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Schweden – ein Länderporträt

Ein Länderporträt ist kein Reiseführer im genuinen Sinn, auch wenn viele Hintergründe zu Land und Leuten präsentiert werden, aber eben keine Sehenswürdigkeiten, keine Restaurants, keine hippen Klubs. Auch auf Interviews wurde im vorliegenden Band verzichtet, der sich wie andere in dieser Reihe insoweit von den im Piper-Verlag erschienenen „Gebrauchsanweisungen“ unterscheidet.

Schweden - Länderportrait

Schweden, so Rasso Koller, ist ein Land, das sich durch seine Klischeebilder beschreiben lässt: das gemütliche rote Schwedenhäuschen und der kuschlige Elch. Obendrein wird der Wohlfahrtsstaat des hohen Nordens noch mit Pippi Langstrumpf, Karlsson vom Dach und Ronja Räubertochter in Verbindung gebracht. Doch das schwedische Volkshaus hat längst Risse bekommen, wie die weitere Lektüre des Buches zeigt. „Kuschelland ist abgebrannt“ nennt der Autor ein Kapitel, das sich mit den Veränderungen im „Paradies mit blau-gelber Flagge“ beschäftigt. Zu den Veränderungen gehöre, so Koller, auch der Witz, dass man in schwedischen Krankenhäusern bestens versorgt werde, wenn man dann nur die Wartezeit überlebe. Das Volksheim drückt ein Staatsdefizit, neoliberale Politik hin oder her. Dass das nordische Musterländle von einst Modell für heftiges Sparen und auch für die Schrödersche Agenda 2010 war, merkt der Autor an einer Stelle seines Buches an.

Unter den nordischen Nachbarn sind Schweden nicht beliebt, auch wenn in Schweden gilt, möglichst Mittelmaß zu halten und selbst bei vorhandenem Reichtum nicht mit diesem zu protzen. Während die Finnen als hinterwäldlerisch gelten, sind die Norweger neurreiche Ölbarone und die Schweden Besserwisser. Die Dänen werden lediglich mit ihrer „komischen Sprache“ aufgezogen. Dass alle Länder einstmals in unterschiedlichen Konstellationen miteinander verbunden waren, ob nun Finnland vor der russischen Okkupation und der Umwandlung in ein Großherzogtum oder aber Norwegen, wird bei den Vorstellungen voneinander, weitgehend ausgeblendet. Es gelten dann eher Stereotypen und Klischees! In den Witzen spiegelt sich das wider. Eine kleine Kostprobe aus Norwegen, die uns Koller anbietet, gefällig? Warum sterben so viele Schwedinnen beim Gardinenbügeln? Sie fallen durchs Fenster. In Finnland erzählt man sich folgenden Witz: „Auf einer Straße liegen ein überfahrener Schwede und ein ebenfalls überfahrener Igel. Woran erkennt man, wen oder was man vor sich hat? Vor dem Igel sind Bremsspuren.“ Man muss dazu wissen und darauf macht Koller in seiner Abhandlung aufmerksam, dass in Schweden eine finnische Minderheit und in Finnland eine schwedische Minderheit lebt. So gilt zum Beispiel in Helsinki und Turku Zweisprachigkeit. In Schweden gehören neben den Roma auch Tornedalfinnen zur Minderheit. Diese leben in Norbotten und sprechen auch eine besondere Variante des Finnischen. Auch die Sami oder Lappen gehören zu einer Minderheit, von der wir glauben, es handele sich bis heute um nomadisierende Rentierzüchter. Dass dem so nicht ist, wird bei der ausführlichen Buchlektüre klar und deutlich.

Tack, tack, tack und das Duzen gehören ebenso zu Schweden wie „Weniger ist mehr“, ein Slogan, den sich auch die rassistische Partei Schwedendemokraten, die eine Nähe zu schwedischen Nationalsozialisten nicht abstreitet, zu eigen gemacht hat. Schwedendemokraten zielen mit diesem Slogan auf die Abkehr von Einwanderung. Ansonsten verbirgt sich dahinter eher der Versuch, dass Schweden sich nicht gerne herausstellen und eher bescheiden sein wollen.

Ein besonderes Kapitel ist der Kaffeepause gewidmet, eine Institution in der schwedischen Gesellschaft. Die Frage „Vill du fika?“ ist eben nicht das, was man gemein hin denkt, sondern lediglich die Frage nach der Kaffeepause. Für jemand, der im Krankenhaus in der Notaufnahme auf eine Versorgung wartet, ist sie gewiss ein Ärgernis, für die Schweden jedoch Teil eines Arbeitsklimas, das es zu erhalten gilt.

Koller räumt unter dem Titel „Erziehung: Der schiefe Turm von Pisa“ mit der Mär auf, dass das Bildungssystem erstklassig sei. Beim Blick in die Geschichte des Landes sollte man unbedingt die Abschnitte zum Mord an Olof Palme lesen. Spätestens bei dieser Lektüre verliert man die Illusion über ein offenes und liberales Schweden. Auch Koller vertritt die These, dass Palme aus den Reihen der Polizei, manche Autoren gehen weiter aus den Reihen der Geheimpolizei, umgebracht wurde. 1986 hat das schwedische Volksheim seine schwärzeste Stunde erlebt. Die Zeiten, in denen Politiker ohne Leibwächter unterwegs sein konnten, gleichsam als Bürger unter Bürgern agieren konnte, waren vorbei.

Während wir uns über Vorratsdatenspeicherung und Volkszählungen aufregen, gibt es den gläsernen Schweden schon lange. So kann jeder erfahren, was sein Mitbürger und Nachbar verdient. Steuerdaten sind im Netz abrufbar. Seit 1766 (sic!) sind Akten und Dokumente des Staats durch die Bürger einsehbar. Hinterstubenpolitik kann so nicht stattfinden.

„Ladies first?“, fragt der Autor und man möge unbedingt dessen Abhandlungen, auch zu Hexen und Bauersfrauen lesen. Wo gibt es den Versuch der Genderneutralität? In Schweden. Hier wurde u. a. mit Hen ein geschlechtsneutrales Personalpronomen eingeführt. Ob es demnächst auch genderneutrale Toiletten gibt, die kein Han, Hen oder Hun kennen, steht bisher noch in den Sternen, aber eine entsprechende Forderung existiert.

Dass nicht alles stringent durchdacht ist, wird beim Thema Prostitution deutlich. Wer die Dienstleistung anbietet, macht sich nicht strafbar, allerdings der Freier und auch der Zuhälter. Straßenprostitution ist so minimiert worden. Nur noch 1000 von ehemals 3000 Nutten sind auf dem Pflaster unterwegs. Prostituierte bieten vermehrt Dienste im Internet an, sind also eher in der anonymen Masse der Gesellschaft verschwunden, nicht mehr deutlich sichtbar und auch für Präventionsprogramme kaum noch zu erreichen.

Klar, Koller befasst sich mit Ikea, diesem so urschwedischen Unternehmen, denkt man. Auch um Pippi Langstrumpf kommt er nicht herum. Geboren wurde sie 1941, vielfach wurden die Geschichten übersetzt, in Diktaturen aber zensiert oder gar verboten. Rebellische Geister werden von Diktatoren nicht geliebt.

Am Ende der Lektüre hat man ein rundes Bild von Schweden und macht sich so seine eigenen Gedanken um das „Volksheim in der Krise“. Schöne neue Schwedenwelt!

© Text ferdinand dupuis-panther

Rasso Knoller: Schweden - Ein Länderporträt, erschienen: April 2016, Ausstattung: Klappenbroschur, Seitenzahl: 208, Karten: 1, ISBN: 978-3-86153-880-6, Preis 18 Euro

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