Drei Kilometer bis zum Paradies

Die Hallig Nordstrandischmoor

Text und Fotos: Adrienne Friedlaender

Eine Gruppe Brachvögel stolziert gelassen durch das Watt. Dem sonderbaren Gefährt, das nur wenige Meter entfernt auf schmalen Schienen über den Bahndamm rumpelt, schenken die Vögel wenig Beachtung. Mit ihren langen gebogenen Schnäbeln stochern sie suchend im schlickigen Boden nach Nahrung.

Bahndamm nach Nordstrandischmoor

Das sonderbare Gefährt ist eine winzige Lore. Eine einfache Holzbank dient als Sitzgelegenheit . Auf der sitzt - in Thermohose und Daunenjacke dick eingepackt - Hans Hermann Hartwig. Er will Gäste vom Festland abholen. In wetterfester Kleidung, mit Taschen und jeder Menge Tüten wartet die Familie an der Badestelle Lüttmoorsiel schon auf ihn. Verpflegung und überhaupt alles, was man zum Leben in den nächsten Tagen braucht, muss jeder selbst mitbringen - Einkaufsmöglichkeiten gibt es dort drüben nicht. Tapfer kämpft die winzige Bahn gegen den kräftigen Wind von vorn. Schon bald zeichnen sich eine Handvoll Häuser am Horizont ab. Beinahe eben liegt die Hallig im Meer. Nur die vier Warften, wie die künstlich aufgeschütteten Erdhügel zum Schutz gegen die Flut heißen, mit ihren Höfen ragen scheinbar mitten aus dem Meer in den Himmel.

Nordstrandischmoor -  Lore

Eine viertel Stunde dauert die Fahrt durch das Wattenmeer bis die Lore auf der Hallig Nordstrandischmoor (1) quietschend zum Stehen kommt. Hans Hermann Hartwig verläd Gepäck und Gäste auf der Pritsche des Treckers und transportiert die Ladung zur Ferienwohnungen auf die Norderwarft – eine wenig komfortable, aber praktische Transportlösung auf der autofreien Hallig.

Nordstrandischmoor - Trecker

Nur dreieinhalb Kilometer liegen zwischen Nordstrandischmoor und dem Festland und doch scheint es, als eröffne sich beim Betreten des kleinen Eilandes eine andere Welt. Kein Supermarkt, keine Leuchtreklamen, keine Motorengeräusche - und kein Mensch weit und breit zu sehen. Die Geräuschlosigkeit ist das erste was auffällt. Hier auf Lüttmoor, kleines Moor, wie die Hallig auch liebevoll genannt wird, leben 22 Menschen, drei Hunde, ein Pony und ein paar Dutzend Schafe – das war´s.

Ruth Kruse ist eine der Halligbewohner. Mit ihrer Familie lebt sie auf der „Norderwarft“, die seit 290 Jahren in Familienbesitz ist. Ein Leben auf dem Festland kann sich Ruth Kruse nicht vorstellen. Nur für die Ausbildung hatte sie nach der Schule die Hallig verlassen. Danach ist sie nach Lüttmoor zurückgekommen, um den Hof zu übernehmen. Freiwillig, wie sie ausdrücklich betont. „Ohne Wasser fühle ich mich wie ein Fisch auf dem Trockenen.“

Nordstrandischmoor - Landunter

Und Wasser gibt es hier reichlich – manchmal zu reichlich: Denn 30 bis 40 Mal im Jahr heißt es auf Lüttmoor „Land unter“. Dann wird die Hallig vollständig überspült und nur die vier Warften ragen noch aus den Fluten. Die Schule fällt aus, die Familie rückt noch näher zusammen und wartet, bis das Wasser wieder abläuft.

Und welche Attraktionen, welches Ferienprogramm bietet die Hallig ihren Gästen? Die Antwort ist einfach: Keines – vielleicht ist das die Attraktion. Die einzige Entscheidung für den Besucher lautet am Morgen: Entweder spaziert er auf der schmalen Straße von der einen Seite auf die andere Seite der Hallig, oder er umwandert das Eiland auf der „Inselpromenade“, wie die Einwohner lächelnd die Steinbefestigung nennen. Sie sorgt dafür, dass die Nordsee nicht wie früher bei jeder Sturmflut einen Teil ihrer kleinen Heimat mitnimmt.

Nordstrandischmoor

Auf der Wanderung über die Insel trifft man keinen Menschen. Einige Schafe weiden friedlich auf den endlosen Weiten der salzigen Halligwiesen und nur die Schreie der Möwen akzentuieren die Stille. An den Stacheldrahtzäunen hängen Algen und Seetang – Erinnerungen an das letzte „Land unter“. Der Gezeitenkalender gehört bei der Wanderung über die Insel immer in die Jackentasche. Wenn die Flut zurück weicht, stürzen sich nicht nur die hungrigen Vögel auf den Wattboden, auch die Gäste bestaunen, was das Meer heute zurückgelassen hat: Muscheln, Schnecken, Krebse, Seeigel oder sogar ein Bernstein, und wer Glück hat, findet auch einige Austern.

Die Männer der Insel sind beim staatlichen Küstenschutz beschäftigt – von der Landwirtschaft allein kann man nicht leben. Sie kümmern sich um Schutz und Erhalt ihres Stückchen Marschlandes und verteidigen es gegen die stürmische rauhe See, die schon seit Jahrhunderten immer wieder versucht, Herr über die Hallig zu werden.

Nordstrandischmoor - Watt

Bis auf Erk Lorenzen. Er unterrichtet im Schul- und Wohnhaus die zurzeit drei schulpflichtigen Kinder auf Lüttmoor. Auf Föhr geboren, ist er nach dem Studium baldmöglichst in die Insel- und Halligwelt zurück gekehrt und lebt nun seit drei Jahren allein auf der Amalienwarft. „Mann muss sich schon mit sich selbst beschäftigen können und auch psychisch stabil sein, um hier allein in der Einsamkeit zu leben“, erzählt der 56jährige Lehrer. „Aber ein Leben auf dem Festland ist für mich absolut keine Option.“

Drei Mal im Jahr – zu Ostern, Erntedank und Weihnachten holen die Halligbewohner den Pastor vom Festland ab und versammeln sich zum gemeinsamen Gottesdienst im Schulhaus. Selbstverständlich macht sich der Pastor auch für den Einschulungsgottesdienst auf den Weg nach Nordstrandischmoor – selbst wenn nur ein Kind in die Schule kommt.

Auch die 82-jährige Frieda Kruse hat die Hallig ihr Leben lang nicht verlassen. Außer Tochter Ruth hat sie vier weitere Kinder auf Nordstrandischmoor großgezogen – ohne Wasser und Strom. Beides gibt es erst seit 1975 auf der Insel. Wie ihre Kinder und Enkelkinder hat sie die kleine Halligschule besucht und auch ihren Mann hat sie auf Nordstrandischmoor kennen gelernt – wo auch sonst? Nach dem Krieg kam er im Rahmen der Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen hier her. Gemeinsam haben die beiden über die Jahrzehnte die „Norderwarft“ gegen die Sturmfluten verteidigt, für die Erhaltung des Hofes und das Überleben der Familie auf der Hallig gekämpft. „Bei der Sturmflut 1976“, erinnert sich die alte Frau, „sind die Scheiben im Wohnzimmer zerbrochen und die Flut hat die gesamten Tapeten von den Wänden gespült. Aber die Warft hat gehalten!“, fügt sie stolz hinzu. Warum ist sie trotz der widrigen Lebensumstände immer auf der Hallig geblieben? „Das frag ich mich manchmal auch“, sagt sie lächelnd und schaut verträumt aus dem Fenster.

Zum Biikebrennen, den traditionellen Strandfeuern im Februar, zu Ostern, zur Ankunft der Ringelgänse und im Sommer ist auf Nordstrandischmoor Hochsaison. Dann sind die Ferienwohnungen der Insel ausgebucht und schon mal 20 Gäste auf einmal auf der Insel! Dazu kommen im Sommer die Tagesgäste, die von Lüttmoorsiel über das Watt laufen, oder mit dem Ausflugdampfer für ein paar Stunden anlegen um über die Insel zu spazieren und ein paar Stunden „Halligleben zu schnuppern“. Extra für sie wird dann auch der einzige Halligkroog geöffnet. Wer Pech oder Glück hat, erlebt während eines längeren Aufenthaltes vielleicht sogar einmal „Land unter“ und fährt zwei Tage später nach Hause – Halligurlaub bedeutet immer auch ein wenig Abenteuer.

„Selbst wenn ich eine Million im Lotto gewinnen würde“, sagt Ruth Kruse, “könnt ich mir nicht vorstellen woanders zu leben. Das einzige was ich mit dem Geld tun würde, ist meine Warft zu erhöhen.“

Sonnenuntergang über Nordstrandischmoor

Rumpelnd ruckelt die Lore durch die Abenddämmerung Richtung Festland. Langsam umhüllt der Nebel die Warften und Nordstrandischmoor verschwindet im Meer. Die Erinnerungen an das einsame Paradies bleiben zurück wie die Muscheln auf den Salzwiesen.

In einem Bildband werden die Halligen „Schwimmende Träume“ genannt - vielleicht ist diese Einsamkeit nicht jedermanns Traum, aber das ist auch gut so bei nur sechs Ferienwohnungen.

 

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