So nah und doch so fern

Radfahren im rumänischen Siebenbürgen

Text und Fotos: Judith Weibrecht

Siebenbürgen. Durch UNESCO-Welterbe-Städte und Straßendörfer mit bunt angestrichenen Häusern, zu Kirchenburgen, urigen Landschaften, Pferdefuhrwerken und multikultureller Bevölkerung führt diese Radreise in Rumänien.

Jenseits der Wälder, Transsilvanien, wird die im Karpatenbogen gelegene Region genannt, oder auch Siebenbürgen, lebten doch dort seit dem Mittelalter jahrhundertelang Deutsche, die „Siebenbürger Sachsen“ genannt wurden. Sachse ist als Stereotyp für westlicher Siedler zu verstehen, tatsächlich kamen sie meist aus den Bistümern Köln, Lüttich und Trier. Man radelt durch ein Gebiet, in dem außer Deutschen Ungarn, Roma, Rumänen und andere wohnen.

Linus

Rumänien - Orthodoxe Kathedrale in Hermannstadt/Sibiu

Orthodoxe Kathedrale in Sibiu

Hermannstadt heißt auf Rumänisch Sibiu (1) und strotzt nur so vor sehenswerten Bauten und kuriosen Geschichten. Die orthodoxe Kathedrale, 1902 – 1906 im byzantinischen Stil erbaut, ähnelt der Hagia Sophia in Istanbul. Ober- und Unterstadt sind durch die gusseiserne Lügenbrücke verbunden. „Sie bricht zusammen, wenn man auf ihr steht und lügt!“, berichtet unser rumänischer Reiseleiter Linus schmunzelnd. Eine Anekdote gibt es auch zur evangelischen Stadtpfarrkirche zu erzählen, deren Turm mit 73,3 Metern Höhe der höchste ganz Sibius und weithin sichtbar ist. Der Turm sollte höher sein als der von Bistritz, deshalb maßen die Hermannstädter diesen einst mit einem Seil nach. „Die Bistritzer aber machten sie betrunken und schnitten ihnen ein Stück des Seils ab!“, erklärt Linus. So kommt es, dass dort immer noch der höchste Kirchturm steht. Die Altstadt ist schmuck, die Jugend feierwütig, auf dem von prächtigen Fassaden gesäumten Großen Ring findet gerade ein Rockkonzert statt, Freiluftlokale ziehen sich die Straße entlang.

Rümänien - das Wappen von Hermannstadt/Sibiu, hier eingelassen in einen Kanaldeckel

Das Wappen von Hermannstadt/Sibiu, hier eingelassen in einen Kanaldeckel

Das Wappen der Stadt zeigt zwei gekreuzte Schwerter, die Hermann und sein Freund Wolf hier einst in den Boden gerammt haben sollen. Die Stadt war gegründet! „Auf die eigene Geschichte ist man stolz“, sagt Linus, und dass es hier multiethnisch zugeht. Das spiegelt sich in den Sprachen wieder und natürlich auch im Essen. Im Restaurant Hermania, das im barocken Gebäude der ehemaligen Philharmonie untergebracht ist, probieren wir Büffelsuppe und Forelle im Maismantel. Zum Abschluss gibt Linus eine Schnapsberatung: „Mein Opa macht auch 70%-igen“, antwortet er auf die Frage, ob der 50%-ige Pflaumenschnaps nicht ein wenig stark sei. „Aber der ist nur für besondere Gäste!“ Wir sind gewarnt. So manches Mal werden wir bei einer Familie essen und „Wasser“flaschen auf den Tischen vorfinden, die man nach dem Radfahren gleich auf einen Zug leeren möchte.

Rumänien - im Freilichtmuseum Astra am Stadtrand von Hermannstadt/Sibiu - wunderschöne, kleine orthodoxe Kirche

Im Freilichtmuseum Astra am Stadtrand von Hermannstadt/Sibiu: wunderschöne, kleine orthodoxe Kirche

Im Freilichtmuseum Astra sind über 270 Häuser, Bauernhöfe und Mühlen aus verschiedenen Regionen Rumäniens zu sehen. An manchen Gebäuden ist ein Seil als Symbol für den Lebensfaden in den Türstock geschnitzt, denn: „Durch die Tür betreten Neugeborene und Verstorbene die Schwelle zu einer neuen Welt“, so Linus. Auffallend viele Höfe sind blau gestrichen. Da die Farbe Blau einst teuer und schwer zu bekommen war, galt: Je blauer, desto reicher. „Ich wünsche dir ein blaues Haus!“ sei deshalb auch heute noch ein guter Wunsch.

Rumänien - „Ich wünsche dir ein blaues Haus“ ist auch heute noch ein guter Wunsch

Brenner mit zwei N

Schafe auf grünen Weiden sehen und hören wir immer wieder vom Fahrrad aus. Ein weites, grünes Tal öffnet sich, die Karpaten zeichnen sich im Hintergrund ab. In den feuchten Wiesen suchen Störche nach Nahrung, der allgegenwärtige Mais leuchtet. Ein Schild weist nach Fontanelle. „Dort gibt es Bären!“, sagt Linus. Überhaupt existiert hier vieles, das bei uns nicht mehr oder nur wenig zu finden ist: Pflanzen wie Kuckuckswachtelweizen, Ackerrittersporn, großer Klappertopf, oder Vogelarten wie Bienenfresser und Wiedehöpfe. Hinter verschieden farbigen Höfen, die die Dorfstraße säumen, erstrecken sich Gärten und Äcker. Kinder winken. Ein ratterndes Pferdefuhrwerk kommt entgegen. Jugendliche fragen nach Zigaretten. Sonst passiert nicht viel. Auf seinen Holzstock gestützt steht ein Alter mit wachen Augen am Wegesrand und grüßt. „Brenner heiß' ich mit zwei N!“, sagt er. „Früher haben viele Deutsche hier gewohnt, aber jetzt... Nur noch in diesem Haus und in jenem!“ Er deutet. Heutzutage kämen die Sommersachsen - das sind die, die nicht mehr ganzjährig hier wohnen, aber im Sommer hier urlauben - und die Touristen. „Ich hab in Deutschland gearbeitet und dort immer im Schlafsack übernachtet, aber die, die brauchen ein Hotel!“, erzählt er und macht eine eindeutige Handbewegung.

Rumänien - Typisches Straßendorf mit pastellfarbenen, bunten Häusern am Wegesrand - „Ich heiße Brenner mit zwei N“

„Brenner heiß' ich mit zwei N!“

Zwischen zwei Hügeln liegt die Kirchenburg von Iacobeni (2). „Die Frauen und die Kinder saßen in der Mitte, die Männer an den Seiten nahe der Türe, um schnell zu sein bei Angriffen!“, erzählt der Küster. Gruppiert waren sie nach den einzelnen Zünften, denn jede war für einen Wehrturm verantwortlich. Die beeindruckenden Wehrkirchen sind eine Besonderheit Siebenbürgens – an die 150 sollen erhalten sein, einige zählen zum UNESCO-Weltkulturerbe. Oft um zwei oder mehr Wehrgeschosse erhöht sind sie meist von einer oder mehreren Wehrmauern umgeben.

Das zugrunde liegende Motto „Ein feste Burg ist unser Gott“ steht in vielen Kirchenburgen in Stein gemeißelt zu lesen. Schießscharten, Zugbrücken und Wehrtürme sollten vor Angriffen schützen. Oft zieren handgeknüpfte, anatolische Wandteppiche die Mauern. Sie sind ehemalige Schenkungen der Händler, die Handel mit der Hohen Pforte betrieben. „Die hiesige orientalische Teppichkollektion steht auf dem zweiten Platz hinter der in Istanbul“, betont Linus stolz.

Rumänien - die Kirchenburg von Iacobeni/Jakobsdorf

Die Kirchenburg von Iacobeni/Jakobsdorf

Moga

In Badeni essen wir bei Moga und ihrer Familie: Rindfleischsuppe vom eigenem Rind und Kirschkuchen mit Sauerrahm. Deftig geht’s zu, und die Tomaten schmecken noch nach Tomaten. Irgendetwas fühlt sich stets an wie daheim, wie bei Oma, wie vor langer Zeit. Doch was auf Touristen heimelig wirken mag, ist für die einheimische Bevölkerung harte Arbeit: Mähen mit der Sense, Pflügen mit dem vom Pferd gezogenen Gerät.

Rumänien - Deftiges Mittagessen bei Moga (Köchin) in Badeni: Rindfleischsuppe vom eigenen Rind. Man beachte das „Wassergläschen“ links

Deftiges Mittagessen bei Moga (Köchin) in Badeni: Rindfleischsuppe vom eigenen Rind. Man beachte das „Wassergläschen“ links

Schäßburg bedeutet sechste Burg, ist wohl die besterhaltene Stadt Siebenbürgens und ebenfalls UNESCO-Welterbe. Erstmals erwähnt wurde der Name Ende des 13. Jahrhunderts: Castrum sex. Die Stadt ist in zwei Teile geteilt, in Unter- und Oberstadt mit Burghügel. Über Stufen und Kopfsteinpflaster geht es hinauf und durch den 64 Meter hohen Stundturm. Er darf als der schönste der turmreichen Stadt Sighişoara (3) gelten und heißt so wegen der beiden Uhren und der Darstellung der Tage durch hölzerne Statuen. Seine vier Ecktürme sah man schon von Weitem: Ein Zeichen dafür, dass die Stadt die Blutgerichtsbarkeit besaß und zum Tode verurteilen durfte. Hier kann man lernen, Gebäude zu lesen wie Bücher.

Rumänien - Der Stundturm in Sigişoara/Schäßburg

Der Stundturm in Sigişoara/Schäßburg

Auf der überdachten Schülertreppe gelangen wir über 175 Treppen zur Bergkirche, einer spätgotischen Hallenkirche. Touristenmassen schieben sich vorbei. Das Städtchen bedient Romantik und Behaglichkeit mit seinen verwinkelten Gassen und schmucken Bürgerhäusern rund um den malerischen Burgplatz, wo man in der Sonne in Straßencafés sitzt. Doch auch der Dracula-Mythos lebt: Allerlei Dracula-Souvenirs finden sich in den Läden und das Restaurant „Casa Vlad Dracul“ im Haus des Vaters des grausamen Dracula, der hier geboren wurde und aufwuchs.

Rumänien - Schild des Restaurant Casa Vlad Dracul/Dracula Restaurant in Sigişoara/Schäßburg

Schild des Restaurant Casa Vlad Dracul/Dracula

Martina

Wir radeln über Dumbrăveni (4) mit einer armenischen Kirche, auf deren Uhr die Zeit stehen geblieben ist, nach Biertan (5) mit seiner Kirchenburg. Oft musste man längere Zeit innerhalb der Mauern ausharren, so bewahrte man im Inneren des Speckturms für Belagerungszeiten Speck auf. In dem kühlen, luftigen Gemäuer reifte er besonders gut.

Rumänien - die Kirchenburg in Biertan/Birthälm

Die Kirchenburg in Biertan/Birthälm

„Jede Familie hatte einen Stempel, um ihn nach dem Abschneiden zu kennzeichnen“, erklärt Kirchenführerin Martina. Auch ein Ehegefängnis gab es, wo zerstrittene Eheleute mit nur einem Bett und Tisch so lange auskommen mussten, bis sie sich wieder versöhnt hatten. Besonders auffällig ist das raffinierte Schloss der spätgotischen Sakristeitür, das mit nur einem Schlüssel 13 Riegel bewegt: „Es ist von 1515, wurde 1889 auf der Weltausstellung in Paris gezeigt und ist mit Nilpferdköpfen verziert“ so Martina stolz.

Rumänien - das kuriose Schloss mit Kirchenführerin Martina

Das kuriose Schloss mit Kirchenführerin Martina

Es ist nicht weit bis nach Richiş (6). Pastellfarbene Reihenhöfe säumen die Dorfstraße, ein Hund bellt die Radfahrer nur halbherzig an. Johann Schaas erwartet uns vor „seiner“ Kirchenburg: Kariertes Hemd, beige Baseballkappe und große Schlüssel in der Hand – größer als seine Hand. Die 1400 als Klosterkirche der Zisterzienser erbaute Kirche wurde 1545 reformiert und daraufhin vieles mit weißem Kalk übertüncht. „Das ist aber ein Glück“, lächelt Schaas und seine braunen Augen blitzen, „denn unter der Kalkschicht hat sich alles erhalten!“ Schaas, Kurator der Reichesdorfer Kirche, suchte nach den alten Bildern. Was er fand, ist kurios: Zig Darstellungen des Grünen Mannes sind über die ganze Kirche verteilt. Es brauchte Jahre, bis er herausfand, worum es sich dabei handelt: eine keltische Obergottheit. Schaas weist auf die Löcher in der Außenwand hin: „Die mussten die Sünder knieend mit dem bloßen Finger hineinbohren!“, lacht er.

Rumänien - der Grüne Mann, eine keltische Obergottheit, Details in der Kirche

Der Grüne Mann, eine keltische Obergottheit, Details in der Kirche

Schaas ist ein Scherzkeks und ein Geschichtenquell, es fällt schwer zu gehen. Doch die nächsten guten Storys folgen auf dem Fuß: In Alma Vii (7), das mithilfe der Mihai Eminescu Stiftung, deren Schirmherr Prinz Charles ist, restauriert wird und in der Alten Mühle in Hosman (8). Jochen Cotaru aus Rostock hat es über Umwege hierhin verschlagen. Die alte Holzmengener Mühle und die Bäckerei sind reaktiviert, Arbeitsplätze wurden geschaffen und ein Verein zur Dorfförderung. Die Mühle ist ein lebendes Museum in dem man der Geschichte nachspüren kann: „Der Mühlenmotor aus dem 19. Jahrhundert wurde mithilfe eines Schweizer Mühlendoktors wieder zum Laufen gebracht!“, erzählt Jochen. Auch die Schmiede wurde wieder in Betrieb genommen und im Hof finden allerlei kulturelle Veranstaltungen statt.

Rumänien - In der Mühle in Hosman/Holzmengen

In der Mühle in Hosman/Holzmengen

Multikulturell geht’s zu in Siebenbürgen, fast exotisch, und doch fühlt sich gleichzeitig alles recht heimelig an. So nah und doch so fern.

 

Reisemagazin schwarzaufweiss

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