Die Frucht aus dem Paradies

In der Türkei werden wieder Granatäpfel kultiviert

Text und Fotos: Beate Schümann

Hades, der finstere König der Unterwelt, gewann Persephone als Frau, indem er ihr einen Granatapfel schenkte. Aphrodite, Göttin der Liebe und Schönheit, zierte sich mit ihm. Auch Hera, die Göttin der Ehe, nutzte ihn als Attribut. Schon in der Antike galt die rote Frucht als Symbol für Liebe, Ehe und Fruchtbarkeit.

Türkei Granatapfel Früchte

So sieht sie aus, die Frucht aus dem Paradies

Nicht nur die leuchtende Farbe, seine pralle Form und die vielen Samenkerne ließen ihn zum Inbegriff von Fruchtbarkeit werden. Der Granatapfel soll sogar jene biblische Frucht vom Baum der Erkenntnis gewesen sein, weshalb er auch zum Namen „Paradiesapfel“ kam. Von seiner mythologischen Bedeutung weiß Durmus Ates aus Kemer wenig, aber auch er verbindet mit der Purpurfrucht eine Erkenntnis, nämlich dass der Anbau ein einträgliches Geschäft ist. Sein Vater vererbte ihm das Land unterhalb des Taurusgebirges, auf dem Generationen bereits Orangen, Pampelmusen und Avocados angepflanzt hatten. „Orangen hat hier heute jeder“, meint der Mann, der mit seinen vierzig Hektar Ackerland zu den Großbauern in der Gegend zählt. Die Produktion der Zitrusfrüchte sei heute erheblich größer, als der Markt verkrafte, die Preise seien total verfallen.

Türkei Granatapfel Bauer

Die Frucht der bäuerlichen Mühe

Deshalb entschied Durmus sich vor rund fünfzehn Jahren, neue Wege zu gehen. Seine Idee war, den Granatapfelbaum, türkisch: „nar“, zu kultivieren. „Das war damals eine echte Marktlücke,“ stellt er zufrieden fest und ist davon überzeugt, dass „nar“ eine große Zukunft vor sich hat. Mittlerweile stehen bei ihm auf einer Fläche von gut 20.000 Quadratmetern 450 Bäume. Weil er ein echter Bauer ist, hat er nur jene gezählt, die voller roter Früchte hängen. Ein guter Baum bringt ihm im Jahr zwischen 80 und 150 Kilogramm, ein Granatapfel wiegt etwa ein Pfund. Die Großhändler aus Antalya zahlen ihm umgerechnet 50 Cent pro Kilo. „Für uns ist das ein stattlicher Preis“, betont der Bauer, der mit seinen Pflanzen spricht, damit sie viel tragen. Sie danken es ihm mit paradiesischem Wachstum, und Durmus schlägt immer seine gesamte Ernte los.

Der Paradiesapfel als touristisches Emblem

Der Kemer-Bauer ist stolz darauf, dass er als einer der ersten den Anbau von Granatapfelbäumen vorangetrieben hat. Aus bäuerlicher Leidenschaft hat er auch die nordamerikanische Pekannuss hier heimisch gemacht und die süße Zitrone vor dem Aussterben gerettet. Ehre gebühre ihm dafür nicht; er will nur, dass seine Region profitiere. Außer ihm versuchen in Kemer inzwischen noch zehn weitere Bauern ihr Glück mit dem Paradiesapfel, der der Kemer-Region vorübergehend sogar schon als touristisches Emblem diente.

Türkei Granatapfel Presse

Aus Frucht wird Saft

Die apfelähnliche Frucht mit der fünf Millimeter dicken Lederhaut und den sechs markanten Kelchblattzipfeln, die einst als Vorlage des berühmten Zwiebelmusters diente, ist außerordentlich anspruchslos und erfordert praktisch keinen Kapitaleinsatz. „Das Einzige, was beim Granatapfel Geld kostet, sind die chemischen Mittelchen gegen Würmer und andere Viecher“, meint Durmus und rollt etwas schuldbewusst mit den Augen. „Für Menschen ist das völlig ungefährlich, da die Schale nicht gegessen wird.“ Außer der Feldratte gibt es keine natürlichen Feinde, und auch sie richte keine nennenswerten Schäden an. Nicht einmal Vögel gingen an die Früchte.

Will Durmus die Anzahl seiner Bäume erhöhen, bricht er einfach einen Zweig, schrägt die beiden Enden mit dem Messer und steckt das Hölzchen in einen Aufzuchttopf. Innerhalb von einem Jahr hat sich eine achtzig Zentimeter hohe Pflanze entwickelt. Hohe Temperaturen sind ihr lieb, aber selbst Nullgrad nimmt sie nicht gleich übel. Wegen ihrer ledrigen Schale verträgt sie sogar Hagelschauer, was die empfindlichen Orangen sofort vernichtet. „Sie braucht nicht einmal viel Dünger“, schwärmt Durmus, „und wenn man weiß, wie man richtig bewässert, kann man nicht viel falsch machen.“

Im Fruchtgarten der Türkei

Die Südküste bei Kemer ist der Fruchtgarten der Türkei und punica granatum, wie der lateinische Name lautet, zählt zu den ganz alten Kulturpflanzen. Sie stammt vermutlich aus Vorderasien und hat sich im Laufe der Zeit im ganzen Mittelmeerraum eingebürgert. Während in der Antike der Nachbarort Side für Granatäpfel bekannt war - Side ist ein altanatolisches Wort für Granatapfel – ist heute Kemer an dessen Stelle getreten. „Die Bedeutung der Granatäpfel für Kemer wird weiter zunehmen“, prognostiziert Dr. Bedii Vedat Ulug, Agraringenieur in der Gemeindeverwaltung von Kemer, „und zwar in dem Maße, wie die Bedeutung der Orange abnimmt.“ Die Jahresproduktion ist mittlerweile auf 450 Tonnen gestiegen. Zu Ungunsten der Saftorange, deren Produktion von Jahr zu Jahr sinkt. Schon jetzt werden in der Kemer-Region auf 20.000 Hektar Punica-Bäume gepflanzt.

Türkei Granatapfel Ein Berg von Obst

Granatäpfel in der Lederhaut

„Im Export von Granatäpfeln liegt die Türkei weltweit an Platz eins - vor Spanien und Italien“, erklärt Ulug. In Deutschland wird der Paradiesapfel vor allem in der Gourmetküche zur Verfeinerung von Wildgerichten und als Dessertdekoration gebraucht. In heißen Sommern ist sein Saft und dessen leicht herbe Geschmacksnote in kalten Mixdrinks eine wahre Erfrischung.

Seit einigen Jahren beschäftigen sich die örtlichen Landwirtschaftsinstitute bereits mit der Erforschung von Veredelungsmethoden, Kreuzungen, der Genetik und neuen Nutzungsformen von Granatäpfeln. Besonders auf die Veredelung setzt der Agraringenieur große Hoffnungen. Von den fünf verschiedenen Sorten produzieren die Bauern für den lokalen Markt hauptsächlich die süße, saftreiche Sorte „Beynar“. Die süßsaure „Hicaz“ dient wegen ihrer harten Schale und der hohen Haltbarkeit dagegen vorwiegend dem Export. Die maiskorngroßen, Vitamin C-haltigen Samenkerne schmecken roh fruchtig-erfrischend, der frisch gepresste süßsaure Fruchtsaft wird in diversen Restaurants in Kemer und Umgebung pur angeboten.

Die Samenkerne („granatus“ heißt körnig, samenreich), die von einer weichfleischigen, glashellen Samenschale umhüllt sind, machen den Hauptbestandteil der Frucht aus. Am häufigsten ist der Sirup aus der Punica-Frucht anzutreffen, der in der türkischen Küche als Salatdressing oder für Desserts verwendet wird. Nur das Ausland benutzt ihn für Mixgetränke. Zwischen Tee und Gewürzen findet man auf den Märkten auch die herb-süßlichen Kelchblattzipfel, die wie Trockenobst gegessen werden. Wegen des hohen Gehalts an Gerbsäure wurde der Saft früher als Tinte oder zum Färben von Teppichen genutzt.

Aber auch in der Volksmedizin hat der Granatapfel einen hohen Stellenwert. Ahmet Uguzlar bietet in seinem Kräuterladen in Antalya Granatapfelsirup als Biomedizin an. Schon sein Großvater hatte als Naturheilkundler einen Namen, der seine Kenntnisse von Generation zu Generation weiterreichte. „Granatäpfel helfen bei Diabetes, Magen-Darm- und Leberproblemen, Kreislaufstörungen und Schlankheitskuren“, erklärt Hanife Uguzlar, die das Geschäft zusammen mit ihrem Mann führt. Zum Abnehmen empfiehlt sie jeden Morgen einen Esslöffel Granatapfelsirup vor dem Frühstück einzunehmen, bei empfindlichen Mägen nach dem Frühstück. Diabetiker können mit einer Tasse Sirup gemischt mit 50 Prozent Wasser, jeden Morgen nüchtern zu trinken, ihre Werte stabilisieren, rät Hanife. Sogar Magengeschwüre sollen verschwinden, wenn man in Olivenöl eingelegte Fruchtfleischstückchen jeden Morgen fünf Monate lang löffelt. Neuerdings hat sie auch Granatapfeltee im Programm. Der sei allerdings für kein Körperleiden gut, sagt Hanife, sondern nur für Touristen.

 

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