Mit dem „Transcantábrico“ durch Spaniens Norden

Luxus-Abenteuer auf Schienen

Text: Manfred Lädtke
Fotos: Manfred Lädtke, FEVE

In Santiago de Compostela endet nicht nur der Jakobsweg, die Wallfahrtsstadt ist auch Anfang einer Reise mit „El Transcantábrico“. Mit nostalgischer Langsamkeit schlängelt sich der Luxuszug von April bis Oktober auf der mit rund 1000 Kilometern längsten Schmalspurstrecke Europas durch Spaniens grünen Norden.

Nordspanien- Santiago de Compostela - Kathedrale

Zigtausende von Pilgern machen sich alljährlich auf den Weg zur Kathedrale nach Santiago de Compostela. Nachts ist das Kathedralenviertel besonders stimmungsvoll

Ihrem Ruf, regenreichste Stadt Spaniens zu sein, macht Santiago de Compostela an diesem Tag keine Ehre. Als Pilgerscharen mit lauten Gesängen ihr ersehntes Wallfartsziel auf dem Praza do Obradoiro vor der Kathedrale erreichen, reckt das prächtige Gotteshaus seine Zwillingstürme erhaben in einen wolkenlosen Himmel.

Nordspanien - Santiago de Compostela - Romantik in Stein: Verträumter Platz in der Rúa da Troia von Santiago de Compostelas Altstadt

Romantik in Stein: Verträumter Platz in der Rúa da Troia von Santiago de Compostelas Altstadt

Vis á vis steht seit 500 Jahren das Parador Nacional Reyes Católicos. Das frühere Hospital ist heute eines der ältesten Hotels der Welt und Treffpunkt für die Zugtouristen. Im stilvollen Gewölbekeller wartet auf rund 50 Passagiere aus Europa, Südamerika, Russland und Australien ein 4-Gänge-Menü. Der kulinarische Auftakt ist vielversprechender Vorgeschmack auf eine abwechslungsreiche Reise durch die Geschichte und Gastronomie Nordspaniens. Während Reiseleiterin Anna die Suiten einteilt, ist das Gepäck schon unterwegs zum Bahnhof in der Hafenstadt Ferrol. Ein komfortabler Bus für tägliche Ausflüge ins Hinterland wird den Zug auf der fünftägigen Tour durch Galizien, Asturien und Kantabrien begleiten und fährt die Gruppe nach einem letzten Glas Rioja zum Bahnsteig.

Seit 1983 ist das rollende Hotel „Transcantábrico“ im spanischen Norden unterwegs

Seit 1983 ist das rollende Hotel „Transcantábrico“ im spanischen Norden unterwegs

Das graue schmucklose Betonambiente der tristen Bahnstation will so gar nicht zu dem 250 Meter langen spanischen Schmuckstück auf Schienen passen. Egal. Zwischen Tristesse und Noblesse liegt nur eine Wagenstufe. Neun cremeweiß-blaue Waggons mit eleganten Salon-, Restaurant- und Schlafwagen geben Reisenden das Gefühl, ein rollendes Nostalgiehotel zu betreten. Im Salon füllen Kellner die Sektgläser. Plüschige Vorhänge, dicke Teppiche und Art Déco-Leuchten vermitteln einen Hauch von anno dazumal. „Salud“, ruft Anna, wirbelt von Gast zu Gast und wirbt für das Abendprogramm im Tanzwagen. Ruckelnd setzt sich der Zug in Bewegung.

Das Frühstück wird an Bord des Zuges serviert. Das Abendessen kommt abwechselnd im Transcantábrico und in Restaurants an Land auf den Tisch

Das Frühstück wird an Bord des Zuges serviert. Das Abendessen kommt abwechselnd im Transcantábrico und in Restaurants an Land auf den Tisch

Vor den Fenstern ziehen Galiciens weitläufige Eukalyptuswälder, sattgrüne mit Ginster und Raps betupfte Wiesen, zauberhafte Buchten und Flusslandschaften vorbei. Den meisten Gästen entgeht allerdings diese erste Symphonie in Grün. Die Schultern zur Seite gewendet tapsen sie suchend durch die schmalen Gänge der Waggons. „Wagen 5, Suite Nr. 20?“ Aha, hier! Die holzgetäfelten Abteile passen sich den Maßen einer Schmalspurbahn an. Die Einrichtung auf sechs Quadratmetern besteht aus einem Schlafraum mit Kleiderschrank, Gepäckplatz, Telefon, Safe, einer Minibar, Klima- und Musikanlage sowie aus einem separaten Badezimmer mit Massagedusche und Dampfdüsen. Mit nur 1,20 Meter breiten Betten hat sich der Zug auch den Namen „Love Train“ verdient. Vor allem bei älteren Paaren hält sich die Begeisterung über die eingeschränkte Bewegungsfreiheit jedoch in Grenzen.

Insgesamt 25 Suiten bieten im Transcantábrico Platz für 54 Reisende

Insgesamt 25 Suiten bieten im Transcantábrico Platz für 54 Reisende © FEVE

Ein Glöckchen bimmelt am nächsten Morgen die Passagiere aus dem Schlaf. Klinge-linge-ling: Das heißt übersetzt „Buenos dias“, raus aus den Federn. Wäre ein Weckruf mit Spanischer Gitarre nicht origineller? „No no, Señor“, lächelt ein Crewmitglied in schmucker blauer Uniform. Hier im keltisch geprägten Norden, wo Gläubige auf Pilgerpfaden und zu Kirchen unterwegs sind, sei das Signal mit der „Campanilla“ doch viel angebrachter. Stimmt. Mit aufgehender Sonne und bei einem opulent bestückten Frühstücksbuffet im Speisewagen zuckelt der Zug von seinem Nachtquartier auf einem Abstellgleis zurück in die Erlebnisspur.

Wenn an Galiciens „Kathedralenstrand“ die große Flut kommt, tauchen die Steinkolosse im Meer komplett unter

Wenn an Galiciens „Kathedralenstrand“ die große Flut kommt, tauchen die Steinkolosse im Meer komplett unter

Gegen Mittag erreicht der Hotelexpress an Galiciens Grenze zu Asturien den Küstenort Ribadeo. „Eine Kinokulisse an Europas spektakulärstem Strand“ verspricht Anna. Wirklich? In charmant gebrochenem Deutsch bekräftigt die quirlige Enddreißigerin mit einem trillernden „jei, jei, ja“ den Superlativ, lässt die Passagiere in den wartenden Bus steigen und mahnt zur Eile. Nicht ohne Grund. Zehn Kilometer weiter erheben sich auf feinem weißen Sand bizarr ausgehöhlte Felsformationen wie Strebebögen einer gotischen Kathedrale. Ein Spaziergang zwischen den Kolossen auf dem 400 Meter langen „Kathedralenstrand“ ist aber nur bei Ebbe möglich. Rauscht die Flut heran ist „Land unter“ und die bis zu 30 Meter hohen von Brandung und Wind geschichteten Sandsteinriesen gehen auf Tauchstation. Im Sommer spazierten zuletzt bis zu 20 000 Menschen pro Tag zwischen den Naturmonumenten, traten dabei aber auch Fauna und Flora mit Füßen. Das veranlasste die Regierung, den Touristenströmen eine „Obergrenze“ zu verpassen. Zwischen Juli und September ist der Zugang von der steilen Felswand hinab zum Strand nur noch mit Tickets für 4 800 Besucher erlaubt.

Auf der Fahrt bis Avilés blinzelt die Sonne in den Salonwagen mit Bar und Bibliothek. Selten schneller als mit 50 Kilometern pro Stunde kurvt der Zug vorbei an stillen Dörfern sowie durch Buchen- und Eschenwälder, in denen sogar noch Braunbären leben. Auf dem Tisch stehen Snacks, Obst und Schaumwein - entspannter kann Eisenbahnfahren nicht sein. Genießen können Reisende die Kreuzfahrt seit 1984. Damals stellte die Ferrocarilles Espanoles de Vía Estrecha (FEVE) den Touristenzug mit zunächst bescheidenem Komfort, ab 2001 mit Luxusambiente auf die schmalen Gleise. Heute gönnen sich jedes Jahr rund 2000 betuchte Passagiere das Vergnügen auf Schienen.

Mit seinen Arkadengängen und großen Plätzen besitzt Avilés eine der schönsten Altstädte in Nordspanien

Mit seinen Arkadengängen und großen Plätzen besitzt Avilés eine der schönsten Altstädte in Nordspanien

Avilés ließen Reisende bisher allerdings links liegen. Dem strukturschwachen Städtchen mit seinen Industriebrachen und scheußlichen Hochhausbezirken haftet ein Imageproblem an, das Oscar Niemeyer im hohen Alter von 99 Jahren lösen sollte. Auf einer künstlichen Insel zwischen Industrieschrott und Altstadt ließ der brasilianische Stararchitekt 2011 ein Kultur-Ufo landen. Von der futuristischen kurvigen Architektur des Kulturzentrums erhofften sich die Stadtväter einen Bilbao-Guggenheim-Effekt. Der lässt aber immer noch auf sich warten. Allzu provinzielle Konzerte und Ausstellungen sowie das Fehlen von Weltstars machen das blendend weiße extravagante Architekturensemble zur beliebigen Spielwiese und letztendlich doch grauen Kulturmaus. Mehr Flair verspricht die hübsche Altstadt, in der ein Rosado oder Sidra auf einem der arkadengesäumten Plätze am besten schmeckt.

Ein „Hoch“ auf den Apfelwein. Vor dem Durstlöschen steht das Ritual des Einschenkens

Ein „Hoch“ auf den Apfelwein. Vor dem Durstlöschen steht das Ritual des Einschenkens

Zuhause ist der Apfelwein Sidra unter den „Picos de Europa“, wo sich Asturien von seiner wilden schroffen Seite zeigt. Auf Serpentinen schraubt sich der Bus hinauf in das verkarstete Kalksteinmassiv. Über 2000 Meter hoch ragen in dem Nationalpark die „Gipfel Europas“ in das Reich der Nebel. Zwischen einsamen Bergdörfern grasen in smaragdgrünen Tälern Kühe und Schafe. Tobender Wind pfeift den Ausflüglern entgegen, als sie am tiefblauen Lago de la Ercina den Hügel zu einer Alphütte emporsteigen, in deren Regalen ein Dutzend grüner Flaschen mit Apfelwein stehen. Einschenken und trinken? Bloß nicht! Der Wirt legt Hand für ein Prozedere an, ohne das eine Verkostung des asturischen Nationalgetränks nicht stilgerecht wäre: Mit einem Arm die Flasche möglichst hoch über den Kopf und mit dem anderen das Glas tief unter die Hüfte halten. Erst durch den Aufprall des meterlangen Strahls entwickelt der perlige Durstlöscher sein mildes süßes Aroma.

Typische Bar in Santander. Die Serrano-Schinken sind nicht nur ein Hingucker. Der Wirt schneidet das magere Fleisch in hauchdünne Scheiben und serviert es mit Knoblauchbrot und Tomaten zum Wein

Typische Bar in Santander. Die Serrano-Schinken sind nicht nur ein Hingucker. Der Wirt schneidet das magere Fleisch in hauchdünne Scheiben und serviert es mit Knoblauchbrot und Tomaten zum Wein

Im Zugrestaurant bereiten kreative Hände das Dinner vor. „Caldeirada“, ein kantabrischer Fischeintopf, wird als erster Gang und Vorgeschmack auf die mediterrane Küche in Kantabrien serviert. Anna zeigt aus dem Fenster. Auf der Strecke bei Llanes zwängt sich El Transcántabrico zwischen harschen Gebirgsklippen hindurch Richtung Santander. Bevor die ersten Passagiere in dem Seebad mit eleganten Promenaden, mondänen Belle Epoque Bauten und weiten Stränden den Zug vor seiner Weiterfahrt über Bilbao bis León verlassen, steigen sie hinab in einen millimetergenauen Nachbau der 20.000 Jahre alten Altamira-Höhle. Die 1879 von einem Jäger entdeckten Tiermalereien adelten Kunsthistoriker mit dem Titel „Sixtinische Kapelle vorgeschichtlicher Kunst“. Das nur wenige Minuten entfernte Santillana del Mar liegt freilich weder am Meer (el Mar), noch ist es flach (llana). Für Jean Paul Sartre war das hügelige Bilderbuchdörfchen mit seinen stattlichen Herrenhäusern dennoch kein Ort im Irgendwo. Er feierte das mittelalterliche Gesamtkunstwerk als „das schönste Dorf „Spaniens“.

Santillana del Mar hat bereits 1 500 Jahre auf den Dächern. Das Dorf mit seinen Pflastergassen ist ein architektonisches Schmuckstück in Kantabrien und war für Jean-Paul Sartre Spaniens schönstes Dorf

Santillana del Mar hat bereits 1 500 Jahre auf den Dächern. Das Dorf mit seinen Pflastergassen ist ein architektonisches Schmuckstück in Kantabrien und war für Jean-Paul Sartre Spaniens „schönstes Dorf“

 

Reisemagazin schwarzaufweiss

 

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