Radfahren mit Piniengeschmack
Radeln durch den polnischen Osten
Text und Fotos: Judith Weibrecht
Der neue Green-Velo-Radweg an der polnischen Ostsee und der ostpolnischen Grenze ist fast 2.000 Kilometer lang und führt durch unbekannte Welten.
Freilichtmuseum und Museumsdorf Osada Średniowieczna in Huta: in dem dem Museum angeschlossenen Restaurant „Karczma Izba Dobrego Smaku“ biegen sich die Tische unter Würsten und Broten
Los jetzt, runter mit dem Zeug! Es ist morgens halb elf, als Zdzisław Pniewski selbst gebrannten Pinienschnaps einschenkt. Der stämmige Pole lacht und klopft mir auf die Schulter. Südostpolen ist eben nichts für Waschlappen und die polnische Gastfreundschaft sprichwörtlich. Das werden wir noch öfter erfahren. Also gut, wir wollen uns nicht daneben benehmen und verziehen keine Miene. Tatsache, er schmeckt nach Pinien! Man sollte sich auf große Portionen gefasst machen, auch was das Essen angeht. Wer hierher fährt, radelt durch radtouristisches Neuland und hat am besten Offenheit und Neugier im Gepäck.
Agrotourismus Korzyna mit Übernachtungsmöglichkeiten für Radfahrer
An die Radfahrer, die hier neuerdings auf dem „Green Velo Radweg” vorbeikommen, vermietet Zdzisław auf dem Ferienbauernhof Korzyna in Korzenno in der Gemeinde Raków Zimmer und bietet Tennisplatz, Swimmingpool und einen Weiher, in den ein Steg mit Pavillon hineinragt und auf dem man Boot fahren kann. Ehemalige Ruderboote mit Tischen und Bänken am Ufer laden zum Sitzen ein. Obstbäume, Wiesen und Wälder gibt es, so weit das Auge reicht. Zdisław (58) sagt: „Prost!“ und „Willkommen!“, und zeigt auf seine alten Wagenräder und Schnitzarbeiten mit Engeln.
Logo des Green-Velo-Radweges
An die 2.000 Kilometer lang und 65 Millionen Euro teuer ist der neu konzipierte Radweg „Green Velo“, der ab der polnischen Ostsee die ostpolnische Grenze entlang bis Premysl verläuft, dann einen Bogen ins Inland macht und durch fünf Woiwodschaften führt: Ermland-Masuren (Warminsko-Mazurskie), Podlachien (Podlaskie), Lublin (Lubelskie), Karpatenvorland (Podkarpackie) und Heiligkreuz (Swietokryskie). Die Route zieht sich tief in den Südosten bis an die Grenze zur Ukraine, an Weißrussland entlang und führt bis Elbling im Ermland. Das Logo ziert eine Fahrradkette mit fünf Gliedern in fünf Farben, Symbol für die fünf Regionen. Sie stellen ein „W“ dar für Wschodni Szlak Rowerowy (östliche Radroute). Die längste Radroute Polens führt zu Sehenswürdigkeiten, die sich auch links und rechts des Wegs in einem 20 Kilometer breiten Korridor befinden können, Nationalparks und Naturschutzgebieten. Gefördert durch EU-Mittel läuft die Planung mit 260 Partnern, lokalen Regierungen und Gemeinden. Die Beschilderung wird flächendeckend installiert, 220 Rastplätze wurden aufgebaut. Manche bieten Picknicktische und -bänke zum Verweilen, einige auch Toiletten und Waschgelegenheiten. Die orangefarbenen Schilder mit Kilometrierung sind weithin sichtbar und für ganz Polen standardisiert: Jedes trägt eine Nummer für einen Radweg. Die Nr. 1 ist für Green Velo reserviert! Infotafeln weisen auf nahe gelegene Sehenswürdigkeiten, Hotels und Campingplätze links und rechts der Route hin. Unterkünfte analog der deutschen Bett+Bike-Standards mit sicherem Fahrrad-Einstellplatz stehen bereit. Alle 50 Kilometer soll man übernachten können – wie bei Zdzisław. Infomaterial auf Deutsch ist vorhanden, Kartenmaterial ebenfalls.
Kiosk
In einem der Straßendörfer mit bemalten Holzhäuschen und mit bunten Bändern und Blumen geschmückten Marienstatuen lockt ein Kiosk aus dem Sattel. Eis macht die Runde. Der Verkäufer lächelt und bläst sich die ob der Hitze an der Stirn klebenden Haare aus dem Gesicht. Kinder eilen herbei, winken und grüßen „Dzien dobry!”
Rathaus
Das nächste Kleinod: Sandomierz, die Perle an der Weichsel. Mit Monika Łesyszak machen wir eine Sightseeingtour durch die Barockstadt mit ihren vier mittelalterlichen Toren, der Heilig Geist Kirche und dem Königsschloss, das oberhalb der Stadt thront. Rund um den weitläufigen Markplatz stehen putzig renovierte Bürgerhäuser in Bonbonfarben Spalier. Man sitzt man vor Cafés und Kneipen, An einer Bude gibt es Softeis. Davor steht keine Schlange, wir kommen sofort dran. Schlange steht man aber zum Beichten vor einer Kirche. An einer Wäscheleine baumeln die Aufnahmen einer Fotoausstellung. Das Rathaus aus dem 14. Jahrhundert mit seinen Renaissance-Anbauten bildet den Mittelpunkt der Stadt. In einem der Anbauten befand sich einst das Gefängnis. „Es war dunkel und kalt und darunter befanden sich die Toiletten für alle Bürger der Stadt“, erzählt Monika und dass Sandomierz einst an einem Flusshafen lag. Aufgrund des Lössbodens sind viele Häuser aus rötlichen Ziegeln bzw. Backstein erbaut. „Vor der Stadt liegt das Pfeffergebirge, das sehr alt ist und vor 450 Millionen Jahren aus Schiefer entstanden ist.“ Der Name komme daher, dass seine dunkelgraue Farbe der des Pfeffers ähnele. Dahinter fließt die Weichsel durch fruchtbares Land und warme Klimazonen: Aprikosen, Kirschen und Äpfel werden hier angebaut.
Auf dem Rynek, demMarktplatz in Sandomierz
„Zamość, die Renaissance-Stadt, wurde erbaut von zwei Genies, also von zwei Männern“, sagt die Stadtführerin Bogumiła Zdzioch, „und zwar 1580 nach den Plänen des venezianischen Baumeisters Bernardo Moranti und von Kronkanzler und Finanzier Jan Zamoyski mit einem schachbrettartigen Grundriss.” Die Stadt, Weltkulturerbe der UNESCO seit 1992, gilt aufgrund ihrer vielen Arkadengänge auch als Padua des Nordens. Italienisch anmutende Renaissanceplätze lockern das Stadtbild auf. „Dies ist einfach die ideale Stadt“, meint Bogumiła. In der gibt es idealerweise sogar zwei Geburtshäuser von Rosa Luxemburg: Eines, das man fälschlicherweise dafür hielt und eines, von dem man dann herausfand, dass es das richtige ist. Die Stadt war ein Zentrum der Wissenschaft und der Kultur und eine Handelsfestung mit drei Toren, gewaltigen Mauern und sieben Bastionen, die nie erobert wurde. Angehörige vieler verschiedener Nationalitäten, Kulturen und Religionen siedelten sich hier an: Armenier, Juden, Schotten, Engländer. Die Stadt lag am Handelsweg von Lemberg nach Danzig.
Zamość
Jetzt will die Stadt das multikulturelle Zentrum der Region bilden, was sie auch an dem Abend, an dem wir sie besuchen, durch das Eurofolkfestival eindrucksvoll unter Beweis stellt: Es pulst, Trommelwirbel krachen in den Ohren, ein Festival mit Folkloretänzern aus aller Welt findet statt, Biergärten und Cafés sind krachend voll. Der prunkvolle Marktplatz mit seinen verzierten Häusern ist der Salon der Stadt.
Blick auf den Marktplatz von Zamość
Anderntags starten wir erst spät mit den Rädern Richtung Wildnis. Ostpolnische Wälder voller Bären und Wölfen stellten aber keine Gefahr dar.
Informationen
Regionale Tourismusorganisation der Woiwodschaft Świętokrzyskie
Regionales touristisches Informationszentrum
E-Mail: szlak@greenvelo.pl
Montag - Freitag 800 – 17:00, Samstag 8:00 – 16:00
www.greenvelo.pl mit ausführlichen Informationen auf Deutsch, Tourenplaner, Kartenmaterial, fahrradfahrerfreundlichen Übernachtungsmöglichkeiten etc.
http://ermland-masuren-journal.de/auf-dem-green-velo-radweg-durch-den-osten-polens/ (Deutsch)
Anreise
Bahnverbindung mit Fahrradmitnahme z. B. ab Berlin nach Warschau mit dem EC 43 und weiter nach Kielce mit dem IC 5330 www.bahn.de
Fahrradfahrerfreundliche Übernachtungsmöglichkeiten am beschriebenen Streckenabschnitt:
- Hotel Ameliówka in Kielce www.ameliowka.pl
- Ferienbauernhofs Korzyna in Korzenno/Gemeinde Raków www.korzyna.pl
- Hotel Sarmata in Sandomierz www.hotelsarmata.pl
- Hotel Renesans in Zamość www.hotelrenesans.pl