Text und Fotos: Rainer Heubeck
Outdoor-Urlaub in Chile, dabei denken viele Menschen vor allem an Patagonien. Doch der älteste Nationalpark Chiles, der Villarrica-Nationalpark, findet sich weiter nördlich – zwischen dem Villarrica-See und der Grenze zu Argentinien. Ein ideale Region für Wanderer, die dort häufig auf die Baumart treffen, der die Region ihren Namen verdankt: Araukarien.
Nach ihnen ist die Region benannt: Araukarien-Bäume
Die ersten zwei Tage nach unserer Ankunft im „Kleinen Süden“ Chiles ist es grau und neblig. In Pucón (1), einer 14.000.Einwohner-Stadt am Ufer des Villarrica-Sees, ist kaum ein Mensch auf der Straße, als wir zwischen den Holzhäusern flanieren. Der Sinn der Vulkan-Ampel am Rathaus der Stadt, die anzeigt, ob Gefahr droht oder nicht, erschließt sich bei diesem Wetter nicht unmittelbar. Denn der Himmel ist so verhangen, dass vom Villarrica-Vulkan nichts zu erkennen ist.
Kennt den Villarrica-Nationalpark wie seine Westentasche: Der aus der Schweiz stammende Wanderführer Guido Schilling
Zwei Tage später scheint die Sonne – und mit Guido Schilling, einem Schweizer, der seit zwanzig Jahren als Wanderführer, Skilehrer und Tischler in Chile lebt und arbeitet, fahren wir an den Fuß des 2840 Meter hohen Vulkans, dessen oberer Teil immer mit Schnee bedeckt ist. Der Villarrica ist äußerst aktiv – und im letzten Jahrhundert mehrmals ausgebrochen. So gab es bis zum Jahr 1971 am Fuße des Vulkans ein Skigebiet, das bei einer Eruption durch eine Schlammlawine zerstört wurde. „Haus des Geistes“ oder „Haus des Geistes des Berges“ wird der Vulkan von den Ureinwohnern der Region, den Mapuche-Indios, genannt, manche Übersetzer sprechen sogar vom „Haus des Teufels.“
Wandertour auf erkalteter Lava – der Villarrica-Vulkan ist einer der aktivsten Feuerberge des Landes
Im hellen Sonnenlicht sieht der Villarrica-Vulkan heute alles andere als teuflisch aus. Wir starten unsere Wanderung auf einer Höhe von etwa 1200 Metern, und bewegen uns auf braunen, scharfkantigem Lavagestein vorwärts. Links von uns finden sich Ausläufer des valdivianischen Regenwaldes, rechts von uns der 2840 Meter hohe Vulkan, der in der Hochsaison häufig von 200 bis 300 Menschen am Tag bestiegen wird. Dabei nützt es, früh aufzustehen, denn je später man startet, desto weicher wird der Schnee unterhalb des Gipfels – und desto tiefer sinkt man ein. Der Aufstieg führt bis zum Kraterrand, deshalb hat jeder Wanderer vorsichtshalber eine Gasmaske mit dabei. Der anschließende Abstieg ist meist ein Abrutsch – auf dem dick gefütterten Hosenboden schlittern die Wanderer auf einer Art Eisrutsche nach unten. Eine Tour, zu der Guido Schilling, der aus Kreuzlingen am Bodensee stammt und der ausgewandert ist, als er 26 war, schon mehrere 100 Mal aufgebrochen ist. Heute jedoch führt er uns zu einigen Seitenkratern des Villarrica, im Gegensatz zum Hauptkrater sind diese bereits erkaltet.
Die Anstrengung hat sich gelohnt: Von den Nebenkratern des Villarrica-Vulkans genießen Wanderer traumhafte Ausblicke
Schon nach etwa einer halben Stunde haben wir die Baumgrenze erreicht. Am blauen Himmel über uns finden sich nur wenige Cirruswolken, den Villarrica-See, der unter uns liegt, bedeckt noch ein grauer, undurchsichtiger Schleier. Als wir nach etwa eineinhalb Stunden bei den Parasitenkratern ankommen, öffnet sich ein spektakulärer Blick Richtung Norden, hin zum 3145 Meter hohen Llaima-Vulkan. Ein Feuerberg, der 2008 zum letzten Mal ausgebrochen ist.
Viele der Vulkane in Südchile können mit einem ortskundigen Guide und entsprechender Kondition bestiegen werden – was bei klarem Wetter durch einen weiten Rundum-Blick belohnt wird. Obgleich Guido Schilling auch in der Schweiz schon leidenschaftlicher Bergsteiger war, fasziniert ihn die „chilenische Schweiz“ sehr. „Mir gefällt die Weitsicht, die man hier hat, von vielen Gipfeln kann man 600 Kilometer rundum sehen“, sagt Guido Schilling. Auch begeistert ihn, dass Berg- und Skitouren ganzjährig möglich sind, und dass es dabei kaum Schneebrettgefahr gibt und Spalten meist einfach zu umgehen sind. „Chile bietet einen phantastischen Mix aus Skitouren, Bergsteigen und Genusswandern“, schwärmt Guido Schilling.
Der Kleine Süden Chiles ist ein Paradies für Aktivurlauber: Beliebt sind Reittouren im Pitraco-Tal
Die spektakuläre Natur der „chilenischen Schweiz“ bietet nicht nur Wanderern vielfältige Möglichkeiten, auch Rafting- und Reitausflüge sind sehr beliebt. Darüber hinaus lohnt es, die Traditionen der Nachfahren der Ureinwohner der Region kennenzulernen. Die Mapuche, einst ein Nomadenvolk, hatten sich massiv gegen die Spanier gewehrt – und erhielten deshalb über mehrere Jahrhunderte, von 1641 bis 1881, einen unabhängigen Staat. Doch ihre Traditionen in die Gegenwart zu tragen, ist nicht einfach. Ihre Sprache, das Mapudungun, war keine geschriebene Sprache, sondern wurde lange Zeit nur mündliche überliefert. Und ihre traditionelle Wirtschaftsform, die kein Privat-, sondern nur Gemeineigentum kannte, wurde während der Pinochet-Herrschaft weitgehend zerstört.
Schutz vor bösen Geistern: Traditionelle Holzfiguren vor dem Mapuche-Museum in Curarrehue
„Mapu“ bedeutet Erde und „Che“ bedeutet Mensch oder Volk. Wörtlich übersetzt bedeutet Mapuche also Volk der Erde oder Erdmenschen, verrät Guido Schilling, als wir beim Mapuche-Museum in Curarrehue (2) angekommen sind. Vor dem Museum stehen einige überdimensionale Holzfiguren. Die hölzernen Wächter stellen die Mapuche meist vor Friedhöfen oder bei heiligen Stätten auf.
Webarbeiten mit indigenen Mustern im Mapuche-Museum in Curarrehue
Doch die Mapuche-Kultur ist lebendig und existiert keineswegs nur im Museum. Wenige Stunden später besuchen wir Margot Martinez und Irma Epulef, die im Mapuche-Ort Palguín Bajo (3) eine kleine Pension betreiben. Irma Epulef verrät, dass sich viele Gespräche und Lieder der Mapuche um die Natur drehen, um den Wind, die Sonne und die Erde. Und sie betont, dass Mapuche-Küche äußerst gesund ist, weil die Gerichte vollwertiges Getreide enthalten – und serviert uns nicht nur einen schmackhaften Weizenfladen, sondern auch einen Weizenpudding und einen Trank auf Weizenbasis.
Heißes Wasser vom Villarrica-Vulkan: Die Termas Geometricas bieten 17 Becken in freier Natur
Gut für die Gesundheit – das ist gelegentlich auch ein warmes Bad. Und wo es aktive Vulkane gibt, da findet sich meist auch Thermalwasser. Die architektonisch und landschaftlich spektakulärsten heißen Quellen im „Kleinen Süden“ Chiles sind die Termas Geometricas (4) südlich des Villarrica-Vulkans. Sie liegen unterhalb eines Wasserfalls in einer engen Felsschlucht. Entlang eines kleinen Flusses verbindet ein aus Holz gebauter Pfad 17 unterschiedlich große – und auch unterschiedlich warme – Heißwasserbecken. Meist ist das Wasser, das über offene Holzleitungen in die Becken fließt, zwischen 35 und 45 Grad heiß. Die dampfenden Becken sind zum Teil in den Fels eingelassen – und wirken fast wie ein natürlicher Bestandteil der Landschaft. Ein phantastischer Ausflug, der bei regnerischem und bei sonnigen Wetter – oder nach einer anstrengenden Wanderung – gleichermaßen Charme hat.
Einen Tag nach dem Besuch der Termas Geometricas zeigt uns Guido Schilling noch ein eher wenig besuchtes Wandergebiet in der Nähe der argentinischen Grenze. Bei den „Lagunas Andinas“ verbinden schmale Wanderpfade mehrere von Gletscherwasser gespeiste Seen, die sich im Schatten des schneebedeckten Lanín-Vulkans befinden. In der Nähe des knapp 3.800 Meter hohen Vulkans sehen wir auch etliche hoch gewachsene Araukarienbäume. Diese lebenden Fossilien, die über 2000 Jahre alt werden können, haben der Region ihren Namen gegeben. Für die Mapuche waren die Araukariensamen, die bis zu fünf Zentimeter lang werden, eines der wichtigsten Nahrungsmittel. „Ein junger Araukarienbaum sieht aus wie eine Pyramide, ein älterer eher wie ein Schirm“, erläutert Guido Schilling, und zeigt uns die dicke, scharfkantige Rinde der Bäume, mit der sich die jungen Pflanzen vor Wildverbiss schützen. Und durch deren Schutz die alten Bäume sogar Waldbrände und Vulkanausbrüche nahezu unversehrt überstehen können. Den Araukarien am Fuße des Lanín-Vulkans drohen jedoch ohnehin keine Lavaströme mehr. Denn im Gegensatz zum immer noch aktiven Villarrica-Vulkan ist der Lanín bereits erloschen.
Traumhafte Seen kurz vor der Grenze zu Argentinien: Die Lagunas Andinas
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Man spricht vom "längsten Handtuch der Welt" und einem "gelungenen geographischen Witz". Kein Wunder. Eine Länge von 4.275 km und eine durchschnittliche Breite von 188 km formt wirklich eine "loca geografía", die für Chile so bezeichnende "verrückte Geographie". Die breiteste Stelle beträgt bei Antofagasta 355 km, die schmalste rund 90 km auf der Höhe von Illapel. Mittendrin eine unvergleichliche Fülle landschaftlicher Faszination: Wüstenhügel und Andengipfel, heiße Quellen und Geysire, Fjorde und Gletscher.
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Was wäre, wenn Friedensreich Hundertwasser nicht nur Häuser, sondern eine ganze Stadt gebaut hätte? Für den Chilenen Gonzales, der Tag für Tag Gäste durch das Haus Pablo Nerudas führt, eines chilenischen Schriftstellers, der 1971 den Literaturnobelpreis erhielt, ist es keine Frage – sie sähe aus wie Valparaiso, eine chilenische Hafenstadt mit knapp 300.000 Einwohnern.
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