay an Naurus Ostküste mit dem schönsten weißen Korallensandstrand und dem einzigen „richtigen“ Hotel der Insel sein können. Stattdessen wird wieder die Phosphatkarte gespielt. Diesmal geht es um die unter den Korallenkalken lagernden sekundären Vorkommen, deren Abbau technologisch aufwändig ist. 2006 wurde mit der Gewinnung und dem Export begonnen und 2008 meinte die Regierung, es sei nun auch an der Zeit, private Bankaktivitäten wieder zu fördern . . .
Es sieht ganz so aus, als ginge die ruinöse Naturvernichtung weiter und gar nicht so abwegig erscheint der schon Jahrzehnte zurückliegende Vorschlag Australiens, die Insulaner geschlossen umzusiedeln. Als neues Zuhause wurde ihnen seinerzeit Curtis Island vor der Nordküste von Queensland angeboten. Wenn die Entwicklung weiter geht wie bisher, wird man sich eines nicht so fernen Tages dankbar an das australische Angebot erinnern.
Eckart Fiene