Reiseführer Rom

Palazzo della Cancelleria

Etliche Geschichtsschreiber schildern die Entstehung des Renaissance-Palastes als das Ergebnis einer Wette: Danach soll „in einer wüsten Spielnacht“ Kardinal Raffaele Riario, Neffe von Papst Sixtus` IV., dem Trinker und Spieler Francesco Cibo beim Würfeln Tausende Golddukaten abgenommen haben – ein Millionencoup nach heutiger Rechnung. Franceschetto (Fränzchen), wie ihn die Römer nannten, war nicht irgendwer. Sein Vater war der spätere Papst Innozenz VIII., der als 16jähriger „mit einem einfachen Mädchen“ seinen missratenen Sohn gezeugt hatte. Raffaele Riarios Würfelglück bildete den Grundstock für die Errichtung des Palastes. 1485 begannen die Bauarbeiten, 1496 bezog der Kardinal sein noch nicht fertiggestelltes pompöses Zuhause. Freilich konnte er sich nur kurze Zeit seiner neuen Bleibe erfreuen, denn Fahnder überführten ihn der Mitwisserschaft an einem Mordkomplott gegen den Medici-Papst Leo X.

Noch immer ist ungewiss, wer der Erbauer des nach florentinischem Vorbild (Palazzo Rucellai) errichteten Palastes ist. Der Universalgelehrte Leon Batista Alberti wird öfter in diesem Zusammenhang erwähnt, auch der Architekt und Maler Donato Bramante, sowie die häufig gemeinsam agierenden Andrea Bregno (Bildhauer) und Baccio Pontelli (Architekt). Unstrittig ist, dass mit diesem großartigen Palazzo die Bautätigkeit in Rom dringend benötigte Impulse erhielt, nachdem die Stadt durch die Turbulenzen in der römischen Kirchenhierarchie und dem Exil der Päpste in Avignon einen gravierenden Bedeutungs- und Wohlstandsverlust hinnehmen musste.

Cancelleria

Der oben erwähnte Kardinal Riario war einige Zeit in der Engelsburg, dem damaligen Staatsgefängnis des Vatikans, eingekerkert. Reiche Gönner konnten ihn freikaufen, doch seinen Palast musste er der Römischen Kirche überlassen – so wollte es der Deal. Seitdem ist der Palazzo mit kurzen Unterbrechungen eine Besitzung des Heiligen Stuhls und Sitz der päpstlichen Kanzlei.

Meilensteine
1527, als die Söldner des Habsburger Kaisers Karl V. über Rom herfielen („Sacco di Roma“) und die Stadt ausplünderten, geriet der Palazzo in Brand. Ein halbes Jahrhundert später ließ Papst Sixtus V. das verwüstete Bauwerk wieder herstellen. 1689 zog mit Kardinal Pietro Ottoboni ein vielbeschäftigter Kirchenmann und zugleich außergewöhnlicher Mäzen ein, dessen großzügiges Wirken Malern, Literaten und Musikern zugute kam. Er richtete ein kleines, heute nicht mehr existierendes Theater im Palazzo ein.

1798 erklangen französische Laute in den Palastkorridoren, nachdem Napoleon seinen General Louis-Alexandre Berthier zum Kommandanten der „Armée de Rome“ ernannt hatte und dieser Rom einnahm, Papst Pius VI. absetzte, die Römische Republik ausrief und die Cancelleria Sitz der hohen Gerichte der neuen Machthaber wurde. Ab 1848 war die Kanzlei Bühne für die römischen Revolutionäre, die das Papsttum für abgesetzt erklärten, erneut die Römische Republik ausriefen und die „reine Demokratie“ propagierten.

1929, im Zuge der Ausarbeitung der Lateranverträge zwischen dem italienischen Staat und dem Vatikan wurden der Cancelleria extraterritoriale Rechte zugestanden. Seit 1967 sind weitere päpstliche Ämter im Palazzo untergebracht, darunter die höchste Gerichtsinstanz der Kurie, der Oberste Gerichtshof der Apostolischen Signatur, sowie mit der Sacra Rota Romana das zweithöchste Gericht der röm.-kath. Kirche, zuständig für Streitsachen höchster kirchlicher Würdenträger, die allein dem Papst unterstehen. Zumeist befasst sich die Instanz aber mit Ehenichtigkeitsverfahren. Eine weitere bedeutende kuriale Behörde ist die hier residierende Apostolische Pönitentiarie. Sie gewährt Absolutionen, Dispensen, Strafnachlässe u.a.

Im Palazzo untergebracht ist auch die Pontificia Accademia Romana di Archeologia, die Päpstliche Akademie für Archäologie, die sich mit der Förderung der Altertumsforschung befasst, schließlich noch die älteste aller päpstlichen Akademien, die der Schönen Künste und der Literatur. Zum Ziel gesetzt hat sie sich die Förderung der sakralen Kunst und der Literatur mit christlicher Tendenz. Sie untersteht dem Päpstlichen Rat für die Kultur.

Cancelleria

Fensterpartie des Piano Nobile


Aufgrund der Vielzahl hochrangiger vatikanischer Behörden sind viele Räumlichkeiten interessierten Besuchern nicht zugänglich. Doch der herrliche Innenhof, der dem großen Donato Bramante zugeschrieben wird, kann während der Bürostunden besichtigt werden. Zeitlich sehr beschränkt (Dienstag, 16-18 Uhr, Samstag, 9-12 Uhr), gebührenpflichtig und umständlich zu genehmigen sind einstündige Führungen durch einige Prachträume in den oberen Stockwerken bzw. im Untergrund. Fotos und Videoaufnahmen sind bei diesen Besichtigungen nicht gestattet. Die für den Besuch notwendige Genehmigung (Prenotazione obbligatoria) erteilt allein die Amministrazione del Patrimonio della Sede Apostolica (APSA), die Güterverwaltung des Apostolischen Stuhls unter economato@apsa.va

Die Fassade
Schaufront des Palastes ist seine Hauptfassade an der Piazza della Cancelleria. Der Corso Vittorio Emanuele II. und die Via del Pellegrino begleiten seine anderen Fronten. Weist der erste große römische Stadtpalast der Frührenaissance, der Palazzo Venezia, noch Elemente der Verteidigung auf (wehrhafte Ecktürme, Zinnenkranz, Wehrgänge) so geriet Roms nächstes großes Bauvorhaben, die Cancelleria, zum ersten vollkommen zivilen Prachtbau am Tiber. Ein Bauwerk von gewaltigen Ausmaßen, verkleidet mit Travertinplatten, die vom Colosseum stammten, architektonisch gegliedert in drei durch Gesimse voneinander getrennte Zonen, die mit Pilastern (Wandpfeiler ohne tragende Funktion, mit Basis und Kapitell) dekoriert wurden.

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Fassadenfenster mit Rose, dem Wappen des Kardinals Riario


Die untere Zone, das Erdgeschoss, wirkt wie ein Sockel, durchbrochen nur von kleineren, schmucklosen Rundbogenfenstern. Hier waren die Küche, Vorratsräume und Speisesäle für die zahlreichen Bediensteten untergebracht. Darüber liegt das „Piano Nobile“, das edle Geschoss, die Beletage mit repräsentativen Räumlichkeiten, den Sälen und Wohnräumen des Kardinals, einer Kapelle und einer Bibliothek. Im Obergeschoss mit kleinen sog. Mezzaninfenstern wohnte die Dienerschaft – immerhin gehörten zum Hausstand an die 350 Bedienstete.

Die enorme Breite der Fassade wird gebändigt durch die beiden kaum merklich vorspringenden sog. Eckrisalite, die entfernt an Ecktürme erinnern. Sie sollen dafür sorgen, dass die große Fläche nicht „auseinander läuft“ sondern zusammengefasst wird. Balkone wie jener, der auf die Via del Pellegrino geht, und die Wappen diverser Päpste setzen Akzente an den Palastfronten.

Antike Granitsäulen stützen das Hauptportal, das ein Wappen des Peretti-Papstes Sixtus V. trägt. Der prächtige Zugang zum Palast entstand 1589 neu nach den Zerstörungen durch den „Sacco di Roma“ im Jahre 1527. Der Balkon über dem Portal wird von der Inschrift CORTE IMPERIALE gekrönt. Sie stammt aus der Zeit der Napoleonischen Besetzung Roms und wies den Palazzo als Obersten Gerichtshof der Besatzungsmacht aus.

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Portal


Ein über die gesamte Front verlaufendes Inschriftenband über den Fenstern des „Piano Nobile“ würdigt den Erbauer Riario und erwähnt den Zeitpunkt der Fertigstellung des Bauwerks unter Papst Alexander VI. Es beginnt mit den Worten RAPHAEL RIARIUS SAVONENSIS …. und endet mit ALEXANDRO VI. P.M. Der vollständige Text lautet: Raffaele Riario aus Savona / Kardinaldiakon von St. Georg, Kämmerer der Heiligen Römischen Kirche, von Sixtus IV., dem Pontifex Maximus, mit Ehrungen und Vermögen ausgezeichnet, hat die dem Heiligen Märtyrer Laurentius geweihte Kirche und das Gebäude aus eigenen Mitteln gebaut / 1495 unter Alexander VI. P.M. (P.M. steht für Pontifex Maximus)

Das weiter rechts eingelassene Tor führt in die Kirche San Lorenzo in Damaso, die nach Außen nicht in Erscheinung tritt, da sie vollständig in Riarios Palazzo integriert wurde und keine eigene äußere Fassade besitzt.

Der Innenhof
Durch das Hauptportal gelangen Besucher in den „Cortile“, den gut 20 X 33 Meter messenden rechteckigen Innenhof mit harmonischen Proportionen und einer unerwarteten Leichtigkeit und Eleganz, hervorgerufen durch die übereinander gestellten filigranen Arkadenreihen. Fünf Arkaden an der kurzen, acht an der langen Hofseite vereinen sich zu einem „luftigen Gerüst aus zierlichen Granitsäulen“. Es sind römisch-antike Spolien aus dem Vorgängerbau der einverleibten Kirche San Lorenzo in Damaso. Starke Pilasterpfeiler sichern an den Ecken das luftige Gerüst. Das oberste Stockwerk entstand aus Backsteinen. Es wird durch Pilaster, große Rechteck- und kleine Bogenfenster gegliedert. Und nicht zu übersehen: die steinerne Rose, das Wappen des Kardinals Riario, an den Arkadenbögen und selbst in der Hofmitte.

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Unter den Arkaden liegt der Zugang zu einer permanenten Ausstellung (Mostra permanente dedicata a Leonardo da Vinci), die sich dem Genie und seinen Erfindungen widmet. Zu sehen sind Originalexponate, Nachbauten, wissenschaftliche Studien, Videos, Hologramme, Fotos. Täglich 09.30 bis 19.30 Uhr.

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Die Räumlichkeiten
Sie können, wie schon oben erwähnt, nur in einem engen Zeitrahmen besichtigt werden. Von besonderem Interesse ist der häufig beschriebene, reich mit Fresken dekorierte Salone dei Cento Giorni (Salon der Hundert Tage), ein Sitzungssaal im ersten Stock, der zu seinem Namen kam, nachdem der Maler und Architekt Giorgio Vasari mit seinen tüchtigen Mitarbeitern die Wandfresken („einen allegorischen Lobeshymnus“ auf den Farnese-Papst Paul III.) unter Zeitdruck Zin hundert Tagen vollenden konnte. Und jede Abhandlung über den Hundert-Tage-Saal wiederholt partout die Anekdote, nach der Vasari sich vor Michelangelo seines Tempos brüstete und dieser trocken angemerkt haben soll „si vede bene“ - man sieht`s.

Zu besichtigen sind auch die mit Fresken dekorierten Privaträume einschließlich der Kapelle der Kardinäle, auch die Sala Riaria, ursprünglich eine Art Vor- oder Wartezimmer für die Gäste des Kardinals. Später, im 18. Jahrhundert ließ Papst Clemens XI. den Raum mit u.a. monochromen Gemälden ausstatten. Die Pallium-Kapelle war die Gebetsstätte der Kardinäle. Francesco Salviati, ein Freund von Vasari, schmückte sie aus mit Stuckarbeiten und Gemälden. Und dann wird noch ein Stufetta genanntes beheizbares Bad besichtigt, das Antonio da Sangallo dem Jüngeren zugeschrieben wird mit Fresken des berühmten Architekten und Malers Baldassare Peruzzi. Er erbaute u.a. die Villa Farnesina. Während der Renaissance entstanden gerade in Rom zahlreiche komfortable Bäder in dem Bemühen, Vorbilder aus der Antike wiederzubeleben.

Nun geht es aus der Südwestecke des Innenhofs hinunter in die Unterwelt zum 1938 zufällig entdeckten Grab des Aulus Hirtius, den die Italiener Aulio Irzio nennen. Er war Politiker, Offizier und ein Vertrauter Caesars, betätigte sich auch schriftstellerisch, so als Coautor des „De bello Gallico“. Das achte Buch dieser von Caesar verfassten Standardlektüre aller Lateinschüler stammt von ihm. Smaragdgrünes Wasser eines winzigen Sees umspült seine Grabstätte. Es stammt von Euripus, einem antiken Kanal, dessen Abfluss in den Tiber nach dem Bau der hohen Tibermauern blockiert ist und sich mehr oder weniger stark aufstaut.

Von den zwei Portalen in der Hauptfassade führt das rechte kleinere in die zweischiffige Vorhalle der Kirche San Lorenzo in Damaso. Das in den Palazzo vollkommen einbezogene Gotteshaus reicht in seinen Anfängen bis in das 4. Jahrhundert zurück. 1988 wurden bei Grabungen unter dem Innenhof Mauerreste der frühchristlichen Basilika des Damaso entdeckt. Die Urkirche wurde im 15. Jahrhundert abgerissen und neu gebaut und zu einem Teil des Palazzos. Verschiedene bauliche Veränderungen, die Bernini im 17. Jahrhundert und Valadier im 18./19. Jahrhundert vorgenommen hatten, wurden später rückgängig gemacht und die ursprüngliche Renaissance-Ausstattung wieder eingerichtet. San Lorenzo in Damaso ist als Basilika mit Hauptschiff und angrenzenden Seitenschiffen gebaut worden. Die Kirche beherbergt Teile der vatikanischen Bibliothek wie schon in der Frühzeit der Kirche hier Dokumente in den Flügeln des Narthex aufbewahrt wurden.

Piazza della Cancelleria No. 1





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