NEU IN DER BÜCHERECKE / BÜCHER UNSERER AUTOREN / BIOGRAFIEN / FOTOBÄNDE / HÖRBÜCHER
KINDER- u. JUGENDBÜCHER / LIFESTYLE / REISEBERICHTE / REISEFÜHRER / ROMANE / SACHBÜCHER

Emotionen festgehalten

Er ist zweifellos ein gut aussehender Mann: volles dunkles Haar, kräftige Augenbrauen, darunter große dunkle Augen, ein markanter, breiter Mund mit dünnen Lippen, zwischen denen fast immer eine Zigarette hängt – genau so, wie man es von diesen lässigen Filmtypen kennt. Er zieht gerne die Stirn in Falten, und wenn er lacht, was häufig der Fall ist, ziehen sich neckische Fältchen um seine Augenwinkel.

Er ist Jude in einer nicht religiösen Familie, schon als Kind abenteuerlustig und draufgängerisch. Er interessiert sich für die soziale und politische Entwicklung in der aufregenden Zeit seiner Jugend: im faschistisch-diktatorischen Ungarn der 1920-er und 30-er Jahre. Es ist die Rede von Endre Friedmann, der am 22. Oktober 1913 in Budapest geboren und als der Fotograf unter seinem Künstlernamen bekannt wurde: Robert Capa.

Capa

Es war 1931, als er zum ersten Mal ins Exil fliehen musste. Er geht ins noch nicht faschistische Berlin, studiert an der Hochschule für Politik, um Journalist zu werden, hilft in der Fotoagentur Dephot aus, um sein Studium zu finanzieren. Doch der Laufbursche und Laborassistent erhält hier auch die ersten Aufträge als Fotograf. Er arbeitet als Lokalreporter und dokumentiert im Dezember 1932 schließlich Trotzki bei einer Rede, als der schon auf der Flucht aus der Sowjetunion ist.

Nach Hitlers Machtergreifung gelangt der Fotograf Friedmann über Umwege nach Paris, die Stadt, die seine zweite Heimat werden soll, und trifft dort André Kertész, einen Kollegen aus der Zunft der Fotografen, der ihn unter seine Fittiche nimmt. Ihm und seinen Unterweisungen an der neuen 35 mm Leica, vedankt Capa jene Beweglichkeit beim Fotografieren, die seine Werk später auszeichnen. Und er trifft Gerda Pohorylle, eine linke Deutsche, die Frau seines Lebens, die später den Namen Gerda Taro annimmt, selbst Fotoreporterin wird und 1937 im spanischen Bürgerkrieg ums Leben kommt.

Aus Friedmann wird Capa. Eine bewusste Entscheidung Gerdas, die in Paris von Redaktion zu Redaktion zieht und die Fotos des angeblichen Amerikaners, der Deutsch, aber kein Englisch und kaum Französisch spricht, verkauft. Mit Erfolg. Capa ist weiter abenteuerlustig und an Politik interessiert, mit Taro wird seine Fotografie professionell und zugleich ein Instrument des Kampfes für eine gerechte Sache. Wie der Kampf für die Volksfrontregierung in Frankreich und der Bürgerkrieg gegen den Faschismus in Spanien.

Nach Gerdas Tod zieht sich Capa zunächst nach New York zurück, wohin seine Familie ausgewandert ist. Er erhält einen Vertrag mit Life, der berühmtesten Illustrierten jener Zeit, wird später sogar ihr offizieller Kriegsreporter bei der US-Armee, obwohl er immer noch den Pass des faschistischen Ungarn in der Tasche trägt. 1938 dokumentiert er den Widerstand der Chinesen gegen die japanische Invasion, 1944 ist er schließlich bei der Invasion der Alliierten in der Normandie dabei, danach lebt er in Paris, nimmt 1954 einen Auftrag nach Japan an und lässt sich überzeugen, als das Ende der französischen Kolonialherrschaft in Indochina bevorsteht, einen Kollegen dort zu vertreten. Für Dien Bien Phu kommt er zu spät, fotografiert aber den Rückzug der französischen Armee in Laos und schließlich in der Gegend südöstlich von Hanoi, die heute romantisch „Trockene Halong-Bucht“ genannt wird. Am 25. Mai 1954 gegen 14.50 Uhr klettert er auf einem Deich abseits der Straße herum und fotografiert. Er tritt auf eine Mine und stirbt auf der Stelle.

Robert Capa war einer der profiliertesten Fotografen seiner Zeit, nicht nur, weil er mit anderen 1947 in Paris die schon legendäre Agentur Magnum gründete und über Jahre geschäftlich führte. Wie kaum ein anderer etablierte er vielmehr in den 1930-er Jahren den optischen Eindruck als Mittel der Informationsübermittlung. In einer Zeit ohne Fernsehen, in der Bilder von Weltereignissen allenfalls in den Wochenschauen verbreitet werden konnten, verschaffen die meist schwarzweißen Fotos in Tageszeitungen, mehr aber noch in Illustrierten wie Life, sich eine herausragende Position. Sie tragen nicht nur Informationen in alle Welt, sondern auch Emotionen. Und dafür sind Capas Bilder in besonderer Weise geeignet, denn sie sind kraftvoll und direkt, wie etwa jener sterbende Milizionär im spanischen Bürgerkrieg, der im Sturz seine Waffe verliert und einen Hang hinunterfällt, ein Bild, das um die Welt ging (S. 81).

Capa schaut den Menschen ins Gesicht, dort erkennt er in seiner Zeit vor allem das Leid angesichts ihrer dramatischen Lage im Krieg oder auf der Flucht, in ihrem Leben in Ruinen. Doch gleichzeitig erkennt er dort Entschlossenheit, Kraft, Gemeinsamkeit und Charakter. Schon die Kinder, und davon hat er Tausende abgebildet, zeigen eine Freundlichkeit und Persönlichkeit, die bei den Älteren noch ausgeprägter ist. Charaktere, wie man sie heute in einer Zeit von Wohlstand, Gleichgültigkeit, Gleichmacherei und Anpassung kaum noch findet. Die Abenteuerlust Capas und die Bewegtheit seiner Zeit gingen eine perfekte Symbiose ein.

Capas Bruder Cornell und der Biograf Richard Whelan trugen Anfang der 1990-er Jahre alle verfügbaren Originale von Capas Fotos aus seiner aktiven Zeit von 1932 bis 1954 zusammen – 70.000! Für den vorliegenden, opulenten Bildband haben sie 937 Fotos ausgewählt, von denen etwa die Hälfte bisher nicht oder nur an schlecht zugänglicher Stelle veröffentlicht wurden. Die Duotone-Abbildungen sind chronologisch geordnet, doch es wurden einige größere Themeninseln mit mehreren Fotos gebildet. Vielleicht hätte man auch die verstreuten Porträts von Picasso oder Hemingway zusammenführen können. Unglaublich eindrucksvoll die Bilder aus Asien, denn auch in ihnen gelingt es dem Fotografen, der aus einer völlig anderen Kultur stammte, die Ängste und die Freuden, die Charaktere der Menschen zu finden.

Der amerikanische Schriftsteller John Steinbeck, mit dem Capa 1947 die kriegszerstörte Sowjetunion bereiste, schrieb über seinen Freund nach dessen Tod: „Capa wusste, wonach er suchte, und was zu tun war, wenn er es gefunden hatte. Er wusste zum Beispiel, dass man den Krieg nicht fotografieren kann, denn der ist vor allem ein Gefühl. Aber er fotografierte dieses Gefühl, indem er seine Umgebung abbildete. Er konnte den Schrecken eines ganzen Volkes im Gesicht eines Kindes zeigen. Seine Kamera fing Gefühle ein und hielt sie fest. Seine Bilder sind keine Zufälle; die Gefühle in ihnen kamen nicht einfach so vorbei. Er konnte Bewegung und Freude und Herzensleid fotografieren. Er konnte Gedanken fotografieren. Capas Werk ist selbst das Abbild eines großen Herzens und eines überwältigenden Mitgefühls.“

fjk@saw

Robert Capa – Die Sammlung (Fotos v. Robert Capa, Text v. Richard Whelan). Berlin: Phaidon 2005, ISBN: 0714894680, 571 Seiten, gebunden, 39,95 Euro.

Dieses Buch bei Amazon kaufen:

zurück zur Übersicht "Fotobände"