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Die Macht der Bilder

Wer sich länger oder intensiver mit China beschäftigt, hat zahlreiche Bilder vor Augen, die markante Stunden und Entwicklungen dieses bevölkerungsreichsten Landes der Erde festhielten: Mao verkündet die Volksrepublik auf dem Tian’anmen, Aufmarsch der Massen, das rote Buch schwenkend, Mao schwimmt im Yangzi, Bauern legen mit einfachen Hacken und Körben kilometerweite Terrassenfelder an oder heben Kanäle aus, Mao trinkt mit US-Präsident Nixon Tee, Spatzen werden als Erntefresser vernichtet, aber auch protestierende Studenten, Panzer, die sie überrollen und natürlich die Bilder der letzten Olympiade, samt jener beschämenden Farce, die als Vorbereitungen dazu präsentiert wurden.

Seit die Kommunistische Partei sich 1942 am Ende des „Langen Marsches“ nach Yan’an zurückgezogen hatte und in den dortigen Lösshöhlen ihr Programm für die Machtübernahme ausarbeitete, gilt die Kunst – und damit auch die Fotografie – als im Dienst der Partei stehend. Nach der Machtergreifung 1949 durften keine negativen Berichte oder Fotos mehr veröffentlicht werden, und in den Bereichen, die die KP Chinas bis heute kontrollieren kann, ist dies auch bis heute der Fall. Nachrichten, Berichte, Statistiken wurden und werden im großen Stil gefälscht, die offiziellen Medien bringen Propaganda, keinen Journalismus. Ausnahmen bestätigen die Regel. Ein gewaltiger Stasi- und Zensurapparat sorgt für die Schere im Kopf der überwältigenden Mehrheit der chinesischen Publizisten.

Natürlich wurden und werden auch Bilder gefälscht: gestellt oder schlicht manipuliert. Der ehemalige Staatschef Liu Shaoqi, einer der wirklichen Väter der chinesischen Reformpolitik, der ehemalige Verteidigungsminister Lin Biao, der angeblich einen Putsch gegen Mao geplant hatte und dessen Flugzeug unter bis heute ungeklärten Umständen über der Mongolei abstürzte, und viele andere „Renegaten“, wer immer wohin auch immer von der gerade korrekten Linie der Partei abwich wurde früher mit Schere und Klebstoff, wird heute per Mausklick von Fotos entfernt, aus der Geschichte getilgt.

Jetzt sind sie alle wieder da. Der weltweit für bekannte Medien arbeitende Hongkonger Fotojournalist Liu Heung Shing hat über Jahre mit zahlreichen volksrepublikanischen Fotografen gesprochen und von ihnen bekannte und häufig veröffentlichte, aber auch bisher nicht publizierte Fotos erhalten. Natürlich waren diese Fotografen alle „offizielle“ Fotografen, unterlagen also der Zensur. Natürlich sind viele der Fotos Propagandafotos. Doch zurückblickend über 60 Jahre Volksrepublik und versehen mit ausführlichen erklärenden Untertiteln entlarven sie selbst ihren Propagandacharakter, schreien es geradezu heraus, dass sie gestellt sind, dass auch oft die Handlungen der Menschen auf den Fotos gestellt sind. Reine Propaganda eben.

Dieser sorgfältig zusammengestellten Auswahl an Bildern gelingt aber noch etwas anderes, nämlich zum einen den schlichten Alltag der Menschen zu zeigen und zum anderen immer wieder einzelne aus der Masse herausragen zu lassen: den Soldaten, der mitten im Aufmarsch Zeitung liest, den Schüler, der beim Fegen des Hofes in der Gruppe neugierig in die Kamera schaut, die jungen Leute mit Ballonmützen und verspiegelten Sonnenbrillen oder der Cola trinkende Chinese im Kaiserpalast, die letzten beiden gehören zu den fantastischen Fotos von Liu selbst, die er Anfang der 1980-er Jahre schoss. In neuerer Zeit bieten sich, allein schon aus technischen Gründen, mehr Möglichkeiten: das Bild eines beim Erdbeben in Sichuan vom Mai 2008 unter den Trümmern eines Hauses eingeklemmten Mannes geht per Handy um die Welt, bevor es die Zensoren in Peking überhaupt zu Gesicht bekommen haben. Aber niemand weiß, wann und wie das letzte Bild des Bandes, das das Organisationskomitee der Olympischen Spiele zur Verfügung stellte und das angeblich die olympische Fahne auf dem Mount Everest zeigt, produziert wurde. Denn für die Partei gelten die Vorgaben von 1942 immer noch.

Für uns hingegen gelten Erkenntnis und Erinnerung, die dieser herausragende Bildband uns präsentiert.

fjk@saw

Liu Heung Shing (Hrsg.), China: Porträt eines Landes. Köln: Taschen 2008. ISBN 978-3-8365-0569-7. 424 Seiten. 39,99 Euro.

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