Von
Berlin nach Moskau - oder: Wo ist der Osten?
Es
gibt genügend überflüssige
Reiseprojekte, die albernen Privatinteressen nachjagen, und es gibt
ebenso viele belanglose Berichte
darüber. Wolfgang Büschers Fußmarsch von Berlin nach
Moskau gehört nicht dazu, auch wenn die Idee anfangs einigermaßen
absurd klingen mag. Doch der Autor nimmt uns vom ersten Schritt an mit
auf einen Weg, der zwar mit Einzelerlebnissen gepflastert ist, dessen
roter Faden aber schnell deutlich wird.
Es ist der Weg nach Osten, ein Weg, den mit Napoleon und Hitlers Heeresgruppe
Mitte schon Hunderttausende marschiert sind.
Und genau das hat bis heute Konsequenzen, die Büscher auf Schritt
und Tritt begegnen. Die Geschichten, die er erlebt und die ihm erzählt
werden, kommen in ihrem Kern immer wieder auf diese Vergangenheiten
zurück, die jenseits der Oder weitaus mehr Gegenwart besitzen
als diesseits. Und deshalb ist der Vorwurf, der dem modernen Wanderer
noch in westlichen Gefilden zugerufen wird - „Sie jagen einer
Phantasie nach, Mann“ - vollkommen abwegig. Der Osten, das ist
ganz viel brisante Historie, in der die Eindringlinge aus dem Westen
eine wesentliche Rolle spielen.
Der Osten? Wo ist der eigentlich?
Woche für Woche entdeckt der Wanderer eine neue Version, denn
der Osten ist immer östlich seines aktuellen Standortes. Und der
Osten ist in den Augen der Einheimischen immer und überall das
Schlechtere. Dass diese Sichtweise engstirnig ist, das beweist die
Wanderung, das beweist diese vorurteilsfreie Erkundung der Orte und
der Menschen, die dort leben. Und wie beiläufig und zufällig,
aber deshalb um so eindringlicher, erfährt man Lebensgeschichten
aus diesen uns so fernen Ländern, die sich schließlich zu
einem schlüssigen Gesamtbild zusammenfügen. Am Ende ist der
Leser froh, dass er den beschwerlichen Weg nicht selbst hat gehen müssen;
aber dass der Autor ihn gegangen ist, das war nicht vergeblich.
Hier ist
endlich mal wieder jemand unterwegs gewesen, nicht um sich selbst
zu bespiegeln und
seine Leser damit zu langweilen, sondern weil
er zu Recht davon überzeugt war, am Ende etwas Wesentliches berichten
zu können.
Und das geht, wenn man zu erzählen weiß, auch in einem verhältnismäßig
dünnen Band.
vm@saw
Wolfgang
Büscher: Berlin - Moskau. Eine Reise zu Fuß. Rowohlt Tb
2004. ISBN 349923677X, 240 Seiten, 8,95 Euro.
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