Fossilien, Früchte, Filmkulissen

Eine Zeitreise in die Kolonialstädte Villa de Leyva und Barichara im kolumbianischen Hochland

Text und Fotos: Rainer Heubeck

Kolumbien - Plaza Mayor in Villa de Leyva

Es ist Freitagabend, 20 Uhr, und die weißgekalkten Gebäude rund um die Plaza Mayor sind zum Teil dezent angestrahlt, zum Teil hell erleuchtet. Bereits um 18 Uhr ist es, nahezu schlagartig, dunkel geworden. Nun, etwa zwei Stunden später, beginnt in einem der schönsten Kolonialorte Kolumbiens die Ausgehzeit. Das Licht der Lampen, die an altehrwürdigen Kolonialgebäuden angebracht sind, wird vom Kopfsteinpflaster des quadratischen Platzes reflektiert. Auf Stufen an der Südostseite des Platzes, er ist einer der größten in Südamerika, sitzen vor Säulenarkaden kleine Gruppen von Erwachsenen und Jugendlichen, die von einigen Hunden neugierig beäugt werden – und zuweilen fast schon bedrängt. Ein weißer Hund, dessen rechte Hinterpfote lahmt, schaut flehend und hofft auf ein bisschen Futter.

Kolumbien - Plaza Mayor in Villa de Leyva

Nicht weit von den Stufen, die an lauen Abenden zum Treffpunkt werden, und nur wenige Meter von der Iglesia de Nuestra Señora del Rosario entfernt, erklingt aus einer offenen Tür deutschsprachige Volksmusik der eher penetranten Sorte. Ihre Quelle: Der Fernseh-Bildschirm in einer kleinen Bar. Die Gaststätte, sie trägt den Namen Dorfkneipe, gehörte lange einem gelernten Werkzeugmacher und ehemaligen Taxiunternehmer, in Hannover geboren und in Heilbronn aufgewachsen, der sich nach einem kurzen Aufenthalt im Jahr 1999 spontan dazu entschlossen hat, in Kolumbien zu bleiben. „Nach zehn Tagen sagte ich mir, du fliegst nicht mehr zurück – und ich war tatsächlich erst neun Jahre später wieder in Deutschland zu Besuch. Hier ist alles viel schöner und viel einfacher“, schwärmt Manfred, der die Kneipe mittlerweile seinem Schwager übergeben hat. Peter, ein in Stuttgart geborener Molkereiexperte, der regelmäßig in der „Dorfkneipe“ vorbei kommt, schließt sich dem Lob auf Villa de Leyva an. „Hier hat man Kolonialarchitektur und gleichzeitig viel junges Volk“, versichert er begeistert.

Kolumbien - Plaza Mayor in Villa de Leyva

Villa de Leyva ist unter der Woche ein ruhiges Städtchen, am Wochenende jedoch, vor allem an langen Wochenenden, strömen zahlreiche Besucher aus der 170 Kilometer entfernten Millionenmetropole Bogotá hierher. Denn es ist ruhiger hier und zudem wärmer als in der Hauptstadt, die den Beinamen „la nevera“ trägt, der Kühlschrank.

Obwohl Villa de Leyva einer der meistbesuchten Kolonialorte Kolumbiens ist, scheint hier die Zeit stehen geblieben zu sein. Die im Jahr 1576 gegründete Stadt, deren Bau auf eine Idee des Spaniers Andrés Díaz Venero de Leyva zurückging, wurde im Jahr 1954 zum Nationalen Monument erklärt und damit unter Denkmalschutz gestellt. Werner Herzog drehte hier im Jahr 1987 Teile des Films „Cobra Verde“, der sich mit der Sklaverei in Brasilien befasst, und viele Häuser im Zentrum wirken, als stammten sie fast originalgetreu aus der Zeit, in der die spanischen Vizekönige regelmäßig zu Besuch kamen. Wer die gepflasterten Straßen entlang bummelt, etwa die Calle 12, der spürt in seiner Nase den Duft von Süßgebäck, das in kleinen Konditoreien gerade aus dem Ofen gezogen wird, daneben finden sich Souvenirgeschäfte, Hotels und kleine Ateliers.

Kolumbien - Villa de Leyva

Wie umfassend das touristische Angebot ist, erschließt sich oft erst auf den zweiten Blick. Bei einem Spaziergang durch die Haupteinkaufsstraße des Ortes, die Calle Caliente, die auch als Carrera 9 in Stadtplänen geführt wird, sieht man anfangs nur die schmalen Fassaden der Häuser, die nicht ahnen lassen, dass sich in den langen Hinterhöfen der Kolonialgebäude noch so manche Bar und manches Restaurant verbirgt.

Kolumbien - Hinterhof in Villa de Leyva

Dass die Zeit stehen geblieben ist, das stimmt in und um Villa de Leyva auch noch in einem anderen Sinne: Kaum an einem anderen Ort in Kolumbien sind so viele Fossilien erhalten wie hier. Wer erahnen will, welch vielfältigen Lebensformen es gab, als Villa de Leyva noch vom Meer überspült war, der findet im Centro de Investigaciones Paleontológicas (CIP) wenige Kilometer außerhalb der Stadt beeindruckende Fossilien – etwa Versteinerungen der längst ausgestorbenen Plesiosaurier, eine Reptilienart, die bis zu 15 Meter lang werden konnte, oder versteinerte Ichthyosaurier, eine Tierart, die bereits vor 93 Millionen Jahren wieder ausgestorben ist.

Kolumbien - Centro de Investigaciones Paleontológicas in Villa de Leyva

Wer in Villa de Leyva übernachtet, hat die Qual der Wahl: da gibt es günstige Hostels, meist etwas außerhalb des historischen Zentrums, und charmante Hotels im Kolonialstil, wie die traditionsreiche und viel gelobte Posada de San Antonio, die jedoch aufgrund der historischen Bausubstanz nicht unbedingt barrierefrei gestaltet ist. Wer Komfort und Ambiente verbinden möchte, findet im Hotel Campanario de la Villa eine moderne Wellnessoase im historischen Stil. Das im Jahr 2015 eröffnete Haus verfügt sogar über ein eigenes Observatorium.

Kolumbien - Markt in Villa de Leyva

Wem die Obstauswahl am Frühstücksbuffet im Hotel nicht ausreicht, für den empfiehlt sich ein Besuch des Marktes, der jeden Samstag stattfindet. Dort gibt es Lulos, Grenadillen und Guyabas, verschiedene Sorten von Kochbananen, Baumtomaten, Mangostina, Feijoa und noch vielerlei exotische Leckereien mehr. Bei unserem Bummel über den Markt haben wir schnell einen Begleiter – den hinkenden weißen Hund mit den treu blickenden Augen, der uns am Freitagabend bereits auf der Plaza Mayor begegnet ist. In einem 4000-Einwohner-Ort läuft man sich eben leicht zweimal über den Weg.

Kolumbien - Textilbilder Molas in Barichara

Für Georg Rubin, einen Deutschen, der in Kolumbien aufgewachsen ist und Kolumbien regelmäßig bereist sowie hochwertige Individualrundreisen durch das Land organisiert, ist Villa de Leyva zwar eine wunderschöne Kolonialstadt, aber nicht der schönste Ort Kolumbiens. Der Kolumbien-Kenner schwärmt für eine koloniale Kleinstadt, die noch weiter von Bogotá entfernt liegt – und deshalb touristisch vor allem an den Wochenenden deutlich weniger überlaufen ist. Wobei auch in Barichara, so heißt die malerische Kleinstadt in der Provinz Santander, am Wochenende mehr Gäste eintreffen als unter der Woche. „Sie kommen vor allem aus der Stadt Bucaramanga“, berichtet Karl Ernst Schönthaler. Der pensionierte Österreicher war einst Professor am Institut für Bodenkunde der Universität Wien – und lebt nunmehr seit über sieben Jahren zusammen mit seiner Lebensgefährtin Katrin Dallmer in der beschaulichen Kolonialstadt. Barichara, so versichern die beiden, ist ein perfekter Ort für den Ruhestand. „Man lebt leichter hier als in Europa, es gibt so gut wie keine Vorschriften, das macht es wesentlich dynamischer“, berichtet Schönthaler. Obwohl die Stadt klein ist, tut sich kulturell viel – von Barock- bis zu Jazzkonzerten. Etliche der europäischen Auswanderer, die hier leben, betätigen sich künstlerisch und handwerklich, bauen Mobile oder schöpfen Papier. Katrin Dallmer hat die Textilkunst der Kuna-Indios für sich entdeckt und gestaltet bunte Textilbilder, so genannte Molas.

Kolumbien - Kathedrale von Barichara

Von ihrem 1000 Quadratmeter großen Grundstück haben Karl-Ernst Schönthaler und Katrin Dallmer einen herrlichen Blick über die Stadt, sie sehen die Türme und die Kuppel der Kathedrale sowie die grünen Hügel und Berge, die sich hinter der Stadt erheben. „Und wir haben hier das beste Klima, das man sich überhaupt vorstellen kann, es ist maximal 28 Grad warm und es wird nie kühler als 18 Grad, auch nicht in der Nacht“, beteuert Schönthaler. Verglichen mit dem auf mehr als 2100 Metern Höhe gelegenen Villa de Leyva ist es in Barichara, das auf rund 1300 Metern Höhe liegt, deutlich wärmer. Problemlos ist das Leben hier trotzdem nicht, denn in der Zeit von November bis März ist es in dem 3000-Einwohner-Ort und in seiner Umgebung meist staubtrocken und dann fehlt es oft an Wasser. Im Jahr 2010, so berichtet Schönthaler, musste die Stadt mehr als zwei Monate lang mit Tankwagen versorgt werden. Karl-Ernst Schönthaler ist überzeugt, dass es in der Region durchaus Wasser gäbe, das erschlossen werden könnte, doch in der Verwaltung, so beteuert er, fehlen kompetente Fachkräfte, die dies gewinnen und verteilen könnten. „Es fehlt an Pumpen, an Stromversorgung und an Leitungen“, erklärt Schönthaler. Deshalb haben viele Häuser im Ort in manchen Monaten nur zwei Stunden pro Tag fließendes Wasser. „Die meisten Bewohner sorgen vor und haben Tanks“, erläutert Schönthaler.

Kolumbien - Barichara

Dass der Tourismus wächst, aber auch die Wirtschaft insgesamt, zeigt die Zahl der Motorradtaxis in der Stadt – im Jahr 2010 gab es ein einziges, inzwischen sind es mehr als zwanzig. Doch in Barichara begegnen uns keineswegs nur motorisierte Fortbewegungsmittel, etliche Einheimische, vor allem aus der Landwirtschaft, sind auch mit genau einem PS unterwegs: auf dem Rücken eines Pferdes. Während das Kopfsteinpflaster in Villa de Leyva aus eher kleinen, unebenen Steinen besteht, sind es in Barichara größere, abgeflachte behauene Quader, aus denen die Straßen gebaut sind.

Kolumbien - Barichara - Catedral de la Inmaculada Concepcion

Diese durchziehen die Stadt im Schachbrettmuster. Entlang dieser Straßen ducken sich weiße Häuser, meist aus dem 18. Jahrhundert, mit bunten, hölzernen Fensterläden. Das beeindruckendste Gebäude der Stadt, die Catedral de la Inmaculada Concepcion, die auch El Templo Matriz genannt wird, ist aus Buntsandsteinen gebaut. Sie befindet sich direkt am Hauptplatz der Stadt, dem Parque Principal. Vergleicht man diesen mit der Plaza Mayor in Villa de Leyva, wirkt er sehr überschaubar. Am Abend treffen sich die Einheimischen hier dennoch, denn ein paar kleine Kneipen bieten günstige Getränke und kleine Snacks.

Kolumbien - Barichara - Hormigas Culonas

Die Hauptspezialität des Ortes freilich findet man in diesen Kneipen selten, sie ist eher in kleinen Lebensmittelläden zu finden: die Hormigas Culonas, geröstete Riesenameisen, die wegen ihres Proteingehalts und ihres großen Hinterteils geschätzt werden. Nachdem die Flügel und Beine der Ameisen weitgehend entfernt sind, kommen die Ameisen in ein Salzwasserbad und werden anschließend in Fett geröstet. Doch keine Angst, in Barichara gibt es auch Restaurants, die gegrilltes Fleisch, so genanntes Asado, im Angebot haben, oder Maisfladen, in Kolumbien Arepas genannt. Auch Ameisen-Verweigerer werden hier also satt. Wer gut zu Fuß ist, für den empfiehlt sich eine Wanderung auf dem Camino Real ins neun Kilometer entfernte Dorf Guane. Dort lassen sich im Museum, wie könnte es anders sein, auch Fossilien bewundern, vor allem Ammoniten. Ein Besuch der schönsten Kolonialstädte Kolumbiens bietet eben in jeder Hinsicht eine Zeitreise.

 

Reisemagazin schwarzaufweiss

 

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