Unterwegs in Draculas Reich

Wandern durch Transsilvanien

Text und Fotos: Dagmar Krappe

Rumänien- Transsilvanien - eine Caruta dient Bauern immer noch als Transportmittel

Eine Caruta dient Bauern immer noch als Transportmittel

Die heftigen Gewitter der letzten Stunden sind weitergezogen. Der Himmel über den dunkelgrünen Karpatenwäldern hat seine Farbe wieder von grau auf hellblau gewechselt. Ganz nah thront jetzt das mächtige Königsteinmassiv, das eben noch mit einem Nebelmantel bedeckt war. Ein Pferdefuhrwerk („caruta“) überholt die Wandergruppe, die auf den schmalen, steinigen und vom Regen glitschigen Wegen durchs Burzental nur langsam vorankommt. Die Gespanne sind keine Touristenattraktion, sondern für rumänische Bauern immer noch ein tägliches Transportmittel für Heu, Milchkannen und sonstige landwirtschaftliche Produkte.

Rumänien - Transsilvanien - das Burzental

Das Burzental

Lautes Gejaule dringt aus dem dichten, schattigen Tannenwald. Wölfe? Graf Dracula, der durch Transsilvanien streift? Nein, es sind nur die Hütehunde von George Corco, der im Burzental eine Schäferei betreibt. „Acht Hunde halten fast 500 Schafe, 60 Ziegen, 45 Kühe und 80 Schweine zusammen“, erzählt der drahtige 80-Jährige, während er mit zwei Helfern das abendliche Melken der Kühe beginnt. In einem spärlich eingerichteten Holzschuppen verarbeitet er die Milch direkt zu Käse, den seine Familie auf Märken verkauft. „Es ist eine harte Arbeit hier draußen“, sagt George: „Mit hoher Verantwortung, denn ich versorge nicht nur 180 eigene, sondern über 300 Schafe sind bei mir in Pension. Klein- und Nebenerwerbsbauern aus dem Umland haben sie mir anvertraut.“ Das hat Tradition in Rumänien. Am Ende des Sommers liefern die Schäfer die Tiere wohlgenährt und unversehrt wieder bei den Besitzern ab. „Hoffentlich“, meint George: „Rumänien ist das Land der Bären, Wölfe und Luchse. Auch wenn wir nachts, eingemummelt in einen dicken Hirtenmantel aus Schafwolle, neben dem Gatter schlafen, kommt es immer wieder vor, dass ein Schaf gerissen wird.“

Rumänien - Transsilvanien - George Corco sen. und jun. verarbeiten ihre Milch vor Ort zu Käse

George Corco sen. und jun. verarbeiten ihre Milch vor Ort zu Käse

Transsilvanien ist das „Land hinter den Wäldern“, eingebettet in die Ost-, Süd- und Westkarpaten. Den Namen Siebenbürgen haben die deutschsprachigen Siedler der Gegend gegeben, die ab Mitte des 12. Jahrhunderts durch einen Aufruf des ungarischen Königs Geza II. ins Land kamen. Typisch für die Region sind die zahlreichen protestantischen Kirchenburgen. Michelsberg (1) ist das Endziel nach dem Abstieg vom 1300 Meter hohen Magura-Gipfel. „Die romanische Burg oberhalb des Ortes stammt aus dem 13. Jahrhundert“, erklärt Wanderführer Hermann Kurmes: „Prinz Charles kam in den 1990er Jahren zum ersten Mal nach Transsilvanien und setzt sich seitdem als Schirmherr des „Mihai Eminescu Trusts“ für die Erhaltung der Siebenbürgen-Dörfer und -Städte ein.“ Inzwischen besitzt der britische Thronfolger auch ein einfaches Ferienhaus in Viscri (Deutsch-Weißkirch).

Rumänien - Transsilvanien - Kirchenburg Michelsberg aus dem 13. Jahrhundert

Kirchenburg Michelsberg aus dem 13. Jahrhundert

Evangelische Kirchengemeinden gibt es auch heute noch. In Neppendorf, einem Stadtteil Sibius, verrichtet Pastor Heinz Dietrich Galter seit 25 Jahren als Nachfolger seines Vaters seinen Dienst. Seine Familie kam 1771 aus Kärnten in die Nähe von Brasov (Kronstadt). Mitte des 18. Jahrhunderts wurden durch die österreichischen Behörden protestantische Familien nach Siebenbürgen umgesiedelt. In Neppendorf begannen viele der „Landler“ ein neues Leben. Das in die Kirche integrierte „Landler-Museum“ beschreibt die Traditionen dieser Bevölkerungsgruppe, insbesondere den starken Zusammenhalt in den „siebenbürgischen Nachbarschaften“.

Inzwischen hat der Pfarrbezirk nur noch 100 Mitglieder. Sie kommen aus umliegenden Orten zusammen, denn die meisten Siebenbürger Sachsen verließen spätestens nach der Wende ihre Heimat, die nach dem Ersten Weltkrieg Rumänien hieß. „Wir unterteilen uns in „Zurückgebliebene“ und „Heruntergekommene“ wie ich“, erklärt Hermann Kurmes und grinst: „1977 bin ich als Spätaussiedler nach Göttingen gegangen. 20 Jahre später wieder nach Rumänien heruntergekommen, also zurückgekommen.“ Seit zehn Jahren betreibt er mit seiner Frau Katharina, die er während seines Lehramtstudiums in Göttingen kennenlernte, eine Pension im Bergdorf Magura (2) bei Zarnesti im Nationalpark Piatra Craiului. Zusammen zeigen sie Touristen die größtenteils noch unberührte Natur und ihre vierbeinigen Bewohner.

umänien - Transsilvanien - auf 1000 Metern Hoehe im Nationalpark Piatra Craiului

Auf 1000 Metern Hoehe im Nationalpark Piatra Craiului

Hin und wieder sind ein paar tiefe Atemzüge zu hören. Ansonsten ist es mucksmäuschenstill auf dem Beobachtungsstand. „Eine Bärin kommt von links aus dem Wald“, flüstert Katharina Kurmes nach einer Stunde langen Wartens. Ein paar Äste knacken, dann tapst eine fünf Jahre alte Braunbärin aus dem Dickicht auf die Lichtung, nimmt einen Apfel zwischen ihre Pranken und verzehrt ihn genüsslich. Als Nachspeise gönnt sie sich mit Honig und Puderzucker bestreuten Mais, den Förster Andrei Ciocan zuvor als Lockmittel ausgelegt hat. 36 Bären gebe es im Krumbachtal, sagt der Förster. Wölfe, Schreiadler, Schwarzstörche und Habichtkauze durchstreiften ebenfalls sein Revier. Richtig „bärig“ geht es am nächsten Tag im Schutzreservat „Libearty“ bei Zarnesti (3) zu, dem größten Europas. Fast 80 traumatisierte Tanz-, Zoo-, Zirkus- und illegal privat gehaltene Bären fanden seit 2005 auf dem 70 Hektar großen Gelände eine neue, artgerechte Heimat für ihren Lebensabend.

Rumänien - Transsilvanien - Bären im Schutzreservat Libearty bei Zarnesti

Bären im Schutzreservat Libearty bei Zarnesti

Wer durch Siebenbürgen wandert, kommt am „Dracula“-Schloss nicht vorbei. Von Magura aus führt ein Wanderpfad direkt zum Schloss Bran (4), 30 Kilometer südwestlich von Brasov (Kronstadt). Dort angekommen, heißt es bis zum Einlass Schlange stehen zwischen Dracula-Souvenirs in Masken-, Gebiss-, T-Shirt-, Becher- und Button-Form, Imbiss- und Getränke-Ständen. Dabei streiten sich die Gelehrten, ob Fürst Vlad Tepes III., der Pfähler, der die Vorlage zu Bram Stokers Roman „Dracula“ lieferte, im 15. Jahrhundert jemals in Bran gewesen ist. Doch das Geschäft boomt. Obwohl nur zwei Zimmer im Hauptturm des weißen Schlosses dem walachischen Fürsten und Stokers Roman gewidmet sind. 30 zu besichtigende Räume verteilen sich über vier Stockwerke: Schlafgemächer, Speisezimmer, Bibliothek, Musiksaal, Kammern mit Waffensammlungen und Jagdtrophäen – alles was ein Schloss so zu bieten hat.

Rumänien - Transsilvanien - Dracula-Schloss Bran

"Dracula"-Schloss Bran

Königin Maria von Rumänien bekam 1920 die Törzburg von der Stadt Brasov (Kronstadt) geschenkt und ließ sie ausbauen. Tochter Ileana erbte das „rumänische Neuschwanstein“. Sie wurde 1947 des Landes verwiesen. Das Schloss fiel wieder in den Besitz des Staates. 2009 erhielten die Nachfahren Ileanas das Gebäude samt Park zurück und richteten es neu ein. „Im „Dracula“-Schloss ist der Massentourismus angekommen“, meint Hermann Kurmes: „Doch ansonsten faszinieren in Transsilvanien nach wie vor die Ursprünglichkeit, die Einsamkeit der Wälder, die Traditionen und die Langsamkeit, mit der sich der Fortschritt außerhalb der Städte ausbreitet.“

Rumänien - Transsilvanien - Wanderung durch die Zarneschter Schlucht im Nationalpark Piatra Craiului

Wanderung durch die Zarneschter Schlucht im Nationalpark Piatra Craiului

 

Reisemagazin schwarzaufweiss

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