Reiseführer Prag Tour 6: Durch die nördliche Kleinseite



Von den Kleinseitner Brückentürmen führt der Rundgang auf der Mostecká zum Kleinseitner Ring, wo mit der St. Nikolauskirche einer der barocken Höhepunkte der Stadt wartet. Durch die typischen engen Kleinseitner Gassen gelangt man zum Palais des Albrecht von Wallenstein, der monumentalsten Palastanlage Prags.

Prag Kleinseite
Image by Alexander Schlegel from Pixabay

Vorbei am ehemaligen Zollgebäude, das an den südlichen Kleinseitner Brückentürmen angebaut ist, erreicht man durch einen mittelalterlichen Torbogen die belebte Mostecká (Brückengasse). Schon seit alters her Teil einer internationalen Handelsstrasse von Nürnberg nach Leipzig und Polen sowie des feierlichen Krönungsweges, ist ihre Bedeutung als Magistrale bis heute ungebrochen: Vorbei an Straßenhändlern, Cafés und Geschäften ziehen Scharen von Touristen zur Burg hinauf.

Von der ehemaligen Bischofspfalz aus dem 12. Jh., die sich einst bis zur Karlsbrücke erstreckte, blieb nach der Zerstörung durch die Hussiten Anfang des 15. Jhs. nur ein gotischer Turm im Hof des Hauses Zu den drei Glocken (U tri zvonu; Nr. 16) erhalten (vom Brückenturm aus zu sehen).

Mit einer der in Prag nicht so häufigen Rokoko-Fassaden kann das Palais Kaunitz aufwarten (Nr. 15, direkt gegenüber der Einmündung des Josefská), geschmückt ist es darüber hinaus mit Skulpturen aus der berühmten Werkstatt Ignaz Platzers.

Die Josefská führt nach wenigen Schritten zur etwas von der Straße zurückgesetzten (Kostel sv. Josefa) mit dem anschließenden ehemaligen Karmeliterinnenkloster. Vor allem ihre ausdrucksstarke Fassade verdient Beachtung.

Nur wenige Meter weiter, in der Letenská, erhebt sich mit der (Kostel sv. Tomase) ein von Kilian Ignaz Dientzenhofer (1689-1751) barockisiertes Gotteshaus - jenem berühmten Kleinseitner Architekten, dem so viele Prachtbauten Prags zu verdanken sind. Die Kirche und das anschließende ehemalige Augustinerkloster wurden bereits 1285 unter König Wenzel II. gegründet.

Das anschließende Augustinerkloster verfügt zwar noch über Fresken aus der Zeit Karls IV. sowie sehenswerte frühgotische Gebwölbe in der ehemaligen Sakristei, es dient jedoch heute als Altersheim.

In breiten Schichten der Bevölkerung war das Kloster einst vor allem durch seine Brauerei bekannt, die bereits 1358 ihr eigenes Bier braute. Der dazu gehörige Thomaskeller, heute Teil eines Hotels, war vor allem im ausgehenden 19. Jh. Treffpunkt von Künstlern und Literaten, die das dunkle Klosterbier zu schätzen wussten.

Der Kleinseitner Ring (Malostranské namesti) wird beherrscht von der St. Niklaskirche (Chrám sv. Mikulase). Schon immer bildete der Platz das Zentrum des städtischen Lebens. Allerdings ist er durch seine Bebauung optisch in den Oberen und den Unteren Ring geteilt. Diese Teilung vertieften die Jesuiten, als sie Ende des 17. Jhs. mit Hilfe einer großzügigen Stiftung des Herzogs von Friedland (Wallenstein) an der Stelle mehrerer Häuser und einer alten gotischen Kirche zunächst ihr Profeßhaus und dann, während einer sechzigjährigen Bauphase, die monumentale Barockkirche errichten ließen, deren grüne Kuppel samt Glockenturm mittlerweile zu den wichtigsten Blickpunkten der Stadt zählt. Die bedeutendsten Künstler und Handwerker ihrer Zeit beteiligten sich an diesem Bau. Als Baumeister wirkten die meiste Zeit Christoph Dientzenhofer und sein Sohn Kilian Ignaz, dem Chor und Kuppel zuzuschreiben sind. Die Fertigstellung des Glockenturms fiel 1755 Anselmo Lurago zu.

Die St. Niklaskirche gilt ganz zu Recht als ein Meisterwerk des europäischen Barock. Dies wird bereits an der Fassade deutlich, deren Schwünge dem dreigeschossigen Aufbau Eleganz und Leichtigkeit verleihen, was vor allem im Kontrast zum nüchternen Äußeren des Profeßhauses daneben zur Geltung kommt. Übrigens: Die beste Wirkung erzielt die Fassade von der Westseite, also von der Nerudagasse her.

Den stärksten Eindruck hinterlässt jedoch das prächtige .

Der Kleinseitner Ring, über den der Verkehr tost, lässt schwerlich Beschaulichkeit aufkommen. Verweilen Sie dennoch einen Augenblick, denn der Platz hat noch mit mehreren historisch bedeutsamen Gebäuden aufzuwarten.

Im Rokoko-Haus Zum Steinernen Tisch (U kamenného stolu) - übrigens eines der bedeutendsten Werke der Prager Rokokoarchitektur - in der Platzmitte mit dem legendären "Kleinseitner Kaffeehaus" verkehrten in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts die Literaten des Prager Kreises: Franz Kafka, Max Brod, Franz Werfel und Willi Haas sowie Jan Neruda, Emma Destinn und Jan Zrzavý.

Über das Haus Zu den drei Kronen (U tri korun, Nr. 8) wissen die Prager eine Spukgeschichte zu erzählen: Jeden Freitag, natürlich um Mitternacht, fährt eine Kutsche vor. Ein Gerippe ohne Kopf kommt aus dem Haus und eilt in ihr davon.

Auch das Haus Zum Goldenen Löwen (U zlatého Iva, Nr. 10), in bestem Renaissancestil gestaltet, weiß mit einer schaurigen Geschichte aufzuwarten: In der zugehörigen Weinstube "U Mecenáse" soll der berüchtigte Henker Mydlár Stammgast gewesen sein. Beliebt war er wohl nicht gerade, denn immer musste er getrennt von den übrigen Bürgern an einem einsamen Tisch Platz nehmen. Mydlárs trauriger Ruhm gründete vor allem auf der Hinrichtung der 26 Anführer des Aufstandes gegen die Habsburger 1621 auf dem Altstädter Ring.

Der gesamte Westen des Platzes wird vom Liechtenstein-Palais eingenommen, dessen klassizistische Fassade bei einem Umbau 1791 entstand. Als kaiserlicher Statthalter war Karl von Liechtenstein nicht weniger blutbefleckt als der Henker Mydlár: Er hatte das Urteil über die Aufrührer gesprochen. Vor dem Palais erinnert die Dreifaltigkeitssäule (Pestsäule), 1715 nach einem Entwurf von Giovanni Alliprandi errichtet, an eine überwundene Pestepidemie.

Das Kleinseitner Rathaus (Malostranská Radnice Nr. 21) an der Ostseite des Platzes war vom 15. Jh. bis zur Zusammenlegung der Prager Städte 1784 Sitz der Kleinseitner Stadtverwaltung, hier wurde im Jahr 1575 die "Böhmische Konfession" verabschiedet, mit der sich Utraquisten und Brüdergemeinde auf gemeinsame Grundsätze der Glaubenfreiheit einigten.

Ursprünglich erhaltene Kleinseitner Gassen wie die schmale Thunovská schließen sich nördlich des Rings an. Am Ende der Thungasse, wo die Treppe Zámecké schody zur Burg hinauf führt, steht der Palast der Herren von Hradec, auch Palais Slawata genannt, ein Renaissancebau des ausgehenden 16. Jhs. Er wartet mit zwei verschiedenen Gesichtern auf: Renaissance-Giebel zur Treppe hin, eine Barockfassade an der Nerudagasse. Von den Renaissancebauten der Strasse ist vor allem das Haus U Zelenku (Nr. 19) zu erwähnen, an dem noch - allerdings recht spärliche - Reste der Malereien von Bartholomäus Spranger erhalten blieben, einem der Hofmaler Rudolfs II.

Zu den alten Kleinseitner Gassen zählt auch die Snemovní, deren Ostseite vollkommen vom Palais Thun eingenommen wird, einem um 1700 für den Grafen Thun errichteten Barockpalast, heute Sitz des tschechischen Parlaments.

Die Snemovní geht in den romantischen kleinen Fünfkirchenplatz (Petikostelní námestí) über. Ein zweisprachiges Schild belegt das einstige Nebeneinander der deutschen und der tschechischen Sprache in Prag. Von den fünf namengebenden frühmittelalterlichen Kirchen in nächster Umgebung blieb nichts mehr erhalten. Mit dem Renaissance-Haus Zum Goldenen Schwan (U zlaté labute, Nr. 6) blieb jedoch ein Gebäude aus dem Jahr 1589 bestehen.

Auch die zur Snemovní parallel verlaufende Tomássa könnte mit ihren Laubengängen und historischen Hausfassaden noch ein Bild der alten Kleinseite vermitteln, würde nicht ein unablässiger Verkehrsfluss jegliche Beschaulichkeit zerstören. Das Haus zum goldenen Hirsch (U zlatého jelena, Nr. 4) ist ein von Kilian Ignaz Dientzenhofer errichteter Barockbau. Das namengebende große Hauszeichen von F.M.Brokoff (1726), eines der eindrucksvollsten der Stadt, zeigt den hl. Hubertus mit einem Hirsch, der in seinem Geweih ein Kruzifix trägt. Der hl. Hubertus war im 8. Jh. in Lüttich als Bischof tätig.

Die Tomásská mündet auf den Waldsteinplatz (Valdstejnské námestí) und geht sodann in die Valdstejnská über. Hier reiht sich Palais an Palais aus dem 18 Jh., mehrere Gartenanlagen ziehen sich teilweise bis zum Fuß des Burgfelsens hinauf. Den Anfang des Reigens macht das Palais Ledebour (Nr. 3), ein Spätbarockbau, Ende des 18. Jhs. nach Plänen von Ignaz Palliardi errichtet. Dem Palffy-Palais (Nr. 14) folgt das Kolovrat-Palais (Nr. 10), ein weiterer Spätbarockbau Palliardis, in der Ersten Republik Sitz des Regierungspräsidiums.

Zwischen diesen beiden Palais befindet sich der Eingang zu drei miteinander verbundenen Gartenanlage (Ledebour-, Palffy- und Kolovratgarten). Diese herrlichen grünen Oasen mit ihren Treppchen und Aussichtspunkten, Brunnen und Zierfiguren entstanden ab dem 16. Jh. und legen ein beredtes Zeugnis vom Repräsentationsbedürfnis der hier ansässigen adligen Familien ab. Der größte Palastgarten gehört zum zwischen 1743 und 1747 errichteten Palais Fürstenberg (Nr. 8), in dem heute die polnische Botschaft residiert, und deshalb in Teilen nicht zugänglich ist.

Zwischen Waldsteinplatz, Valdstejnská und Letenská erhebt sich der Höhepunkt monumentaler barocker Palast- und Gartenarchitektur: das Waldstein-Palais. Die breite, jedoch nicht besonders beeindruckende Fassade zum Waldsteinplatz hin lässt kaum erahnen, welch großes Areal sich dahiner verbirgt. Über 20 Häuser, mehrere Gärten und eine Ziegelei mussten für den Bau dieser Palastanlage weichen. Der kaiserliche General Albrecht Wenzel Eusebius Graf Waldstein (1583-1634) - als "Wallenstein" untrennbar mit der Geschichte des Dreißigjährigen Krieges verbunden - konnte sich nach dem Sieg der Katholiken am Weißen Berg 1620 das Gelände zum Schleuderpreis aneignen. Der kaiserliche Feldherr hatte sich nach seiner Konvertierung zum Katholizismus als erfolgreichster Heerführer der Habsburger erwiesen. Durch reiche Kriegsbeute und die erfolgreiche Verwaltung seiner riesigen Güter gelang ihm die Anhäufung eines gewaltigen Vermögens.

Mit der Errichtung seines Prunkbaus zu Füßen der Prager Burg wurden mehrere italienische Architekten beauftragt. 1630, nach sechsjähriger Bauzeit, war er fertiggestellt. Die Innenräume des Palastes, heute Sitz des tschechischen Senats, sind kaum zugänglich, nur ein prunkvoller Festsaal kann bisweilen bei Konzerten in Augenschein genommen werden. So müssen Sie auch auf eine Kuriosität verzichten: das Arbeitszimmer Waldsteins, dem eine künstliche Grotte angeschlossen war, in welcher der Herrscher zu baden pflegte.

Das Repräsentationsbedürfnis Waldsteins wird vor allem bei einem Besuch der großzügigen Gartenanlage deutlich (Eingang von der Letenská her). Mit dem Panorama der Burg im Hintergrund lässt sich erahnen, dass Waldstein hier ein reales Gegenstück, ja Konkurrenzprojekt zur kaiserlichen Macht errichten ließ, das die militärische und finanzielle Abhängigkeit des Herrschers von seinem Feldherren sinnfällig vor Augen führen sollte. Architektonischer Höhepunkt der Anlage ist die an den Palast anschließende Sala terrena, die sich zum Gartne hin öffnet. In der reich mit Stuckarbeiten, Muschelnischen und Malereien verzierten Loggia dominieren Kriegs- und Jagdszenen. Verschlungene Pfade, grottenähnliche Wände und statuengeschmückte Springbrunnen lohnen einen Spaziergang durch den Park. Einzigartig sind die Bronzefiguren des Niederländers Adriaen des Vries (1560-1626). Zwar handelt es sich in der Mehrzahl um Abgüsse - die Originale wurden von den Truppen König Gustav Adolfs nach Schweden verschleppt und befinden sich heute in Schloss Drottningholm - doch auch dies vermögen mit ihrer Dynamik und Ausdruckskraft zu überzeugen. Die Figuren vor der Sala terrena stellen Apollo, Neptun, Venus und Adonis (rechte Seite) sowie Bacchus, Laokoon und eine Ringergruppe (links) dar. Nicht weniger lebendig wirkt die im mittleren Teil des Parks aufgestellt Nymphe mit dem Satyr, ebenfalls ein Werk von de Vries.

Von der Straße U luzického semináre lohnt ein kurzer Abstecher nach links zu einem unbebauten Fleckchen an der Moldau (Park Cihelna), von dem aus sich ein reizvoller Blick auf Karlsbrücke und Altstadt eröffnet. Auf der anderen Straßenseite begrenzt eine riesige Mauer den Vojan-Park (Vojanovy sady), der mit seinen Bänken und Wegen eine geruhsame Pause vom harten Pflaster der Prager Gassen nahelegt. Dieser ehemalige Klostergarten der Unbeschuhten Karmeliterinnen war einst Teil der im 12. Jh. entstandenen Bischofspfalz.

In der reizvollen Strasse U luzického semináre weist eine Statue des hl. Petrus von W.M.Jächel (1782) auf das Sorbische Seminar (Nr. 13) hin, das der Strasse ("Beim Lausitzer Seminar") seinen Namen gab. Im 18. Jh. für sorbische Studenten erbaut, dienst es auch heute noch als Bibliothek für diese Minderheit aus der Lausitz.

Über die Mísenská mit einigen sehr anmutigen Barockhäuschen gelangen Sie zum Ausgangspunkt der Tour, den Kleinseitner Brückentürmen zurück. Das Eckgebäude beherbergt das exkluive Hotel und Restaurant Zu den drei Straußen (U trí pstrosu), in dem so berühmte Künstler wie Barbara Streisand und der Regisseur Milos Forman wohnten und dinierten. Der kaiserliche Straußenfederlieferant Jan Fuchs ließ die exotischen Vögel 1606 an die Hauswand malen.

Prag Kleinseite
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