REIHE UNTERWEGS

Von Dachschindeln, Schnallen und Steyrer Torte

Ein Mehlspeisenrundgang durch das oberösterreichische Steyr

Text und Fotos: Ferdinand Dupuis-Panther

Zwischen Steyr und Enns erstreckt sich die Industrie- und Arbeiterstadt Steyr. Nicht nur auf der Fabrikinsel lag einst eine Fabrik neben der anderen, so auch die Huberwerke, sondern auch längs der Steyr. In einer dieser Fabriken, einer ehemaligen Besteckfabrik, wurde unterdessen das Museum Arbeitswelt eingerichtet, um der Arbeiter- und Industriekultur einen musealen Ort zu geben. Hoch über der Steyr erhebt sich die ehemalige Burg und das Schloss der Fürsten von Lamberg, zu deren Füßen sich die Stadt entwickelte. Nun sind wir bei unserem Besuch nicht unterwegs, um der Industriekultur von Steyr auf den Grund zu gehen, auch die berühmte Christkindlstadt interessiert uns momentan nicht, sondern wir sind vor allem in Steyr, um zu schauen, ob auch ausgewiesene Süßmäuler beim Besuch an Enns und Steyr auf ihre Kosten kommen.

Steyr in Oberösterreich - Lebzelterhaus

Lebzelterhaus

Zunächst lenken wir unsere Schritte aus der Altstadt nach Steyrdorf. Dabei überqueren wir die Steyr, bevor sie in die Enns mündet, auf der bis 1890 auf Flößen und danach auf Schiffen der für die Waffenfabrik ÖWG wichtige Rohstoff Eisen nach Steyr transportiert wurde. Beim Gang nach Steyrdorf haben wir stets die doppeltürmige barocke Kirche St. Michael im Blick. Über die an dieser Kirche vorbeiführende, kopfsteingepflasterte Kirchengasse gelangen wir zum Lebzelterhaus, das auf das 16. Jahrhundert zurückgeht. Hier wurden einst Wachskerzen gezogen und Lebkuchen gebacken. Heute finden wir nahe dem sogenannten Roten Brunnen das Café der Bäckerei Fröhlich (1) in diesem Haus. Man hatte uns gesagt, hier sollten wir nach Schnallen und Dachschindeln fragen. Das hatte uns sehr verwundert.

Aus dem einstigen Pflastergeld wurde eine Süßigkeit

Steyr in Oberösterreich - Bäckermeister Rainer Fröhlich

Im Café empfing uns Bäckermeister Rainer Fröhlich, der uns mehr darüber erzählen konnte. Ja, Schnallen gäbe es bei ihm schon, auch wenn er kein Sattler und Gürtler sei. Es handele sich um das einstige Zahlungsmittel oder besser eine Maut, die jeder bezahlen musste, der mit einem Fuhrwerk durch das Schnallentor in die Stadt fahren wollte. In Erinnerung an dieses Zahlungsmittel habe man nun einen Schokotaler kreiert, der Steyrer Schnalle heißt. So kann man sich, das ist der Werbeslogan, Steyr auf der Zunge zergehen lassen, da man heute kein Pflastergeld mehr entrichten muss, wenn man durch das Schnallentor nach Steyrdorf kommt.

Steyr in Oberösterreich - Schnallentor

Schnallentor

Das heutige süße Zahlungsmittel besteht aus Marzipan, Zartbitterschokolade und Dirndlmarmelade. Hm, Dirndlmarmelade? Was ist das denn? Rainer Fröhlich ist mit der Antwort gleich bei der Hand, indem er uns darüber aufklärt, dass Dirndl die Bezeichnung für eine besondere Kirschenart ist, nämlich für die Kornelkirsche, die ein säuerliches Aroma besitzt.

Steyr in Oberösterreich - Steyrer Schnalle

Steyrer Schnalle

Die Geschichte der essbaren Dachschindel

Doch neben dieser Leckerei, die man sich auf der Zunge zergehen lassen kann, findet man in Steyrdorf auch Dachschindeln, ja essbare Dachschindeln. Das klingt so abwegig, dass ich auch hierzu von Rainer Fröhlich hören wollte, was es damit für eine Bewandtnis hat. „Ja, das war eine Erfindung von mir. Ich wollte so eine Art Knäckebrot machen, doch so, wie es überall gemacht wird, muss ich es nicht machen.“ So entstanden dann spezielle Knäckebrotkreationen - mit oder ohne Mohn, Sesam, Salz oder Käse bestreut - in oval-länglicher Form. Doch damit nicht genug, es musste auch ein Name und eine schöne Geschichte dazu erfunden werden. Der Name lag auf der Hand, denn das Brot sah aus wie geschnitzte Dachschindeln. Doch wie schaute es mit einer passenden Geschichte aus? Rainer Fröhlich ließ seiner Fantasie freien Lauf, und so entstand die Geschichte aus der Zeit seines Großvaters, der einen verheerenden Stadtbrand erlebte, bei dem Dutzende von Dächern und deren Schindeln zerstört wurden. Bei den Neudeckungen der abgebrannten Dächer stellte man alsbald fest, dass man gar nicht so schnell neue Schindeln schnitzen konnte. Was tun? Als sich Großvater Fröhlich nach getanem Dachdecken in der Backstube niedergelegt hatte, erschien ihm ein Kobold im Traum. Dieser gab ihm dann das Rezept für die Dachschindeln. So wurden dann Dachschindeln in der Bachstube gebacken und am nächsten Tag erschien der Kobold leibhaftig. Dabei bot er dann auch Hilfe beim Dachdecken an. Doch das Decken des Daches wurde nie fertig, denn der Kobold hatte einen großen Appetit und aß die Schindeln eine nach der anderen.

Steyr in Oberösterreich - Dachschindeln

Doch wer nicht so auf Herzhaftes steht, der wird im Café im Lebzelterhaus auch auf seine Kosten kommen. Zu Ostern gibt es Lebkuchenosterhasen, aber es gibt auch Mandelkipferl mit Zucker und mit Mandeln abgeröstet sowie Ischler Plätzchen mit viel Schokolade und Schokoladencreme als Füllung. Außerdem kann man sich Sachertorte, Fruchtschnitten, Tiramisu- und Mokka-Schnitten und Topfentorten zum Verlängerten ebenso schmecken lassen wie saisonal eine Dinkelroulade.

Zu Ostern gibt es zudem noch den Osterhasen aus Briocheteig und das Osterlamm aus Biskuitteig. Außerdem versteht man sich auf Osterpinze aus Germteig. Die Pinze schaut am Ende wie ein aufgelockertes Kissen mit drei Zipfeln aus, in dem ein bunt gefärbtes Ei stecken kann, aber nicht stecken muss.

Steyrer Torte vom Steyrer Stadthausplatz

Steyr in Oberösterreich - Tortenschnitte

Aus Steyrdorf geht es zurück ins Herz der Stadt, zum Stadtplatz und nicht irgendwohin auf den Stadtplatz, sondern zur Nummer 1. Hier betreibt die Familie Schmidt in dritter Generation ihre Konditorei im Altwiener Stil (2). Also wer für süße Sachen zu haben ist, der ist in dieser Konditorei ganz richtig, vor allem wenn es um Steyrer Torte geht. Der jetzige Besitzer der Konditorei hat diese Torte vor etwa 15 Jahren kreiert. Dabei handelt es sich um eine Schokoladentorte mit Nüssen und Ribislmarmelade. Ribislmarmelade? Das muss eine österreichische Marmeladenschöpfung sein, oder? Frau Gerda Schmidt, die mich in der Konditorei empfing, hatte die Antwort schnell parat: Marmelade aus roten Johannisbeeren. Übrigens, der Boden der Torte besteht aus Mürbeteig. Die verwendete Schokolade hat einen Kakaoanteil von 70 Prozent. Extra für diese Steyrer Spezialität wurde außerdem eine Schachtel entwickelt, die Steyr und den Zusammenfluss von Steyr und Enns zeigt. Schließlich sollen Besucher die Torte als Andenken unbeschadet nach Hause mitnehmen können. Geschützt ist die Torte allerdings nicht, sodass jeder diese Torte herstellen kann, so wie auch Linzer Torte oder Sacher Torte jeder Konditor herstellen darf. Als ich Frau Schmidt nach der Idee für die Torte fragte, meinte sie: „Das haben wir halt ausprobiert und was uns am besten geschmeckt hat, das haben wir dann gemacht.“ Wichtig war nur, dass es halt keine Sahnetorte ist, sondern die Torte länger haltbar ist, damit man sie auch mitnehmen kann.

Die Eier, die für die Tortenherstellung benötigt werden, werden von Hand ausgeschlagen. Wöchentlich sind das 1200 Eier, die ein regionaler Eierbauer frisch liefert. Auch die verarbeiteten Früchte werden möglichst aus der Region bezogen, so Gerda Schmidt, die „Chefin“ der seit 85 Jahren bestehenden Konditorei.

Steyr in Oberösterreich - Mozarttorte

Nicht dass man denkt, es gäbe bei Schmidts nur Steyrer Torte, nein auch Sacher- und Mozarttorte sowie Erdbeerkaramelltorte und Marzipankartofferl gibt’s für bekennende Süßschnäbel. Abhängig auch von der Jahreszeit bekommt man außerdem Maroni-Kirschtorte. Charakteristisch für diese Torte ist das Maronenpüree auf der Torte und die Kirschfüllung nebst dunkler schokoladiger Tortenmasse sowie Schlagsahne.

Steyr in Oberösterreich - Tortenstücke

Wenn man um Weihnachten herum in Steyr zu Besuch ist, sollte man nach Adventsschnitte fragen. Der Boden besteht aus einem Lebkuchenteig und die übrige Schnitte aus einer Masse ähnlich der eines Früchtebrots und aus dunklem Mus eingekochter getrockneter Zwetschgen – im Österreichischen besser als Powidlmarmelade bekannt – sowie Zimtschlagsahne. Das springt mit Sicherheit auf die Hüften und ist kein Schlankmacher!

Trüffel aus weißer oder dunkler Schokolade

Steyr in Oberösterreich - Trüffel

Bei den Schmidts versteht man auch etwas von Trüffel. Nein, es handelt sich nicht um die kostbaren und seltenen Pilze, die Gourmets für teures Geld verspeisen, nachdem sie zuvor von Trüffelhunden aufgespürt wurden, sondern um süße Trüffel-Pralinen, deren Kugelhaut mit Pistazien oder mit geraspelten Nüssen bestrichen wird. Trüffel sind stets rund und bestehen aus Ganache, einer Füllmasse, und einer Kuvertüre, einer Überzugsmasse aus Schokolade aus weißer, Bitter- oder Vollmilchschokolade. Die Schokolade, die verarbeitet wird, stammt vom belgischen Schokoladenproduzenten Callebaut. Bezogen werden von dort entsprechende Schokoladenlinsen statt der sonst durchaus auch üblichen Schokoladenblocks.

Froschel und Punschkrapferl

Steyr in Oberösterreich - grüne Frösche und Punschkrapferl

Der Großvater des jetzigen Konditors hat einst in Wiesbaden gelernt, so beginnt die Geschichte der giftgrünen Frösche, die zu einer der beliebtesten süßen Verführungen im Angebot der Konditorei Schmidt gehören. Nach der Lehre war er dann in Frankreich und von dort hat er die Idee der Frösche mitgebracht. „Das ist ein Produkt, über das wir ganz viel definiert werden.“, so Gerda Schmidt im Gespräch. Oftmals kommen ältere Herren, die sich einen Schmidt-Froschel und einen Braunen bestellen. Davon lassen sie sich auch nicht abbringen, wenn ihnen eine andere süße Leckerei angeboten wird, denn schon als Kind seien sie mit den Großeltern extra zu Schmidt gegangen, um ein Froscherl als Süßspeise zu bekommen. „Das ist von der Mehlspeise her eher etwas Einfaches: Das ist eine Sandmasse mit einer Kirschbuttercreme und außen einem Zuckerfondant.“ Das war die Kurzbeschreibung, die mir Gerda Schmidt beim Besuch gab. Ähnlich wie beim Froscherl besteht der mit einer rosa Zuckerglasur überzogene Punschkrapferl aus einem Biskuitteig sowie einer Masse aus Marmelade, Rum und Schokolade.

Ein leckeres Bier als Absacker

Steyr in Oberösterreich - Granitbier der Brauerei Hofstetten

Es sei abschließend angemerkt, dass man sich in Steyr nicht nur auf Süßspeisen versteht, sondern auch auf süffigen Gerstensaft. Die beste Adresse, um sich einen Überblick u. a. über oberösterreichische Braukunst zu verschaffen – Steyr ist wie Linz Teil des Bundeslandes Oberösterreich – ist der Schwechaterhof (3). Im Wirtshaus neben der Stadtkirche findet man unter anderem zwei Trappistenbiere aus dem Stift Engelszell, das Gregorius mit 9,7 % vol. alc. und das Benno mit „nur“ 9% vol. alc. – durchaus etwas für standfeste Gambrinusfreunde. Abteibier der Brauerei Schlägel wird hier ebenso ausgeschenkt wie das durch Karamell- und Röstaromen geprägte Granitbier der Brauerei Hofstetten, das in Granitbottichen gärt. Zur Wahl steht außerdem das Aurora Dolde natur, das schon wegen seines Etiketts, das einem Etikett für einen Spitzenwein gleicht, für gewisse Aufmerksamkeit sorgt. Das Besondere an diesem Bier ist nicht nur die Nutzung von naturbelassenem Doldenhopfen „Aurora“, sondern auch die dreimonatige Tanklagerung, durch die ein fruchtiges Bier entsteht, das ungefiltert abgefüllt wird. Das Aroma kann man mit Holundernote und Zitronengrasduft umschreiben. Oder wie wäre es mit dem Trappistenbier Gregorius aus dem Stift Engelszell? Es ist ein dunkles, tief bernsteinfarbenes Bier, sprich ein Bockbier vom Feinsten. Also, dann mal Prost!

Steyr in Oberösterreich - Gregorius-Bier

Reiseinformationen

Steyr: www.steyr.at

Bäckerei Rainer Fröhlich
Kirchengasse 20
4400 Steyr
http://www.froehlich.baecker.at

Konditorei Schmidt
Stadtplatz 1
4400 Steyr
www.konditorei-schmidt.at

Schwechaterhof: www.schwechaterhof.at

Stift Engelszell: www.stift-engelszell.at/cmsimple/?Trappistenbier-Brauerei

Brauerei Hofstetten: www.hofstetten.at/

 

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