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Begleitung durch die Slowakei gefällig?

EskortaVon braver Bürgerlichkeit im Sozialismus – die in Osteuropa so weit verbreitet war – ist in diesem Roman, in dieser Geschichte nichts zu spüren. Michals Eltern sind beide homosexuell und haben nur aus bürgerlichen Tarnungsgründen geheiratet. Sie leben zunächst in Prag: „Wir wohnten in einer Zweizimmerwohnung im obersten Stockwerk eines vierzehngeschossigen Plattenbaus in einem Prager Außenbezirk. Meine Eltern hatten getrennte Schlafzimmer. Meine Mutter brachte ihre lesbischen Partnerinnen mit nach Hause, mein Vater seine Liebhaber. Sie hatten nichts zu verbergen. Auch nicht vor mir.“
In der Plattenbauwohnung wird zudem laute Musik gehört und heftig diskutiert. Gelegentlich zeigt sich der Geheimdienst, und die Eltern beschließen, ins verschlafene Bratislava umzuziehen. Doch die Tentakel der Staatsmacht reichen auch bis in die slowakische Stadt und befördern die Eltern ins Gefängnis. Schließlich entledigt der Staat sich der unbürgerlichen Familie durch das Angebot der Ausreise in den Westen.
In West-Berlin dann gerät Michal in eine wilde, von Drogen beherrschte Szene, seine Mutter wird krank und stirbt 1989, von seinem Vater entfremdet er sich. Der Vater kommt im Westen nicht zurecht, und als die Mauern gefallen sind, kehrt er mit dem Sohn zurück nach Bratislava. Dort gerät nun wieder der Sohn in Probleme, denn er hat vom wilden Westen gekostet, und der Osten ändert sich gar nicht so viel und so schnell wie immer behauptet. Plattenbau, langweilige Schule, keine Perspektive.
Das alles wird recht zügig erzählt, in gut 50 Seiten, und bildet nur die Hintergrundszenerie für den zweiten Akt des Theaterstücks, das „Der Osten will der Westen sein“ genannt werden könnte. Denn Michal geht nun zur Schauspielschule, weil er nicht weiß, was er sonst machen soll: „Ich hatte keine Lust zu arbeiten. Langsam begriff ich, dass die kleine, aber mittlerweile recht übervölkerte Stadt eine gut organisierte Bürokratie hervorgebracht hatte, ein unsichtbares und perfekt eingespieltes System, in das ich nicht hineingehörte.“ Die Wende in seinem Leben steht an, als er wenig später in der Zeitung eine Anzeige für „eine gut bezahlte, … wenig anspruchsvolle … Tätigkeit“ entdeckt. Ein Casting findet statt, und Michal bekommt tatsächlich einen Vertrag für diese „Tätigkeit“, die er zunächst gar nicht versteht.

Das Theaterstück nimmt an Fahrt auf, denn Michal wird Callboy, das heißt, er arbeitet als Begleiter für die Agentur „Eskorta“ und wird gerne von sehr reichen und sehr gelangweilten Ehefrauen jener Manager gebucht, die gerade im frisch abgetrennten Land Slowakei das Unterste zuoberst kehren. So wird auch er, wie er sagt, ein Kriegsgewinnler. Technisch hat er keine Probleme, denn die Damen sind, wie schon in der Anzeige erwähnt, „wenig anspruchsvoll“, das Tragen von Einkaufstaschen und den Smalltalk lernt er auch schnell. Er wird reich, leistet sich eine teure Wohnung, versinkt in Drogen und gehört zum neuen Jetset des Ostens, das so ist, wie man sich dort immer den Westen vorgestellt hat. In schneller, lockerer Sprache erzählt Michal Hvorecky, der Jungstar der slowakischen Literatur, diesen zweiten Akt, durchaus angemessen übertragen von Mirko Kraetsch.
Der Höhepunkt, die Krise, naht, als Michal, der inzwischen älter geworden ist, die Tochter einer Kundin nach Lissabon begleitet und sich dort in Stadt und Tochter verliebt. Er fällt aus seiner Rolle, in vielerlei Hinsicht, der Roman legt sich delirierende, fantastische Züge zu, und ein ziemlich brutales Ende naht. Denn mit den starken Männern der „Eskorta“ ist so wenig zu spaßen wie früher mit dem Geheimdienst.
Der Osten ist doch nicht der Westen geworden, sondern nur eine ziemlich schlichte Imitation von Vorstellungen, die man früher gepflegt hat. Kriminalität aller Orten, im offiziellen Business wie im weniger beleuchteten, und zum Schluss ist schon zu sehen, dass die Party bald zu Ende geht. Das alles beschreibt Hvorecky in einer nicht sehr tief schürfenden, aber unterhaltsamen Farce, die zum Schluss ins Absurde abdreht – wie so vieles in Bratislava. Und nicht nur dort.

fjk@saw

Michal Hvorecky: Eskorta. Tropen Verlag. ISBN 978-3-608-50102-5. 19,90 Euro.

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