Vom Rhythmus gerauchter Zigarren

Vinales - die Tabakregion im Westen von Kuba

Text und Fotos: Markus Howest

Kuba bietet mehr als die Strände von Varadero und den morbiden Charme der Hauptstadt Havanna. Unser Autor fuhr auf eigene Faust in den Westen der Karibikinsel. Gesucht hat er die legendären Havanna-Zigarren, gefunden hat er freundliche Menschen und ein neues Lebensgefühl.

Kuba Vinales Tabakfelder

In den Tabakfeldern des kubanischen Westens

Am Anfang hatte ich einen Plan. Aber was bedeutet schon ein Plan in einer Welt, in der Chaos herrscht und das Überleben von Glück und Geschick abhängt? Also reise ich mit offenen Sinnen. Mein Ziel: Das Tabakanbaugebiet bei Vinales. Gut 250 Kilometer westlich der Hauptstadt liegt diese berühmte Region Kubas, in der die edlen Havannas gerollt werden. Für den Weg dorthin brauche ich drei Tage. Am ersten Tag fährt kein Bus. Am zweiten ist er überbelegt. Am dritten wird der Trip zur Odyssee. Die Sitze sind nur noch spärlich mit Schaumstoff bedeckt, die verrosteten Federn bohren sich in mein Gesäß und machen die gut sechsstündige Fahrt zu einer quälenden Geduldsprobe. Ein Geräusch setzt sich dabei im Gedächtnis fest. Bei jedem Schaltvorgang rattert, quietscht und hämmert das Getriebe des klapprigen Gefährts.

Kuba Vinales Mogotes

Die "mogotes" - typische Berglandschaft im Westen der Insel

Vor mir sitzt eine Kubanerin. Sie ist Anfang dreißig und gehört zur weißen Bevölkerungsmehrheit. Große goldene Ringe zieren ihre Ohren und sie trägt ein luftiges rosafarbenes Kleid. Mit einem gekonnten Griff bindet sie ihr schwarzes Haar mit einem Gummi zusammen. Dabei schweifen ihre dunklen Augen neugierig über die Gesichter der übrigen Fahrgäste. Nur kurz verweilt ihr Blick bei meiner Nachbarin und erst nach einer Weile dreht sie sich wieder um und bricht das Schweigen, indem sie unvermittelt fragt: „Wie viele Kinder hast Du eigentlich?“ „Gar keine“, antwortet die italienische Touristin zögernd und sichtlich erstaunt.

Die schöne Kubanerin stutzt

Kuba Vinales KircheFür einen Augenblick herrscht wieder Stille. Zeit breitet sich aus wie die Weite des Ozeans zwischen den Kontinenten - er trennt Welten. Die Kubanerin fragt nach dem Grund. Daraufhin nimmt die etwa 35jährige Urlauberin ihre Sonnenbrille ab und entgegnet selbstbewusst: „Ich bin lieber unabhängig und reise viel.“ Die schöne Kubanerin stutzt, der Blick ihrer rastlosen Augen schweift für einen kurzen Moment zu mir. Spott legt sich auf ihre Lippen, dann beginnt sie leidenschaftlich dagegenzuhalten: Sie spricht davon, wie schön es ist Kinder zu haben. Ihre vier seien ihr schon so oft ein großer Trost gewesen, wenn es ihr „dreckig“ ging. So manches mal habe sie nicht gewusst, wie sie ihre Kleinen ernähren soll, doch mit Hilfe von Familie, Freunden und Nachbarn, habe es immer geklappt. Sie möchte keine Sekunde, die sie mit ihren Kindern erlebt hat, missen. Und außerdem: „Wer keine Kinder hat, ist im Alter allein.“

Kulturen prallen aufeinander, fördern Unterschiede zutage. In Kuba drängen sie dem Reisenden Fragen auf: „Wie lebt man glücklich? Wofür lohnt es sich zu leben? Was bedeutet arm, was heißt reich?“ Fragen, die schlummern und manchmal nagen, aber nicht wirklich beantwortet werden können. Sie werden zum Wegbegleiter und vielleicht zum Motiv, die Insel auf eigene Faust zu bereisen.

Drei Kubaner riskieren Kopf und Kragen

Am Bahnhof von Pinar del Rio, der Provinzhauptstadt, bleibt kaum Zeit mein Gepäck zu suchen. Dutzende von geschäftigen Menschen zwischen sieben und siebzig wollen nur das Beste für die ankommenden Reisenden. Bei so vielen Angeboten entscheide ich mich schnell und lande in einem alten Wartburg, der mich in das 27 Kilometer entfernte Tal von Vinales bringen soll. Begleitet werde ich von drei Kubanern, die sofort freundschaftlich mit mir ins Gespräch kommen. Dabei riskieren sie Kopf und Kragen bei diesem Transfer: Kubaner dürfen Chauffeurdienste nur mit entsprechender Lizenz ausführen; diese ist sehr teuer, also probieren es die meisten ohne. Das Risiko erwischt zu werden ist groß.

Juan, der ältere, trägt eine Baseballmütze - „das Geschenk eines amerikanischen Touristen“, betont er stolz. Seine raue, sonnengegerbte Haut erzählt von Jahren harter Arbeit auf den Tabakfeldern, die Augen verraten Witz und Charme. Er will etwas über meine Heimat erfahren. Am meisten interessiert ihn das Familienleben. „Warum wohnst du nicht in der Nähe deiner Eltern?“ fragt er verwundert „in Kuba steht die Familie ganz obenan.“ Seine Nichte, erzählt er, habe sich sogar von ihrem Freund getrennt, weil sie sich nicht einigen konnten, ob sie nach der Hochzeit bei seinen oder bei ihren Eltern leben wollten.

Kuba Vinales Arkaden

Stilvolle Veranda in Vinales

Wir fahren durch eine leicht hügelige Landschaft, sattes Grün, wohin das Auge blickt - und immer wieder Königspalmen. Sie ragen majestätisch elegant in den karibischen Himmel und erinnern an die ästhetisch perfekte Haltung der Kubaner, wenn sie Salsa tanzen. Zugleich symbolisieren sie die Kraft und den Stolz der Menschen auf dieser Insel.

Kubaner zu Fuß, auf dem Rad und zu Pferd

Ein abrupter Stopp reißt mich aus meinen Gedanken: Juan bittet mich, schnell meine Sachen zu nehmen und zu Fuß weiterzulaufen. Nachdem sie den Polizeiposten passiert hätten, würden sie mich wieder aufnehmen, erklärt er mir. Für lange Fragen ist keine Zeit und schon umgibt mich die Einsamkeit und Stille des kubanischen Westens. Hier entfaltet sich die Schönheit der Landschaft in der Mittagshitze: Tabakfelder und Zuckerrohrplantagen prägen das Bild, vereinzelt sind die kleinen palmgedeckten Holzhütten der Tabakbauern zu sehen. Dazwischen stehen fensterlose Schuppen mit Dächern aus Palmstroh oder aus Blech. Es sind die „casas de tabaco“, die Trockenschuppen für den Tabak. Hier kochen die Tabakballen tagsüber in ihrem eigenen Hitzedunst, sie schwitzen ihre Feuchtigkeit aus und dafür kann es in den „casas de tabaco“ gar nicht heiß genug sein. In der Ferne steilaufragende, schroffe Kegelfelsen - die „mogotes“. Sie sind die älteste geologische Formation Kubas, entstanden vor 150 Millionen Jahren.

Auf meinem Weg begegne ich immer wieder Menschen: zu Fuß, auf dem Rad oder zu Pferd. Sie grüßen freundlich mit einem Strahlen im Gesicht als würden sie mich kennen. Sie wirken entspannt, ausgeglichen und viel ruhiger als die Menschen in Havanna. Was ist ihr Geheimnis?

Kuba Vinales Musiker

Son und Salsa - Musik liegt in der kubanischen Luft

Nach einer scharfen Rechtskurve taucht mein Taxi wieder auf. Kontrolle überstanden, Glück gehabt. Die Fahrt kann weitergehen. „Bei Manuel wird es dir gutgehen“, verspricht Juan, „gutes Essen, warmes Wasser und nur fünfzehn Dollar die Nacht“. Er erzählt auch, dass die Dorfbewohner mittlerweile fast ausschließlich von den Touristen leben: „casas particulares“ - Privatunterkünfte, private Restaurants, Chaffeurdienste, Ausflüge und Geschäfte mit Rum und Tabak. „Das funktioniert, weil jeder mitmacht“, sagt er. Das Netzwerk der Leistungen ist lückenlos. Jeder weiß, was der andere zu bieten hat und gegenseitiges Vermitteln und Empfehlen hält alle über Wasser. „So einfach ist das, wenn man viel voneinander weiß“, sagt Juan.

Kuba ist ein Museum

Vinales - der Charme dieses kleinen verträumten Dorfes ist überwältigend. Kurz vor Sonnenuntergang betont das gelbrote Licht die ganze Pracht des Ortes: Die niedrigen Holzhäuser mit ihren Veranden, die sich entlang der Hauptstraße hinziehen, wirken einladend und lebendig, selbst die schlichte Dorfkirche aus dem 19. Jahrhundert, versprüht Glanz. Chevrolets, Studebaker, alte Chrysler: Oldtimer aus den Fünfzigern, teils voller Rostflecken, teils aufpoliert, rollen gemächlich über die Hauptstraße - Kuba ist ein Museum. Ein paar Musiker haben Bongo, Bass und Gitarre ausgepackt und senden die ersten Rhythmen in den jungen Abend. Auf den Veranden wird Domino gespielt.

Zeit bekommt hier eine andere Dimension: Was wie Feierabendstimmung aussieht, scheint den ganzen Tag so zu sein. In der nächsten Bar bestelle ich einen „mojito“, das Nationalgetränk mit Minze und Rum, und lasse mich von Salsa und Son verführen. Auf der Veranda gegenüber sitzt ein alter Mann in seinem Schaukelstuhl, wippt langsam, genießt das abendliche Treiben, lächelt entspannt und raucht gemächlich vor sich hin. Mein Nachbar an der Bar beobachtet die selbe Szene und sagt: „Zigarrenrauchen ist eine Kunst, und in Vinales sind alle Tabakbauern Künstler.“

Manuels besondere Tabakempfehlung

Als ich Manuel, meinen Gastgeber, zum ersten Mal sehe, weiß ich, dass wir Freunde werden. Er ist Mitte vierzig, hat ein warmherziges Lachen, neugierige, ehrliche Augen und einen eigenwilligen Charakter. „Ich bin noch nie aus diesem Tal herausgekommen“, bekennt er, und doch wirkt er welterfahren und offen.

Kuba vinales Tabakbauer

Ein Lächeln am Feierabend: kubanischer Tabakbauer

Früher hat er auf den Tabakfeldern gearbeitet, heute lebt er von den Touristen. Er wohnt mit seiner Frau Blanca in einem Haus, das er eigenhändig unter einer Ceiba, auch Kopok- oder Wollbaum genannt, erbaut hat – ein gutes Zeichen, denn dieser Baum galt schon in den indianischen Kulturen als heilig und daran hat sich nichts geändert. „Ein Kubaner würde niemals eine Ceiba fällen“, sagt Manuel, hebt dabei den rechten Zeigefinger und wirft die Stirn in Falten.

Die beiden sind hervorragende Gastgeber. Am Abend gibt es Rum vom Besten und eine cohiba, Manuels besondere Tabakempfehlung. Und schon sind wir im Gespräch vertieft. Irgendwann holt Manuel eine Kiste hervor mit Briefen und Karten aus der ganzen Welt. Stolz zeigt er bewegende Zeilen aus Sydney, Tokio, Vancouver, Berlin oder Florenz. Alle wollen nur eines: Bald wieder eine Zeit im Haus von Blanca und Manuel verbringen - und leben im Rhythmus gerauchter Zigarren, voller Genuss und ganz ohne jeden Plan.

 

Reisemagazin schwarzaufweiss

 

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