Seensucht am Chiemsee

Text und Fotos: Beate Schümann

Still ruht der See. Unter den zackigen Gipfeln der Kampenwand und den grünen Hügeln des Alpenvorlandes schillert er silberblau in der Sonne. Segler kreuzen geräuschlos vor dem Gebirgspanorama, sie haben ein ausgedehntes Revier. Mit 82 Quadratkilometern Fläche und 64 Uferkilometern ist der Chiemsee hier der größte See, weshalb er auch „Bayrisches Meer" genannt wird.

Segelboote im Yachthafen in Prien vor der Kampenwand, Chiemsee, Bayern

Segelboote im Yachthafen in Prien vor der Kampenwand

So still ist es auf dem See aber gar nicht. Zwischen Prien, Gstadt und Seebruck verkehren die Fährschiffe. Menschenströme ergießen sich auf die Herreninsel, wo König Ludwig II. eines seiner Märchenschlösser baute, und auf die Fraueninsel, wo die Benediktinerinnen noch heute nach alten Rezepten süße Sünden aus Marzipan herstellen. Segelboote gleiten sanft durch das Wasser. Lärmende Motorboote sind auf dem See eh verboten. Ansonsten sind Wind- und Muskelkraft gefragt: man fährt Segel-, Ruder, Tret- oder Elektroboot, Stand-up-Paddle, Kanu oder Kajak.

Die Sehnsucht nach Wasser und Wind lässt sich bequem auf einem Segelboot stillen. In zünftigem Kapitänslook empfängt Skipperin Alexandra Heistracher ihre Mannschaft am Steg der Marina in Prien zum Schnupperkurs. Sie wird kurz Alex genannt, an Bord duzt man sich. Ihre „Oasis" ist eine zehn Meter lange Bavaria 32 Yacht mit luxuriöser Ausstattung. Einen kleinen Haken hat die Sache, denn zum Komfort gehören keine WCs. „Ausgebaut", erklärt Alex. Das verlangen die Chiemseer Öko- und Hygienevorschriften. Die Zwanzigjährige stammt aus einer alteingesessenen Seglerfamilie. Mit Sechzehn hatte sie schon alle Segelscheine. Inzwischen besteht zwar keine Scheinpflicht mehr, aber für das Führen von Booten werden Segelkenntnisse vorausgesetzt.

Alexandra Heistracher auf ihrer Segelyacht "Oasis", Chiemsee, Bayern

Alexandra Heistracher auf ihrer Segelyacht "Oasis"

Der Einmaster treibt sachte durch das Wasser. Alex beginnt mit klassischem Segelunterricht, lässt Segel setzen, erklärt Vorfahrtsregeln, Backbord und Steuerbord. Die Yacht ist leicht zu segeln, denn die wichtigsten Handgriffe gehen wie von selbst. Dank der Motorwinschen rollen sich das Groß- und das kleinere Focksegel spielend auf und schon steht die fünfzig Quadratmeter große Segelfläche im Wind. Dann hat man Zeit, um die Seele baumeln zu lassen, Knoten wie Pal- oder Webeleinstek zu üben oder von der Badeplattform ein Bad zu nehmen.

Wer sich traut, darf ans Steuerrad. „Schau mal hoch zum Verklicker", sagt Alex. „Er zeigt, wo der Wind steht." Der Chiemsee ist für seine launenhaften Lüftchen bekannt. Manchmal kommen auch mächtige Böen. „Wo ist hier eigentlich die Bremse", will einer wissen. Alle lachen. Gegen Abend wirft Alex vor der Kreuzkapelle an der nördlichen Inselspitze den Anker aus, am vielleicht romantischsten Grillplatz mit Ludwigsflair und Sonnenuntergang: der Biergarten ist in Betrieb.

Es gibt aber auch ganz andere Touren auf dem Chiemsee, wie etwa die Erlebnisbootsfahrt an das Delta der Tiroler Achen, Man heuert auf der „Birgit" an, der historischen Hafenbarkasse von 1935, und bei den Naturführern des Chiemseer Abwasser- und Umweltverbandes. Eine Natur-Tour zum Anfassen, bei der die Entstehung, seine Lebewesen und seine Bedrohung erklärt werden. "Der See ist das Produkt der letzten Eiszeit", sagt Christina Erl-Danhof. Mit zehn Millionen Jahren ist er sehr jung. Doch viele sind um ihn besorgt. Denn die Tiroler Ache, der Hauptfluss des Chiemsees, schüttet den See langsam mit Geröll und Schwebstoffen zu. Die Prognose der Wissenschaftler lautet: in ca. 8000 Jahren wird der See verschwunden sein. „Das letzte Hochwasser hat dazu erheblich beigetragen", sagt die Naturführerin. Die Verlandung zieht sich an der ganzen Alpenkette Bayerns entlang. Seen wie der Rosenheimer und der Salzburger See sind bereits verschwunden.

Zwischendurch werden Wassertemperatur und Wassertiefe gemessen, Flora und Fauna unter dem Mikroskop begutachtet, mit Ferngläsern die Ufervögel beobachtet. Aus ihrer großen Kiste holt sie Anschauungsobjekte, wie die Große Teichmuschel, die mit gut 20 Zentimetern die größte Seemuschel ist. Die kleinste ist die Erbsenmuschel, die selten mehr als Zentimeter erreicht. Dann holt sie ein Fossil hervor und alle sollen raten: ein versteinerter Haifischzahn. Der kostbare Fund weist in die erdgeschichtliche Vergangenheit. Plötzlich stoppt Kapitän Gert Kleinhans die Barkasse. Weiter ans Delta der Tiroler Achen darf man nicht heranfahren: „Naturschutzgebiet".

Abenteuer auf dem Wasser, eine Auszeit im Kloster. Wen das Stand-Up-Paddling oder Kajakfahren aus dem Gleichgewicht bringt, legt an der Fraueninsel (1) an, um Halt zu finden. Bei den Benediktinerinnen kann man sich eine klösterliche Auszeit nehmen, für länger oder kürzer, meist in Verbindung mit einem Themenkurs oder Seminar. Nachdem das Internat des Klosters 1998 aufgelöst worden war, baute die rege Schwester Scholastika den internationalen Seminarbetrieb auf. Nach dem benediktinischen Motto: „Die Tür ist offen, das Herz um so mehr" hat er sich zum größten in Oberbayern entwickelt.

Benediktinerinnekloster auf der Insel Frauenwörth, Chiemsee, Bayern

Benediktinerinnekloster auf der Insel Frauenwörth

Einer der zahlreichen Kurse ist die „Atempause" von Magdalena Unger. „Der Atem ist unser Ur-Rhythmus", sagt die Ex-Bankerin, deren Traum ursprünglich eine Sängerkarriere war, dann aber vor zehn Jahren auf Atempädagogik umsattelte. Einatmen, Ausatmen, Pause. Unger vergleicht es mit Leben, Sterben und Auferstehen. „Wenn wir diesen Rhythmus verlieren, kommen wir aus dem Takt", sagt sie. Ihr Kurs heißt „Atempause", weil er die Wahrnehmung auf Atem, Bewegung und Stimme lenkt. „Stress und hektisches Leben bilden sich in der Atmung ab", sagt die Münchnerin. Bei ihr geht es um Körpererforschung, Entdeckung der Lebensfreude. Wie ist meine Haltung? Bin ich im Lot? Bin ich mit mir in Kontakt? Fragen, zu denen man bei den Übungen automatisch findet. „Das Berufsleben fordert viel und führt oft zu Verpanzerungen", das weiß sie aus eigener Erfahrung. Die Abgeschiedenheit des Klosters hilft dabei, alle „wichtigen“ Gedanken auf dem Festland lassen.

Wer außerhalb des Klosters auf der Fraueninsel Urlaub machen will, für die stehen 36 Zimmer in Hotels und Pensionen bereit. In der kleinsten Gemeinde Bayerns leben rund 250 Einwohner. Sechzehn von ihnen arbeiten als Fischer, bei denen man geräucherte Renke, Hecht und Aal bekommt. In Fritzis Biergarten darf man frisch erstandenen Fisch mitbringen und bestellt dazu Kartoffelsalat und Brot.

Benediktinerinnekloster auf der Insel Frauenwörth, Chiemsee, Bayern

Eine stille Insel wird Frauenchiemsee aber erst, wenn die letzte Fähre abgelegt und der letzte Biergarten geschlossen hat. Für Jutta, die Kellnerin im „Klosterwirt", ist die Insel zwar kein besinnlicher, aber ein feiner Ort. Wenn der große Ansturm vorbei ist, ist sie am Schönsten, dann sollte man einen Rundgang machen, rät sie.

Dabei kommt man auch an die Südspitze, wo direkt am Ufer eine Holzbank steht. Von hier kann man schön in die Ferne und in die Chiemgauer Alpen blicken. Weit schweift das Auge über das blaue Herz Bayerns. In der Klosterkirche liegt ein dickes Fürbittenbuch an die selige Irmengard. Ein Wunsch ist, den See nicht verlanden zu lassen. Denn ohne ihn wird die Seensucht immer größer.

 

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