Reiseführer Rom

Ariccia

Hitzegeplagte Römer fliehen nur zu gern in das Städtchen in den Albaner Bergen, wo ein kühles Lüftchen weht und weit im Westen bei klarer Sicht das blasse Blau des Tyrrhenischen Meeres schimmert. Freundliches Klima und schöne Panoramen sind freilich nicht der Hauptgrund für die Anreise. Es ist Porchetta, eine kulinarische Spezialität, die Ariccia berühmt gemacht hat. Darüber später mehr. Es gäbe noch einen weiteren Grund, sich im Städtchen umzusehen, hat doch Italiens Barockgenie Gian Lorenzo Bernini das Stadtbild im 17. Jahrhundert nachhaltig geprägt. Für die Römer aber ist Bernini ein guter alter Bekannter. Seinen Werken begegnen sie in der Stadt am Tiber auf Schritt und Tritt.

Rom: Ariccia

Der Lago Albano wird passiert


Das rund 25 km südöstlich von Rom gelegene Ariccia mit bald 20.000 Einwohnern zählt zu den sechzehn Castelli Romani, Gemeinden im Bereich der Albaner Berge, die einst in Reichweite der Burgen (castelli) oder prachtvollen Landhäuser (ville) einflussreicher Familien entstanden – ein Prozess, der sich hier seit der Antike vollzieht, denn heute wie schon damals ist die Landschaft der Albaner Berge für die Römer eine überaus beliebte Sommerfrische.

Bequemste Verbindung von Rom nach Ariccia ist die Regionalbahnstrecke FL4 (Ferrovie regionali FL4) ab Roma–Termini in 52 – 54 Minuten nach Albano Laziale (Endstation).

Von hier führt ein leichter zwölf- bis fünfzehnminütiger Fußmarsch an den Rand eines tiefen, durch vulkanische Aktivitäten geformten Tals, das die antike Stadt Aricia der hier siedelnden Latiner beherbergte und auch die Via Appia Antica führte hindurch. Heute muss man nicht mehr wie früher die Talhänge hinab- und wieder hinaufsteigen: an seiner engsten Stelle wird das Tal von einer bemerkenswerten Brücke überspannt, an deren anderem Ende unser Ziel Ariccia liegt. Inspiriert von der Architektur römischer Aquädukte machten sich in den vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts Architekten und Baumeister im Auftrag des Papstes Pius IX. ans Werk. 1854 konnte die 312 m lange und 72 m hohe Brücke eingeweiht werden. Sie führt direkt auf das Barockensemble zu, das Gian Lorenzo Bernini in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts auf der Piazza di Corte (heute auch: Piazza della Repubblica) in Szene setzte.

Rom: Ariccia

Bernini und die Chigi-Familie

Bernini war nicht allein, als er das Ortsbild Ariccias umgestaltete. Zu seinem Team gehörten sein jüngerer Bruder Luigi Bernini, der gemeinsam mit Giovan Battista Contini die Porta Romana im Ort erbaute und Carlo Fontana, der sich schon in Rom als Architekt einen Namen gemacht hatte. Er war Berninis rechte Hand. Von ihm stammt u. a. die Porta Napoletana in Ariccia. Und dabei war auch mit Mattia de Rossi ein Lieblingsschüler und enger Vertrauter von Bernini.

Auch die Wallfahrtskirche Sta. Maria di Galloro mit ihrem wundertätigen Marienbild wurde auf Wunsch der Chigis von Bernini neu gestaltet. So geriet Ariccia für den großen Mann des römischen Barock zu einem hochwillkommenen Experimentierfeld. Hier konnte er seine Vorstellungen von barockem Städtebau verwirklichen und das eher unscheinbare Städtchen in eine Art „Idealstadt des Barock“ verwandeln. Er hatte freie Hand bei der städtebaulichen Planung wie auch bei den architektonischen Details, den Einrichtungen und Ausschmückungen.

Sein gönnerhafter Auftraggeber war Papst Alexander VII., ein Abkömmling der ursprünglich in Siena, später in Rom ansässigen Bankiers- und Kaufmannsfamilie Chigi. Fabio Chigi, der spätere Papst, war ein Bewunderer und Förderer Berninis. In der Literatur wird er oft – bezogen auf Rom – als „Bauherrenpapst“ tituliert, bekannt für seine „peinlich genaue Stadtplanung“ und dafür, dass er „in seinem Schlafzimmer ein Holzmodell von Rom stehen hatte“, an dem er den Architekten seine Vorstellungen vom Umbau Roms erläuterte.

Der Palazzo Chigi an der Piazza Colonna in Rom ging 1659 in den Besitz der geschäftstüchtigen Familie über und ist seit 1961 Amtssitz der italienischen Ministerpräsidenten. Ein Jahr vor der Übernahme des römischen Palazzo wurden die Chigis auch in Ariccia fündig. Mit der Stadt erwarben sie auch gleich das umliegende Herzogtum, beauftragten Bernini mit der Umgestaltung und blieben hier bis 1988.

Palazzo Chigi

Hat man, von Albano Laziale kommend, die Brücke passiert, betritt man mit der Piazza di Corte (modern auch: Piazza della Repubblica) das architektonische Herzstück des Städtchens. Linker Hand erstreckt sich mit seiner langgezogenen, nüchtern-schmucklosen, aber nicht uneleganten Straßenfront der Palazzo Chigi.

Rom: Ariccia

Gemeinsam mit Carlo Fontana hatte sich G. L. Bernini 1664 an den radikalen Umbau des einst von der Savelli-Familie bewohnten altersschwachen Schlosses aus dem 15. Jahrhundert gemacht. Da die Neuerer auch Einrichtungsgegenstände und Dekors selbst entwarfen und das barocke Interieur in der Folgezeit nicht verändert wurde, blieb der ursprüngliche Charakter dieser Privatresidenz einer prominenten italienischen Adelsfamilie bis in unsere Zeit erhalten samt Leder- und Stofftapeten, Mobiliar, Gemälden und Skulpturen.

1740 wurde nach den Originalplänen Berninis der Nordwestflügel errichtet. Der Palazzo, „ein architektonischer Hybrid aus Schloss, Palast und Villa“, wie eine Anmerkung lautet, wurde 1988 von Fürst Agostino Chigi an die Gemeinde Ariccia verkauft, die den Adelssitz in ein Kulturzentrum umwandelte.

Das Zwischengeschoss des Westflügels beherbergt seit 2008 das Museo del Barocco Romano mit einer Sammlung von Gemälden der römischen Schule des 17. und 18. Jahrhunderts. Andere Örtlichkeiten werden für Ausstellungen, Präsentationen sowie Dreharbeiten für Film und Fernsehen genutzt. Hier entstanden die Innenaufnahmen des „Attila“-Films mit Sophia Loren und Anthony Quinn, auch einige Sequenzen aus Luchino Viscontis „Der Leopard“ und dem „Geizhals“ mit Alberto Sordi wurden hier gedreht. Die „Accademia degli Sfaccendati“ nutzt Säle und Freilichtbühnen für hochkarätige Konzerte und bei gut betuchten Hochzeitswilligen sind die Festräume und Parkanlagen hochbegehrt.

Der 28 Hektar umfassende Park auf der Rückseite des Palazzo weist alte Baumbestände auf, darunter Mammut- und Ahornbäume, Steineichen und Eschen. Wege durchziehen den Park. Es gibt Brunnen und einen kleinen See, hier und da auch antike Relikte wie einen Meilenstein der Via Appia Antica und Sarkophage.

La Chiesa di Santa Maria Assunta

Auch die beiden Brunnen gegenüber dem Palazzo entstammen der Werkstatt des Bernini-Teams. Über dem kleinen oberen Becken werden sie von den Wappensymbolen der Chigi – sechs stilisierte Berge, darüber ein Stern – gekrönt.

Rom: Ariccia

Wie ein Bindeglied leiten die Brunnen hinüber zu einem weiteren Meisterwerk Berninis, der Kirche Santa Maria Assunta. Sie entstand in den frühen 1660er Jahren wohl in Anlehnung an das Pantheon im Herzen Roms als Zentralbau auf einem kreisförmigen Grundriss (Rotunde). Wie das Pantheon wird die Kirche von einer Kuppel überdacht und ähnlich dem römischen Vorbild erhielt die Kirche in Ariccia auch eine Art Pronaos, eine Vorhalle mit drei Bögen, die den Eingang markiert. Unübersehbar auch hier am Giebel über den Bögen das Wappen des Chigi-Papstes Alexander VII. Unter dem Giebel erinnern die goldenen Lettern Deiparae in Coelum Assumptae / Mutter Gottes in den Himmel aufgenommen daran, wem die Kirche geweiht ist. An beiden Seiten wird der Rundbau von später hinzugefügten dreiteiligen Pfeilerkolonaden flankiert.

Rom: Ariccia

Der Innenraum weist drei Kapellen auf jeder Seite auf sowie eine große Apsis, ausgemalt mit Fresken, die Himmelfahrt Marias darstellend. Ihr Schöpfer war Il Borgognone, der Franzose war und eigentlich Guillaume Courtois hieß und aus der Bourgogne nach Rom ausgewandert war. Er schuf mit seiner Apsisausmalung das einzige vielfarbige Element in der Kirche, wo weiße und goldene Farben dominieren. Dem Apsisfresko gegenüber steht der Hauptaltar. Viel Licht fällt ins Kircheninnere durch die Fenster der sog. Laterne d. i. der turmartige Aufsatz auf der Kuppel. Acht Säulen stützen die mit Stuck und Engelsdarstellungen verzierte Halbkugel. Die beiden in der Vorderansicht kaum wahrnehmbaren Glockentürme grenzen an die Rückseite der Rotunde.

Die Porchetta-Saga

Wie schon eingangs erwähnt, gibt es besondere Gründe in Ariccia Station zu machen. Ihr unwiderstehliches kulinarisches Angebot lockt die Römer und nicht nur sie in Scharen in die fraschette, die traditionellen Tavernen des Städtchens. Es sind nicht allein die strohgelben, aus der Malvasia del Lazio-Traube gekelterten Weine, der rubinrote, leicht perlende Frizzantino oder ein kühler Grechetto Bianco nebst den dazugehörigen Käse- und Salamiköstlichkeiten – nein, Star unter den Ariccini und angereisten Feinschmeckern ist die Porchetta, das Spanferkel, zubereitet als Rollbraten. Angeblich soll der Leckerbissen schon von den alten Römern geschätzt worden sein und wurde auch – so die Überlieferung – als Opfergabe dem Jupiter Laziale im Tempel am Monte Cavo in den Albaner Bergen dargebracht.

Rom: Ariccia

Während bei uns ein Spanferkel 30 – 32 kg Lebendgewicht auf die Waage bringt und ein Schlachtgewicht von maximal 25 kg, kann der „Porchettaro“ in Ariccia ein 70 – 80 kg schweres Tier, das weiblich sein muss, aber nicht älter als ein Jahr sein darf, zum Rollbraten verarbeiten. Es wird der Schweinebauch verwendet, frei von Knochen und gewürzt wird der Braten mit Rosmarin, Salbei, Knoblauch, Pfeffer und Salz. Das Ergebnis ist eine Porchetta mit leicht rosa Fleisch, einer knusprigen Haut und dem Versprechen, „einer Explosion von Aromen und Geschmack“. Übrigens liefern 100 g Porchetta bis zu 400 kcal. Die Porchetta ist IGP-zertifiziert (Indicazione Geografica Protetta/Geschützte geographische Angabe).

2022 wurde die siebzigste „Sagra di Ariccia“, das große Porchetta-Festival, gefeiert, nachdem die Pandemie in den Jahren 2020 und 21 einen Strich durch die Rechnung gemacht hatte. Traditioneller Festtermin ist stets das erste Wochenende im September. Auf der Piazza di Corte und anderen Plätzen wird ab Freitag bis spät in den Sonntag hinein geschmaust und gefeiert, begleitet von Musik, Aufführungen, Kinderprogrammen, Wettkämpfen.
Rom: Ariccia





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