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Lemberg fasziniert mit Architektur und Kultur

Österreich-ungarisches Flair im Westen der Ukraine

Text und Fotos: Rainer Heubeck

Eine mittelalterliche Altstadt unter dem Schutz der UNESCO, ein Opernhaus mit K & K-Flair – sowie zahlreiche Spuren eines Jahrhunderte andauernden Zusammenlebens von Armeniern, Juden, Polen und Ukrainern. Lemberg, die Hauptstadt Galiziens, ist nicht nur geographisch, sondern auch mental die westlichste Stadt der Ukraine. Lemberg bzw. Lviv, eine der Gastgeberstädte der Fußball Europa-Meisterschaft 2012, ist kulturell überaus lebendig – doch zu den Hauptsehenswürdigkeiten der Stadt gehört auch ihr Friedhof: Mit seinen kunstvoll gestalteten Grabstätten gilt der Łytschakiwski-Friedhof als der Père Lachaise der Ukraine.

Ukraine - Lemberg - Leopold von Sacher-Masoch
Leopold von Sacher-Masoch

Dort, wo jetzt das Grand Hotel seine Gäste begrüßt, stand einst das Polizeipräsidium Lembergs. Von 1831 bis 1847 residierte an dieser Stelle Polizeipräsident Leopold Johann Nepomuk von Sacher. Seit dem Jahr 1838 durfte Sacher, der 1829 die Professorentochter Caroline Masoch geheiratet hatte, mit Genehmigung des österreichischen Königs einen Doppelnamen führen: Sacher-Masoch. Sachers Sohn Leopold, der in einer Dienstwohnung innerhalb des Polizeipräsidiums geboren wurde und später vier Jahre lang in Lemberg das Gymnasium besuchte, wurde Schriftsteller. Im Jahr 1870 veröffentlichte Leopold von Sacher-Masoch die Erzählung „Venus im Pelz“. Sechzehn Jahre später verwandte ein deutscher Psychiater erstmals die Bezeichnung „Masochismus.“ Heute erinnert eine Büste vor dem „Cafe Masoch“ in der Serbischen Straße an den berühmten Sohn Lembergs – und wer in der mit erotischen Utensilien dekorierten Erlebnisgaststätte einen „Gusiachi Rachki“-Cocktail bestellt, kann sich nicht nur auf harte Getränke einstellen, sondern auch auf verbundene Augen, Eis auf der Haut und auf Schläge mit einem Gürtel.

Ukraine - Lemberg - Opernhaus
Opernhaus

Nicht weit vom Grand Hotel entfernt steht eines der markantesten Gebäude Lembergs, ein von 1897 bis 1900 erbautes Opernhaus, das den Vergleich mit den Opern in Wien und Paris nicht zu scheuen braucht. Solomiya Kruszelnicka, nach der die Spielstätte benannt ist, war in den 20er Jahren eine bekannte Operndiva, die in der gleichen Liga wie Enrico Caruso spielte. Bereits im Jahr 1904 rettete Solomiya Kruszelnicka Puccinis Oper Madam Butterfly, die bei der Premiere in der Mailänder Scala gnadenlos ausbuht worden war. Drei Monate später wurde das Stück in Brescia neu aufgeführt, mit der Sopransängerin Solomiya Kruszelnicka in der Rolle der Cho-Cho-San. Der Beifall war riesig – und Madam Butterfly wurde zum Welterfolg.

Ukraine - Lemberg - Opernhaus von Innen
Im Opernhaus

Das Grand Hotel und das Opernhaus in Lemberg liegen beide am Swobody Prospekt, dem Freiheits-Boulevard, einem Prachtboulevard, den majestätische Gründerzeitbauten umrahmen.

UNESCO-Welkulturerbe

Wer vom Swobody Prospekt seine Schritte Richtung Altstadt lenkt, betritt das mittelalterliche Lemberg, das ab dem 14. Jahrhundert von einer doppelten Stadtmauer mit 18 Türmen umgeben war, von der jedoch nur noch kleine Abschnitte erhalten sind. Die Namen der Straßen machen deutlich, dass Lemberg bzw. Lviv Jahrhunderte lang eine Vielvölkerstadt war – da gibt es eine Serbische Straße und eine Armenische Straße, eine Hebräische Straße und eine Ukrainische Straße.

Ukraine - Lemberg - Rathausturm
Rathausturm

Seit dem Jahr 1998 steht der gesamte Innenstadtbereich mitsamt dem Rynokplatz, an dem sich das Rathaus mit seinem 65 Meter hohen Rathausturm befindet, als Weltkulturerbe unter dem Schutz der UNESCO. Wer im Frühling oder im Sommer durch die Straßen flaniert, erlebt aber keineswegs ein steriles Museum, sondern eine lebendige Stadt, in der Galerien, Museen und zahlreiche Themenrestaurants zu einem Besuch einladen. Vor allem die Armenische Straße (Virmenska Straße) hat sich zu einer echten Kunst- und Kulturmeile entwickelt, hier finden sich rund ein Dutzend kleine Ateliers und Galerien, darunter die Dzyga Galerie, die alle vierzehn Tage wechselnde Ausstellungen zeigt und das „grüne Sofa“ (Zelena Kanapa).

Ukraine - Lemberg - Skulptur

Armenische und jüdische Spuren

In der armenischen Kirche, die um das Jahr 1360 erbaut und später erweitert bzw. restauriert wurde, treffen sich seit der Neueröffnung im Jahr 2001 wieder regelmäßig Gläubige zum Gottesdienst. Wer Zeit hat, sollte sich dazu setzen und den Gesängen des Kirchenchors lauschen. Die Kirche war einem Vorbild in Ani nachempfunden, einer früheren armenischen Hauptstadt, die heute auf dem Territorium der Türkei liegt, berichtet Olka Sydor. Als sich die Armenier ab dem 14. Jahrhundert in Lemberg niederließen, suchten sie Schutz vor den türkischen und mongolischen Angriffen. Lemberg beherbergte seinerzeit die drittgrößte armenische Kolonie in Europa – nach Venedig und Amsterdam. Heute freilich besteht die kleine Gemeinde der Maria-Entschlafens-Kathedrale vorwiegend aus Ukrainern, die sich für armenische Kultur interessieren. Die sehenswerten Mosaiken im Inneren des Gotteshauses stammen zum Großteil von Jan Henryk de Rosen, einem zum Katholizismus konvertieren polnischen Juden, der 1939 in die USA auswanderte – und so dem Holocaust noch rechtzeitig entkam.

Ukraine - Lemberg - armenische Kirche
Armenische Kirche

Während die armenische Kirche noch gut erhalten ist, sind die Stätten des jüdischen Glaubens weitgehend zerstört. Dabei lebten Anfang der 40er Jahre des vergangenen Jahrhunderts mehr als 100.000 Juden in Lemberg. Sie wurden von den Deutschen im Jahr 1941 zuerst in einem Ghetto zusammengetrieben – und später ermordet. Dort, wo einst die Hauptsynagoge stand, befindet sich heute ein Marktplatz. Die Ruinen einer zweiten Synagoge, der Goldenen Rose, die von 1580 bis 1595 erbaut wurde, verstecken sind hinter einem provisorischen Aluminiumtor. Ihr Zustand ist erbärmlich, doch der Ausbau zu einer Gedenkstätte ist angeblich geplant. Nicht einmal die jüdischen Friedhöfe sind in Lemberg erhalten geblieben. „Als nach der Wende das Lenin-Denkmal vor der Oper abmontiert wurde, hat man entdeckt, dass der gewaltige Sockel zum Teil mit Bruchstücken jüdischer Grabsteine befüllt war“, berichtet Olka Sydor.

Ukraine - Lemberg - in der armenischen Kirche
In der armenischen Kirche

Prächtige Grabdenkmäler, die echte Kunstwerke darstellen, finden sich hingegen auf dem Łytschakiwski-Friedhof, einem von vier ab den Ende des 18. Jahrhunderts angelegten Bezirksfriedhöfen der Stadt. „Die anderen drei Friedhöfe verfielen allmählich, denn alle, die etwas auf sich hielten, wollten hier beerdigt werden, deswegen finden sich hier auch die schönsten Gräber“, berichtet Olka Sydor, die Lemberg-Besuchern gerne auch durch den Père Lachaise der Ukraine führt. Auf dem mehr als sechzig Hektar großen Friedhof mit seinen rund 150.000 Gräbern sind in den vergangenen zwei Jahrhunderten rund 300.000 Menschen beerdigt worden. Darunter Professoren und Schnapsfabrikanten, Schriftsteller und österreichische Statthalter. Auch die Operndiva Solomiya Kruszelnicka fand hier ihre letzte Ruhestätte. Sie lebte in den 30er Jahren in Italien und war dort verheiratet, war jedoch im Sommer 1939 auf Besuch in Lemberg. Nachdem die Sowjets im Rahmen des Hitler-Stalin-Pakts den Osten Polens, zu dem damals auch Lemberg zählte, besetzt hatten, konnte sie ihre Heimat bis zu ihrem Tod im Jahr 1952 nicht mehr verlassen. Und auch das Grab des Medizinprofessors Franz von Masoch, seines Zeichens der Großvater von Leopold von Sacher-Masoch, findet sich hier auf dem riesigen Friedhof, der in der Sowjetzeit teilweise verfallen ist.

Ukraine - Lemberg - Grabmal von Wanda Markowska
Grabmal von Wanda Markowska

Ein Besuch des Łytschakiwski-Friedhofs, der armenischen Straße, der Ruinen der goldenen Rose und der UNESCO-geschützten Altstadt zeigt: Lemberg ist eine äußerste geschichtsträchtige Stadt. Doch als Zentrum der Westukraine ist Lemberg auch eine überaus lebendige Stadt, mit einem vielfältigen kulturellen Leben. Egal, ob Oper und Ballett, Marionettentheater, Chor-, Orgel- oder Rockkonzerte – wer in der Touristeninformation im Rathaus nach dem aktuellen Tagesprogramm fragt, erhält nicht nur Informationen in deutscher Sprache, sondern hat, was das Angebot an Veranstaltungen betrifft, auch die Qual der Wahl. Ein Besuch einer Ballettaufführung im Solomiya Kruszelnicka–Opernhaus lohnt sich schon allein wegen der prachtvollen Innenarchitektur. Doch auch die Aufführungen des alternativen Les Kurbas Theaters sind so eindrucksvoll inszeniert, dass Besuchern, die kein ukrainisch sprechen, während der Vorstellung sicher nicht langweilig wird.

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