Thüringens heimliche Kulturhauptstadt

Ein Ausflug nach Gotha und Umgebung

Text und Fotos: Beate Schümann

Gotha Thüringen Rostbratwurst

Es geht um die Wurscht. Und zwar um die aus Thüringen. „Nur solche dürfen so heißen, die auch wirklich von hier sind“, erklärt Schlachtermeister Urban, vor dessen Laden an der Margarethenkirche in Gotha sie dicht an dicht auf dem Grill brutzeln. Als ich von Bratwurst spreche, runzelt er verdrießlich die Stirn. „Auch das weiß wieder keiner: Unsere Wurst wird gegrillt, nicht gebraten! Deshalb heißt sie Rostbratwurst.“ Unbekanntes Thüringen.

Aber nicht nur das würzige Original ist kaum bekannt, sondern auch Gotha, die alte Residenzstadt zwischen Südharz und Thüringer Wald, die viele links liegen lassen. Dabei ist sie nach der Wartburgstadt Eisenach die zweite Perle auf der früheren Handelsroute von Frankfurt nach Leipzig. „Vor Goethe und Schiller hat von Weimar und Eisenach niemand gesprochen“, erklärt Matthias, der Stadtführer, als wir uns dem Schlossberg nähern. „Gotha war das geistige Zentrum der Region.“ Oben erhebt sich ein gigantischer Dreiflügelpalast über die Stadt, das Zuhause der Gothaer Herzöge, die sich mit ihrer Heiratspolitik in fast alle europäischen Könighäuser einheirateten. Auch die Windsors in England sind mit ihnen eng verwandt und König Carl Gustav von Schweden.

Gotha Thüringen Sommerschloss

Das Sommerschloss Friedrichstal

Schon die Dimension des Schlosses spricht von Macht und Einfluss. Nach dem Dreißigjährigen Krieg hatte Ernst I. 1640 zwar ein verwüstetes Land übernommen, ein desolates Fürstentum, dessen Bürger hungerten. Mit Krieg sollte aber ein für alle Mal Schluss sein. Deshalb baute er keine Burg, sondern ein Schloss an deren Stelle und nannte es Friedenstein. Matthias zeigt zum Prunkportal, über dem sich Pax und Justitia umarmen. Mehr Symbolkraft geht nicht. Statt des Bollwerks legte er einen englische Park mit Orangerie und Tempelchen an. Blauäugig war der Fürst jedoch nicht: Unter seiner Residenz ließ er auf drei Ebenen Kasematten von fast drei Kilometer Länge anlegen.

Bildung für die Bauern

Gotha Thüringen Schlossportal

Die Schlichtheit der Fassade lässt die Pracht des Inneren kaum erahnen. Hier wirkt Matthias in dem barocken Pagenkostüm auch nicht mehr ganz so anachronistisch. „Wir haben in Gotha erst spät ein historisches Bewusstsein entwickelt“, sagt er augenzwinkernd. In den vielen Räumen sind opulente Stuckaturen, kunstvolle Holzpaneele und eine wertvolle Kunstsammlung zu sehen, darunter das berühmte „Gothaer Liebespaar“, ein Tafelbild der Spätrenaissance, Gemälde von Lucas Cranach d. Ä. und Böttger-Keramik. Die guten Zeiten, die die Gothaer zuvor durch Tuch- und Waidhandel erlebt hatten, kehrten mit Ernst I. zurück. Der Herzog baute ein mustergültiges Staatswesen auf und führte deutschlandweit die erste allgemeine Schulpflicht ein. „Die Gothaer Bauern waren gebildeter als andernorts der Adel“, heißt es.

Überhaupt standen Wissenschaft und Kunst hoch im Kurs. Zwischen Portalen, Fachwerkbalken und aufwändigen Hausmarken, die einst Hausnummern ersetzten, wimmelt es nur so von Geschichten. Berühmte Namen zieren die Häuser, etwa Lucas Cranach, der hier wirkte, oder Conrad Ekhof, der Begründer des deutschen Theaters, der ab 1775 im ältesten erhaltenen Hoftheater mit noch funktionstüchtiger hölzerner Bühnentechnik spielte. Natürlich rät Matthias, die historische Bühne zu besuchen. „Aber nur im Sommer! Man darf es nicht beheizen.“ Weiter erzählt er von Ernst Wilhelm Arnoldi, der 1827 die Gothaer Versicherung ins Leben rief, und Justus Perthes, der 1785 den Verlag für Kartographie gründete. Perthes machte übrigens dem Kopfzerbrechen über die labyrinthischen Verwandtschaftsbeziehungen zwischen den Häusern Gotha, Sachsen, Coburg und Altenburg ein Ende, indem er den „Gotha“ druckte, das „Who is Who“ des europäischen Adels.

Gotha Thüringen Rathaus

Das rote Rathaus

Ohne einen Blick auf die Blumen geschmückte Brunnenanlage und das rote Rathaus zu werfen, geht niemand hinunter in die Stadt. Nur ein Plattenhochbau stört die tadellose Skyline. „In der jüngeren Vergangenheit war Gotha eine Industriestadt,“ sagt Matthias entschuldigend. Unten sieht man dann auch das goldgeschmückte Eingangsportal und den im Renaissancegiebel residierenden Stadtheiligen St. Gothardus. „Rot“ ist nicht nur die Stadtregierung, auch die Sozialdemokratie hatte hier eine rosarote Zeit. Unter den Augen des Herzogs entwickelte Gotha sich zur Hochburg des Liberalismus. 1875 wurde hier die Sozialdemokratische Arbeiterpartei Deutschlands gegründet, die Vorgängerin der heutigen SPD.

Zum Garten der Glückseligkeit

Wenn der Wissensdurstige noch das Augustinerkloster und die vielen Museen gesehen hat, ist es Zeit für einen Kurztrip ins Grüne. Die gelb-blaue Thüringerwaldbahn fährt bis zum Nordrand des Thüringer Waldes und zum berühmten Wanderweg „Rennsteig“, setzt die Fahrgäste nach Bedarf aber auch am Boxberg ab, wo es ebenfalls ums Rennen geht. Nur ganz anders. Wenn man sich über die riesigen Parkplätze vorangekämpft hat, sieht man hinter den Hecken schon die flinken Pferde, smarte Jockeys, elegante Damen mit Hut und die Wettstellenannahmen. Seit fünf Jahren galoppieren auf der Rennstrecke wieder wie zu Zeiten von Ernst II. edle Vollblüter an der viktorianischen Holztribüne vorbei. Ein blitzartig kurzes Vergnügen, das sich aber zur Freude der Zuschauer mehrmals wiederholt. Gotha hat nicht nur historisches Bewusstsein entwickelt, sondern auch Sinn für gesellschaftliche Ereignisse.

Gotha Thüringen Rennbahn

Boxberg: die historische Pferderennbahn

Auf der Rückfahrt, so raten die Gothaer, sollte man einen Stop in Reinhardsbrunn einlegen. Wenige Autominuten entfernt, liegt im Urstromtal der Unstrut Bad Langensalza, ein Vorzeigestädtchen für gelungene Stadtrestaurierung. Kaum eine Lücke mit „ungeklärten Eigentumsverhältnissen“ stört das farbige Fachwerkhausbild. Am Markt erhebt sich die evangelische Bonifatius-Kirche, die ein umwerfendes gotisches Portal ziert. „Sie müssen langsam gehen“, sagt ein altes Mütterchen im Turm. „Dann pusten Sie nicht so.“ Ein guter Rat, denn die 204 Stufen führen über eine enge Wendeltreppe mit einigen Balkenhindernissen für den Schädel. Oben entschädigt die Aussicht für die Strapaze. Rundum ist die fast vollständig erhaltene Stadtmauer mit siebzehn Türmen zu sehen, der Turm vom prächtigen Barock-Rathaus und die vielen verwinkelten Gassen.

Gotha Thüringen Zentrum

Das Stadtzentrum von Gotha

Obwohl Bad Langensalza wegen seiner sieben Schwefelquellen seit 1811 ein Kurbad ist, verströmt es nicht diese typische Kuratmosphäre. Erst vor wenigen Jahren wurden eine Thermalsole und ein Trinkheilwasser aufgespürt und die Friederiken-Therme eröffnet. Der Kuraspekt ist hier noch unentdeckt und bleibt hinter schönen Gärten wie dem Schlosspark mit dem Friederikenschlösschen, dem Rosengarten, dem Botanischen Garten und dem nagelneuen japanischen „Garten der Glückseligkeit“ dezent im Hintergrund. Wer eine Kulturpause braucht, startet in den nahen Nationalpark Hainich. Während auf dem berühmten Wanderweg „Rennsteig“ die Touristen pilgern, stehen dort auf 13.000 Hektar überwiegend Buchen beieinander, das größte zusammenhängende Laubwaldgebiet in Thüringen. Das sollte zum Luftholen genügen.

Gotha

Reiseinformationen zu Gotha

Gotha-Information, Hauptmarkt 2, 99867 Gotha, Tel. 03621-22 21 38, www.gotha.de.

Touristinfo Bad Langensalza, Kurpromenade 5 b, 99947 Bad Langensalza, www.bad-langensalza.de.

Friederiken Therme, Böhmenstraße 5, 99947 Bad Langensalza, Tel. 03603-3976 0, www.thueringen-kur.de.

 

Website der Autorin: http://www.beate-schuemann.de

 

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