Freundes Land

Radfahren in Nordirland

Text und Fotos: Judith Weibrecht

Nordirland. Über 1.000 Meilen ausgeschilderte Radwege des britischen National Cycle Network durchziehen die landschaftlich, kulturell und geschichtlich interessante Region. Aufregendes Neuland für deutsche Radfahrer.

Nordirland - Küste

Zugegeben, zuerst schien es nur eine Schnapsidee zu sein. Mein Freund Killen(Name geändert) und ich saßen gerade beim Bier und diskutierten mal wieder über Nordirland. K. ist gebürtiger Nordire. „Warum nur“, „monierte er, „kommen den Leuten beim Thema Nordirland immer noch vor allem Bomben, IRA, Unionisten und Troubles in den Kopf?“ Die Troubles, 30 Jahre Bürgerkrieg, seien lange vorbei. Der Schuldige am verzerrten Bild war schnell ausgemacht: „Es sind die Medien, nur dann, wenn etwas passiert, wird über uns berichtet!“

Das werden wir doch mal sehen, dachte ich trotzig, schaltete den Computer ein und forschte nach nordirischen Radwegen. Überraschung: Das Radwegenetz in den nordirischen Counties ist engmaschig, die Landschaften grandios mit steilen Klippen, karibisch blauem Meer und grünen Hügeln mit weißen Schäfchen-Punkten.

Nordirland - Belfast - Crown Liquor Saloon

Vor Ort in Belfast (1) stattet uns Norman Trotter vom Radreiseanbieter „Iron Donkey“, eiserner Esel, mit Trekkingrädern aus. Nach einer angemessenen Stärkung im altehrwürdigen „Crown Liquor Saloon“, der mit seinen Buntglasfenstern und Mosaiken eher einer Kathedrale gleicht als einem Pub, kann es losgehen. Gegenüber ragt das berühmte Europa Hotel in den Himmel, das häufiger zum Ziel terroristischer Bomben-Attacken wurde als jedes andere Hotel auf der Welt.

Nordirland - Belfast - im altehrwürdigen „Crown Liquor Saloon“

Im altehrwürdigen „Crown Liquor Saloon“

Gen Norden und mit Blick auf gigantische Kräne, ein monströses Dock und die Werft von Harland & Wolff, wo einst auch die Titanic gebaut wurde, geht es raus der Stadt. Ein ganzes Stadtviertel wurde nach ihr benannt: das Titanic Quarter jenseits des River Lagan, mit modernen Hotels, Freizeitpark und dem Titanic-Besucherzentrum, das einem Schiffsbug gleicht und metallisch in der Sonne glänzt. Wir streifen Carrickfergus mit seiner beeindruckenden Burg, doch die Strecke bis Larne (2) ist nicht wirklich zu empfehlen. Meist geht es die stark befahrene M2 entlang und bis hierher könnte man auch mit dem Zug gelangen.

Nordirland - Die Küste von Antrim hinter Larne

Die Küste von Antrim hinter Larne

„Hinter Larne wird es erst richtig schön“, hatte K. gesagt. Und der Wirt der „Bridge End Tavern“ meint später in Glenarm bedauernd: „It is an awful place“. Nun befinden wir uns auf der Antrim Coast Road und endlich auf dem Radweg 93. Es stimmt: Hier windet sich die Straße die tief eingeschnittenen Glens (Täler) of Antrim entlang.

Nordirland - Antrim Glens (Täler) und Palmen

Antrim Glens und Palmen

Rechts liegt die See, links schroffe Täler, vor uns Gras bewachsene Hügel mit mähenden Schafen. Sie tragen Farbtupfer auf dem Rücken, je nachdem, zu welchem Farmer sie gehören: blau, rot, violett. Wispernde Palmen säumen den Wegesrand. „Morning!“ grüßen andere Radfahrer auf dem Radweg 93, und es klingt eher wie ein Befehl denn wie ein Gruß. Die Route ist wie alle britischen Radwege blau-weiß-rot ausgeschildert, und wir folgen ihr meist auf Straßen, selten auch auf eigens angelegten Radwegen, fast immer die Küste entlang ab Larne bis Derry/Londonderry und weiter in die Sperrin Mountains.

Nordirland - Carrick-a-Rede Rope Bridge

Carrick-a-Rede Rope Bridge

„Dort drüben liegt Schottland!“ Eine Touristin weist am Aussichtspunkt Garron Point nach Nordosten hin. Mull of Kintyre ist ein Mythos, der nächst gelegene Teil Schottlands, der einem noch oft begegnen wird, manchmal im Sprühnebel, manchmal im Regen, aber auch im Sonnenglanz. An der Carrick-a-Rede Rope Bridge (3) singt eine Lady gar voller Verzückung Paul McCartneys Song zum Thema. Die schwankende Seilbrücke verlangt alle Konzentration. 30 Meter hoch und 20 Meter lang führt sie vom Festland zu Carrick Island. „Fahr doch mit dem Rad rüber!“, scherzt Lawrence, der aus Siebenbürgen stammt, hier Karten verkauft und perfekt Deutsch spricht. No way! Mein Freund K. hat die Mutprobe nach eigenen Angaben nicht mal zu Fuß bestanden.

Regenwasser – Whiskeywasser

Nordirland - Der Curfew Tower in Cushendall, in den einst Unruhestifter und Müßiggänger gesperrt wurden

Der Curfew Tower in Cushendall

Der Weg bis zur Brücke war schwer und steil, unser Schwanken erklärt sich auch aus Erschöpfung. Im „The Lurig Inn“ in Cushendall (4) ging es hoch her: Dort diskutiert man, lacht, singt, schreit. Draußen steht der rötliche Curfew Tower, in den einst Unruhestifter und Müßiggänger gesperrt wurden. Über das niedliche Örtchen Cushendun mit seinen pastellfarbenen Häuschen geht es hoch hinauf auf die Torr Scenic Road und oberhalb der schroffen Küste mit ihren majestätisch aufragenden Klippen entlang. Steile Anstiege und rasante Abfahrten - da ist schon einiges an Muskelschmalz nötig, und so mancher Sprühregen verdirbt einem die Aussicht. Zu den angeblich vierzig verschiedenen Grün-Schattierungen kommen tausend verschiedene Regenarten: Drizzle oder mizzle, scattered rainshowers oder heavy rains. So nach und nach kann man sie alle benennen. Grün ist Nordirland also sicher, doch auch bunt: gelbe Butterblumen, blaue Glockenblumen, tiefrote Fuchsien beleben das Bild.

Nordirland - in Ballycastle

Strand in Ballycastle

Der Wind kommt immer von vorn, und am weit geschwungenen Sandstrand von Ballycastle vertreibt er die Wolken: Kein Regen bis Bushmills! Die Bushmills Distillery (5) wollen wir sehen. Sam, ein junger Nordire in Warnweste mit blondem Kurzhaarschnitt führt unsere Gruppe. Wie hierzulande üblich gibt es zuerst eine Sicherheitseinweisung. „Macht bitte keinen Blödsinn!“, sagt Sam energisch, „ich habe gerade erst mit dem Job angefangen, und das wäre das Letzte, was ich brauchen kann.“ Schon sind die Lacher auf seiner Seite. Sam erklärt die Herstellung des Whiskeys. 244.000 Fässer à 250 Liter Kapazität lagern hier. Die Reife eines Bourbon z. B. dauert drei bis sechs Jahre. In dieser Zeit verdunste auch ein Teil der Flüssigkeit aus den Fässern. „Das“, grinst Sam, „wird in Irland Angel’s Share genannt, ein Schluck für die Engel. In den USA Devil’s Cut, Schnitt für den Teufel.“

Nordirland - Bushmills gegen Regen!

Bushmills gegen Regen!

In der Packtasche verschwindet ein Minifläschchen Whiskey, 2 cl. Doch nicht für lange! Am italienisch anmutenden Mussenden Temple, der einst für die schöne Frau Mussenden erbaut wurde, erwischt uns ein übler Wolkenbruch, downpour. Ein Unterstellplatz ist schnell gefunden, aber wasserfallartig schießt das strömende Nass zwischen unseren Füßen hindurch und steigt bedrohlich an. Besondere Situationen erfordern besondere Maßnahmen, und der Mini-Bushmills wird von kältezitternden Fingern geköpft.

Derry oder Londonderry (6)

„Londonderry sagen die nordirischen Protestanten, Derry die Katholiken“, hatte K. erklärt. Touristen werden unserem Eindruck nach von beiden mit offenen Armen empfangen. „Wir freuen uns, dass so viele Leute aus aller Welt hier sind,“ schreit einer im krachvollen Music-Pub „Dungloe Bar“ gegen die Live-Musik an. Eine blondierte Schöne schmettert gerade mit kraftvoller Stimme „This girl is on fire!“. Über den Tresen geht ein Pint nach dem anderen.

Nordirland - Murals (Wandgemälde) in/auf der Bogside (katholisches Stadtviertel) von Derry

Murals (Wandgemälde) in/auf der Bogside

„You are now entering free Derry“ bedeutet ein Monument an der Bogside. Hier wurde aus den Wohnungen heraus geschossen. Hier kämpften Derrys Katholiken gegen die britische Armee. Kunstvolle Murals, Wandbilder, zeigen politisch motivierte Kunst. „Heute jedoch wollen die jungen Leute einfach Frieden“, so Norman. „Unser Problem ist derzeit viel eher die Arbeitslosigkeit und die Abwanderung junger Menschen.“

Nordirland - Nordirland - Murals (Wandgemälde) in/auf der Bogside (katholisches Stadtviertel) von Derry

Hinter Derry liegen die Sperrin Mountains, wild und urig, enge Sträßchen, von Holunderbüschen und mannshohen Farnen gesäumt. Moore, Heide, Täler, Flüsse und schimmernde Seen. Radweg 93 führt mitten hinein in die Idylle. Zahlreiche lokale Radrouten und Rundkurse locken zum Verweilen. Auch auf die wunderschöne Halbinsel Inishowen im County Donegal in der Republik Irland kann man von Derry aus gelangen.

Nordirland - In den Sperrin Mountains

In den Sperrin Mountains

Zurück in Belfast

Quer durch die Stadt geht’s auf einer „Belfast City Bike Tour“. Ein Radweg verläuft mitten auf der High Street. Norman könnte ein Buch schreiben über die Geschichte der Stadt: „Seilereien, Leinwebereien, Tabakindustrie und Schiffswerften waren einst die Haupteinnahmequellen der Belfaster.“ Durch strukturelle Veränderungen brachen sie nach und nach weg. „Auf den Werften gab es ja vor siebzig Jahren noch 35.000 Beschäftigte, heute sind es weniger als 100 Festangestellte“, erzählt uns ein Arbeiter.

Doch downtown ist Belfast heutzutage „in“. Die Innenstadt pulst. So mancher Brite, sagt man, fliegt fürs Wochenende rüber, um sich zu amüsieren. Die Pubs, Bars und Restaurants im Cathedral Quarter rund um die St. Anne’s Kathedrale sind überfüllt. Vor dem gefragtesten Nachtclub unter dem Cotton Square wartet allabendlich eine Menschenschlange. Die Einnahmen des Pubs „John Hewitt“ gehen an Obdachlose. Man hilft einander. „Die Belfaster halten eben zusammen!“ betont einer. Und neben dem „Duke of York“ kann man Murals mit berühmten Nordiren bestaunen: Van Morrison, Rory Gallagher, George Best und viele mehr. Wirt Willy ist ein Scherzkeks und meint: „Kommt doch später noch mal auf ein ‚wee Pint’ vorbei!“ „Wee“ ist hier fast alles, und „wee“ bedeutet klein. Ein Pint aber fasst mehr als einen halben Liter.

Drüben in der Weststadt in der Falls Road wohnen die Katholiken, in der Shankill Road die Protestanten. Hier fanden ab 1969 Auseinandersetzungen zwischen beiden Lagern statt. Auf Abstand gehalten werden Unionisten und Republikaner bis heute durch meterhohe Peace Lines, vergleichbar der Berliner Mauer, und einige der großen Sicherheitstore bleiben nachts immer noch geschlossen. Dramatische Murals bringen politische Inhalte zum Ausdruck und erinnern an die Kämpfe. Inzwischen gibt es jedoch auch viele Wandgemälde aus neuerer Zeit, die den Frieden zum Thema haben.

Das stärkste Bild aber ist kein Gemälde, sondern ein lebendes: Mitten auf einem Plateau an den Peace Lines sitzt ein Mädchen in sich selbst versunken im Schneidersitz auf dem Asphalt: schwarze Hot Pants, helles Top, eine lilafarbene Schleife im Haar. Dahinter ein Wandbild mit einem angreifenden Mann, MP im Anschlag. Selbstvergessen spielt sie Flöte, eine liebliche Melodie. Sie lächelt.

Nordirland - Pub

Fazit: Grandiose Landschaften, interessante Orte, spannende Geschichte, gemütliche Pubs für Radlers Rast und jede Menge beschilderte Radwege. Das ist es, was uns nun spontan zu Nordirland einfällt.

 

Weitere Informationen zu Belfast finden Sie in unserem Reiseführer Belfast.

 

Reisemagazin schwarzaufweiss

 

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