Der Märchenerzähler vom Ohlsdorfer Friedhof

Auf dem größten Parkfriedhof der Welt in Hamburg

Es gibt viele berühmte Friedhöfe in Europa. Der Hamburger Friedhof Ohlsdorf ist sogar der größte Parkfriedhof der Welt.

Text und Fotos: Dagmar Krappe

„Hielte ich ihn fest, bliebe nichts davon zurück. Zarter Schmetterling.“ Mit diesem kurzen japanischen Gedicht beendet Jörn-Uwe Wulf seinen Rundgang am Grab einer griechischstämmigen Familie. Als Sinnbild der Befreiung aus dem Körper und der Unsterblichkeit der Seele ist in den Stein ein Falter gemeißelt. Seit zehn Jahren zieht der professionelle Märchenerzähler über den Ohlsdorfer Friedhof in Hamburg und erzählt Geschichten über Leben und Tod. Besinnliche, anrührende, aber auch ein wenig humorige Texte trägt er an dazu passenden Grabsteinen vor. Der Gang über einen Friedhof muss nicht traurig, sondern er kann auch lehrreich sein.

Hamburg - Ohlsdorfer Friedhof - Jörn-Uwe Wulf

Jörn-Uwe Wulf

Berühmte Friedhöfe gibt es viele in Europa. Wer in Wien etwas auf sich hält, der lässt sich als „schöne Leich“ auf dem Zentralfriedhof beerdigen. Eine Beisetzung im großen Stil mit Prunk und opulentem Leichenschmaus. Größter Anziehungspunkt sind die rund 1.000 Ehrengräber. Dort ruhen Komponisten wie Brahms, Beethoven, Schubert, die Schauspieler Curt Jürgens, Paul Hörbiger und Theo Lingen, österreichische Politgrößen und Popsänger Falco. Auch Udo Jürgens soll hier ein Ehrengrab erhalten. Auf den Pariser Friedhof Père Lachaise, den ältesten Parkfriedhof überhaupt, pilgern jährlich Tausende Touristen, um die Ruhestätten von Honoré de Balzac, Oscar Wilde, Frédéric Chopin oder Édith Piaf zu sehen. Er wurde bereits Anfang des 19. Jahrhunderts errichtet.

Zentralfriedhof Wien - Ehrengrab des Sängers Falco

Ehrengrab des Sängers Falco auf dem Zentralfriedhof in Wien

Das Gräberfeld des Novodevichy-Friedhofs in Moskau ähnelt einem Skulpturenpark. Gleich am Eingang das Grab Boris Jelzins, dessen Stein die russische Flagge darstellt. Viele berühmte Moskauer ragen als überdimensionale Köpfe und Körper zwischen den Gräbern auf – modelliert aus Marmor oder Granit. Als wären sie noch lebendig.

Grabmal auf dem Novodevichy-Friedhof in Moskau

Grabmal auf dem Novodevichy-Friedhof in Moskau

Der größte Parkfriedhof der Welt aber ist der Ohlsdorfer Friedhof in Hamburg. Es ist kein Friedhof mit üblichen Reihengräbern, sondern ein Garten, in dem an bestimmten Orten Grabstätten und Kapellen errichtet sind. Es ist Hamburgs größte Grünanlage mit 450 Laub- und Nadelgehölzarten, 36.000 Bäumen und 15 Teichen. Sie zu Fuß zu erkunden, würde Tage dauern. Sie ist so riesig, dass man sie sogar mit dem Auto durchfahren darf. Tempo 30 ist erlaubt. Durch fast 400 Hektar zieht sich ein 17 Kilometer langes Straßennetz. Zwei Buslinien mit über 20 Haltestellen durchkreuzen sie. Das alles klingt nach Lärm und Unruhe. Doch es ist eine Oase der Ruhe inmitten der Großstadt. Auf dem Ohlsdorfer Friedhof gibt es geführte Themenrundgänge, Radtouren und Jörn-Uwe Wulf, den Märchenerzähler.

Hamburg - Ohlsdorfer Friedhof - Christusstatue

Christusstatue auf dem Ohlsdorfer Friedhof

Am auferstandenen weithin leuchtenden Christus über dem Althamburger Gedächtnisfriedhof beginnt der Märchenspaziergang. „Hier liegen Hamburger Persönlichkeiten wie Künstler, Architekten und Politiker, die einst auf Friedhöfen am heutigen Dammtor- und Hauptbahnhof beerdigt waren“, erklärt Wulf: „Mit dem Bau der Bahnhöfe wurden die Friedhöfe aufgelassen und die Überreste umgebettet.“ Seit der Friedhofsgründung im Jahr 1877 wurden 1,4 Millionen Leichname bestattet. Derzeit sind es um die 255.000 Gräber und zirka 5.000 Bestattungen pro Jahr. „Der erste Friedhofsdirektor Wilhelm Cordes wollte einen romantischen Park nach dem Vorbild eines englischen Gartens mit vielen Bäumen, Teichen, kleinen Hügeln, Rosen und Rhododendren gestalten“, berichtet Wulf: „Es sollte nicht nur Bestattungsfläche, sondern auch ein Erholungsort für Trauernde sein.“

Hamburg - Ohlsdorfer Friedhof - Grünanlage

Fünf Märchen erzählt Jörn-Uwe Wulf während des eineinhalbstündigen Rundgangs. Er beginnt mit der Geschichte der beiden Bauern Jean und François in der Bretagne. Sie endet damit, dass Jean seinem verstorbenen Freund einen letzten Dienst erweist, um ihm das Loslassen zu erleichtern. Dazu hat Wulf einen sehr alten Grabstein gewählt, der als Patengrab ausgewiesen ist. „Seit 1990 kann man kostbare Grabmäler erwerben, die nicht mehr im Familienbesitz sind, und sie für neue Bestattungen nutzen. So werden sie vor dem Verfall bewahrt.“ 2.000 Engel schmückten vor Jahren noch viele Gräber. Heute sind es noch 160. Meist Galvanoplastiken, hergestellt von der Firma WMF. Die meisten Engel haben einen Palmwedel in der Hand, der Trost geben soll und als Zeichen der Auferstehung gilt. Zu Füßen liegt oft eine Rose. Das Symbol der Liebe. Der Immortellenkranz steht für ewiges Leben.

Hamburg - Ohlsdorfer Friedhof - Engelsstatue mit Palmwedel

Engelsstatue mit Palmwedel

An einem opulenten Grab mit Obelisk folgt das Märchen von der 17-jährigen Malot und dem Land, in dem niemals die Sonne aufging. „Ein Obelisk war ursprünglich ein Zeiger der Sonnenuhr“, meint Wulf: „Symbol für Sonnenaufgang und -untergang, also für geboren werden und sterben müssen. So fand er Eingang in die Friedhofskultur und schmückt großzügig angelegte Ruhestätten.“

Hamburg - Ohlsdorfer Friedhof - Grab von Hans Albers

Eine Prominentenecke wie auf vielen großen Friedhöfen üblich, gibt es in Ohlsdorf nicht. Um die Gräber oder Urnen von Hans Albers, Reeder Albert Ballin, Heinz Erhardt, Zoogründer Carl Hagenbeck, Inge Meysel oder Helmut Zacharias zu finden, ist es ratsam, sich mit einem detaillierten Prospekt, den es kostenlos im Infohaus am Haupteingang gibt, auf den Weg zu machen.

Hamburg - Ohlsdorfer Friedhof - Wasserturm von 1898

Wasserturm von 1898

Am neugotischen Wasserturm von 1898, direkt an der Cordesallee, befindet sich der Garten der Frauen. Eingerahmt von hohen Rhododendronbüschen. Hier ruhen Frauen, die Hamburgs Geschichte mitgeprägt haben. Es sind alte Grabsteine oder neue Begräbnisstätten von bedeutenden Hamburgerinnen, die sich kulturell, politisch oder sozial engagierten. Zu jedem Grab gibt es eine Infotafel über das Leben der einzelnen Personen. So auch zu Domenica, einst St. Paulis bekannteste Hure, später Kämpferin für die Rechte ihrer jüngeren Kolleginnen und Streetworkerin.

Vor einem eingefriedeten schwarzen Grabmal mit Immortellenkranz erzählt Jörn-Uwe Wulf das Märchen von der gütigen Alten, die in einem windschiefen Haus mit einem großen Garten lebte. Sie verhandelte mit dem Tod, dass sie ihn dreimal rufen dürfe, bevor er sie hole. Dieses Märchen habe er mal auf einer Trauerfeier vorgetragen, die ein junger Mann für seine Tante ausrichtete, sagt Wulf: „Sie war sehr lebenslustig, betrieb mehrere Pornoläden auf der Reeperbahn und war nach einer Zigarette auf der Krankenhaustoilette am dritten Herzinfarkt verstorben.“ Auch sie hatte den Tod dreimal gerufen. Eine wahre Geschichte.

 

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