Nordmazedonien im Überblick
Gleich ein gutes halbes Dutzend Länder und Städte im südöstlichen Europa hat sich den Werbeslogan „Perle des Balkans“ zugelegt, zumeist ergänzt um den Hinweis, die Perlen seien „noch unentdeckt“ oder „nahezu unbekannt“, manche gar schon „fast vergessen“. Auch Nordmazedonien zählt sich zu den kaum bekannten Perlen, hat aber den konkurrierenden Nachbarn als „biblisches Land“ etwas voraus, reiste doch der Apostel Paulus als Verkünder des neuen Glaubens gleich zwei Mal durch die damalige römische Provinz Macedonia, wie uns die Apostelgeschichte lehrt. Das Land am Rand der Mitte Europas sieht sich auch als „Wiege der Kultur“, wo sich die verschiedensten Zivilisationen und Kulturen aus Ost und West kreuzten und ihre Spuren hinterließen.
Die berühmte Steinbrücke über den Vardar-Fluss
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Dieses Bild von Nordmazedonien gerät gehörig in Schieflage, wenn man in der Hauptstadt Skopje das betrachtet, was der damalige Premier Nikola Gruevski ab 2010 als „Vision Skopje 2014“ in Szene setzte. Ihm ging es darum, das Nationalgefühl der Bürger des Landes zu stärken, kulturelle Überlegenheit und ethnische Geschlossenheit zu demonstrieren, indem er seinen Landsleuten das Erbe des großen Alexander ans Herz legte. Eine Umgestaltungsorgie setzte darauf in großen, zentralen Teilen der Stadt ein, die einen fassungslos macht. Ein Berichterstatter des MDR geißelte den „Cäsarenwahn“ des Gruevski, der das Zentrum Skopjes in einen „grotesken Operettenstadl“ verwandelt habe, „geprägt von sahnetortenartigen Prunkbauten und neoklassizistischen Kitschfassaden, einem Panoptikum aus Heldendenkmälern und zweifelhaften Volksbelustigungen“. Neu auch der klassischen Vorbildern nachempfundene Triumphbogen Porta Makedonia, hinter dem sich ein gigantisches Reiterdenkmal erhebt, das im wilden Ritt Alexander d. Gr. zur Schau stellt, während sein Vater, Philipp II., vom anderen Vardar-Ufer mit erhobener Faust herüber grüßt. „Ein megalomanisches Projekt frisst seine Stadt“, heißt es an anderer Stelle. Skopjes Altstadt Stara Čaršija ist ein unbedingt sehenswertes Quartier, das es seit mehr als 700 Jahren gibt, das verheerende Brände und Erdbeben überstand, eine Lebensader der Stadt ist und ein Spiegel der Vielvölkergesellschaft Skopjes, wo orthodox-mazedonische und byzantinische Bauten zu bewundern sind, vor allem aber osmanische Architektur dominiert mit Hamams, Moscheen und Karawansereien. Ein labyrinthartiges, mit Kopfsteinen gepflastertes Gassengewirr lädt zu vergnüglichem Umherstreifen ein.
Die berühmte Steinbrücke über den Vardar-Fluss ist heute eine reine Fußgängerbrücke. Ihre Anfänge reichen weit zurück, möglicherweise bis in das 6. Jahrhundert, damals freilich in anderer Form. Ihr heutiges Aussehen erhielt sie in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Ein anderes Wahrzeichen Skopjes ist die Festung Kale hoch über der Stadt. Auch sie entstand wohl im 6. Jahrhundert während der Herrschaft des byzantinischen Kaisers Justinian. Sie wurde mehrfach besetzt und wieder befreit, teilweise zerstört und immer wieder restauriert.
Unterwegs im Nordwesten und Westen Nordmazedoniens
Einige Kilometer nordwestlich des Stadtzentrums liegen die Überreste (Theater, Thermen, Stadthäuser) von Scupi, einer Vorläufersiedlung des heutigen Skopje. Scupi wurde vor der Zeitenwende als römisches Militärcamp gegründet, hieß später Colonia Flavia Aelia Scupi und entwickelte sich zu einem Zentrum der Romanisierung der antiken Region Dardania im heutigen Kosovo, Südserbien und Nordmazedonien.
Wahrlich nicht zu übersehen ist das im Jahre 2000 errichtete sog. Millenium Kreuz auf Skopjes Hausberg, dem Vodno, das, so wird stolz behauptet, schon aus 30 km Entfernung zu erkennen sei und mit einer Höhe von 66 m und einer Breite von 42 m jedes Kreuz weltweit übertreffe. Der Berg bietet von seinem 1060 m hohen Plateau einen phantastischen Blick auf Skopje und rüstige Wanderer haben ihn schon vor Jahren für sich entdeckt.
Blick in den Matka-Canyon
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Tetovo ist die nächste größere Stadt. Tetova nennen sie die Albaner, die hier die Mehrheit der Einwohner stellen. Ihr Tetova ist so etwas wie die „heimliche Hauptstadt“ der albanischen Minderheit in Nordmazedonien und auch für die im Land gebliebenen Türken ist Tetovo, das sie Kalkandelen nennen, ein bedeutender, traditionsreicher Ort, wie man unschwer am Stadtbild erkennen kann. Neben der berühmten „Bunten Moschee“, einem der schönsten Gebäude in dem an sehenswerten Bauten nicht gerade armen Mazedonien, lohnt ein Besuch der Arabati-Baba-Tekke aus dem 16. Jahrhundert, einem früheren Zentrum des Bektaschi-Derwisch-Ordens, und der Aufstieg zur Festung von Tetovo, die 1820 der türkische Feudalherr und Herrscher über Tetovo, Abdurrahman Paşa, errichten ließ.
Über das geschäftige Gostivar und die landwirtschaftlich intensiv genutzte Polog-Ebene geht es weiter zum Mavrovo-Nationalpark nahe der albanischen Grenze. Er erstreckt sich über 730 km² und schließt Hochgebirgszüge ein und blumenübersäte Bergwiesen, den Mavrovo-See in 1.000 m Höhe, malerische Dörfer an den Berghängen, ein vielfältige Fauna und Flora. Man kann das Gelände zu Fuß oder mit dem Bike erkunden, sich als Bergsteiger oder Skiwanderer betätigen. Sveti Jovan Bigorski, auf einem Kalksteinfelsen hoch über der Schlucht des Radika-Flusses thronend, ist für die Einheimischen eine besonders verehrenswerte Johannes dem Täufer geweihte Klosteranlage, deren Anfänge im 11. Jahrhundert liegen. Es folgten Zerstörung, Verwüstungen, Brandschatzungen. Die heutigen Bauten stammen aus dem späten 18. Jahrhundert. Besonders reizvoll sind die hoch im Gebirge angesiedelten Dörfer Lazaropole und Galičnic. Debar liegt nun am Weg, eine heute vernachlässigt erscheinende Kleinstadt, die aber um die Wende zum 19. Jahrhundert für die Operationen der albanischen Nationalbewegung von großer Bedeutung gewesen ist.
Abstecher zu den großen Seen
Am Ohrid-See, im Hintergrund Altstadt und Festung von Ohrid (Foto: Helmuth Weiss)
Und dann taucht das Städtchen Struga auf und dahinter die weite, glitzernde Fläche des Ohrid-Sees. Er zählt zu den ältesten Seen der Erde. Seine Entstehung aus einer Karstsenke, die sich langsam mit Wasser füllte, liegt 1,2 bis 2 Millionen Jahre zurück, so die Schätzung von Wissenschaftlern, die 2013/14 im See eine Tiefenbohrung vornahmen und dabei u. a. 200 Tier- und Pflanzenarten registrierten, die nur hier vorkommen, darunter 10 Fischarten und mindestens 50 Wasserschneckenarten. Bezogen auf die Größe des Sees „besitzt er die mit Abstand größte Dichte endemischer Arten weltweit“, so ihr Resumee. Der auf allen Seiten von häufig schneebedeckten Bergzügen eingerahmte See hat eine Fläche von 358 km² (zum Vergleich der Bodensee: 536 km²), davon liegen etwa zwei Drittel auf mazedonischem Territorium, ein Drittel gehört zu Albanien. Der etwa 30 km lange See wird durch zahlreiche Quellbäche sowie Zuflüsse aus dem benachbarten, höher gelegenen Prespa-See gespeist.
Die Kirche des Heiligen Johannes von Kaneo - eindrucksvoll auf einem Felsvorsprung gelegen (Foto: Helmuth Weiss)
Seit 1979 steht die „Lake Ohrid Region“ auf der Liste des UNESCO-Weltkultur/Naturerbes. Damit werden nicht allein die außergewöhnlichen Naturphänomene der Region gewürdigt sondern auch ihr kulturelles Erbe wie die Festung des bulgarischen Zaren Samuil auf dem Stadthügel von Ohrid, die entstand, als die Stadt am See um die Wende vom 10. zum 11. Jahrhundert ein paar Jahrzehnte Hauptstadt des ersten Bulgarischen Reiches war.mehr zu: Wandern in Nordmazedonien
Oder nehmen wir das direkt am See gelegene Kloster Naum, eine dem legendären Naum geweihte große Anlage. Der Heilige war als Schüler der Slavenapostel Kyrill und Method an der Erschaffung der altslavischen Kirchensprache beteiligt. Oder die Kirche St. Klement vom Ende des 13. Jahrhunderts und die aus dem 11. Jahrhundert stammende Sophienkirche, die unter der Osmanenherrschaft zeitweise als Moschee dienen musste.
Unterwegs im herbstlichen Galicica-Gebirge (Foto: Helmuth Weiss)
Wie eine natürliche Barriere liegt das zerklüftete Galičica-Gebirge zwischen dem Ohrid- und dem Prespa-See. Große Teile des Territoriums sind als Nationalpark ausgewiesen und Teil des oben erwähnten Welterbes. Es erstreckt sich in Höhen zwischen 695 m und mehr als 2.200 m, birgt etliche Höhlen und kleine Seen und ist die Heimat zahlreicher Tier- und Pflanzenarten, unter diesen auch wieder einige, die nur hier und nirgendwo sonst vorkommen.
Blick über den Prespa-See (Foto: Helmuth Weiss)
Der Prespa-See, aufgeteilt zwischen Nordmazedonien, Albanien und Griechenland, bedeckt 274 km² in 853 m Höhe. In dem sehr fischreichen See schwimmen einige kleine Inseln. Er wird von Bächen gespeist, die von den hohen Bergen ringsum in den See münden. Der Prespa mit seinem weiten Umfeld ist ein bedeutendes Feuchtgebiet, ein Brut- und Überwinterungsrefugium u. a. für seltene Pelikanarten. An seinem Ostufer liegt Nordmazedoniens ältestes Schutzgebiet, der Pelister-Nationalpark auf einer Fläche von 12.500 ha. Gerühmt wird sein schönes Landschaftsbild, seine auffallenden geologischen Formationen, die Felsreliefs und Klippen. Es ist ein gebirgiges Terrain, das bis 2.600 m ansteigt, mit Gletscherseen aufwarten kann und ausgedehnten Wäldern der Molika-Kiefer, einer außergewöhnlichen Gebirgsvegetation – ein Dorado für Wanderer, Bergsteiger, Naturfreunde und alle, die sich für schöne Winterlandschaften begeistern können.
Durch den Süden Nordmazedoniens
Nächstes Ziel ist einmal kein Naturreservat sondern das Ruinenfeld einer antiken Stadt. Es liegt am Südrand von Bitola, dem urbanen Zentrum Südmazedoniens. Philipp II., der Vater von Alexander d. Gr., gründete den Ort und gab ihm den Namen Herakleia. Später, als die Römer vom Balkan Besitz ergriffen, nutzte Caesar den Ort als Nachschubbasis und siedelte hier verdiente Veteranen an, wie es Brauch war unter Roms Machthabern. Viele Bauten wurden freigelegt (Bäder, Basiliken, die Akropolis), einige auch restauriert wie das Theater, in dem noch heute Aufführungen stattfinden. Am eindrucksvollsten sind die großflächigen, gut erhaltenen Bodenmosaike, prachtvolle Illustrationen einer längst vergangenen Zeit.
Prilep, das bekannte Zentrum für die Produktion von Tabak und Zigaretten aus dem legendären kleinblättrigen mazedonischen Tabak, liegt am Wegesrand. Ein anderes, ebenso begehrtes Genussmittel, Wein, kündigt sich schon an: wir erreichen die Tikveš-Region, eines der bedeutendsten Weinanbaugebiete im Land zwischen dem großen Vardar-Fluss und seinem Nebenfluss, dem Crna Reka. Schon in römischer Zeit wurden hier Weintrauben gezüchtet und im Mittelalter setzten die Klöster die Tradition fort. Also: auf zur Weinprobe in Kavardaci!
Der erwähnte Vardar, Nordmazedoniens Hauptfluss, formt südöstlich von Kavardaci eine Bergschlucht von über 30 km Länge mit Berghängen, die über Hunderte Meter senkrecht abfallen.
In dieser Gegend liegt mit Stobi noch eine interessante antike Stätte, einst die Hauptstadt der Landschaft Paionia, möglicherweise von Thrakern gegründet und später hellenisiert. Unter römischer Kontrolle und danach unter der Herrschaft von Byzanz entwickelte sich die Stadt zu einem bedeutsamen Militär-, Verwaltungs- und Handelszentrum und noch später war sie Sitz eines Bischofs. Die Relikte der alten Ruinenstadt (Basiliken, Theater, Nekropolen, Synagoge, Wohnhäuser) zählen zu den bedeutendsten Zeugen der Antike in Nordmazedonien.
Mosaik in Stobi
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In den Osten des Landes
Nirgendwo in Nordmazedonien spürt man den Einfluss des mediterranen Klimas intensiver als am Djoran-See, der zur Hälfte zu Griechenland gehört, Ruhe und Behaglichkeit ausstrahlt und für seinen Heilschlamm gerühmt wird. Hier lässt es sich angenehm relaxen. Der See ist reich an Plankton und Algen und was seinen Fischreichtum angeht, rangiert er in der europäischen Spitzengruppe. In der sanften Berglandschaft von Maleševo nahe der Grenze zu Bulgarien liegt der Berovo-See in 1.000 m Höhe. Es ist eine einladende Region, dicht bewaldet und in ihrer klaren, erfrischenden Luft lässt es sich entspannt wandern oder mit dem Bike durch die Farbenpracht der Natur mit ihren wilden Kräutern und Früchten radeln.
Wer Interesse an Archäologie und alter Geschichte hat, sollte nicht versäumen, der Ausgrabungsstätte Vinica einen Besuch abzustatten. Es handelt sich um eine spätantike Gründung, in der viele Artefakte zutage gefördert wurden und Ruinen von Wohnhäusern und frühmittelalterlichen Kirchen zu bestaunen sind. Was diese Fundstätte so bekannt machte – jedenfalls in Fachkreisen – sind die freigelegten Terrakotta-Reliefs mit ikonographischen Darstellungen aus dem 5. und 6. Jahrhundert.
Das bronzezeitliche Observatorium Kokino
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Am Weg zurück nach Skopje liegt das viel besuchte Kloster des Hl. Joachim Osogovski, das der byzantinische Kaiser Manuel I. Komnenos im 12. Jahrhundert erbauen ließ, gewidmet dem Eremiten und Wundertäter Joachim. Und dann noch ein Highlight am Ende unserer Rundfahrt durch die mazedonische Republik: Kokino, ein bronzezeitliches Observatorium, das vor etwa 3.800 Jahren von den Ältesten und Anführern eines unbekannten Volkes zur Messung der Zyklen des Mondes und der Sonne eingerichtet wurde. 2001 erst entdeckt, wurde es 2005 von der NASA in die Liste der wichtigsten Observatorien der antiken Welt aufgenommen.
Text: Eckart Fiene