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Bauten erinnern. Augsburg in der NS-Zeit

Wenn die Zeitzeugen nicht mehr reden können, dann „reden“ die Orte. Das gilt nicht nur für die Orte, die mit den Verbrechen der braunen Herren in unmittelbarer Beziehung standen, so die Quartiere der HJ, der SA und SS oder gar das Kriegsgefangenenlager der Stadt Augsburg und die Sammellager 2, 4 und 5, sondern auch mittelbar, denkt man an die arisierten Wohn- und Geschäftshäuser oder an die Betriebe in Augsburg, vor allem an die MAN AG, und deren Verstrickungen in das Hoch- und Wettrüsten für den „totalen Sieg“. Akribisch, beinahe detektivisch mutet die Arbeit der Autoren an, die den Leser auf eine Geschichtsreise mitnehmen. Dabei erfährt man auch, dass in Augsburg bereits weit vor der Machtergreifung Sozialrassismus und Volksgemeinschafts-Ideologie hoch im Kurs standen. Themen wie „Stadtverwaltung“, „Wohnungsbauten“, „Kasernenneubauten“, „Wehrwirtschaft“, aber auch der „Widerstand in Augsburg“ sind thematisch mit spezifischen Orten verbunden, mit dem Hauptbahnhof, dem Rathaus, der Schwäbischen Volkszeitung oder der Wohnung von Wilhelm Reisert. Diese Orte auch zu finden, dienen zwei Übersichtskarten auf den Innenseiten des Bucheinbands. Allerdings ist die Nummerierung eher der thematischen als der topografischen Ordnung geschuldet, was Ortsfremden das Orientieren erschwert.

Bauten erinnern. Augsburg in der NS-Zeit

Das Rathaus, dieser prächtige Renaissance-Bau nach Entwurf von Elias Holl, macht den Anfang der „Geschichtsstunde“ an historischen Orten, das Ende ist der Blindenschule in der Jesuitenstraße vorbehalten. Historische, teilweise auch aktuelle Fotos in Schwarz-Weiß vermitteln einen visuellen Eindruck von den Orten, die die neuen Herren nach 1933 sich und ihrer rassistischen Ideologie einverleibten. Am Rathaus wehten bereits am 9. März 1933 Hakenkreuzfahnen, wie auch im Rest der Stadt, ganz zu schweigen davon, dass die SA ungehindert durch die Stadt marschierte. Hitler zeigte sich bei seinen beiden Besuchen in der Stadt auf dem Rathausbalkon und im Goldenen Saal genoss er den Empfang der Stadt. Welche Rolle das Finanzamt in der Peutingerstraße 25 bei der Drangsalierung und Diskriminierung der jüdischen Augsburger spielte, wird in dem sehr informativen und lesenswerten „Architekturführer“ ebenso behandelt wie die Rolle des Wohlfahrtsamtes in der ehemaligen Stadtmetzg am Metzgplatz. Eifrige Sozialtechnokraten wie Hans Seiler lenkten die Geschicke dieses Amtes und urteilten über „Gemeinschaftsfremde“. Teil des Apparates der neuen Herren wurde auch das Erbgesundheitsgericht, das sich mit eingeleiteten Verfahren zur Verhütung erbkranken Nachwuchses befasste, mithin den Verfahren der Zwangssterilisierung einen legalen Schein gaben. Für die Aussonderung sogenannten unwerten Lebens war auch das Mitte des 19. Jahrhunderts erbaute Städtische Krankenhaus zuständig, auch wenn hier keine unmittelbaren Tötungen von Patienten im Zuge der T4-Aktionen stattfanden. Doch selektierte Patienten – insgesamt 230 – wurden aus dem Krankenhaus in die Mordanstalten Grafeneck und Hartheim deportiert und dort ermordet. Eine wichtige Schaltzentrale der Nazis befand sich in den letzten Kriegsmonaten im Bunker des Riedingerhauses, wohin auch der damalige Stadtkommandant seinen Befehlsstand verlegte. Dass sich die Organisationen wie HJ, BDM und andere NS-Organisationen nahmen, was sie wollten, verdeutlichen die Kapitel zum Thema „NSDAP-Organisationen“. Die NS-Mütterschule residierte in der Maximilianstraße, die sogenannte Gauverwaltung der Deutschen Arbeitsfront im konfiszierten Volkshaus, das im Stil des Neuen Bauens errichtet worden war. In der Frohsinnstraße ließ sich der Sicherheitsdienst des Reichsführers SS nieder, die Gestapo in der Prinzregentenstraße 11 und 11 a. Im Zusammenhang mit den NS-Organisationen und deren Verortung in Augsburg wird auch die Rolle des KZ-Kommandanten Hans Loritz beleuchtet, der u. a. den Befehl zur Ermordung von 12000 Kriegsgefangenen im KZ Sachsenhausen erteilte. Durch Selbstmord im Jahr 1946 entging er seiner Bestrafung.

Machen wir uns weiter auf die Spuren der „Gauhauptstadt Augsburg“, dann entdecken wir den Ludwigspark, Ort von „Brot und Spielen“ während der Kriegsjahre. Wir gelangen auch an den Königsplatz, der damals Adolf-Hitler-Platz hieß, und gehen durch den Judenberg, der seinen Namen behielt, obgleich während des „1000-jährigen Reiches“ Straßennamen nach verdienten Vertretern des neuen Regimes benannt wurden. Welche Rolle spielte die Freilichtbühne am Tor während der NS-Zeit und welche Stücke spielte man am Stadttheater – auch diese Fragen beantworten die Autoren dieses etwas anderen Architekturführers, der nicht so sehr die Architektur in den Fokus rückt, sondern sich um die Funktion der verschiedenen Bauten während der NS-Zeit kümmert. Die vorliegende Publikation war längst überfällig. Man wünschte sich auch für andere Städte und Gemeinden ein ähnliches „Nachschlagewerk“!

© fdp

Hrsg. Winfried Nerdinger: Bauten erinnern. Augsburg in der NS-Zeit, 255 S. m. 461 sw-Abb., 18 x 25 cm, geb., Berlin 2012,ISBN 978-3-496-01473-7, Preis 39,00 Euro [D] | 49,50 SFR [CH]



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