Von Cork nach Dublin: Süßholzraspler und harte Dollars
Angekommen im Zentrum der zweitgrößten Stadt Irlands, trocknen wir die Regenjacken und genießen eine Tasse Tee. Amüsiert geht der Blick zum Wetterhahn der angrenzenden St. Anne’s Church, denn statt eines solchen prangt auf der Turmspitze ein dicker Fisch! Damit soll der Mönchsorden ehemals sein alleiniges Fischereirecht symbolisiert haben. Das unglaubliche Hupkonzert auf den Straßen erinnert mehr an Italien als an Irland, die Fahrweise ist, milde ausgedrückt, abenteuerlich. Ein Preis, den Irland für seinen Aufschwung zahlt, ist die chronische Verstopfung der eng gebauten Verkehrswege. Die größeren Städte scheinen ihren Status durch das Vorhandensein eines Nachmittagsstaus zu festigen. Ich staue, also bin ich? „Oh, Blarney!“, hätte Queen Elizabeth I. wohl zu meiner Theorie gesagt, „alles Quatsch und leeres Gerede!“
Blarney´s rise and fall
Sie sagte es, allerdings zum gleichnamigen Lord Blarney, der sich über Monate durch geschickte schmeichelnde und nichtssagende „Süßholzraspelei“ davor retten konnte, sein Schloss und Land der Krone zu vermachen und sie nur als Lehen zurückzubekommen. Noch heute pilgern daher die Touristen zu seiner Burg acht Kilometer vor Cork, deren berühmter Blarney Stone, so man ihn auf dem Rücken liegend küsst, die Gabe der Eloquenz verspricht. Harte Dollar bringt der Stein in jedem Fall ein, denn Blarney scheint der touristische amerikanische Traum der Insel zu sein: voll, extrem ausgebeutet und zudem architektonisch überbewertet – wir verlassen den zum Busparkplatz mutierten Ort mit einem bitteren Nachgeschmack.
Blarney Castle
Killkenny welcomes Germany!
Auf dem Weg von Cork nach Dublin wartet auf den Besucher eine weitaus imposantere Anlage: Der Rock of Cashel. Burg und Kirche, die auf dem mächtigen Felsmassiv hoch über der Stadt errichtet wurden, waren vom 4.-12. Jahrhundert Sitz der Kings of Munster. Ab 1101 nutzte auch die kirchliche Macht die exponierte Lage, um ihre Stellung im Land zu betonen. Noch heute thront das steinerne Symbol der Herrschaft weithin sichtbar über dem Ort.
Rock of Cashel
Mittagspause in Killkenny, wo seit 1710 die Smithwick’s Brauerei das gern getrunkene helle Bier herstellt und bunte Embleme freudig grüßen: Killkenny welcomes Germany! Danke für den herzlichen Empfang, der allerdings nicht uns, sondern den hier einquartierten teutonischen Athleten der Paralympics gilt, die in diesen Tagen in Dublin abgehalten wird. Killkenny begeistert mit seiner mittelalterlichen Kernstadt, dem ehrwürdigen Rathaus und der schmalen Butterslip-Gasse, die einen fast wie auf einer Zeitreise zum Kyteler’s Inn an der St. Kieran Street geleitet: Ein Pub aus dem 14. Jahrhundert, dessen damalige Wirtin nach dem Mord an ihren vier Ehemännern als Hexe verbrannt wurde.
Kilkenny: Kyteler’s Pub mit gruseliger Geschichte
Den 30m hohen Rundturm der Abbey zu erklettern, ermöglicht einen herrlichen Blick über die Altstadt, in der mittelalterliches Flair und moderne Shopping-Malls ein harmonisches Miteinander eingegangen sind.
Off to Dublin in the green, in the green
Browneshill Dolmen
Nach einem Abstecher am Browneshill Dolmen in Carlow und den berühmten Hochkreuzen in Castledermot und Moone erreichen wir abends erneut die Hauptstadt.
Moone Highcross
Das 1910 erbaute Arbeiterhäuschen unseres Freundes quillt über vom vielsprachigen und rotweinberauschten Besuch. In den zwei Zimmerchen mit weniger als 45 Quadratmeter Größe quetschen sich circa 20 Gäste. Die meisten sind auf den kleinen Hinterhof und Garten ausgewichen und geleiten um 20.00 Uhr die Braut ins Hotel, die die letzte Nacht vor der Hochzeit traditionell nicht im Haus des Bräutigams verbringt. Die Spannung steigt. Der Bräutigam hat Bauchschmerzen. Ein Münsteraner Schnaps, den wir als Mitbringsel dabei haben, kuriert den nervösen Magen. Wir stellen fest, dass zum Anzug die schwarzen Socken fehlen. Dunkelblau oder grau – die Wahl bleibt unglücklich!
'Hei, heute Morgen mach' ich Hochzeit'
10 Uhr
Die Sonne strahlt, wir frühstücken draußen. Vor dem Bräutigam
liegen zwei Frühstückskekse und unzählige Bücher mit weisen
Worten irischer Schriftsteller. Er arbeitet an seiner Rede. Wir bewegen uns
auf leisen Sohlen auf den knarzenden alten Holzbohlen.
12.30 Uhr
Es klopft, eine Klingel hat der alte Kotten nicht. Trauzeuge und zwei weitere „groomsmen“, Freunde des Hauptakteurs, bringen die Anzüge und ihn selbst auf Vordermann. Aus den Paketen quellen edle Seide, Nadelstreifenhosen, maßgeschneiderte Gehröcke und schalgroße Krawatten. Mit internationaler Unterstützung machen sich die Männer an das ungewohnte Binden der bordeauxroten Manneszier. Ein Blick auf die exquisiten Stoffe genügt: Allein die sechs Anzüge
der Männer übersteigen wohl die Kosten meiner eigenen Hochzeit bei
Weitem. Das Badezimmer des Häuschens allerdings ist altertümlich,
eine Dusche gibt es nicht und das Badewasser kommt kalt aus der brüchigen
Leitung. Man muss halt Prioritäten setzen und geheiratet wird schließlich
nur einmal!
14.30 Uhr
Eine Stunde nach dem Bräutigam machen wir uns, angetan mit den falschen
Socken und mit wetterbedingt kurzerhand gekauften Seidenstrumpfhosen auf den
Weg zum St. Stephen’s Green. Stau vor der Kirche, kein Parkplatz weit
und breit. Mutter und Sohn hetzen über die Straße zur freigeistigen
Unitarian Church (Kommentar des Bräutigams: „ After all these years
of trying for reforms, I’ve given up on the Catholics! “), der
Fahrer bleibt allein im Verkehrschaos zurück.
Endlich ein Parkhaus im größten Shopping Mall der Stadt: St. Stephen’s Green
15.03 Uhr
Völlig verschwitzt trifft unser drittes Familienmitglied ein, die Braut
bleibt weiterhin verschwunden. Scheinbar hat sie das gleiche Problem. Sichtliche
Nervosität macht sich breit. Im Kontrast zum folgenden unkonventionellen
Ablauf der Zeremonie teilt ein Familienmitglied eine auf Büttenpapier
bedruckte Abfolge der Beiträge aus. Auch das Warten auf Braut und „bridesmaids“, ausstaffiert in klassisch britischer Anzugmode und mit nervösem Dauerlächeln im Gesicht zeugt von einigen Zugeständnissen an die Tradition.
15.17 Uhr
Statt Hochzeitsmarsch erklingen Flöte und Bodhran-Trommel. Feierlich schreitet
die weißgekleidete Braut in die erwartungsvolle Atmosphäre, die
sich bei ihrer Ankunft in einem begeisterten Applaus entlädt. Statt katholischer Strenge erwartet uns ein jovialer und gutgelaunter Pastor, der keiner Anekdote ausweicht. Tränen der Rührung, eine den Raum füllende irische
Ballade, das deutlich vernehmbare „Yes, I will!“ und ein verschmitztes
Gelächter bei den abschließenden Worten zeigen einen gelungenen
Tribut an die Vergangenheit mit eindeutigem Blick in eine aufgeschlossene Zukunft.
Trotz altmodisch-romantischem Abgang per Pferdekutsche!
Ringtausch auf irisch
18.00 Uhr
Empfang im ersten Hotel am Platze. Wir werden vom hauseigenen Zeremonienmeister
feierlich in einen Saal gewunken, der all meine Vorstellungen sprengt: Kronleuchter,
Gemälde, zwölf Tische mit einer goldenen Tischordnung und handgeschriebene
Tischkärtchen.
Charme der Jahrhundertwende in der Great Hall, Shelbourne Hotel
Mein Mann schaut heimlich auf seine Socken, ich zupfe ängstlich an meinem etwas zerknitterten Kleid. Wie war das noch? Besteck von außen nach innen, keiner zieht sein Jackett aus, bevor es der Bräutigam tut. Ich lasse mein gesamtes - zugegeben rudimentäres – Wissen um den Knigge Revue passieren.
20.00 Uhr
Das delikate Menu und die überschwänglichen Worte von Brautvater,
Bräutigam, Trauzeugen und Braut liegen hinter uns. Neben uns sitzt eine
78jährige Irin aus echtem Schrot und Korn. Schnell ist die Konvention
vergessen. Die Witwe und ihr 79jähriger Freund, Onkel des Bräutigams,
bieten mir zuerst eine Zigarette an, prosten zum Du und legen danach eine kesse
Sohle auf’s Parkett. Die Kleiderordnung löst sich auf, das Guinness
fließt in Strömen. Angela, meine Tischnachbarin, grinst verschwörerisch und sagt: „Meine größte Angst ist, dass wir mit diesem Aufschwung
ganz kontinental werden. In den 60ern war ich in England. Hippie natürlich,
aber wir irischen Hippies waren immer wilder als alle anderen. Mir fehlte dort
der „wisecraig“, der naseweise und frech-fröhliche Klatsch
an der Straßenecke. Das ist irisch, ich gehe nie wieder hier weg!“ Und
tatsächlich: solange es Menschen wie Angela gibt, wird Irland trotz Devisenhunger und Mikrochips immer ein Stück „wisecraig“, lebenslustiger
Schalk im Nacken der Welt, bleiben. Will ich wieder hin? Ja, ich will!
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