Text und Fotos: Beate Schümann
Schnee auf dem Großglockner. Der höchste Gipfel der Hohen Tauern glitzert auf seinen fast 4000 Höhenmetern in der Sonne. „Der Spitz ist fast ganz frei“, ruft einer auf der Kaiser-Franz-Josef-Höhe, der auf eine Wolkenlücke wartet, und zückt die Kamera. Klick, klick, jetzt kann der Alpe-Adria-Trail beginnen. Zufrieden stiefelt die Wandergruppe ein paar Meter tiefer zu den „Begleitern“, drei mannshohen Säulen, die auf einem kreisrunden Podest stehen und die wichtigsten Informationen für die anstehende Etappe geben. Unterhalb des größten Gletschers Österreichs ist der Startpunkt des 750 Kilometer langen Weitwanderweges Richtung Süden.
Startplatz des Alpe-Adria-Trails an der Kaiser-Franz-Josef-Höhe unter dem Großglockner
Vom Hochgebirge in Kärnten über den slowenischen Obstgarten Goriška Brda zum italienischen Badestrand in einer Tour – drei Länder in 43 Etappen. Ein anspruchsvoller Ausflug, auf dem sich Kontraste erwandern lassen: wechselnde Landschaften, Klimazonen, Kulturen, Lebensarten, Sprachen, Küchen und Weine liegen vor einem. Vom kaiserlichen Glockner-Aussichtspunkt (1) hat man sich bald entfernt. Bäche gurgeln, Murmeltiere pfeifen, Steinböcke klettern in den Felsen. Steile Pfade, auf denen Ende Mai noch immer Schnee liegen kann, führen hinab nach Heiligenblut (2). Wenn sich das markante Kirchlein des Bergdorfes ins Bild schiebt, ist die erste schwarze Etappe fast erreicht.
Kirche von Heiligenblut mit dem Großglockner im Hintergrund
Gut ausgeschildert, gibt es in den Kärntner Ostalpen kaum ein Vertun. Nach Döllach (3) führt die zweite Etappe durch abwechslungsreiches Gelände, Dörfer und Wiesen, zu rauschenden Bäche mit einer historischen Stockmühle und Wasserfällen. Das 550 Jahre alte Döllacher Dorfwirtshaus bietet sich für die Nacht an. Abends serviert der vergnügte Wirt Hubert Ziervogel im rustikalen Gastraum sein „Null-Kilometer-Menü“. „Alles kommt aus dem Glocknerland“, sagt er - das Rind aus seinem Stall, das Gemüse aus dem eigenen Garten, Schinken und Käse aus dem Nachbardorf.
An den Flüssen Möll und Lieser entlang erreicht man Seeboden am Millstätter See. Hier geht es zurück in die Berge und zu den Almen. Auf dem Höhenweg der Millstätter Alpe verdunkeln sich plötzlich die schon dichten Wolken. Wo sich sonst dem Wanderer schönste Aussichten auf den See zeigen, bricht nun ein heftiger Hagelsturm hernieder. Das begehrte Gipfelkreuz und das „Granattor“ bleiben links liegen. Schnell, schnell zur Lammersdorferhütte (4), wo es Unterschlupf, eine üppige Brettljause und einen Zirbenschnaps zu Stärkung gibt.
Brotzeit auf der Lammersdorfer Hütte
Die Nockberge, der Ossiacher und der Faaker See sind längst aus dem Blick, das Naturschutzgebiet Drobollacher Moor ist durchquert, als die ersten zweisprachigen Ortsschilder auftauchen. Kein Schlagbaum, kein Ausweis, keine Wechselstube. Und doch hat man Österreich soeben verlassen und ist ins Nachbarland Slowenien eingereist. Mit den Julischen Alpen ändert sich die Kulturlandschaft. Kalkgestein türmt sich hier auf, am Triglav-Dreizack bis auf 2864 Meter. Er ist nicht nur der höchste Berg Sloweniens, sondern auch das Wahrzeichen des Alpenrandlandes. Im Ski-Weltcup-Ort Kranjska Gora (5), das zur Zeit der Habsburger Monarchie Kronau hieß, ist in der Tourist-Info zu erfahren, dass die folgenden Etappen in Gorenjska und dem Triglav Nationalpark leider schlecht ausgeschildert sind.
Wandern auf dem Soca-Weg im Triglav-Nationalpark
Noch geht es. Auf einem alten Eselspfad kommt man gut voran zum Vršič-Pass (6), dem höchsten in Slowenien. Unterwegs erinnert eine russische Holzkapelle daran, dass die Alpenstraße erst um 1914 gebaut wurde. Die Spuren der Vergangenheit erreichen den Wanderer hier an vielen Stellen. Denn ein Großteil des heutigen Nationalparks war im Ersten Weltkrieg Schauplatz der sogenannten Isonzofront. In der größten Bergschlacht der europäischen Geschichte kämpften siebzehn Nationen leidvolle 29 Monate. Überall im Soča-Tal erinnern Soldatenfriedhöfe, Militärkapellen, Schützengräben und Festungen an die Gefechte.
Doch die friedliche, reizvolle Gebirgslandschaft versöhnt mit den tristen Ereignissen von damals. An einem Aussichtspunkt zeigt sich das beeindruckend schroffe Prisank-Massiv, eine mächtige Nordwand, in der man das auf der Infotafel beschriebene „Gesicht der Jungfrau“ suchen soll, und schließlich entdeckt. Wegweiser, das hat sich inzwischen gezeigt, sind hier tatsächlich Mangelware. Ohne eine gute Wanderkarte, GPS oder Guide kann es manche Überraschung geben.
Wandern im Triglav-Nationalpark, das akrobatische Überqueren von Bächen gehört dazu
Nach dem Vršič-Pass ist das Gelände bergig, aber nicht alpin. Das Trentatal erreicht man über Schotterwege und Baumwurzelpfade, am Fluss Limarica entlang, durch Laubwald, Felder von Christrosen und Heide. Bei Izvir Soče können Wanderer mit Ambitionen einen gesicherten Kletterweg zur Quelle der Soča hinaufsteigen. Ein Fluss von erstaunlicher Farbe, der in Italien Isonzo heißt und in den Golf von Triest mündet. Wo er schäumend aus einem engen Felsspalt entspringt, gibt sich ihr Türkis erst nicht zu erkennen. Doch weiter unten im Tal nimmt die Soča im kreidigen Flussbett einen nie gesehenen Schimmer an, der irgendwo zwischen Cyan, Smaragd, Patinagrün und Gletschereis liegt.
Der Soca-Fluss im Triglav-Nationalpark
Pause in Trenta (7). Im Gasthaus Gostilna Meteoja stellt der deutsch sprechende Wirt Božo große Exemplare der heimischen Soča-Forelle auf den Tisch, eine regionale Köstlichkeit. Angelfrisch, duftend, mit gebratenen Mandeln garniert und dazu Polenta - eine Portion, an der gut Zwei satt werden können. Deshalb reicht Božo einen türkis schillernden Schnaps dazu. „Echtes Soča-Wasser“, sagt er. Die leuchtende Farbe hat er mit Dill hineingezaubert.
Die nächste Etappe entspricht dem offiziellen Soča-Weg, Soška Pot, weshalb der Alpe-Adria-Trail gar nicht erst ausgeschildert wurde. Im felsigen Tal bohrt sich die Soča durch Canyons und Klammen, windet sich an dichten Föhren-, Lärchen- und, weiter unten, Buchenwäldern vorbei. Ohne ihr kristallines Türkis zu verändern, passiert sie Wasserfälle, Stromschnellen und Engpässe, weitet sich schließlich, um Platz für Rafter und Kanuten zu schaffen. Mehrere Male quert man die Soča über schwingungsfreudige Bretterhängebrücken. Alles kleine Abenteuer.
Kirschenverkauf in der Region Brda
Das Soča-Tal verläuft ein paar Etappen später durch die sanfte Hügellandschaft der Region Goriška Brda. Jetzt recht gut beschildert, gelangt der Rucksacktourist in eine mediterrane blühende Gegend, in der nicht nur Kirschen wie wild wachsen, sondern alle möglichen Früchte, die man sich nur wünschen kann, einschließlich Wein. In den Kellern werden jahrhundertealte Weintraditionen fortgesetzt, sogar das Keltern in Amphoren. Ziel der Tagesetappe ist das mittelalterliche Festungsdorf Šmartno (8), das nach einem Erdbeben halb verfallen war, inzwischen aber weitgehend restauriert ist. In einer malerischen Gasse schenkt das Bistro Marica Weißwein aus der autochthonen Rebsorte Rebula aus – frisch, mineralisch, temperamentvoll.
Mittelalterliche Festungsstadt Smartno
Weiter geht es durch das Land, in dem auch die Zitronen blühen. Kurz vor der Grenze zu Italien liegt das Gestüt Lipica (9) am Wegesrand, auf dessen Weiden Herden weißer Pferde grasen. 1580 von Erzherzog Karl II. gegründet, kennt man die stolzen Lipizzanerschimmel aus der Wiener Hofreitschule. Der einstige Stammsitz in Slowenien verlor in Kriegszeiten alle Pferde. Nur elf kamen nach 1945 zurück. Mit ihnen wurde das Gestüt neu aufgebaut, das heute zu besichtigen ist.
Die famose Soča war kurz zuvor bei Nova Gorica abgebogen und fließt von dort als Isonzo fröhlich weiter ihrem Ziel entgegen: Italien, das auch das Ziel des Wanderers ist. Erst mal einen Prosecco, sagt er sich, der die weiße Rebsorte schon von der Etappe durch der gleichnamigen Weinregion her kennt. „Bene, bene“, ruft der Chef im „Da Mario“ in Draga San Elia (10) - der Auftakt zu einem Dreistunden-Menü aus mehreren Gängen wie Papardelle mit Schnecken, Wildschwein-Gnocchi und Schweinenacken. „Ein Gericht pro Kilometer“, rät er und lacht. Danach will man keinen Schritt mehr tun. „Buono caminata“, ruft der Wirt den Unverzagten nach.
Altstadt und Yachthafen von Muggia im Abendlicht. Bucht von Triest
Immer lieblicher wird die Landschaft. Olivenbäume, Zypressen und Oleander wachsen überall. Selbst die Kalkberge haben im Naturreservat Val Rosandra die Mächtigkeit der Kärntner Karawanken verloren. Erst in der Industriezone von Triest verliert sich der Charme vorübergehend, wo der Trail unter Autobahntrassen hindurchführt. Endlich Muggia (11) und die Adria, das Ziel der Reise. Die Altstadt, die Kathedrale und die engen Gassen lassen das Asphaltgetöse schnell vergessen. Als sich abends die Sonne langsam rötet, erscheint der beste Platz in einem Hafen-Café, wo die Wellen sanft an die ankernden Fischerboote und Yachten klatschen. Bei Campari, Chips und Popcorn denkt man an eine herrliche Wanderzeit zurück.
Abendstimmung im Yachthafen von Muggia
Beste Wanderzeit: je nach Schneelage ab Pfingsten bis Sept/Okt.
Auskünfte:
Website der Autorin: www.beate-schuemann.de
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Immer ein Jodeln auf den Lippen, die stämmigen Waden in kniekurzen Lederhosen zur Schau gestellt, forschen Schrittes die Alm überquerend - so ähnlich stellt man sich jenseits der Alpen die Österreicher oft vor. Man findet solche Klischees natürlich auch in der Wirklichkeit, aber nicht alle auf einen Haufen und vielerorts aus Marketinggründen gehegt und gepflegt. Genauso wenig wie alle Bewohner der Nordseeküste pfeifenrauchende Seebären sind, sind alle Österreicher trachtentragende Bergfexe. In Österreich ist die Zeit nicht stehen geblieben, das Land ist ein moderner Kleinstaat, seit der Öffnung des Ostens wieder ins Herz Europas gerückt.
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Flachlandtiroler seien gewarnt, denn wellige Kuppen mit lang gezogenen Anstiegen erfordern ein gewisses Stehvermögen. Salzburg mit der Hohensalzburg ist Ausgangs- und Endpunkt der Tour – und das Weltkulturerbe sollte man nicht nur bei einem nachmittäglichen Bummel durch die Gassen des „bürgerlichen“ und des „geistlichen Salzburg“ genießen.
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„An einem Regentag beginnen die Farben zu leuchten“, so lautete das Motto des österreichischen Künstlers Friedensreich Hundertwasser. Heute regnet es nicht, sondern die vergoldeten Kugeln, die die blauen Säulen der lilafarbenen MS Vindobona zieren, glitzern prachtvoll in der Sonne. 1995 wurde das mittlerweile 30 Jahre alte Fahrgastschiff nach den Vorschlägen Hundertwassers umgestaltet und lädt seit dem zu Fahrten auf der Donau und im Donaukanal rund um Wien ein.
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Italienische Baumeister waren es, die im 17. und 18. Jahrhundert die zahlreichen Kirchen der Stadt Linz entwarfen, darunter auch Pietro Francesco Carlone, dem der Alte Dom zu verdanken ist. Hier war der Komponist Anton Bruckner mehr als ein Jahrzehnt lang als Domorganist tätig. Diesem berühmten Sohn der Stadt war ursprünglich das alljährlich im September/Oktober stattfindende Brucknerfest gewidmet, das sich unterdessen nicht mehr ausschließlich dem Erbe Bruckners verschrieben hat.
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