Blutwurstpralinen und Schwarze Medizin

Mit Dr. Eisenbart durch Hann. Münden

Text und Fotos: Rainer Heubeck

Hannoversch Münden - Ernst Polej als Dr Eisenbart

Als Wanderarzt war Johann Andreas Eisenbart viel unterwegs, zweimal machte er auch in Hannoversch Münden Halt. Umgeben von Gauklern und Musikanten hat er als Bruch- und Steinschneider bei seinem ersten Besuch nicht nur Zähne gezogen, sondern auch chirurgische Eingriffe vorgenommen. Als er dann Jahre später alt war, von der Gicht geplagt und unter den Nachwirkungen eines Schlaganfalls leidend, machte er sich auf den Weg von Göttingen nach Frankfurt am Main. Bei seinem Stopp in Hannoversch Münden, das heute Hann. Münden heißt, quartierte er sich ein im Gasthaus „Wilder Mann“. Dort rafften den Arzt die Folgen eines weiteren Schlaganfalls dahin. Man beerdigte ihn im November 1727 in einer Gruft in der St. Aegidienkirche. Mittlerweile befindet sich sein Grabstein nicht mehr im Inneren des Gotteshauses, sondern seitlich des Kirchengebäudes. Auf dem Stein findet sich ein falsches Geburtsjahr. „Dort steht 1661, in Wirklichkeit ist Johann Andreas Eisenbart aber im Jahr 1663 geboren worden“, berichtet Ernst Polej, der direkt vor dem Grabstein steht und eine Perücke mit weißen Locken und einen rot-schwarzen Gehrock trägt. Seit etlichen Jahren führt er Gäste als Dr. Eisenbart durch Hann. Münden.

Hannoversch Münden - Figur an Eisenbarts Sterbehaus

Wer mit ihm durch die schmucke Fachwerkstadt spaziert, der merkt schnell, dass Eisenbart in Hann. Münden nahezu allgegenwärtig ist: eine Eisenbart-Statue steht auf einer Flussinsel in der Werra, ein Eisenbart-Gemälde findet sich im Rathaussaal, eine Erinnerungsplakette und eine Statue zieren die Front von Eisenbarts Sterbehaus in der Langen Straße 79. An einem anderen Haus in derselben Straße, es trägt die Hausnummer 6, fungiert eine Miniatur-Eisenbart-Statue sogar als Türgriff. Wer sie betätigt, der tritt ein in das Fachwerkhotel Doktor Eisenbart, ein Musterbeispiel dafür, wie Fachwerkarchitektur saniert und zeitgemäß genutzt werden kann. Und täglich um 12, 15 und 17 Uhr ertönt vom Giebel des barocken Rathauses ein Glockenspiel. Ein Figurenensemble schiebt sich aus zwei kleinen Fensteröffnungen an der Rathausvorderseite: von links nähert sich ein Patient, von rechts, mit großer Zange in der Hand, kommt Dr. Johann Andreas Eisenbart höchstpersönlich.

Hannoversch Münden - Glockenspiel am barocken Rathaus

Dass Doktor Eisenbart Blinde zum Gehen bringt und Lahme wieder sehen lässt, wie es im Eisenbart-Lied heißt, das freilich wird dem Arzt gar nicht so recht gerecht, findet Ernst Polej. „Das Spottlied haben Göttinger Studenten geschrieben, nachdem Eisenbart bereits einige Jahrzehnte tot war“, berichtet Polej. Am Rathaus trifft Polej seinen Stadtführer-Kollegen Thorsten Schmook, dieser trägt einen braunen Kittel und führt seine Gäste gerade als „Bursche Heinrich“ durch die Stadt.

Hannoversch Münden - Thorsten Schmook als Bursche Heinrich und Ernst Polej als Dr Eisenbart

Geschichtliche Figuren als Stadtführer liegen derzeit im Trend – und wo würde dies besser passen als in Hann. Münden, einer Stadt, deren Innenstadt von rund 600 denkmalgeschützten Fachwerkhäusern dominiert wird? Der Denkmalschutz für die Altstadt hat Discounter und große Kaufhausketten weitgehend ferngehalten, zu kleinteilig sind die Häuser gebaut. Nicht alle Einwohner freilich sind mit dem kompletten Ensembleschutz glücklich. „Die Stadt wird dadurch in ihrer Entwicklung blockiert, wir sollten nicht alles unter Schutz stellen, sondern nur ausgewählte Bereiche“, meint Abdallah Musmann, der ein stilvolles privates Gästehaus betreibt und einige Häuser in der Altstadt sein eigen nennt, die er gerne nach eigenen Wüschen herrichten möchte.

Hannoversch Münden - Fachwerkhäuser

Musmann ist nicht der einzige Hausbesitzer, der mit der Stadt über Kreuz liegt. Gleich sieben Fachwerkhäuser, die einem Investor gehören, werden seit Jahren nicht saniert und stehen leer. Die Drei-Flüsse-Stadt, in der sich Fulda und Werra zur Weser vereinigen, und in der angeblich das Weserlied geschrieben wurde, ist eben kein reines Idyll. Obgleich man beim Ausblick von der Tillyschanze durchaus eine Ahnung bekommt, warum Alexander von Humboldt Hannoversch Münden als eine der sieben am schönsten gelegenen Städte der Welt bezeichnet haben soll.

Hannoversch Münden - Tillyschanze

Reinhold Heck kann diesen Blick tagtäglich genießen, denn ganz in der Nähe des Aussichtsturms an der Tillyschanze betreibt er zusammen mit seiner Lebensgefährtin Marlies Scheffel ein Ausflugscafé. Dass sich in Hann. Münden nicht nur Fulda und Werra küssen, so besagt es die Aufschrift am berühmten Weserstein, sondern auch die Bundesländer Hessen und Niedersachsen, das spüren Heck und seine Lebensgefährtin ganz hautnah.

Hannoversch Münden - Blick von der Tillyschanze

Denn Hecks Haus gehört zum Reinhardswald und nicht zu Hann. Münden, einen Bürgermeister, der für ihn zuständig ist, hat er nicht. Der Reinhardswald gilt als „gemeindefreies Gebiet.“ Die Postleitzahl, die in seinem Personalausweis und in seinem Kfz-Schein zu finden ist, klingt außergewöhnlich: 00000. Hört man ihn über seine Erfahrungen mit diversen Ämtern reden, dann wundert man sich, warum in seinem Personalausweis Forstgutsbezirk Reinhardswald steht und nicht Schilda. Da er zu keiner Gemeinde gehört, kann ihm niemand eine Steuermarke für seinen Hund übergeben. Glücklicherweise hat der zuständige Förster jedoch schriftlich bestätigt, dass er seine Hundesteuer bezahlt hat.

Hannoversch Münden - Weserstein

Reinhold Heck ist nicht nur Gastronom, sondern auch Buchautor. Dass der Aussichtsturm Tillyschanze, der bereits zu Niedersachsen gehört, während Hecks Haus noch im Hessischen steht, nach Johann Graf von Tilly benannt ist, ärgert ihn. Denn zum einen seien Tillys Kanonen nicht an der Stelle des heutigen Aussichtsturms gestanden, zum anderen habe der Vorkämpfer der Katholischen Liga im Dreißigjährigen Krieg ein brutales Blutbad angerichtet, dem mehr als 2000 Bürger der Stadt zum Opfer fielen. Kurz nachdem Tilly mit einem 20.000 Mann starken Heer an den Pfingsttagen des Jahres 1626 in Hannoversch Münden eingerückt waren, färbte sich das Wasser der Werra blutrot.

Hannoversch Münden - Feinkostfleischerei Schumann & Sohn

Ernst Polej, alias Dr. Eisenbart, ist mit uns nach dem obligatorischen Widde-widde-wid-bum-bum-Glockenspiel am Rathaus noch durch die Lange Gasse gelaufen, wir verlassen die Altstadt und blicken von der Alten Werrabrücke auf das Welfenschloss, das Hann. Münden überragt. Der Spaziergang mit ihm endet dann aber an der Feinkostfleischerei Schumann & Sohn, einem von wenigen Unternehmen in Hann. Münden, die nicht mit Dr.-Eisenbart-Variationen um Aufmerksamkeit heischen. Die Fleischerei ist Mitglied in einer Vereinigung, die ihren Hauptsitz im Süden der Normandie hat. Sie nennt sich „Ritter der Blutwurst“ bzw. „Ritter der Rotwurst“ und veranstaltet jährlich einen Blutwurstwettbewerb. Neben Rotwurst und der „Ahlen Wurst“, einer langsam gereiften Salami, die unter anderem mit Fenchel- oder Walnussgeschmack erhältlich ist, hat die Fleischerei auch preisgekrönte Bratwurst- und Weißwurst-Spezialitäten im Angebot. Ihre ungewöhnlichste Kreation sind allerdings Pralinen, bei denen Rotwurst, Leberparfait oder Leberpate mit Zartbitterschokolade sowie Blau- bzw. Himbeeren kombiniert wird.

Hannoversch Münden - „Ahlen Wurst“, einer langsam gereiften Salami

Wem eher nach flüssiger Nahrung ist, der kehrt am besten im Ratsbrauhaus ein, einem Gasthaus mit angeschlossener Mikrobrauerei, in dem nicht nur helles und dunkles Bier gebraut wird, sondern auch ein Schwarzbier mit erhöhtem Alkoholgehalt, das als Dr. Eisenbarts Schwarze Medizin auf der Karte steht. Dem Wanderarzt Johann Andreas Eisenbart, der nur wenige Wochen seines Lebens in Hann. Münden verbracht hat, aber genau dort begraben liegt, entkommt man heutzutage eben nicht mal mehr am Biertisch. Was nicht weiter tragisch ist, denn Eisenbarts Schwarze Medizin mundet durchaus.

 

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