Text und Fotos: Elke Sturmhoebel
Der Mussenden-Tempel an der Nordküste Nordirlands steht nahe am Abgrund. Wie ein Magnet zieht er Besucher an. Auf den Treppenstufen sitzen junge Leute beim Picknick. Einige liegen im Gras und blinzeln in den Himmel, der an diesem Tag wie frisch gewaschen erscheint. Über die sonnenüberflutete Schafweide huschen Wolkenschatten. Eine leichte Brise streicht über das Land. Ein schöner Ort zum Träumen.
Seit je kommen viele Hochzeitspaare zum Heiraten hierher. Frederick Augustus Hervey, protestantischer Bischof von Derry und vierter Earl of Bristol, ließ 1783 die Rotunde im Stil des italienischen Vesta-Tempels auf seinem Landsitz in Downhill erbauen, um die Bibliothek darin unterzubringen. Er benannte das Kleinod nach seiner geliebten Cousine Frideswide Mussenden, die im Alter von 22 Jahren plötzlich verstorben war. Ob die Beziehung zwischen dem verheirateten Kirchenmann und der jungen Frau rein platonischer Natur war, lässt sich nicht mehr klären. In der Gegend wurde jedenfalls viel gemunkelt über die vermeintliche Affäre.
Einsam auf der Steilküste: der Mussenden-Tempel
Hervey zählt zu den schillernden Figuren der irischen Geschichte. Der Bischof, ein weitgereister und kluger Mann, machte aus seinen Überzeugungen keinen Hehl. Die katholische Kirche war seinerzeit offiziell verboten. Dennoch appellierte er an die Obrigkeit, den Iren ihren Glauben zu lassen und beide Religionen zu tolerieren. Großmütig gestattete er den Katholiken von Derry, sonntags ihre Messe im Mussenden-Tempel abzuhalten.
Solch ein versöhnlicher Wortführer wäre den Nordiren frühzeitig
zu wünschen gewesen. Dann stünde es heute anders um das Miteinander
zwischen Katholiken und Protestanten. Es gibt zwar keinen Krieg mehr, aber
auch keinen Frieden.
Dabei ließ sich die Zukunft so gut an, nachdem das 1998 geschlossene
Karfreitagsabkommen von der Mehrheit der irischen Bevölkerung in einem
Referendum befürwortet wurde. Das Land geriet in Bewegung. Investitionen
flossen, Straßen und Häuser wurden gebaut. Es gab mehr Jobs. „Vor
allem hatten die Leute wieder Zuversicht“, sagt Frank McLeigh. Der
ehemalige Jockey setzte schon auf den Tourismus, als es in der nordirischen
Provinz Ulster noch hoch herging. Während 1993 gerade mal dreizehn
Urlauber auf seinen Reiterhof kamen, zählte er zehn Jahre später
649 Gäste.
Sanft und brutal: der Ozean
Fährt man mit dem Auto von Dublin nach Nordirland, ist von dem ehemaligen Checkpoint nichts mehr zu sehen. Kein Schlagbaum, kein Wachturm, keine Kontrollposten. Nur die riesigen Schilder der Hotels und Restaurants, die darauf hinweisen, dass auch Euro gern genommen werden, erinnern daran, dass man soeben die Euro-Zone verlassen hat. Hinter Dundalk sind mit einem Mal die Briefkästen rot und nicht mehr grün, und auf den Abfallkörben steht „Litter“ und nicht mehr das gälische „Bruscar“. Außerhalb von Belfast und Derry, wo immer noch Soldaten der britischen Armee in gepanzerten Fahrzeugen patrouillieren, ist der Nordirland-Konflikt fern. Auf dem Lande könnte es nicht friedlicher aussehen.
Downhill, der Landsitz des Bischofs Hervey
An der Küste ist nur das Kreischen der Möwen zu hören und das unwillige Blöken der Schafe, die davonstieben, wenn sich neue Besucher dem Mussenden-Tempel nähern. Unterhalb der Steilküste zieht sich der goldene Sandstrand von Benone sieben Meilen weit gen Westen bis zum Magilligan-Point an der Mündung des Lough Foyle. Wellen rollen sanft an den Strand.
Dunluce Castle
Doch der Ozean kann sich an dieser Küste auch ganz anders gebärden. Am 28. Oktober 1588 prallte die „Girona“, das Schatzschiff der spanischen Armada, bei einem Unwetter gegen ein Riff und sank. Von den 1300 Mann an Bord überlebten nur fünf. Sorley Boy MacDonnell erbeutete einen Teil des Goldes und investierte es in die Befestigung seiner Burg. Fünfzig Jahre später fegte ein heftiger Sturm den Küchentrakt des Dunluce Castle ins Meer – mitsamt dem Personal, das gerade mit der Vorbereitung des Abendessens beschäftigt gewesen sein soll. Für Catherine Manners, Witwe des Herzogs von Buckingham und Ehefrau des Hausherrn von Dunluce Castle, kam die Katastrophe gerade recht. Die Dame war an die Londoner Gesellschaft gewöhnt und fühlte sich in den feuchten Gemäuern des Anwesens nicht wohl. Zudem hasste sie das ständige Rauschen des Meeres. Auf Dunluce Castle bleiben konnte man nun unter keinen Umständen mehr, das Paar zog um.
Ein Riese will übers Meer
Je nach Wetter oder Tageszeit wirken die verbliebenen Türme und Giebel der Anlage, die auf einer dunklen Basaltsäule dreißig Meter über dem Meer aufragen, bedrohlich oder malerisch. Weiter westlich, dort wo eine Landzunge ins Meer ragt, sind die Dächer von Portrush auszumachen. Ein typisch englisch geprägtes Seebad mit viktorianischen Häusern, Amusement Park und Waterworld, Spielhallen und Fish & Chips-Buden am weiten, flachen Sandstrand. Doch mehr als jeder Vergnügungspark beflügeln die Gemäuer des Dunluce Castle die Phantasie.
Grüne Küste bei Cushendun
Rote Sandsteinklippen, weiße Kreidefelsen, dunkler Basalt, satter Lehm – die hundertzwanzig Kilometer lange Küste der Grafschaft Antrim verfügt über ein vielgestaltiges Sortiment. Die seltsamste Formation stellt der Giant’s Causeway östlich von Dunluce Castle dar. Vulkanische Tätigkeit vor sechzig Millionen Jahren schuf mehrere zehntausend größtenteils sechseckige Basaltkegel, die sich wie ein Großpflaster ineinanderfügen. Die Iren freilich trauten der Natur nicht zu, Steine so passgenau zu verlegen. So schrieben sie das Werk dem Riesen Finn MacCool zu, der trockenen Fußes über die See nach Schottland laufen wollte, um seinen Rivalen Benandonner herauszufordern. Immerhin taucht der Damm des Riesen am anderen Ende, vor der schottischen Insel Staffa, als Fingal’s Cave wieder auf.
Giant´s Causeway
Im Jahre 1986 wurde der Giant’s Causeway zum Weltkulturerbe erklärt. Seitdem 1693 erstmals über das Naturphänomen geschrieben wurde, reißt der Besucherstrom nicht ab. Dabei muss die Anreise damals mühsam gewesen sein. Zumindest konnte man einen Umweg über Bushmills einplanen. Die dort ansässige Destillerie gleichen Namens, die feinsten Malt-Whiskey produziert, wurde bereits 1608 gegründet. 1883 sorgte der blühende Fremdenverkehr für die Einrichtung einer elektrischen Straßenbahn zwischen Portrush und Bushmills; vier Jahre später wurde die Strecke bis zum Causeway verlängert. Dass der Strom für die Tramway durch Wasserkraft erzeugt wurde, war damals eine Sensation. Doch Mitte des vorigen Jahrhunderts hat man die Strecke aufgegeben, seitdem fahren dort nur noch Autos und Busse.
Irisch-englische Irritationen
Zwischen Besucherzentrum und Giant’s Causeway pendelt ein Shuttle-Bus. Schöner ist es, den Pfad oberhalb der dramatischen Steilküste zu nehmen. Nach acht Kilometern schmiegt sich ein breiter Strand wie ein Collier an die Whitepark Bay. Surfer im Neoprenanzug lassen sich auf hohen Wellenkämmen in die einsame Bucht tragen. Das einzige Haus oberhalb der Whitepark Bay ist eine Jugendherberge. Ein wahrlich spektakulärer Standort.
Dramatisch: die Causeway Coast
1690, drei Jahre bevor der Giant’s Causeway publik gemacht wurde, kam es zum endgültigen Sieg der Protestanten über die Katholiken. Die Wurzeln des Nordirland-Konflikts liegen weitere 156 Jahre zurück, als Heinrich VIII. sich von Katharina von Aragon scheiden lassen will, um Anna Boleyn zu heiraten. Um das zu bewerkstelligen, muss er sich von Rom trennen und eine unabhängige Staatskirche, die Church of England, gründen. Die katholischen Iren folgen ihm darin nicht, dennoch wird Heinrich VIII. im Jahre 1541 zum König von Irland ernannt. Unter der Herrschaft seiner Tochter Elisabeth I. kommt es zu Vertreibungen der Katholiken. Die Kolonisierung Irlands, die sogenannten „plantations“, durch Engländer und Schotten beginnen.
Eine Rast im Wind
Das Jahr 1690 jedoch markiert das bekannteste Ereignis auf der irischen Zeittafel: William III. von Oranien geht in Carrickfergus, an der Einfahrt zum Belfast Lough, an Land und marschiert zur Schlacht am Boyne. Der Katholik James II., zwei Jahre zuvor mittels eines Staatsstreichs nach nur drei Jahren Amtszeit als König von England hinweggefegt, unternimmt mit Hilfe französischer Truppen einen letzten Versuch, den Thron zurückzugewinnen. Die katholischen Iren, in der Hoffnung ihre Rechte und ihr Land zurückzubekommen, unterstützen ihn. Doch James flieht als einer der ersten vom Schlachtfeld. William, der Protestant, trägt den Sieg davon.
James, der Hosenscheißer
Alljährlich am 12. Juli gedenken Ulsters Protestanten den Sieg im Battle of the Boyne mit Paraden, die in Drumcree, dem Kirchlein außerhalb von Portadown, eingeläutet werden. Immer wieder kam es dabei zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen Katholiken, Protestanten und der Polizei. Dass James sich so schnell in die Büsche geschlagen hat, nehmen ihm die Katholiken heute noch übel. Als „Séamas a Chaca“, James der Hosenscheißer, werde er verspottet, hatte Martin McCrossan bei einem Stadtrundgang in Derry erzählt.
Im Hafen von Cushendun
Martin McCrossan ist seit mehr als fünfundzwanzig Jahren mit einer Protestantin verheiratet. „Als ich dem Priester die Heiratsabsicht kundtat, hat er mich rausgeschmissen“, erinnert er sich. Inzwischen gebe es viele Mischehen. Auch integrierte Schulen hätten großen Zulauf, viele seien sogar überfüllt. „Die Leute müssen miteinander reden können, nur dann kann sich etwas bewegen.“
Irische Idylle: das Schaf von Downhill Castle
Der einheimische Gast in der „Ropeworks Bar“ des Cushendun Hotels hat damit keine Probleme. Solange der Nachbar am Biertresen mithält, ist es ihm egal, ob er Katholik oder Protestant ist. „In einem so kleinen Ort muss man freundlich miteinander umgehen“, sagt er und wendet sich wieder seinem Pint zu. Die Lounge des Pubs wurde 1935 mit dem Innenleben eines Luxusdampfers aufgemöbelt. Die lackierte Wandbekleidung aus dem Dining-Saloon des Schiffwracks ist leicht vergilbt und das Parkett des Ballsaals ausgetreten. Auf dem alten Gestühl fläzt sich an diesem Nachmittag die Dorfjugend und hält sich an einer Cola fest.
Männer im Kilt
Cushendun mit dem hübschen Pier, den dümpelnden Booten und vornehm wirkenden weißgetünchten Cottages unter ausladenden Schieferdächern zählt zu den schönsten Dörfern in den Glens of Antrim, wie die neun Täler an der Nordostküste heißen. Wo sie ins Meer münden, haben Fischerorte wie Wachposten Stellung bezogen. Kormorane mit ausgebreiteten Flügeln balancieren auf Felsen, die vom Wasser umspült werden. Auf den grünen Bergen grasen wie hingetupft wollige Schafe. In den nahen Slemish Mountains soll im fünften Jahrhundert der Heilige St. Patrick, damals noch ein Sklavenjunge, sechs Jahre lang Schweine gehütet haben. Besenginster und Heide, Buschwindröschen und mannshohe Fuchsien flankieren plätschernde Flüsse und Wasserfälle. Mischwälder wie der Glenariff Forest Park laden zum Wandern ein. Elfen und Feen, so heißt es, hausen in den Glens und nehmen grausame Rache an jedem, der es wagt, dort einen Schwarzdornbusch zu fällen.
Noch eine irische Idylle: Cottage am Strand
Die Uferstraße von Larne nach Cushendun wurde erst 1834 aus dem Kalkstein gehauen. Die abgelegenen Täler bewahrten die Bewohner lange Zeit vor protestantischen Siedlern. Bis Mitte des 19. Jahrhunderts zogen die Farmer eher nach Schottland als nach Belfast. Traditionen und Legenden konnten sich im Norden Irlands länger halten als anderswo. Bei den Highland Games in Glenarm alljährlich im Juli messen Männer im Kilt ihre Kräfte. An richtigen Kerlen hat es dieser Region indes nie gemangelt.
Versöhnung über den Ruinen?
Nicht nur Finn MacCool, der Erbauer des Causeway, war ein Krieger der Fianna. Auch sein Sohn Ossian gehörte der Kriegerkaste an und diente den Hochkönigen von Irland. So jedenfalls steht es geschrieben im „Fenian Cycle“ der keltischen Mythologie. Im Mannesalter verliebte sich Ossian in Niamh, die Königin von Tir na n-Og, und folgte ihr ins Reich der ewigen Jugend. Nach drei Jahren, wie er glaubte, plagte ihn das Heimweh - tatsächlich waren schon dreihundert Jahre vergangen. Niamh gab ihm ihr fliegendes Pferd Embarr, damit der Geliebte den Boden nicht berührte, jung und frisch bliebe. Unglücklicherweise fiel Ossian vom Pferd und verwandelte sich auf der Stelle zum Greis. In Ossian’s Grave, einem Megalithgrab an einem Hang oberhalb des Flusses Glenaan sollen seine alten Knochen bestattet sein. Die Iren tragen auch ihre Helden aus der Mythologie zu Grabe.
Auskunft:
Irland Information Tourism Ireland, Gutleutstraße 32, 60329 Frankfurt,
Telefon 069/6680 0950, Internet: www.entdeckeirland.de.
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Die "Grüne Insel" gilt als Inbegriff von Natur, faszinierenden Landschaften, Ruhe, reicher Geschichte und ebensolcher Kulturdenkmäler.
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Die Vielfalt der irischen Landschaft kann süchtig machen: die goldgelben, im Spiel von rasch wechselndem Licht immer neue Konturen gewinnenden Sandstrände, die zu einsamen Spaziergängen einladen; in felsige Spitzen auslaufende Halbinseln, die von einem einsamen Leuchtturm bewacht werden; schroffe Klippenlandschaften, wo tosende Wellen und krächzende Seevögel fast zwangsläufig verstummen lassen.
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Viele irische Farmen vermieten Pferd und Karavan für einen Urlaub im Zigeunerwagen. Eine von ihnen ist die Kilvahan Horse Drawn Caravan in Coolrain, nur eine Stunde entfernt vom Dubliner Flughafen. Julia und Hans, zwei Pferdenarren aus Deutschland, bewirtschaften die Farm seit 15 Jahren. Für die Fahrt mit dem Planwagen sind keine Pferdekenntnisse erforderlich. Die Bereitschaft sich auf ein neues Abenteuer einzulassen und die Liebe zum Pferd sind die einzigen Voraussetzungen für den Urlaub im Zigeunerwagen – den Rest übernimmt der vierbeinige Partner.
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Nordirland. Über 1.000 Meilen ausgeschilderte Radwege des britischen National Cycle Network durchziehen die landschaftlich, kulturell und geschichtlich interessante Region. Aufregendes Neuland für deutsche Radfahrer.
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