Zeitreich – Zauberreich

Radfahren in Südschweden

Text und Fotos: Judith Weibrecht

Durch das südschwedische Glasreich führen 19 Radrouten von unterschiedlicher Länge auf Feld-, Forstwegen und Nebenstraßen zu Glasbläsern und der Geschichte der Auswanderer, zu Wäldern und Seen.

Südschweden - in Korrö, bunte Streifen am Mitsommernachtsbaum

In Korrö, bunte Streifen am Mitsommernachtsbaum

Eine Familie grillt und winkt herüber. Ein Bach gluckert. Die falunroten Holzhäuser leuchten in der Abendsonne. Im See plantscht ein blondes Kind und juchzt. So weit, so Klischee. Ich bin in Korrö (1) gelandet und fühle mich wie auf einem anderen Planeten.

Die Gegend ist typisch für Småland: ein Naturschutzgebiet mit Moränenhügeln und eiszeitlichen Talkesseln, Findlingen, Wiesen und Wäldern. Der Fluss Ronneby rauscht durch das liebevoll restaurierte, ehemalige Handwerker-Dorf. Die einstige Walkmühle für Filz und Tuch, Gerberei und Schmiede können besichtigt werden. Seit 1950 befinden sich in den Holzhäuschen eine Jugendherberge und ein Hotel. In den Gästezimmern hängen die Fotos und dazu gehörigen Geschichten der Auswandererfamilien.

Südschweden - in Korrö, bunte Streifen am Mitsommernachtsbaum

Deren Leben war hart. Auf dem Utvandrarleden, dem Auswandererweg, beginnt die Rundtour. Ganze Landstriche wurden zwischen 1840 und 1930 entvölkert, da eineinhalb Millionen verarmte Schweden via Hafen Karlshamn meist nach Amerika emigrierten. Hunger und eine strenge Obrigkeit und Staatsreligion waren die Gründe dafür.

Dazu kann man Vilhelm Mobergs Auswandererromane lesen, um eine Vorstellung zu bekommen. Zeit und Muße zu lesen wird man haben. Das Leihrad hat drei Gänge, einen Korb am Lenker, Rücktrittbremse, die Etappen sind um die 30 Kilometer lang. Die Ausschilderung des Utvandrerleden ist spärlich, ab und an prangt ein Holzschild mit der Aufschrift „Cykel“ (Fahrrad) an einem Baum. Kartenlesen ist angesagt, die würzige Luft des Waldes genießen, sich Zeit lassen.

Südschweden - Wegweiser

Wegweiser

Bis zum Tagesziel Abrahamshult sehe ich keinen einzigen Laden oder Café. Eine Tankstelle ist die Lösung. An der Kreuzung bei Konga heißt es deshalb: Bremsen ziehen. Hier gibt es: Laden, Post, Wasser, Brot, guten Rat. Aus einem Auto dröhnt Westernmusik. Auf einem Plakat lacht der Sänger, der mit einer „Jubileum Show“ im „Folkets Hus“ auftritt. Zwei Motorradfahrer treffen ein. Dann wieder: Nichts. Doch was heißt schon nichts: Ein See, ein Holzhaus, ein Wald. Blau, rot, grün.

Zeitreich

Der Wind bringt die Birkenblätter zum Rascheln. Eine Blindschleiche verzieht sich schnell in den Schatten. Vor den Holzhäuschen des Abrahamshult Danecamp spielen Jugendliche Federball. W-Lan hat's nicht. Also starre ich auf den See, trinke ein Glas Rotwein mit meinen dänischen Nachbarn und entdecke neue Seiten an mir.

Immer mit der Ruhe. Selbst auf dem Citybike schalte ich noch einen Gang runter. Entsprechend langsam geht’s voran auf den Wegen durch die Wälder. Seen mit einem „Badplats“ für eine Pause finden sich immer. Das einzige Auto, das mich heute im dunklen Tann überholt, ist gelb und trägt das Zeichen der schwedischen Post. Zeit für ein Gespräch hat man einfach. „Ja“, sagt die Postbotin, „die Richtung nach Klasatorpet stimmt!“

Südschweden - Freilichtmuseum Klasatorpet in Långasjö

Freilichtmuseum Klasatorpet in Långasjö

Das Freilichtmuseum Klasatorpet ist nach Per Klase benannt, der um 1827 in die Kate mit Grasdach einzog. Die letzten dort lebenden Tagelöhner hießen Josef und Matilde. Zwei Tagewerke musste Josef auf dem Hof des Pächters bearbeiten und danach noch seine Äcker von Steinen bereinigen. Zwei Kühe, ein Schwein und Hühner hatten sie, steht da zu lesen, und dass es oft Kroppkakor (Kartoffelklöße) zu essen gab. Hier verfilmte Regisseur Jan Troell die Auswandererromane mit Liv Ullmann und Max von Sydow. Deshalb versetzte man mithilfe des Heimatvereins die Gebäude in ihren ursprünglichen Zustand um 1850 zurück. Heute ist hier ein Museum, das die Lebensbedingungen der Tagelöhner vor 164 Jahren zeigt. Die beiden im Kassenhäuschen sind Mitglieder des Heimatvereins und erzählen. Auch der Weg zur wunderhübschen Vandrarhem (Jugendherberge) und Café in Långasjö (2) ist gleich erklärt.

Südschweden - Vandrarhem in Långasjö mit Café

Vandrarhem in Långasjö mit Café

Wald- und seenreich

Vorbei am „Lanthandel“ (ein Laden!) führt die Route, bevor ich abbiege auf die gut ausgeschilderte Tour durch das Glasreich „På tur i Glasriket“. Heiß ist's im schwedischen Backofen, das Thermometer zeigt 34 Grad. Doch rauscht ein kühler Wind durch die Baumwipfel, der sich anhört wie das Meeresrauschen. Leider kommt er von vorne, und zwar ziemlich heftig. Was soll's. Auf dem Rad wird man hier zum Müßiggänger und übt Gleichmut. Wird der geschotterte Forstweg allzu holprig, folgt auch wieder eine Teerstraße. Details werden wichtig: Das vermeintliche Meeresrauschen, das Knarzen eines Baumstammes, die Elchkuh, die krachend durchs Unterholz bricht, die vielen verschiedenartigen Schmetterlinge, die Gerüche der Baumharze, das samtige Wasser der Seen.

Südschweden - ein „Badplats“ lockt immer

Ein „Badplats“ lockt immer

Seit 1742 wird im schwedischen Glasreich Glas hergestellt. Die erste Glashütte am Wegesrand ist die Transjöhytta (3) der beiden Meisterglasbläser Sven Åke Carlsson und Jan Erik Ritzmann. Ihre Kunstwerke sind im Laden, aber auch draußen in der Landschaft verteilt. Ein blauer Kopf und bunte Pilze leuchten vor grünem Hintergrund.

Südschweden - Transjöhytta, die erste Glashütte auf der Route

Transjöhytta, die erste Glashütte auf der Route

Kosta (4) dagegen wirkt wie ein großes Outlet-Dorf und ein wenig schockartig nach den Tiefen der Wälder. Auf dem Gelände der Glashütte Kosta Boda kann man alles über den Werkstoff erfahren und den Glasbläsern bei der Arbeit zusehen. Einer trägt einen 1.000 Grad heißen, rötlich-orange glühenden Ball aus geschmolzenem Quarzsand an einer Stange vorbei und schneidet ein Stück ab. Dafür sind viel Technik und Geschicklichkeit nötig. Der Meister erklärt, dass man, um zu lernen, wie man den Quarzsand aus der Gegend verarbeitet, einst Glasbläser aus Böhmen und Venedig ins Land geholt hatte. „Das war gefährlich“, erzählt eine Mitarbeiterin der „Kosta Boda Art Gallery“ weiter, „denn die mussten unter Lebensgefahr aus Murano herausgeschmuggelt werden. Hätte sie jemand entdeckt, wären sie des Todes gewesen.“ Das Geheimnis um die Techniken durfte nicht verraten werden.

Südschweden - auf dem Gelände der Glashütte Kosta Boda, Glaskunstwerke

Auf dem Gelände der Glashütte Kosta Boda, Glaskunstwerke

Selbst im „Kosta Boda Art Hotel“ wohnt man von gläsernen Kunstwerken umgeben. In der „Glasbar“ sind Tresen und Barhocker aus blau schimmerndem Glas. Im Swimmingpool des Spa sind gar gläserne Kunstwerke unter Wasser ausgestellt.

Südschweden - Glasbar im Kosta Boda Art Hotel

Glasbar im Kosta Boda Art Hotel

Typisch für das Glas in Bergdala (5) ist ein blauer Rand oben, beispielsweise um Trinkgläser oder Milchkanne. „Weißt du, warum?“ fragt Harald vom Vandrarhem Bergdala. „Dann gehen keine Mücken dran!“ Auch beleuchtete, gläserne Objekte sind eine hiesige Besonderheit. Neben der Hütte ist ein „Wärtshus“ (Wirtshaus), wo natürlich Kaffee getrunken wird, was das Zeug hält, das schwedische Nationalgetränk. Die ehemalige Direktorenvilla, die Speicher und die Arbeiterhäuschen der 1889 gegründeten Hütte stehen noch. In manchen sind heutzutage Fremdenzimmer untergebracht.

Südschweden - Bergdala Värdshus(Wirtshaus)

Bergdala Värdshus(Wirtshaus)

Schon wird es wieder ruhig, der letzte Touristenbus ist verschwunden, das Wärdshus geschlossen. Will man zu Abend essen, muss man vorbuchen. Damit ich nicht „verhungere“, lädt mich Eva von gegenüber in ihr gelbes Holzhäuschen ein. Es wird ein lustiger Abend: Sie und ihr Mann kein Deutsch, ich kein Schwedisch. Pelargonien stehen aufgereiht im Wintergarten. Draußen gackern vier Hennen und zwei Hähne. In der Küche schwimmt ein Goldfisch in seinem Glas. „Wissen Sie, wie alt der ist? Zehn Jahre! Als ich ihn gekauft habe, hieß es, die werden zwei bis drei Jahre alt.“ Und Eva erzählt weiter mit Händen und Füßen, wie viele Beeren sie und ihr Mann letzte Woche gepflückt haben. Kiloweise.

Zauberreich

Man ist in seiner eigenen, kleinen Welt. Da vorne kommt ein Mann auf mich zu. Ein Verkehrsschild! Hat man sich einmal leer gedacht in den südschwedischen Wäldern, beginnen die Halluzinationen. Feen, Trolle, Steine, die sprechen? Am Wegesrand liegt einer mit vier Metern Durchmesser, der Smörstenen, Butterstein. Der Legende nach wächst er jedes Jahr ein Stück mehr und dreht sich um, wenn er die Kirchenglocken von Hovmanstorp läuten hört.

Südschweden - Der Smörstenen, ein Stein, Findling mit Geschichte(n)

Der Smörstenen, ein Stein, Findling mit Geschichte(n)

Um den Rottnen-See führt eine Radroute. Von seinem Südostzipfel aus ist es nicht weit bis Lessebo (6). Überraschung: Statt Glas gibt es hier handgeschöpftes Büttenpapier. In der Papiermühle „Handpappersbruk“ finden sommers Führungen auf Deutsch statt, wo erklärt wird, wie hier seit 1693 aus Linters, Restfasern der Baumwollsamenkapseln, Faserbrei gemacht und schließlich Papier gepresst, getrocknet und geglättet wird. Schon Strindberg schrieb seine Romane auf hiesigem Papier und Moberg die Auswandererromane. Zu Lessebo notierte er: „Keine Papiermühle der Welt schöpfte feineres Papier... Die wichtigsten Worte der Welt wurden auf dem Qualitätspapier dieser Papiermühle geschrieben und gedruckt, das sie vor Zerstörung der Zeit bewahrte und schützte.“

Südschweden - Heimat- und Auswanderermuseum in Ljuder

Heimat- und Auswanderermuseum in Ljuder

In Ljuder (7) lockt im gelben Gemeindehaus eine Ausstellung der örtlichen Handarbeiterinnen mit Café und das Amerikazimmer mit Verzeichnissen und Erinnerungsstücken der Auswanderer. Zwischen 1852 und 1930 wanderten 1100 Bewohner Ljuders aus. Manche Nachfahren kommen heute zurück und besuchen die Ausstellung. Gegenüber liegt die Kirche und das Heimatmuseum mit Hütten mit Grasdächern. Eine Tasse Kaffee schaffe ich aber nicht schon wieder, die Schweden scheinen eigene Mägen dafür zu haben, und radele weiter nach Grimsnäs (8). Wo ich natürlich als Willkommen Kaffee angeboten bekomme. Das Gut Grimsnäs Hergård liegt inmitten eines Eichenhaines in einem Naturschutzgebiet. Mia und Sune wirtschaften ökologisch, kochen biologisch mit lokalen und saisonalen Zutaten und der Strom entsteht aus Windkraft. Hier freut man sich besonders über Radfahrer. Das Sommerbuffet am Abend ist grandios.

Südschweden - in Herrgård/Grimsnäs, Ljuder

In Herrgård/Grimsnäs, Ljuder

Die anschließende Stille ist so tief, dass ich traumlos schlafe. Am Morgen weckt mich ein Hund, der gerade den Stier anbellt. Ein kurioses Bild. Doch ich muss los zum Zug. Was soll denn plötzlich diese Hektik?

 

Reisemagazin schwarzaufweiss

 

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