Kramsach - ein Friedhof zum Totlachen

Ein ungewöhnlicher Blick auf den Tod im Alpbachtal

Text und Fotos: Karsten-Thilo Raab

Auf dem Museumsfriedhof im österreichischen Kramsach darf gerne mal gelacht werden. Wohl auch, weil hier keine Toten begraben liegen.

Kramsach - Museumsfriedhof - Alpbachtal Seenland in Österreich

Statt Totenstille herrscht auf diesem Friedhof oft schallendes Gelächter. Von Betroffenheit und Trauer fehlt auf dem kleinen Grabhügel in der 5.000-Seelen-Gemeinde Kramsach im Tiroler Alpbachtal jegliche Spur. Im Gegenteil, da wird gejauchzt, gefeixt und sich amüsiert. Manch einer biegt sich gar vor Lachen, bevor er das nächste Grabkreuz ins Visier nimmt. Und niemand nimmt Anstoß an diesem pietätlosen Verhalten. Wohl auch, weil auf diesem Gottesacker niemand zu Grabe getragen und hier noch nie ein Kranz niedergelegt oder das Ableben eines geliebten Angehörigen betrauert wurde. Nichtsdestotrotz zeugen die ungewöhnlichen, oft witzigen Inschriften der eisernen Gedenktafeln von echten menschlichen Schicksalen, denen auf dem kleinen Museumsfriedhof im Inntal ein besonderes Gedenken gesetzt wurde.

Kramsach - Museumsfriedhof - Alpbachtal Seenland in Österreich

Rund 60 Grabkreuze zieren den bewaldeten Hügel. Sie alle wurde ab Mitte der 1960er Jahre vom Kramsacher Steinmetz und Sagzahnschmied Hans Guggenberger zusammengetragen. Mittlerweile umfasst die Sammlung des Familienunternehmens gut 1.000 Kreuze, deren Gros im 18. und 19. Jahrhundert gefertigt wurde. Die schmiedeeisernen Gedenktafeln und -kreuze stammen fast ausschließlich aus dem Alpenraum - aus Bayern, Tirol, dem Salzburger Land und Südtirol. Sie alle seien, so versichern die Betreiber des Museumsfriedhofs, Originale. Zum Teil extrem aufwendig restaurierte, wohl gemerkt.

Kramsach - Museumsfriedhof - Alpbachtal Seenland in Österreich

Die Sammelleidenschaft der Guggenbergers fußt dabei auf dem Berufsethos als Kunstschmiede. Denn nicht selten landeten in zurückliegenden Jahrhunderten die aufwendig hergestellten Grabkreuze auf dem Schrott, wenn immer eine Grabstätte aufgelöst wurde, weil die Nachfahren das Grab nicht mehr pflegen wollten oder konnten. Andere Grabkreuze verschwanden auf irgendwelchen Dachböden oder in dunklen Kellern, wo sie in Vergessenheit gerieten oder verstaubten. Genau hier kam Hans Guggenberger mit dem Bemühen, diese besonderen Beispiele der Schmiedekunst zu bewahren, ins Spiel. Der Steinmetz trug eine Sammlung mit Grabinschriften und Marterln, Gedenktafeln, die speziell im Alpenraum an Unglücksstellen aufgestellt werden, zusammen und restaurierte die kostbaren Stücke in mühevoller Kleinarbeit.

Kramsach - Museumsfriedhof - Alpbachtal Seenland in Österreich

Bereits 1965 konnte das eigene, kleine Freilichtmuseum eröffnet werden. Seither stimmen Besucher aus aller Herren Länder eindrucksvoll mit den Füßen ab. Denn nicht weniger als 200.000 Besucher lassen sich Jahr für Jahr von den ungewöhnlichen Exponaten in ihren Bann ziehen. Dabei begeistern sich die meisten weniger für die kostbaren Schmiedearbeiten, sondern für die skurrilen und oft wenig pietätvollen Inschriften wie „Hier ruht Esser. Die Würmer, diese Fresser, speisen anderswärts besser" oder „Hier schweigt Johanna Vogelsang - sie zwitscherte ihr Leben lang."

Kramsach - Museumsfriedhof - Alpbachtal Seenland in Österreich

So schwarz diese Art von Humor auch anmutet, so sind die Schmuckstücke ein Stück weit auch ein Beleg dafür, wie die Menschen in längst vergangenen Tagen, als die Lebenserwartung deutlich geringer war, versucht haben, mit dem Verlust eines geliebten Angehörigen umzugehen. Viele waren des Lesens und Schreibens kaum mächtig. Daher hatte sich eine spezielle Berufsgruppe etabliert. Die so genannten Täfelemaler versuchten, in wenigen Zeilen und vielfach in Reimform das Wesentliche aus dem Leben des Verblichener, über dessen Lebensumstände oder dessen Todesursache zusammenzufassen. Herausgekommen sind dabei nicht selten ebenso geistreiche wie witzige, aber auch erschütternde Abschiedssprüche, die noch heute Rückschlüsse auf den Charakter der Verstorbenen zulassen. Dazu gehört beispielsweise „Hier liegt Jakob Krug, der Kinder, Weib und Orgel schlug".

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Viele der Sprüche wie „Es liegt begraben die ehrsame Jungfrau Nothburg Nindl – gestorben ist sie im siebzehnten Jahr - just als sie zu brauchen war“ sind völlig zeitlos, auch wenn hinter derartigen Grabinschriften menschliche Tragödien stecken: Menschen fallen vom Gerüst, werden von einer Kuh erdrückt, von einem frisch gefällten Baum erschlagen oder verenden am selbstgebrauten Bier. Nicht zu vergessen ist sicherlich auch der augenzwinkernde Blick auf eine unbefleckte Empfängnis: „Es ruhet die ehr- und tugendsame Jungfrau Genovefa Foggenhuberin betrauert von ihrem einzigen Sohn".

Kramsach - Museumsfriedhof - Alpbachtal Seenland in Österreich

Man kann den Autoren der gereimten Nachrufe durchaus unterstellen, dass sie bewusst Kopfschütteln, Entsetzen, Erstaunen und Verwunderung bezwecken wollten. Derweil wurden andere Grabtafel offenbar genutzt, um scheinbar ohnehin offene Geheimnisse öffentlich zu machen: „Hier liegt die Jungfer Rosalind; geboren als unerwünschtes Kind. Ihr unbekannter Vater war Kapuzinerpater.“

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Andere Inschriften lösen gleichermaßen Amüsement und Mitleid aus: „Hier ruht in Gott Adam Lentsch - 6 Jahre lebte er als Mensch u. 37 Jahr als Ehemann." Vor allem die Herren der Schöpfung fühlen sich hier geneigt, ebenso wie dereinst Adam Lentsch zu fühlen. Doch kaum einer wagt es, dies gegenüber der Frau, die ihm die Welt erklärt, zu artikulieren, um nicht Gefahr zu laufen, selber plötzlich abzuleben. Schließlich lauert schon wenige Meter weiter eine weitere Inschrift wie ein mahnender Zeigefinger: „Hier liegt mein Weib Gott seis gedankt, oft hat sie mit mir gezankt. O lieber Wanderer geh gleich fort von hier, sonst steht sie auf und zankt mit Dir", steht dort als Warnung an die Lebenden geschrieben.

Kramsach - Museumsfriedhof - Alpbachtal Seenland in Österreich

Fast schön tröstlich scheint es da zu erfahren, dass es für den einen oder anderen auch im Tod noch eine Art Happy End geben kann: „Hier ruht Franz Josef Matt, der sich zu Tod gesoffen hat. Herr gib ihm die ewige Ruh' und ein Gläsle Schnaps dazu".

Kramsach - Museumsfriedhof - Alpbachtal Seenland in Österreich

 

Reiseinformationen

Allgemeine Informationen: Alpbachtal Seenland Tourismus, Zentrum 1, A-6233 Kramsach, Tirol, Österreich, Telefon 0043-5337212100, info@alpbachtal.at, www.alpbachtal.at

Museumsfriedhof, Sagzahnschmiede Guggenberger, Hagau 82, 6233 Kramsach, Telefon 0043-5337-6244, office@museumsfriedhof.info, www.museumsfriedhof.info

Öffnungszeiten: Der Museumsfriedhof ist dienstags bis sonntags von 10 bis 17 Uhr geöffnet.

Eintritt: Der Eintritt ist frei, Spenden sind jedoch willkommen.

Tipp: Seit 2013 gibt es angrenzend an den Museumsfriedhof im benachbarten Arkadenhof eine Ausstellung, die sich politisch und religiös korrekt mit der 500-jährigen Geschichte der Grabkunst in Tirol auseinandersetzt. Zu sehen sind hier - ebenfalls bei freiem Eintritt - 70 chronologisch gereihte Kreuze vom schmucklosen Schmiedeeisen bis hin zu den barocken Prachtexemplaren.

 

Autor Karsten-Thilo Raab recherchierte mit Unterstützung von Alpbachtal Seenland Tourismus.

 

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